07 Vietnam: Auf nach Norden

Auf zu neuen Ufern! Weiter geht´s, auch wenn wir sicher noch einige Zeit mehr in Saigon gefüllt hätten, ohne uns im Mindesten zu langweilen. Wir haben uns entschlossen, an die Küste zu fahren und uns so langsam nach Norden vorzuarbeiten. Diesmal per Bus.

In einem Reisebüro haben wir ein sogenanntes Open Ticket gebucht. Das ist eine sehr praktische Einrichtung für Menschen wie uns, die sich aufmachen, ohne feste Pläne ein Land zu entdecken. Man bezahlt eine Busfahrt bis zu einem gewissen Ort über eine bestimmte Route, innerhalb der man die Fahrt beliebig oft und lange unterbrechen kann. Man braucht nur jeweils am Tag vor der Weiterfahrt bei der Busgesellschaft einen Platz für die nächste Etappe zu reservieren. Und obendrein wird man noch vom Hotel abgeholt, notfalls per Taxi. Das ist doch mal Service! Man muss nicht immer mit dem Gepäck durch die Gegend laufen, ganz ohne Aufpreis. Die Konkurrenz ist groß und Vietnam ein echtes Serviceland.

Noch ein letztes Hotelfrühstück, das auf meine Bitte am Vortag hin diesmal nicht aus Instant- Nudelsuppe besteht (zur Wahl stehen noch Eier mit einem trockenen Brötchen), sondern aus echt leckerer frischer Hühner-Nudelsuppe. Typisches vietnamesisches Frühstück also! Das Taxi kommt, quält sich durch den Berufsverkehr und kippt uns an einem Stadtpark ab, wo schon reihenweise Busse verschiedener Gesellschaften parken. Puh, ist das schon heiß am frühen Morgen. Der Park ist bevölkert von Sport treibenden Vietnamesen: Laufen, Tai Chi, Tennis (6:30Uhr!), an öffentlichen Fitnessgeräten strampeln usw.  – das ist Disziplin!

Aber jetzt soll erstmal der Fernbus á la Vietnam Würdigung erfahren, das ist nämlich etwas sehr Spezielles. Diese Busse sind mit nichts in Europa zu vergleichen. Sie haben pro Reihe drei Plätze, die jeweils durch einen schmalen Gang getrennt sind und – sie haben zwei Ebenen wie ein Doppelstockbett. Es sind alles Liegeplätze, bei denen man das Kopfteil aufstellen kann, um aufrecht zu sitzen – wenn es denn funktioniert … das tut es leider nicht immer, was ziemlich unangenehm sein kann, wenn man am Tag fährt. Die Schuhe müssen vor dem Einsteigen ausgezogen und in eine Tüte gepackt werden. Die Füße lagern dann in einer Art Kasten, warum sei der Phantasie jedes Einzelnen überlassen. Es gibt eine unablässig pustende Klimaanlage, die zum Glück nicht so eisig eingestellt ist wie in anderen Ländern, dafür aber auch nicht abzuschalten geht. Jeder hat eine Decke auf seinem Plastiksitz, die fährt allerdings offenbar immer längere Zeit überland bevor sie mal gewechselt wird … Es gibt einen Bordfernseher mit vietnamesischen Kung-Fu-Filmen, die Jackie Chan alt aussehen lassen, Musiksendungen und W-Lan.

Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass die Vietnamesen absolut Handy- und Internetsüchtig sind? Dagegen ist Europa gar nichts. Wenn man nichts hat – ein Leben ohne Handy geht hier gar nicht. Selbst der ärmste Schuhputzer zückt ständig sein Handy, um zu spielen oder zu surfen. Allerdings sind Facebook, BBC etc. pp von offizieller Seite geblockt, was hier aber alle mit ausländischen IP-Adressen umgehen. Was für ein Schwachsinn!

Eine halbe Stunde nach Abfahrt sind wir wieder mal total geschockt: Am Rande von Saigon ist Müllland: Abfall so weit man sieht und keine Einfriedungen oder irgendwelche erkennbaren Aktivitäten, die auf eine reguläre Müllkippe hinweisen würden.

Die weitere Fahrt führt uns fünf Stunden lang durch eine endlose Aneinanderreihung von Feldern (vorwiegend Reis) und langgezogene Straßendörfer mit der vietnamesischen Variante des amerikanischen Gunshot-Hauses: Die Front ganz schmal wie ein Zimmer, dahinter reihen sich alle Zimmer des Hauses aneinander, manchmal 20 und mehr Meter, je nachdem wie groß oder wohlhabend die Familien sind. Verrückterweise ist fast immer nur die Vorderseite gestrichen und verziert, davor ist alles sauber und gefegt. Ich hab mir sagen lassen, dass das typisches altes Denken hier ist: Die Gäste sehen ja nur die Fassade und die muss perfekt sein, was dahinter passiert, ist Privatsache. Es gibt alles von armseligen Stein und Blechhäusern bis zu schönen, klassisch vietnamesisch giebelgeschmückten, freundlich angestrichenen Häusern mit großen Fenstern und Gärten davor. Und wieder Müll am Straßenrand und zwischen den Häusern. Farbenfrohe Hingucker sind immer die katholischen Kirchen oder buddhistischen Tempel. Oft ziehen herrliche blühende Büsche und liebevoll gepflegt und bepflanzte Mittelstreifen in den Orten die Aufmerksamkeit auf sich.

Einmal macht der Bus Pause, denn eine Bordtoilette gibt es nicht und außerdem haben die meisten Hunger und Durst. Die eigens dafür eingerichteten offenen, aber überdachten Raststätten erinnern uns sehr an Brasilien, wo ja Überlandbusse auch das Haupttransportmittel sind.

