Good morning, Vietnam! Einigermaßen ausgeschlafen und etwas vom ersten Overkill der Eindrücke erholt kann ich nun versuchen, wieder ein paar vietnamesische Streiflichter und Gedanken zu formulieren. Vollständigkeit, Korrektheit und Objektivität ist dabei eine unerreichbare Größe – zu viel, zu chaotisch, zu wenig Zeit.
Zwei Tage haben wir dem brodelnden Saigon gewidmet. Meistenteils zu Fuß durchstreifen wir diese Stadt, die so viele Gesichter hat, dass sie sich immer noch jeder stimmigen Beschreibung entzieht. Bleiben also Splitter.
Es ist nicht ausschließlich eine Sache alter Gewohnheiten, dass die Namen Ho-Chi-Minh-Stadt (=HCMC) und Saigon fast gleichberechtigt nebeneinander gebraucht werden Nicht nur die jüngere Geschichte, die eines geteilten Landes, ist der Grund, auch das Nebeninander von alten Traditionen, einem de-facto Neo-Kleinunternehmer-Kapitalismus und Sozialismus kommen hier zusammen. Neu und alt, rott und hypermodern, bunt, chaotisch, arm, reich, gepflegt, vermüllt, hektisch und gelassen … all das trifft gleichzeitig zu, bringt also nicht weiter.
„Unser“ Viertel, in dem das Hotel Silk Path liegt, ist die City. Orientierungspunkt und eine der wichtigsten Attraktionen ist der Ben Tranh Markt. Eine große Markthalle, in deren engen und überfüllten Gängen man so ziemlich alles kaufen kann: von traditionellen Gewändern über Modeschnickschnack, Lebensmittel, Gewürzen, Schuhen bis hin zu Blumen und so weiter. Touristen und Einheimische drängeln sich in den mit Waren zugestellten Gängen. Länger als drei Sekunden stehenbleiben bewirkt nur schwer abzuschüttelnde Verkaufsversuche, die schon mal mit festgehaltenen Armen verlängert werden. Überall prangen Schilder „Fixed Prices“ – vermutlich beeindruckt das nur europäische und US-Touristen, die das als Entschuldigung für sich selbst brauchen, endlich mal nicht um alles handeln zu müssen. Auch ich war anfangs extrem genervt von dieser Landessitte, mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt – mit verbesserten Ergebnissen, sprich: realistischeren Preisen. Wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Preise hier für uns ohnehin sehr niedrig sind. Und Handeln gehört einfach zum guten Ton.
Neben den alten, eher kleinen zweistöckigen Häusern in den teilweise handtuchbreiten Nebengassen überwiegen hier sechs bis zwölfstöckige Gebäude – maximale Grundstücksnutzung. Viele preiswertere Hotels haben überwiegend fensterlose Zimmer, so lassen sich auch an den Giebelseiten mehr Zimmer einbauen, denn die Bauten sind eher tief als breit, oft reicht die Fassadenbreite nur für ein einziges Zimmer. Meine Sucht nach Licht macht mich da gewissermaßen zur Luxusschnecke, die lieber fünf bis zehn Euro (1€=29.000 Dong) mehr bezahlt als in einer beleuchteten Schuhschachtel zu sparen. Aber angesichts der vielen sehr preiswerten Hotels ist das noch vertretbar. Für 15 bis 20 Euro hat man schon ein schickes Doppelzimmer in der City. Unser „teures“ und gemütliches Zimmer, das wie am zweiten Tag bezogen haben, kostet 20 Euro. Wir hätten sicher noch billiger wohnen können, aber wir wollten unsere Saigontage nicht mit langer Sucherei verkürzen.
Ein Großteil der Bevölkerung hier, so will es einem zumindest erscheinen, verdient sich seinen Lebensunterhalt mit Handel. Auf dem Markt, in kleinen Läden, als fliegender Händler. Keine Ahnung, wie die alle überleben. Jede Straße quillt über mit kleinen Läden, in jedem Durchgang wird gehandelt, obwohl außerhalb des Zentrums inzwischen gigantischen Supermärkte und Einkaufszentren wie fremde Raumschiffe in den Vierteln hocken.
Essen kann man auf jedem erdenklichen Niveau.
„Fine dine“ in gehobenem Niveau, hübsche Restaurants, oft traditionsbewußt im Stil, wo soviele schön gekleidete dienstbare Geister einen umschwirren, dass man sich die Angestelltenzahl nur mit absolut minimalen Löhnen erklären kann. Schon bei besseren Cafés reißen einem mindestens zwei eigens dafür zuständige Lächler die Tür auf, bevor die Kellner sich um die Gäste drängeln.
