15 Hollywood Beach – up and down

Und noch mal die Bettdecke weg und ab in die Laufschuhe! Diesmal gleich als Happy Hour sozusagen, denn hier gibt´s für Euch gleich zwei Läufe in einem: Hollywood Beach up and down.

1 Gestern hat es uns zuerst nach Norden gezogen. Unser Ziel war Dania Beach, der nächste Ort, den man am Horizont als zwei große Hochhäuser erkennt. Wir sind kurz nach acht auf der Strandpromenade –allzuviel Betrieb ist noch nicht, aber die, die da sind, sind die Aktiven: Viele ältere Paare gehen spazieren, es gibt etliche Walker, Radfahrer und natürlich auch ein paar Läufer. Und endlich hat man mal wieder ein Bild um sich wie in Europa: alles Menschen mit Normalfiguren von sehnig und schlank bis pummelig und kompakt. Aber eben gesund aussehende Menschen, die sich noch ganz normal bewegen. Ist schon komisch, dass einem das auffällt …

Der Morgendunst löst sich gerade auf, die Sonne bescheint freundlich unseren Weg auf der breiten Uferpromenade. Der gelegentliche Schatten der Kokospalmen, die am Strandrand wachsen, ist schon jetzt ganz angenehm, verspricht es doch ein heißer Tag zu werden. Das Meer ist etwas aufgewühlt, denn der Wind weht in heftigen Böen. Es gibt einiges zu schauen: Läden, Restaurants, von denen die ersten gerade die ersten Eier mit Speck oder die hier so beliebten Pfannkuchen servieren, ein leeres Openair-Strandtheater und immer wieder kleine Hotels. Aber es ist alles nicht so dicht und mit wenigen Ausnahmen auch nicht so hochbebaut, dass man sich eingemauert fühlen würde. Die meisten Gebäude sind ein- bis dreistöckig, nur hin und wieder drängelt sich mal ein höheres Hotel dazwischen, aber auch das eher in dezenter Größe.

Über uns segeln kreischende Möwen. Plötzlich zieht ein riesiger Schwarm Pelikane vorbei, perfekt ausgerichtet in doppelter Keilform. Sehr beeindruckend, wie die Jungs das hinkriegen. Die Möwen ziehen sich auf einmal zurück, so nach dem Motto: Wenn die Jungs aus der Oberliga kommen, dann lieber in die zweite Reihe. Der Himmel ist strahlend blau, der Wind schiebt ein paar weiße Wolken. Wir laufen so sicher zwei Kilometer direkt am Strand entlang, dann macht der Weg einen kleinen Knick, bevor er wieder parallel zum Wasser verläuft. Allerdings kann man das jetzt meist nur noch hören, denn links und rechts der Strecke erhebt sich jetzt ein Mangroven-Wäldchen. Nur die Strandzugänge geben hin und wieder den Blick auf Strand und das türkise Meer frei. Angenehm, dass es ab und an Schatten gibt!

Schließlich tauchen wir in eine kleine Wohnsiedlung ein, weiße Strandhäuschen, Blumenrabatte, alles bunt und schön anzusehen, aber auch nicht zu steril, wie das leider so oft hier ist – richtig gemütlich. Gerade saust die Mittfünfzigerausgabe von Magnum auf einem dieser Liegefahrräder an mir vorbei und winkt lässig. Ach hätte er doch lieber eins seiner Hawaihemden an, als diesen dicken Bauch auf sich draufliegen …