Schließlich ein hellblaues Strahlen zwischen den Bäumen: das südchinesische Meer! Es funkelt und glitzert von türkis bis blassgrün, dass man gleich aussteigen möchte. Plötzlich werden die Orte sauberer, schicker, mondäner. Einer besonders: Er sieht aus wie ein schicker Urlauberort in Südeuropa, wären da nicht die vietnamesischen Schilder. Aber nein – was ist das??? Alles auf Russisch?! Wir trauen unseren Augen nicht. In Saigon kaum ein fremdes Wort und hier alles auf Russisch! (Und darunter manchmal vietnamesisch.)

Wir haben keine Zeit uns von dem Schock zu erholen, denn irgendwie kriegen wir trotz der vietnamesisch geblafften Ansagen des Busfahrers von einem Mitreisenden mit, dass wir in Mui Ne, unserem Ziel, angekommen sind.

Wir haben am Morgen noch per Internet ein Zimmer in einem ruhigen Guesthouse am Strand gebucht – glücklicher Weise fast am Ortsende, also weg von den laut und vergnügungssüchtig urlaubenden Russen. Und wie wir hören, ist die nächstgrößere Küstenstadt Nha Trang, fünf Stunden entfernt, wie eine Hauptstadt der russischen „Neueroberer“.

Aber unser Zimmer ist sehr nett, schlicht und sauber, zum sehr schmalen Strand sind es 20 Meter. Wir genießen den Blick aufs Meer, Miki badet, ich lieber nicht – am Strand liegen ziemlich große, weiße, halbtote Quallen, und mit den Viechern in hellblau hatte ich schon mal eine sehr schmerzhafte Begegnung.

Am nächsten Morgen stehen wir um vier Uhr (!) auf. Wir haben einen Jeep bestellt, denn zu den Attraktionen der Gegend gehören ein paar riesige Dünen, 30 km entfernt. Und die Sonnenauf- und -untergänge sollen besonders schön sein. Wir setzen darauf, dass die versammelte Spaßgesellschaft lieber abends fährt, wenn überhaupt.

Uns holt ein mürrischer, wild aussehender Typ mit einem Uraltjeep ab, der kein Wort mit uns redet. Die Fahrt führt durch die Nacht etwas bergauf und plötzlich sind wir in dichten Nebel gehüllt. Wir kommen irgendwo im Stockdunkeln an, ein Haus, eine Terrasse, Schrott und ein paar Quads sind zu erkennen, sonst nichts, es ist Stromausfall. Noch ein paar Jeeps kommen an, alles Vietnamesen, keine Russen.

Als es zu dämmern beginnt, stolpern wir los – man glaubt, in der Wüste zu sein. Berge, Sand, ein paar trockene Ranken im Sand. Die Vietnamesen sind ganz aufgeregt mit ihren Kameras und Handys. Jeder sucht sich den vermeintlichen besten Hügel aus, in Erwartung der Sonne. Aber erstmal ist es verdammt nasskalt so in Sommersachen, zum Glück habe ich eine Jacke mit.

Wir haben schon Angst, dass wir vor lauter Nebel nichts sehen, als plötzlich Wind aufkommt und die Wolkenwand am Horizont aufbricht. Da ist sie, die große orange Sonne! Plötzlich hüllt sich die Wüstenlandschaft in wunderbares goldgelb. Es ist wirklich wunderschön!

Zwei junge Frauen sind in ihren traditionellen Kleidern gekommen – ein fast überirdischer Anblick in dieser Umgebung und Beleuchtung. Aber dann nerven plötzlich ein paar Jugendliche, die auf laut röhrenden Quads hier herumdüsen müssen. Noch ein paar Fotos und dann Rückzug.

Unser muffeliger und – wie wir jetzt sehen – extrem schmutziger Fahrer redet kein Wort mit uns, fast fürchten wir, dass er einfach zurückfährt, obwohl wir viereinhalb Stunden Zeit haben. Aber schließlich hält er noch bei einer anderen Riesendüne in einem Ort direkt an der Küste: offensichtlich beliebtes Ausflugsziel am Sonnabend für vietnamesische Familien. Es ist total nett anzusehen, wie die hier alle auf Decken lagern, dazwischen laufen Frauen mit diesen doppelten Tragekörben herum und machen Essen. Um sechs Uhr morgens! Ein Geschnatter und Lachen überall!

Der nächste Zwischenstopp ist eine wirklich malerische Fischerbucht. Sie sieht aus wie auf einer Kitschpostkarte, ist aber echt und in Betrieb. Gerade sind die unzähligen bunten Holzboote hereingekommen, die in der Nacht zum Fischen auf dem Meer sind, und am Strand werden die Fische verkauft, Austern geputzt und es wird eifrig gehandelt. Vor allem Krabben gibt es in jeder Form. Nachts herrscht auf dem Meer Hochbetrieb: überall Scheinwerfer. Das sind die Krabbenfischer in ihren kleinen Booten. Oft gibt es nur ein Boot mit Motor, daran sind mit Tauen lauter kleine runde Schüsseln angekoppelt. In jeder sitzt ein Fischerlein. Sehr effektiv.

Auf die letzte „Attraktion“ verzichten wir nach kurzem Halt. Es ist ein Fluss, der in einem gelben Lehmbett durch eine Art kleinen Canyon fließt, in dem man langlaufen kann. Ganz Rinderherden werden hier langgetrieben. Aber zu erst muss man wieder mal über einen abfallverseuchten Pfad dorthin. Es gibt jede Menge Moskitos und das hier ist Malaria- und Dengue-Gebiet. Nein, das muss nicht sein.

Am Ende sehen wir das erste Mal verblüfft, dass der Jeep-Kerl auch lächeln kann, aber es ist so eindeutig das Haifischgrinsen eines Trinkgeldjägers, dass er als erster in diesem Urlaub nichts bekommt.

Wir verbringen noch einen faulen Tag im Schatten des Sonnenschirms am Meer, denn in der Nacht geht unser Bus nach Nha Trang – weiter nordwärts.

