11. Hippo Crossing

Felder, Felder, Felder, bis zu den kleiner werden Bergen, bis zum weit entfernten Horizont auf der anderen Seite. Das erste Mal, dass wir riesige landwirtschaftlich genutzte Flächen hier in den Bergen sehen. Aber man sieht auch sofort an den zahlreichen Dörfern, die die Hügel der Hochebenen sprenkeln, dass es den Menschen hier besser geht als anderswo. Zwar immer noch weit entfernt von Europa, aber es ist ein guter Anblick. Eine gute Vision.

Wiedereinmal beeindruckt mich diese unendliche Weite. In Europa haben die meisten Landschaften Modelleisenbahncharakter, verglichen mit diesen Dimensionen. Überholt man Menschen, die am Straßenrand laufen oder versuchen, per Anhalter ein Stück weiter zu kommen, dann winken viele. Auch entgegenkommende Autofahrer tun dies. Das ist üblich. Damit demonstriert man freundliche Sympathie. Winken ist eine offensichtlich wichtige Geste im gesellschaftlichen Umgang.

Wir passieren zwei Städte: Ladysmith und Dundee, nichts worüber man reden müsste. Die Landbewohner müssen hier verdammt weit fahren, wenn mal was zu erledigen ist, oder auch nur, um etwas einzukaufen. Restaurants sieht überall unterwegs man kaum, außer eine Art Trink-Kioske, Schnapsläden und – alle 30-50 km Kentucki Fried Chicken. Ein öffentliches Transportsystem gibt es eigentlich nur zwischen großen Städten, und die entsprechenden Busse fahren manchmal nur zweimal wöchentlich. Hier fährt man per Anhalter (mit sehr viel Glück) oder vom nächstgrößeren Ort per Minibus. und für die gibt’s keine Fahrpläne, nur Ziele. Der Minibus fährt eben ab, wenn er krachend voll ist. Eher nicht.

Durch das Autofenster strömt zunehmend wärmere Luft: Wir kommen in tropische Gefilde. Wie haben uns entschieden, in die Wetlands, die Feuchtgebiete des iSimangaliso Wetlandparks, zu fahren.

Am breitesten Meeresarm hier im Norden der Küste hatte man vor einigen Jahrzehnten den Zufluss des wasserreichen iMfolozi Rivers vom Lake Santa Lucia getrennt. Die Folge war ein drastisches Absinken des Wasserspiegels in dieser extrem tierartenreichen, fruchtbaren Gegend. Daraufhin hat man nun 2014 eine Kehrtwende vollzogen. Inzwischen ist der Wasserspiegel wieder gestiegen, die ganze Gegend ist unter Schutz gestellt inklusive eines riesigen Wildtier-Parks, der Game Reserve. Das Besondere an diesem riesigen 220km langen Schutzgebiet, das fast bis zum mosambikanischen Grenze reicht, ist, dass hier gleich fünf Ökosysteme geschützt werden: Strände, Seen, Feuchtbiotope, Waldgebiete und Küstenwälder. iSimangaliso bedeutet „Wunder“ ! Und weil das nach „viel zu sehen“ klingt, wollen wir genau da hin.

Innerhalb des Parks gibt es nur eine kleine Stadt: Santa Lucia. Sie ist mit vielen Unterkünften auf Touristen eingerichtet. Wir logieren diesmal ohne nervige Jung-Backpacker in Partylaune ganz gediegen, aber budgetfreudlich am Ende des Ortes in einer privaten Pension. Wir haben eine eigene kleine Zweiraumwohnung mit Blick auf Pool und Garten. Die Wirtin warnt die beiden Raucher, dass es nicht ungefährlich sei, wenn sie nachts zum Rauchen in den Garten gingen, da zu späterer Stunde die Hippos, die Flusspferde, durch Stadt und Gärten laufen könnten. Das klingt so unglaublich, dass wir es eher unter Marketing verbuchen.