Langsam wird mir ziemlich warm. Neben mir liegt ein Kokospalmenhain, die Früchte lachen mich von oben an und ich wünsche mir, eine würde runterfallen, am besten gleich mit einem Strohhalm drin! Durst! Wird ganz schön lang, die Strecke bis Dania – aber nicht langweilig, weil schön. Immer wieder kommen gut gelaunte Menschen vorbei, viele nicken oder grüßen. Dann endlich, nachdem wie ein Hotelgrundstück hinter uns gelassen haben, tut sich Parkplatz und Picknick Area von Dania Beach auf – puh! Noch 250 Meter, dann sind wir am Pier! Der führt sicher gut 100 Meter hinaus ins Meer, so wie die Seebrücken an der Ostsee. Wir wollen natürlich vor dem Umkehren da raus! Aber daraus wird nichts, denn nach ein paar Metern versperrt uns eine Schranke den Weg: Die wollen hier doch echt Eintritt für die Brücke. Nö, wir aber nicht. Also überlassen wir die zahlreichen, schwer beschäftigten Angler ihrem stummen Geschäft und machen kehrt. Auf dem Rückweg haben wir noch eine lustige Begegnung: Auf einer der kleinen Stichstraßen, die zur parallel verlaufenden Interstate-Straße führen, ist große Katzenversammlung – mit Stargast: Ein Waschbär hat sich unter die Kleintiger gemischt! Uns mag er wohl nicht so, denn als er uns entdeckt, verkrümelt er sich in den Schutz der Büsche.

Auf der Promenade ist inzwischen mehr Betrieb. Etliche Skater sausen vorbei. Am Strand macht ein hühnenhafter Schwarzer seltsame Leibesübungen, keine Ahnung, ob das ein ritueller Tanz oder ein unbekannter Sport ist. Der Strand ist aber sonst noch ziemlich leer. Bis auf eine schwarze Großfamilie mit ihren Kindern. Es sieht total klasse aus, die kleinen schwarzen Köpfe in den hellblauen Fluten mit den kleinen weißen Schaumkrönchen!

Schließlich schließt sich unsere Runde. Jetzt will ich aber meine Belohnung! Quer über den breiten Sandstreifen, T-Shirt, Laufhose und Schuhe aus – den Bikini habe ich natürlich drunter, denn ich will ja nicht verhaftet werden, was mir als altem Ossi im Kronland der Prüderie hier immer schwerfällt! Und dann rein in die Fluten! Jaaaaaa! So soll ein Morgenlauf sein.

2  Heute zum Abschluss wollen wir nun Hollywood Beach gen Süden erkunden, bis Hallendale Beach, das ist der Ort, der zwischen Hollywood und Miami liegt. Heute sind komischerweise schon viel mehr Leute unterwegs. Aber das Bild ist auf dem ersten Kilometer ganz ähnlich dem gestrigen. Dann werden die Häuser plötzlich größer. Die kleinen gemütlichen Gebäude weichen großen Hochhäusern. Nach einer Wegbiegung müssen wir in die zweite Reihe hinter dem Strand ausweichen, weil es hier keine direkte Strandpromenade mehr gibt – man müßte durch den Sand laufen. Und dann ist auch hier plötzlich Schluss: Ein richtig fettes Hochhaus versperrt uns den Weg. Wir müssen auf die Interstate ausweichen, die hier sechsspurig die Küste entlang nach Norden Richtung Palm Beach führt. Aber es ist immer noch ganz schön, obwohl sich nun Hochhaus an Hochhaus reiht (und ich spreche hier nicht etwa von niedlichen 12-Geschossern, eher 25 – 35 Stockwerke). Aber es sind sehr gepflegte, weiße Häuser mit ebenso gepflegten Grünanlagen, Palmenhainen und Blumenbeeten dazwischen.

Kein Zweifel, wir nähern uns Hallendale. Denn das ist so eine richtige Skyscraper-Stadt. Nicht ganz so verwegen wie Miami, aber auch so gar nicht mehr wie das gemütliche, eher flachgebaute Hollywood. Ein Weilchen flitzen wir noch auf dem Bürgersteig weiter, dann hat Miki genug. Da sich meine Hoffnung nicht erfüllt, eine Brücke zu finden, um dann auf der Landseite des intercoastal waterways zurückzulaufen – wo es nicht ganz so großstädtisch aussieht – wechseln wir am mondänen Diplomat Ressort (mit seinem futuristischen Hochhaus inklusive künstlichem Wasserfall und Yachthafen für ganz Reiche) die Straßenseite. Am Wasser darf man eigentlich nicht lang, es gibt einen fetten Zaun. Aber der geht nicht über die Kaimauer. Frech, wie Laufpiraten nun mal sind, klettern wir einfach dahinter durch und laufen quer durch das Edelressort. Ganz wohl ist mir nicht, irgendwie rechne ich damit, dass wir gleich verhaftet werden oder etwas in der Art. Aber die paar Leute (totschick im Business-Outfit), die uns sehen, glauben wohl nicht, dass jemand so frech ist, hier unbefugt durchzurennen. Mit einem Victoryzeichen klettere ich zufrieden am anderen Ende des Geländes wieder um den Zaun. Ätsch, doch ein Stück am Wasser entlanggelaufen! Den Rest des Weges ergibt sich keine entsprechende Gelegenheit mehr und so sind wir froh, als wir wieder auf unsere Strandpromenade für´s Volk einbiegen können um unserem ersehnten Bad in den Wellen des Atlantik entgegenstreben.