06 Vietnam: Von Tunneln und Tempeln 2

Weiter geht´s. Cu Chi liegt hinter uns, in der Mittagshitze kriechen wir weiter in unserem klimatisierten Auto durch Kautschukplantagen und Reisfelder. Unser Fahrer macht Halt in einem der unzähligen einfachen Familienlokale in einem Dorf am Straßenrand. Wir schauen uns in der Vitrine die vorbereiteten Speisen an – ich erkenne nur Hühnerbeine, Schweinefleisch, Nudelsuppe, Bohnen und Fische. Und darüber hinaus vermute ich bei allem anderen manches, was ich lieber nicht zu Ende denke. All die kleinen komischen Knochen … bei einem Topf macht unser Fahrer „hopp hopp“ und freut sich. Aber unser Essen ist lecker und reichlich, inklusive eines erfrischenden grünen Gemüsesaftes – woraus auch immer er ist. Neben uns ist ein kleiner Affe als Haustier angekettet, immerhin nicht als Vorspeise.

Gestärkt und dickbäuchig hieven wir uns wieder ins Auto und erreichen nach einer weiteren halben Stunde die 200.000 Seelenstadt Tay Ninh und das riesige Tempelareal. Es ist wegen seiner prunkvollen, farbenprächtigen Tore und Pagoden nicht zu übersehen.

Hier also hat der Cao Daismus seinen Ausgang genommen. Einer der drei Gründer dieser Mischreligion aus Buddhismus, Konfuziuanischer Lehren Katholizismus ist übrigens der Schriftsteller Victor Hugo. Erklärtes Ziel: Liebe und Gerechtigkeit. Zwei Millionen Anhänger gibt es heute weiltweit, ob Sekte oder Religionsgemeinschaft ist strittig. Auf alle Fälle sind die Anhänger freundliche, unaggressive Menschen, die sich das Missionieren nicht unbedingt auf die Fahne geschrieben haben.

Die Kirche – oder der Tempel? – ist ein imposantes Bauwerk, das so knallbunt und mit Säulen, Drachenköpfen, Blüten, Sternenhimmeln überladen ist, dass sich Stilpuristen sicher unter Grausen abwenden. Aber es ist trotzdem schön anzusehen und hat so gar nichts von der Düsterkeit und Leidensgeschichte Christi wie wir es kennen. In bestimmte Bereiche dürfen wir als Nichtgläubige nicht betreten, begleitet von aufmerksamen stummen Tempelwächtern können wir aber alles ausgiebig bestaunen und fotografieren.

Auch die zahlreichen anderen Gebäude auf dem weitläufigen Gelände, deren Funktion sich uns nicht erschließt, sind in demselben farbenfrohen Kitsch- und Prachtstil errichtet, inklusive bunter Zäune, Mauern und einer Schar von grinsenden Keramikwachhunden, Schlangen, Drachen und allem möglichen anderen Getier. Wirklich wunderschön aber sind die verschiedenen Gärten!

Da uns bis zur nächsten der alle 6 Stunden stattfindenden Zeremonie noch Zeit bleibt, kutschiert uns unser netter Fahrer, der leider auch wieder fast überhaupt nichts versteht, zum heiligen Berg, der sich wie hingepflanzt aus der flachen Landschaft erhebt. Am Fuße ist eine Art Veregnügungspark entstanden, ein Ausflug hierher ist für viele Familien oofenbar ein echtes Spaßereignis. Seltsam, dieses Nebeneinander von wenig sozialistischer Religion, Kult, Rummel und – einem Heldendenkmal für mit Maschinengewehren bewaffnete heldenhafte Vietkong-Kämpfer!

Pünktlich sind wir zurück am Tempel und lösen erstmal Verwirrung aus, weil offenbar nur die Mittagszeremonie von Touristen beobachtet werden darf. Aber schließlich scheint man sich geeinigt zu haben, dass wiwr bleiben dürfen und geleitet uns zur geöffneten Tür zum Innenraum, von wo aus wir zuschauen dürfen. Pünktlich und in strenger Reihenfolge und Choreografie betreten einige hundert Priester und Nonnen in weißen, blauen, roten und gelben Gewändern den Tempel. Eine Stunde lang wird, begleitet von fremdartigen Instrumenten, gesungen, getrommelt, geklingelt und verbeugt. Es hat tatsächlich eine seltsam beruhigende, meditative Wirkung, ohne dass wir ein einziges Wort von dem Endlosgesang verstehen. Keine Predigt, nix. Aber ein spannendes Erlebnis.

Für die 150 km Rückfahrt im Slalom um die Motos auf den miesen Straßen brauchen wir drei Stunden. Gegen 10 Uhr abends erreichen wir müde und zufrieden unser freundliches Hotel.

Fast schon „wie zu Hause“ flitze ich durch den nächtlichen Trubel des nächtlichen Viertels und organisiere hier und da die einzelnen Gänge für ein Abendessen zum Mitnehmen. Ich fühle mich absolut sicher allein in dieser verrückten Stadt – ein verblüffendes Gefühl für jemanden mit USA- und Brasilienerfahrung. Sehr angenehm!

05 Vietnam: Von Tunneln und Tempeln 1

Ein neuer Tag für Entdeckungen. Der Plan: ein Tagesausflug, der zwei Extreme kombiniert: die Tunnel von Cu Chi und den Cao Dai-Tempel in Tay Ninh. Ersteres gehe ich mit extrem gemischten Gefühlen an ( im Gegensatz zu Miki, der es unbedingt will), letzteres mit viel Neugier, dazu später.

Wir haben uns entschlossen, uns nicht einer geballten Busladung Touristen anzuschließen, angesichts des Programms, das wir planen, haben wir beide kein Bedürfnis, dies mit Menschenmassen zu tun. Also haben wir einen Privatwagen samt Fahrer gebucht (Mietautos darf man hier nicht allein fahren, nur mit Chauffeur). Brav stehen wir um halb sieben auf. Aber leider ist was schiefgelaufen und wir warten zwei Stunden umsonst. Das Positive daran ist die erzwungene Planänderung: erst ins 60km entfernte Cu Chi und dann erst am Abend Es war im Nachhinein sehr zur Cao-Dai Zeremonie (noch 80km weiter). Auch gut. Oder besser!