Auf dem Weg in die Stadt haben wir allerdings von der Brücke über den breiten Fluss tatsächlich zwei Flusspferde beim Spielen gesehen. Wir waren ganz begeistert: das erste Mal im Leben zwei Hippos live. Wir dachten, dass wir nur Glück hatten, später merken wir allerdings, dass in dieser Gegend unglaublich viele der wuchtigen Dickhäuter leben, genauer gesagt: um die tausend. Und sie kommen auch tatsächlich in der Dunkelheit in die Stadt: Extra-Verkehrszeichen weisen darauf hin, dass man nachts aufpassen muss und nicht zu Fuss unterwegs sein sollte. Townies werden die unternehmungslustigen Streuner hier genannt. Verrückt….

Drei ganze Tage und einen halben haben wir dieser spannenden Gegend gewidmet. Am Ankunftstag nehmen wir nur noch bei einbrechender Dunkelheit kurz den Strand in Augenschein. Wir trauen unseren Augen nicht: man muss erst um die 400 Meter durch dicken weißen Sand laufen, um ans Wasser zu kommen. So ein riesiger Strand! Links und rechts – kein Ende. Aber wir wandern noch nicht länger herum, das lassen wir dann angesichts der nahenden Hippo-Stunden lieber sein….

Ich genieße unendlich die heiße, feuchte Luft: endlich Tropen! Und dann auch noch mit Meeresaroma….hier fühle ich mich großartig!

Der Tag 1 beginnt mit einem Bad im Pool und selbstgemachtem Frühstück im Garten. Endlich mal kein fettiger Toast oder zum gefühlt hundertsten Mal Eier. Danach sind wir fit und bereit für unsere erste Safari im iSimangaliso Game Reserve.

Wir fahren zum Tor des Parks, wo, wie immer hier, alles mit einem großen Anmeldeformular samt Durchschrift beginnt und der Gebühr. Computer gibt es nirgends, aber viel Bürokratie und Papier.

Wir haben uns einen Rundkurs ausgesucht, an dessen Beginn uns eine lustige Affenfamilie begrüßt, samt Babies. Diesmal keine Paviane, sondern ausgesprochen hübsche, kleinere silbergraue Vertreter der Spezies. Und auch die erste Sensation lässt nicht lange auf sich warten: ein echtes Prachtexemplar Elefantenbulle mit riesigen Ohren, circa 80 Meter entfernt! Wir sind begeistert. Etliche Huftiere, die wir bisher nur aus dem Zoo kennen, folgen: Kudus, Gazellen und sogar mächtige Wasserbüffel, die wirklich kurios aussehen mit ihren wie onduliert wirkenden, nach unten gebogenen Hörnern. Außerhalb des Autos möchte ich so einem Muskelpaket nur ungern begegnen. Und natürlich sehen wir viele Hippos, Flusspferde.

Aber auch die ganz Kleinen können uns echtes Staunen entlocken: wir beobachten auf der Straße neben und einen Pillendreherkäfer. Ungefähr 3-5 Zentimeter groß und schwarz rollt er eine aus Tierdunk exakt gerollte Kugel vor sich her, die mindestens dreimal so groß ist wie er. Selbst über kleine Hindernisse schafft er es mit verblüffenden akrobatischen Übungen.

Auch die Vogelwelt lässt sich nicht lumpen mit Kolibris, Tukanen, Raubvögeln und uns unbekannten hübsch bunten Exemplaren. Der Park wird nicht nur von zwei Flüssen durchflossen, sondern grenzt auch ans Meer. Am Ufer grasen Wasserbüffel neben Krokodilen und großen Reihern und anderen Wasservögeln.