Zur Bildergalerie Florida

13 Meditieren in Fort Myers

Dies wir ein kurzes Runners Special, denn nicht überall sind morgendliche Läufe so schön wie in New Orleans. Aber ich will Euch trotzem teilhaben lassen.

Also, ich wollte unbedingt mal zu Fuß in dieser Nicht-Stadt Fort Myers unterwegs sein, wo ich kaum mal Menschen außerhalb ihrer Autos oder von Gebäuden gesehen habe. Nun wäre es toll gewesen, am Meer zu laufen, aber das hätte den zeitlichen Rahmen eines Morgenlaufes völlig gesprengt, denn die kürzeste Entfernung zum Meer war 8,6 Meilen und dann weiß man ja noch nicht, wo und ob gerade da eine geeignete Laufstrecke gewesen wäre. Um unser Hotel herum war es aber allzu trist.

Als Kompromiss setzen wir uns Sonntag früh ins Auto und fahren über die Brücke über den breiten Caloosahatchee-Fluss, an dessen Ufer die Stadt liegt. Auf einem einsamen Parkplatz an einer verwaisten Dampferanlegestelle steigen wir aus. Neben uns parkt ein Opi, hightechmäßig zum Radfahren ausgerüstet. Er ist begeistert, noch andere sportsmen zu treffen und führt uns sogleich den kleinen Rückspiegel an seinem Helm vor, mit dem er alles hinter sich beobachten kann. Dann wünscht er uns „Have a nice day“. Wir machen uns bei herrlichem Sonnenschein und noch frischen Temperaturen auf und laufen zunächst an einem kleinen Park und einer schön hergerichteten Uferpromenade entlang. Hier liegt der Yachthafen. Ziemlich dicke Boote schaukeln in den Wellen, Menschen sind nicht zu sehen. Dann führt uns der Weg am äußeren Rand der „Altstadt“ vorbei, hier begegnet uns tatsächlich eine verkniffen dreinschauende Walkerin. Also gibt es hier wohl doch Menschen …

Irgendwann geht es nicht weiter und wir biegen in ein feines Wohnviertel mit einigen historischen Villen ab. Davor stehen Tafeln, die über die historischen Persönlichkeiten der Stadt Auskunft geben, von denen wir nur einen einzigen Namen kennen : Edison. Der Kerl, der das Telefon erfunden hat und somit Schuld daran ist, dass die Menschen jetzt in der Öffentlichkeit weniger miteinander als mit dem Kasten an ihrem Ohr reden. Und das auch noch laut. Die Amerikaner sind da übrigens noch schlimmer als die Deutschen. Sie führen ständig und überall diese nervenden Autistengespräche: im Auto, Restaurant, Supermarkt, selbst, wenn sie etwas bestellen oder kaufen, reden sie kaum mit dem Menschen, der sie bedient, sondern zeigen nur genervt, was sie wollen und telefonieren weiter. Wir haben Läden gesehen, an denen geschrieben steht, dass Kunden am Handy nicht mehr bedient werden. Reine Notwehr!