Saigon scheint kein Ende zu nehmen – doch es ist spannend, auf diese Weise alle äußeren Stadtviertel zu sehen. Die Straßen sind teilweise viel zu schmal für den wahsinnigen Verkehr und schlecht dazu, der Motorradstrom ungebrochen – es dauert ewig.

Die Gegend außerhalb der Stadt ist extrem zersiedelt, nur Zuckerrohr-, Reis- und Maniokfelder bieten grüne Enklaven, später Kautschukplantagen. Aber hier wird bereits eines der größten Probleme Vietnams sichtbar: Müll, Müll, Müll überall! Einfach in die Landschaft oder hinter die Häuser geworfen, niemanden schert das. Da dürfte sich ein riesiges Problem für die Zukunft aufbauen!

Endlich erreichen wir Cu Chi. Wir haben keinen Führer gebucht, also verkoppelt man uns einfach mit zwei Engländern und einem älteren Führer in Vietkong-Uniform. Gott sei Dank nicht mit einer großen Gruppe, angesichts der Kriecherei durch die superengen, niedrigen Tunnel!

Als Kind des alten Ostens gehört der Vietnam-Krieg zu meinen eindrücklichsten Erinnerungen in puncto Weltgeschichte. Ich sehe noch an all die schrecklichen Bilder und Nachrichten der Massaker von Son My und My Lai und höre noch die „breaking news“ am 1. Mai 1975: Saigon ist gefallen, die Amerikaner besiegt. Insofern finde ich diesen Ort Cu Chi mit dem legendären Tunnelsystem der Vietkong wirklich interessant und beeindruckend. Trotz Dauerbombardements und Entlaubung der Wälder mit Agent Orange ist es hier den Amerikanern nicht gelungen, die eher schlecht ausgerüsteten Vietkong zu finden und zu besiegen. Die Vietnamesen sind noch heute stolz auf den Sieg – klar. Noch immer begegnen einem auf Schritt und Tritt die verkrüppelten Kriegsinvaliden. Die Tunnel von Cuchi sind eine Art nationaler Gedenkstätte.

Mein Problem ist es, dass das Gelände heute zu einer Touristenattraktion mit Tunnelbegehung, uniformierten Schaufensterpuppen, original Bombenresten, Waffen und einführendem Heldenfilm geworden sind – für einen Aufpreis kann sogar mit den alten MPs geballert werden. Ein bisschen wie Disneyland – nur, dass ich dabei die Gänsehaut und den Kloß im Hals nicht loswerde. Zuerst versuche ich mich noch zu entziehen, wenn unser stolzer Führer nach unserem Fotoapparat greift, um tolle Erinnerungsfotos davon zu machen, wie wir uns in das unterirdische Bunkersystem mit eingebauten Schlaf- Versammlungs, Sanitäts und Küchenräumen zwängen (20 km, bis zu 8 m tief!), aber dann gebe ich auf, er würde es nicht verstehen. Stolz zeigt er uns die Tigerfallen und andere gruselige Erfindungen, mit denen die Feinde getötet wurden. So ist das eben im Krieg, das ist mir klar, aber es macht die Vorstellung nicht ertäglicher. Wie geht man angemessen mit einer solchen Geschichte um? Keine Ahnung. Wir Deutschen sind ja da nicht gerade die Erfinder des Patents.

Denkpause.

04 Vietnam: Auf dem Moped zu den Göttern

Es ist eben doch zu viel! Ich habe gestern doch glatt etwas vergessen – vor dem leckeren Abendessen lag noch ein anderes Abenteuer. Dies sei nun also hier nachgeliefert:

Am Abend haben wir wieder einen flotten Dreier per Motorroller gemacht und uns ins Chinesenviertel Cho Long bringen lassen. Was für ein Schock! Auch wenn man ehrlicherweise konstatieren muss, dass wir erst nach Geschäftsende dort eingetroffen sind und alle Geschäfte dunkel und verrammelt waren. Keine Schaufenster, nur Metalljalousien und Holzbretter. Häßliche dunkle Straßen und – eine einzige Müllhalde! Alles gar nicht nett. Und die Menschen sind auch ganz anders. Gar nicht so freundlich und relaxt wie die Vietnamesen, die wir bisher getroffen haben. Wir sind eine Weile zunehmend frustriert durch das scheußliche Viertel gestampft, auf der Suche nach einem appetittlichen Essen, aber dann erschien uns ein Taxi wie eine Offenbarung: Bring uns bitte zurück nach Saigon. Ich glaube, es war irgendein Schriftsteller vor meiner Zeit, der Saigon und Cho Lon als „die Schöne und das Biest“ beschrieben hat. Jetzt weiß ich, dass die Zeit nicht alles ändert. Wir genießen unser Abendessen unter freundlichen, sanften Vietnamesen auf belebten Straßen.

Nun aber weiter in der Chronologie! Ein weiterer spannender Tag. So viel zu sehen … los geht´s! Bei brütenden 35°C, die glücklicherweise durch ein Windchen etwas gekühlt werden machen wir uns auf –  zu Fuß. Eigentlich brauchen wir erstmal keine Sehenswürdigkeiten, es gibt auf allen Straßen so viel zu sehen! Das Leben spielt sich hier zum großen Teil auf der Straße ab. Neben den Verkaufsständen oder Werkstätten bezieht ein Teil der Familie Stellung, die Kinder spielen in all dem Chaos als säßen sie auf der grünen Wiese, Oma wird mal eben vor dem Laden auf´s Campingbett verfrachtet, während man bis nach Mitternacht den Laden für die Kundschaft aufhält, der Mittagsschlaf wird natürlich auf dem liebsten Platz aller Vietnamesen gehalten: dem Motorrad. Trotz des surrenden Lebens ringsherum in dieser Stadt, die gerademal zwischen zwei und vier Uhr nachts eine kleine Verschnaufpause macht, ist laissez faire das Mantra der Stadt. Und das, obwohl für viele der tägliche knallharte Überlebenskampf nie endet.