Variante zwei sind einfache Restaurants, die sich meist durch puppenstubengroße Kinderplastikstühle und ebenso kleine Tischchen unbestimmbaren Alters und von wenig ästhetischem Wert auszeichnen. Hygiene-und Stilfanatiker wenden sich mit Grausen, nicht so Zartbeseitete können hier aber zünftig, authentisch, zudem äußerst preiswert und meistens lecker essen. Mit sechs bis acht Euro für zwei Personen und Getränken ist man gut dabei. Freundliche Bedienung fast immer einbegriffen. Die großen, korpulenten Touristen aus dem fernen Europa und Amerika sind hier allerdings gelegentlich vom Mitspielen ausgeschlossen, Höhe und Größe der Möbelchen diktieren ihr eigenes Gesetz. Allerdings wird schon mal flink und geschäftstüchtig ein normal großer Plastikstuhl organisiert … den Teller kann man ja auch woanders abstellen.
Variante drei ist für Menschen geeignet, die einen gewissen Sportsgeist mitbringen und in der Lage sind, westeuropäische Maßstäbe im Koffer zu lassen: die Garküchen. Hier wir überall gekocht – am fahrbaren Stand, am Bordstein, in einer Garage oder im Hausdurchgang. Es gibt auch das Modell fliegende Garküche, die, in zwei gigantische Körbe verpackt und an einem Holztragebalken aufgehängt, über der Schulter herumgeschleppt wird. Hier gibts alle Varianten – auch in hygienischer Hinsicht: Von der Köchin, die auf der Erde hockt und alles aus Plastiktüten zerrt und per Hand und Kelle vermischt, sich aber immerhin einen Plastikhandschuh anzieht und das Gemüse mit Wasser aus der Flasche wäscht, bis zu Zubereitungsarten, die an dieser Stelle des Ekelfaktors wegen besser unbeschrieben bleiben. Aber – auch die Garküche ist eine praktikable Variante; man kann durchaus leckere und gut genießbare Speisen finden – für Peanuts.
Aber so ganz einfach ist das mit dem Essen für Vietnam-Neulinge wirklich nicht, selbst wenn man ein Liebhaber der nationalen Küche und in Berlin regelmäßig einschlägige Lokale frequentiert. Wiedererkennbar ist nur weniges – wie etwa Nudelsuppe. Allein die Namen der Speisen sind unidentifizierbar ohne vietnamesische Sprachkenntnisse und englische Übersetzungen oft nicht vorhanden. Fragen bringt aus demselben Grunde nichts. Dazu kommt, das die vietnamesische Küche so extrem vielfältig ist, das man schon bei bekannten Zutaten den Überblick verliert.
Ja und dann … kommt da noch ein delikates Problem hinzu, zumindest wohl für die meisten Europäer, mögen sie noch so neugierig sein und bekennende Fleischesser dazu: Hier werden auch Tiere und Teile derselben gegessen, die sich unsereins wirklich lieber nicht auf der Gabel vorstellt. Nennt mich Weichei, aber das geht mir dann doch zu weit: Hund, Affe, sämtliche Reptilien, Enteneier mit Embryos und so manche „Leckerei“ mehr. Ganz zu schweigen von Körperteilen wie Augen etc pp. Wie ein einschlägiger Reiseführer schon vermerkte: Übrigens – die niedlichen Hundchen in den Käfigen am Rande der Märkte sind nicht zum Kuscheln gedacht …
Kurz und gut, man kann hier phantastisch essen, viel Neues entdecken und Spaß dabei haben, aber es ist nicht immer ganz einfach. Aber auch das ist Abenteuer und ich kann dem Ganzen durchaus viel Spaß abgewinnen.
Ja, Beate, da hast du mir aber eine Freude gemacht mit deinen plastischen Beschreibungen der Realität. Mein vietnamesischer Kollege war auch ein begeisterter Leser deiner Eindrücke und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Er, und natürlich auch ich, wünschen euch noch viel Spaß in diesem Land. Es steht auch auf meiner „to do“ Liste. Liebe Grüße von AnFu
Herrlich, Beate!
Man hat das Gefühl dabei zu sein..
Bleibt gesund und genießt alles.
Bis zu unserer Reise nach Lissabon werde ich Deine Berichte verschlingen.
Lieben Gruß, Eva