Das Meer darf hier nicht nur angeschaut werden, sondern an einem ausgewiesenen Strand kann man auch baden. Die willkommene Pause! Und endlich ein Bad im wunderbar warmen Indischen Ozean. Während wir uns faul trocknen lassen, tummeln sich in den Dünen ganze Affenhorden als Unterhaltungsprogramm. Eine Frau läuft mit einer Mango in der Hand herum und wird so lange von den Affen verfolgt, bis sie ihnen entnervt ihren Pausensnack überlässt.

Als wir uns auf den Rückweg machen, ist der Nachmittag schon etwas fortgeschritten: Zeit für das Abendessen vieler Tiere: Haben wir auf der ersten Hälfte der Tour überwiegend einzelne Exemplare oder kleine Grüppchen gesehen, sind die Wiesen jetzt mit größeren Gruppen oder sogar kleinen Herden bevölkert. Kurz vor Schluss sehen wir sogar noch ein paar Hippo-Familien, die sich mit einer Gruppe Wasserbüffel vermischt haben. Und jede Menge Geweih-Träger.

Unsere Wirtin staunt später nicht schlecht: So viele Tiere sähe man wirklich nicht immer in ein paar Stunden. Glück gehabt!

Am Tag 2 wollen wir auf ein faules Weilchen zu dem riesigen Strand fahren, den wir am Vortag besichtigt haben. Allerdings entscheiden wir dann doch anders und buchen kurzentschlossen zuerst eine knapp zweistündige Bootstour zum Flusspferde-Gucken. Pro Person kostet das 200 Rand, also etwas 12 Euro. Währenddessen wird auf dem Parkplatz unser Auto gewaschen, was immer noch vor Lehm, Schlamm und Kuhkacke aus den Bergen starrt.

Beim Ablegen eskortieren uns zwei stattliche Krokodilen. Der Fluss ist breit und lehmig, das Ufer mangroven-, schilf- und grasbewachsen. Es dauert keine drei Minuten bis die ersten Hippos ihre Köpfe aus dem Wasser stecken. Ein paar Minuten später kommen wir an eine Schilf-Ecke, wo eine ganze Familie aufeinandergestapelt in der Sonne liegt und uns träge aus dem Augenwinkel beobachtet, sich aber nicht weiter stören lässt, selbst, als das Boot sehr nahe kommt.

Wer die trägen Kolosse sieht, sollte nicht glauben, wie schnell sie sein können! Und vor allem wie aggressiv sie sind! Durch Flusspferde kommen jährlich in Afrika mehr Menschen zu Tode als durch jedes andere Tier.

Später sehen wir noch zwei Mamas mit ihren Babies: Drei Wochen und zwei Monate alt. Die können noch nicht lange tauchen und so bekommen wir sie immer beim Luftholen zu sehen, dabei benutzen sie Mama als Schwimminsel. Hippofamilien dulden jeweils nur einen Bullen. Der älteste macht alle anderen platt, wenn sie sich nicht verjagen lassen. Selbst männliche Flusspferdbabies kann die Mutter nur kurze Zeit versorgen, dann muss sie sie wegschicken, weil sie sonst vom Bullen getötet werden. Brutale Machos!

Zufrieden können wir nun den Rest des Nachmittags am Strand faulenzen. Ich habe wirklich noch nie einen so breiten weißen Strand gesehen! Das einzige Problem ist, dass man kaum ins strahlend blaue Wasser gehen kann. Jedenfalls nicht weiter als bis zur halben Wade und auch das ist schon ein Kraftakt. Die Strömung und Brandung sind so stark, dass einen jede zweite Welle von den Füßen holt und man sofort meerwärts gezogen wird. Trotzdem genießen wir es sehr. Allerdings weht ein kräftiger Wind und wir haben irgendwann genug Sonne und vorallem auch genug vom ungebetenen Ganzkörper-Sandpeelig bei den Böen. Also sehen wir uns den rosa Sonnenuntergang lieber im Bootsclub an, dem einzigen Lokal hier am Wasser. Mit gegrillten Scampi und Bier lässt sich das aushalten…..

 

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