Erstes Ziel diesmal: die Kathedrale Notre Dame – nicht die in Paris, sondern die, die mit Backsteinen aus Marseille hier gebaut wurde. Auf dem Weg dorthin gleich ein ganz wichtiger Ort für das neue Vietnam: der Wiedervereinigungspalast, auf dem die Vietkong am 30. April 1975 die Rote Fahne gehisst haben: das Ende des Vietnamkriegs. Nur ein paar hundert Meter weiter, auf der anderen Seite des beliebten Stadtparks thront, gut bewacht von grünberockten vietnamesischen Polizisten, hinter hohen Mauern die riesige neuerbaute US-Botschaft, gleich neben der französischen. Es ist ein seltsamer Gedanke: die Todfeinde von einst werden jetzt bestens bewacht, auf dass es ihnen hier gut gehe … McDonalds und Starbucks gehören auch längst zum Stadtbild.

Doch immer der Reihe nach. Ich wollte ja schließlich erstmal von der Kathedrale erzählen und die liegt direkt am Park, noch vor der Botschaft. Sie ist ganz offensichtlich ein besonders beliebter Heiratsort der katholischen Vietnamesen  und vorallem auch der gefragteste Hintergrund für unglaublich kitschige Hochzeitsfotos. Gleich mehrere Paare posieren mit wehendem Schleier und schmachtenden Posen vor dem neugotischen Bauwerk á la Paris. Die Kathedrale selbst ist sonst eigentlich nicht wirklich so schrecklich aufregend für uns Europäer, innen eher schlicht.

Gleich neben dem Gotteshaus aber ein weiteres must see: das berühmte alte Postamt, das übrigens immer noch betrieben wird. Allerdings kann man an den Schaltern alles mögliche erledigen von Visaangelegenheiten (für Vietnamesen) bis Flugticket-Kauf. Die Hälfte der schönen hölzernen Telefonzellen beherbergt jetzt allerdings Bankautomaten. Der Mittelraum dient als Buchladen und in den Gängen gibt´s Kunsthandwerk für die Touristen. Und über allem wacht mit mildem Blick natürlich Ho-Chi-Minh.

Inzwischen sind meine Winterfüße von den ungewohnten Sommersandalen ziemlich maltraitiert und ich quengle so lange bis wir endlich zünftig ein Motorradtaxi nehmen: drei Mann auf einem Pferd – hier geht alles, drei ohne großes Gepäck ist gar nichts. Sonst klemmen ganze Familien samt Haustier, Einkäufen und allem, was irgendwie transportabel ist auf so einem Ding. Also kuschele ich mich an den völlig unbekannten Opa, Miki klebt hinten samt Rucksack und versucht, nicht herunterzufallen. Yippieh, los geht´s!

Wer´s nicht erlebt hat, kann sich das hier einfach nicht vorstellen. Wie an anderer Stelle schon erwähnt ist das motorisierte Zweirad DAS nationale Fortbewegungsmittel. Tag und Nacht durchzieht ein unendlicher Strom dieser Gefährte alle Straßen der Stadt. Das Geräusch erinnert ein bisschen an die Vuvuzelas der Fußball-WM in Südafrika. Der Smog ist grauenhaft, viele Vietnamesen tragen ständig Mundschutz – überall zu haben in jedem erdenklichen Design, genau wie die Nussschalen von Motorradhelmen, die übrigens Pflicht sind. Auch wir kriegen so ein Teil aufgesetzt.

Schon der Versuch die Masse dieser Motorräder und –roller zu benennen scheitert – irgendwie wird man den Gedanken nicht los, dass Millionen von Vietnamesen den ganzen Tag immer im Kreis durch die Stadt fahren. Und was für ein Chaos!!!! An jeder Ampel stapeln sich mindestens  Dutzende (bei kleinen, ruhigen Straßen) und hunderte bei größeren. Und dabei gibt es nur ganz wenige Ampeln. Aber der Umstand, der in Europa den Verkehr zum erliegen bringen würde, bewirkt hier genau das Gegenteil: alles fließt. Die fahren nicht nur in eine Richtung alle nebeneinander, durcheinander in Schlangenlinien, sondern – und das ist das Faszinierendste: Sie fahren gleichzeitig über die Kreuzungen durcheinander ohne das großartig angehalten wird. Und es funktioniert!!! Unglaublich!

Als Fußgänger muss man einfach irgendwann losgehen, eine Mutprobe für Anfänger! Aber auch das funktioniert. Sie fahren einfach um einen herum. Der größte Fehler wäre stehenzubleiben. Die paar Autos habens nicht leicht gegen die Könige der Straße zu bestehen. Übrigens fährt hier niemand schnell – die Strafen müssen drakonisch sein, wie wir hörten. In drei Tagen Saigon haben wir einen einzigen kleinen, harmlosen Zusammenstoß gesehen. Einen!

Jedenfalls überwinde ich schnell meine Angst um meine Knie, die immer nur Zentimeter entfernt von anderen Brummern entlangschrappen und wir erreichen den Tempel des Jadekaisers unbeschadet. Alt, schon etwas mitgenommen, aber dennoch imposant und wie alle Tempel hier farbenprächtig. Wir tauchen ein in die Welt der Götter, Kaiser, Krieger, Höllenfürsten und all der anderen Bewohner dieses Reiches. In Schwaden von Räucherstäbchen sehen wir uns die Götter, Kaiser und Krieger an, die ihr Reich im Innern des Tempels haben. Sie sind immer bestens versorgt mit frischen Opfergaben: Früchte, Süßigkeiten, Kuchen, Zigaretten, Getränke, Blumen – es fehlt ihnen an nichts. Übrigens hat hier fast jedes Mauseloch seinen Buddha-Altar, der täglich versorgt wird. Überall mischen sich betende Buddhisten mit den schnatternden und fotografierenden Touristen.

Vor dem Tor können die Gutmenschen aus Europa von geschäftstüchtigen Händlern arme kleine Vögelchen und Schildkröten aus überfüllten Käfigen kaufen, um ihnen auf dem Tempelgelände die Freiheit zu schenken. Die armen Kreaturen sind allerdings so erschöpft, dass sie nicht weit kommen. Wenn sie nicht wegen eines Herzinfarktes nach ein paar Flügelschlägen tot vom Himmel fallen werden sie schon bald wieder eingesammelt, wie die Schildkröten, die einfach wieder umgesetzt werden  – auf ein Neues.

Und nochmal Tempel: diesmal das prachtvollste buddhistische Heiligtum Saigons, der Chua Ngoc Hoang Tempel mit seinem siebenstöckigen Pagodenturm. Hier werden viele buddhistische Priester und Nonnen ausgebildet. Es ist ein riesiger neuer Betonbau, der aber trotzdem sehr eindrucksvoll ist. Mit unserem geduldig wartenden Töfftöff geht´s dann schließlich durch den Wahnsinn des Berufsverkehrs ins Hotel, wo wir erstmal erschöpft unser Haupt niederlegen.

Später spazieren wir noch durch das benachbarte Touristenviertel und einen weiteren großen Stadtpark, der den Einheimischen frühmorgens und spätabends als Freizeitort für jede Art von Aktivitäten dient. Der Tag endet später mit einem fantastischen Mahl vor einem kleinen Restaurant auf dem Bürgersteig: großer Salat aus gehackten Bananenblüten mit Kräutern und Hühnchen und Lotossprossensalat mit Shrimp und Schweinefleisch. Samt zwei frischen Säften und zwei Bier für weniger als zehn Euro.

03 Vietnam: Sightseeing macht hungrig

Good morning, Vietnam! Einigermaßen ausgeschlafen und etwas vom ersten Overkill der Eindrücke erholt kann ich nun versuchen, wieder ein paar vietnamesische Streiflichter und Gedanken zu formulieren. Vollständigkeit, Korrektheit und Objektivität ist dabei eine unerreichbare Größe – zu viel, zu chaotisch, zu wenig Zeit.

Zwei Tage haben wir dem brodelnden Saigon gewidmet. Meistenteils zu Fuß durchstreifen wir diese Stadt, die so viele Gesichter hat, dass sie sich immer noch jeder stimmigen Beschreibung entzieht. Bleiben also Splitter.

Es ist nicht ausschließlich eine Sache alter Gewohnheiten, dass die Namen Ho-Chi-Minh-Stadt (=HCMC) und Saigon fast gleichberechtigt nebeneinander gebraucht werden Nicht nur die jüngere Geschichte, die eines geteilten Landes, ist der Grund, auch das Nebeninander von alten Traditionen, einem de-facto Neo-Kleinunternehmer-Kapitalismus und Sozialismus kommen hier zusammen. Neu und alt, rott und hypermodern, bunt, chaotisch, arm, reich, gepflegt, vermüllt, hektisch und gelassen … all das trifft gleichzeitig zu, bringt also nicht weiter.

„Unser“ Viertel, in dem das Hotel Silk Path liegt, ist die City. Orientierungspunkt und eine der wichtigsten Attraktionen ist der Ben Tranh Markt. Eine große Markthalle, in deren engen und überfüllten Gängen man so ziemlich alles kaufen kann: von traditionellen Gewändern über Modeschnickschnack, Lebensmittel, Gewürzen, Schuhen bis hin zu Blumen und so weiter. Touristen und Einheimische drängeln sich in den mit Waren zugestellten Gängen. Länger als drei Sekunden stehenbleiben bewirkt nur schwer abzuschüttelnde Verkaufsversuche, die schon mal mit festgehaltenen Armen verlängert werden. Überall prangen Schilder „Fixed Prices“ – vermutlich beeindruckt das nur europäische und US-Touristen, die das als Entschuldigung für sich selbst brauchen, endlich mal nicht um alles handeln zu müssen. Auch ich war anfangs extrem genervt von dieser Landessitte, mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt – mit verbesserten Ergebnissen, sprich: realistischeren Preisen. Wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Preise hier für uns ohnehin sehr niedrig sind. Und Handeln gehört einfach zum guten Ton.

Neben den alten, eher kleinen zweistöckigen Häusern in den teilweise handtuchbreiten Nebengassen überwiegen hier sechs bis zwölfstöckige Gebäude – maximale Grundstücksnutzung. Viele preiswertere Hotels haben überwiegend fensterlose Zimmer, so lassen sich auch an den Giebelseiten mehr Zimmer einbauen, denn die Bauten sind eher tief als breit, oft reicht die Fassadenbreite nur für ein einziges Zimmer. Meine Sucht nach Licht macht mich da gewissermaßen zur Luxusschnecke, die lieber fünf bis zehn Euro (1€=29.000 Dong) mehr bezahlt als in einer beleuchteten Schuhschachtel zu sparen. Aber angesichts der vielen sehr preiswerten Hotels ist das noch vertretbar. Für 15 bis 20 Euro hat man schon ein schickes Doppelzimmer in der City. Unser „teures“ und gemütliches Zimmer, das wie am zweiten Tag bezogen haben, kostet 20 Euro. Wir hätten sicher noch billiger wohnen können, aber wir wollten unsere Saigontage nicht mit langer Sucherei verkürzen.

Ein Großteil der Bevölkerung hier, so will es einem zumindest erscheinen, verdient sich seinen Lebensunterhalt mit Handel. Auf dem Markt, in kleinen Läden, als fliegender Händler. Keine Ahnung, wie die alle überleben. Jede Straße quillt über mit kleinen Läden, in jedem Durchgang wird gehandelt, obwohl außerhalb des Zentrums inzwischen gigantischen Supermärkte und Einkaufszentren wie fremde Raumschiffe in den Vierteln hocken.

Essen kann man auf jedem erdenklichen Niveau.

„Fine dine“ in gehobenem Niveau, hübsche Restaurants, oft traditionsbewußt im Stil, wo soviele schön gekleidete dienstbare Geister einen umschwirren, dass man sich die Angestelltenzahl nur mit absolut minimalen Löhnen erklären kann. Schon bei besseren Cafés reißen einem mindestens zwei eigens dafür zuständige Lächler die Tür auf, bevor die Kellner sich um die Gäste drängeln.

Variante zwei sind einfache Restaurants, die sich meist durch puppenstubengroße Kinderplastikstühle und ebenso kleine Tischchen unbestimmbaren Alters und von wenig ästhetischem Wert auszeichnen. Hygiene-und Stilfanatiker wenden sich mit Grausen, nicht so Zartbeseitete können hier aber zünftig, authentisch, zudem äußerst preiswert und meistens lecker essen. Mit sechs bis acht Euro für zwei Personen und Getränken ist man gut dabei. Freundliche Bedienung fast immer einbegriffen. Die großen, korpulenten Touristen aus dem fernen Europa und Amerika sind hier allerdings gelegentlich vom Mitspielen ausgeschlossen, Höhe und Größe der Möbelchen diktieren ihr eigenes Gesetz. Allerdings wird schon mal flink und geschäftstüchtig ein normal großer Plastikstuhl organisiert … den Teller kann man ja auch woanders abstellen.

Variante drei ist für Menschen geeignet, die einen gewissen Sportsgeist mitbringen und in der Lage sind, westeuropäische Maßstäbe im Koffer zu lassen: die Garküchen. Hier wir überall gekocht – am fahrbaren Stand, am Bordstein, in einer Garage oder im Hausdurchgang. Es gibt auch das Modell fliegende Garküche, die, in zwei gigantische Körbe verpackt und an einem Holztragebalken aufgehängt, über der Schulter herumgeschleppt wird. Hier gibts alle Varianten – auch in hygienischer Hinsicht: Von der Köchin, die auf der Erde hockt und alles aus Plastiktüten zerrt und per Hand und Kelle vermischt, sich aber immerhin einen Plastikhandschuh anzieht und das Gemüse mit Wasser aus der Flasche wäscht, bis zu Zubereitungsarten, die an dieser Stelle des Ekelfaktors wegen besser unbeschrieben bleiben. Aber – auch die Garküche ist eine praktikable Variante; man kann durchaus leckere und gut genießbare Speisen finden – für Peanuts.

Aber so ganz einfach ist das mit dem Essen für Vietnam-Neulinge wirklich nicht, selbst wenn man ein Liebhaber der nationalen Küche und in Berlin regelmäßig einschlägige Lokale frequentiert. Wiedererkennbar ist nur weniges – wie etwa Nudelsuppe. Allein die Namen der Speisen sind unidentifizierbar ohne vietnamesische Sprachkenntnisse und englische Übersetzungen oft nicht vorhanden. Fragen bringt aus demselben Grunde nichts. Dazu kommt, das die vietnamesische Küche so extrem vielfältig ist, das man schon bei bekannten Zutaten den Überblick verliert.

Ja und dann … kommt da noch ein delikates Problem hinzu, zumindest wohl für die meisten Europäer, mögen sie noch so neugierig sein und bekennende Fleischesser dazu: Hier werden auch Tiere und Teile derselben gegessen, die sich unsereins wirklich lieber nicht auf der Gabel vorstellt. Nennt mich Weichei, aber das geht mir dann doch zu weit: Hund, Affe, sämtliche Reptilien, Enteneier mit Embryos und so manche „Leckerei“ mehr. Ganz zu schweigen von Körperteilen wie Augen etc pp. Wie ein einschlägiger Reiseführer schon vermerkte: Übrigens – die niedlichen Hundchen in den Käfigen am Rande der Märkte sind nicht zum Kuscheln gedacht …

Kurz und gut, man kann hier phantastisch essen, viel Neues entdecken und Spaß dabei haben, aber es ist nicht immer ganz einfach. Aber auch das ist Abenteuer und ich kann dem Ganzen durchaus viel Spaß abgewinnen.

02 Vietnam: First Touch

Willkommen in der Volksrepublik Vietnam! Seltsam wenig belebt und still trotz zweier gleichzeitig eingetroffener Jumbo Jets empfangen uns die marmorglänzenden großzügigen Hallen des Flughafens von Ho-Chi-Minh-Stadt, oder einfach Saigon. Ein Hauch von Wiedererkennen durchzieht mein Gemüt – sozialistisch kühle Athmosphäre, Ho-Chi-Minh lächelt von einer Wand, viele grünuniformierte Beamte schwirren geschäftig durch die Hallen. Aber immerhin scherzen die Beamten unter sich, kichern und machen einen entspannten Eindruck. Ganz anders als in den USA …

Die Formalitäten sind schnell erledigt – auf ins fröhliche Touristenleben. Irgendwie trotzdem ziemlich verunsichert. Kein Wort Englisch, alles in dieser rätselhaften Sprache und im Hinterkopf die Info, dass man hier fast überall erstmal handeln muss. Verständigung ist fast unmöglich, aber trotzdem ist doch alles irgendwie unkompliziert. Ein offizielles Taxi mit Festpreis und freundlich lächelndem Fahrer bringt uns in den 1. Bezirk, die City und unser Hotel. Draußen rauscht eine bunte, wuselige Neonwelt vorbei, der Verkehr ist unglaublich, die wenigen Autos sind fast alles Taxis, der Rest Mopeds und Motorräder.

So richtig viel aufnehmen konnte mein Hirn nicht – zu müde, zu überfordert. Das vorgebuchte Hotel, freundliche Menschen, allerdings hat das Zimmer nichts mit dem im Internet offerierten gemein. Fensterlos , klein, ziemlich abgeranzt. Die Dusche ist direkt über der Toilette angeschraubt, der Halter fällt gleich ganz aus der Wand. Egal, zum Schlafen reichts …

Ein kurzer Abendspaziergang wie in Trance durch das brodelnde nächtlich Saigon– so viele Eindrücke, alles fremd, anders, bunt, laut, überlagert vom unaufhörlichen Konzert tausender Motorräder.

Wir landen auf den winzigen Plastikstühlen an einem zerbeulten Metalltischchen eines Eckrestaurants, alles eilig für uns zusammengeschoben von eifrigen, natürlich lächelnden Kellnern. Ein offenbar bei Einheimischen beliebter Laden, alle Tische sind besetzt, es wird laut palavert und gelacht. Wir suchen aus einer englisch übersetzen Karte irgendetwas aus.

Mein Essen ist ziemlich gewöhnungsbedürftig: eine Art ausgelassener Schweinegrieben mit massenhaft Chilischoten in einem kleinen Napf, dazu eine Riesenportion leckeres gedünstetes Gemüse, allerdings ungewürzt, es muss wohl eingestippt werden. Das andere Essen ist geschmortes Rindfleisch und ein Teller mit einem Riesenberg verschiedener grüner Blätter, Kräutern und Ananasstreifen sowie ein Napf mit irgendeiner klumpigen Soße.

Wir kommen uns vor wie Aliens und knabbern  leicht irritiert an allem herum. Schließlich müssen wir wohl auch eben diesen Eindruck gemacht haben (und ich dachte immer, wir wären weltgewandt), denn man erbarmt sich unser: Der Kellner rührt die Wasabisoße an, die Kellnerin greift beherzt mit bloßen Händen auf den Teller zu den Blättern, wählt jeweils eine Mischung, ordnet sie. Obendrauf Kräuter und Ananasstreifen, bevor sie dann Fleischstücken fest darin einrollt und uns die Rollen in die Hand drückt zum Eintauchen in die Soße. Ja, so ist das lecker und macht Sinn! Sie hört erst auf, als alles verputzt ist. Die seltsamen Schweinegrieben habe ich dezent beiseite geschoben …

Direkt neben uns parken Mopeds, auf einem hält ein Alter ein Nickerchen. Immer wieder kommen Straßenverkäufer, eine Frau bietet geschnittenes Obst, Gäste und Kellner kaufen sich ihren Nachtisch und verspeisen ihn am Restauranttisch. Ein winziger Junge von vielleicht sechs  Jahren will Schuhe putzen, kein Geschäft zu machen – er holt ein paar Packungen Kaugummi aus seinem Schuhputzkistchen und versucht sie zu verkaufen. So viele Szenen – so viele Eindrücke. Aber über all dem Gewusel hängt ein Gefühl von Gelassenheit. Immer wieder wird gelacht und herumgealbert – alles entspannt.

Wie in Trance schwimmen wir durch das nächtliche Treiben ins Hotel – endlich schlafen! Gute Nacht Saigon!

01 Vietnam: Zwischenstop Nahost

Weltenwanderer, das treffenste Wort für das Gefühl, dass ich als meine Zustandsbeschreibung der vergangenen drei Tage finde – und als Entschuldigung für meinen verspäteten Start ins Chronistendasein neben Erschöpfung und Jetlag. Einfach erschlagen von all den neuen Eindrücken – trotz aller Reisen bisher. Doch bevor ich zu fernöstlichen Erlebnissen komme, werde ich ein nahöstliches Streiflicht setzen.

Irgendwie ging es mit der Reise schon los. Von akutem Schlafmangel ohnehin in einen ziemlich entrückten Zustand versetzt, war der Zwischenstopp in Abu Dhabi schon wie der Flug durch I.T.´s Welt einst in den Paramount-Studios. Der Flieger steht irgendwo im absoluten Nirgendwo – von Horizont zu Horizont nichts, Sand und gigantische Baustellen wohin das Auge blickt. Der Flughafen selbst sieht so aus wie ich mir eine Starwars-Kolonie im Outer Space vorstelle: Einige große Ufos mit über dem Boden schwebenden Laufgängen verbunden – die Terminals. Außen nichts als grauer Beton, von insektengleichen Flugzeugen umstellt, Arbeitsameisen wuseln dazwischen, kleine Autos kreiseln um die teils gigantischen Brummer.

Die Reisenden quellen durch die endlosen Gänge, eskortiert und bewacht von zahllosen Uniformierten mit in Gold gestickten Schriftzeichen, die sofort an 1001 Nacht denken lassen. Dann – paff – steht der staunende Nahost-Neuling plötzlich in einem in blau, grün und goldfunkelnden Rund, Läden, Restaurants, noch mehr Uniformierte, jetzt auch schöne Frauen, deren Uniformschleier nur neckisch auf einer Seite des Käppis als Schal um den Hals fällt … und jede Menge Scheichs.

Doch keine Zeit zum Stehenbleiben, der Flieger hatte Verspätung, die Dienstdrohnen schieben alle Passagiere to Ho-Chi-Minh-City in den nächsten Gang, hopp hopp. Weitere gefühlte 500 Meter Dauerlauf, vorbei an gleichaussehenden weißgefließten Toiletteneingängen und Beträumen mit knienden bärtigen Männern, dann Stau total. Aber alles bestens organisiert, die Goldbestickten angeln die Passagiere nach Vietnam aus der Menge und schieben sie eiligst durch eine abgesperrte Piste in den Flieger. Allahu akhbar – auf nach Vietnam, zurück bleibt die Wüste und das Außerirdischen-Nest.

P.S. Auf dem Monitor der bequemen Hightech-Sessel im Ethihat-Flieger erscheint in regelmäßigen Abständen Richtung und Entfernung von Mekka … Irgendwie war ich enttäuscht, als nur die Stimme des Flugkapitäns aus den Bordlautsprechern ertönte – hätte wenigstens einen Muezzin erwartet …