Unser Weg führt eine gepflegte, fast künstlich wirkende Allee mit großen Grundstücken entlang. Vorallem Seniorenresidenzen und –wohnanlagen en masse, dazwischen völlig unvermittelt einzelne Hochhäuser. Schließlich ist Florida, besonders dieser Teil, das Ruheständlerparadies schlechthin. Die Alten ziehen aus allen Teilen des Landes hierhin – wegen des schönen Wetters. Würden die mal lieber zu Hause bleiben, hier gibts nämlich außer der Sonne nichts, mit dem sie sich beschäftigen könnten. Soziale Kontakte haben sie wohl bestenfalls mit dem nächsten Nachbarn. Wenn sie nicht mehr Autofahren können, wird´s ganz finster bei den Enrfernungen. Immer wieder haben wir hier Alte gesehen, die sich kaum noch bewegen können, die aber trotzdem – teilweise verwirrt oder mit Beatmungsgeräten – zu ihrem Auto wanken und sich unter die Verkehrsteilnehmer mischen. Übrigens – noch eine Beobachtung: hier in Fort Myers, wie auch in Naples  und ähnlichen Orten hier an der Westküste, gibt es fast keine dunkelhäutigen Menschen. Die weiße Welt ist fast unter sich, das fällt echt auf. Und wenn schwarz, dann meist als Tankwart, Tellerabräumer oder Straßenreiniger.

Aber weiter auf der Strecke: Unser Lauf ist äußerst kontemplativ, denn wir begegnen kilometerweit keiner Seele. Wir biegen ins nächste Wohnviertel ab – wieder keiner. Alles ist picobello sauber, es gibt blühende Hibiskussträucher, lila Bougainvilla, gelbe Büsche – alles bestens beschnitten. Der Rasen ist frisch geputzt. Plötzlich ein Eckgrundstück mit alten Bäumen, unter denen sich Schrott stapelt, aber auch eine Kinderschaukel und Spielzeuge – und Hühner!! Hier wohnt wohl Familie Flodders von Fort Myers. Zu sehen ist sie allerdings auch nicht, dabei ist es mittlerweile schon nach neun. Ein Wunder, das hier noch keiner eingeschritten ist, so wie die das Bild der perfekten US-Vorabendserien-Idylle stören!

Nach sechs oder sieben Kilometern habe ich vier Eichhörnchen, zwei überfahrene Waschbären, eine Katze und zwei Menschen gesehen. Wir kommen in die „Innenstadt“, den historic district. Dort gibt es in paar ältere Straßenzüge mit Kirchen und Restaurants. Da! Plötzlich eine Handvoll echter Menschen – und das Edison-Theater. Auf dem Spielplan steht: „The most wonderful time of the year“ – Drama. Ah ja, das sagt einiges, oder? Seit Thanksgiving ist hier überall der totale Weihnachtswahnsinn ausgebrochen: Im Radio gibt´s ständig Weihnachtslieder, in den Geschäften dröhnt es einem entgegen und in den meisten Restaurants ebenfalls. Weihnachtsmänner allerorten, sie klettern sogar Palmen hoch, Rentiere samt Schlitten sind in Horden unterwegs, manchmal ist sogar künstlicher Schnee ausgelegt. Bäume und Straßenmasten,  alles ist weihnachtlich beleuchtet, dass das Festival of Lights blass dagegen aussieht. Und das alles bei schönstem Sommerwetter. Nachdem wir nun die vor Leben förmlich vibrierende Innenstadt (300 x 300 Meter groß) durchquert haben, nähern wir uns im Bogen wieder dem Fluss und damit dem Parkplatz.

Es war ein sehr einsamer Sonntagmorgen – ich will zurück nach New Orleans!!!

Zur Bildergalerie Florida

07 Runner´s Special New Orleans

Das ist ein echtes kleines Runner´s Special wert! Eine Woche nach dem großen Rennen von San Antonio bleibt natürlich vom Marathon-Schmerz nur noch der Ruhm und die gute Laune. Zeit, die Laufschuhe wieder einmal zu schnüren. Dank Jetlag klappen die Äuglein trotz längerer Abende immer noch kurz nach sieben auf. Den kleinen Morgemuffel neben mir sanft geschüttelt und in nettesten Tönen von dem Projekt überzeugt, ein Mini-Imbiss und: Start in der ersten wunderbaren Morgensonne. Erst ein Stück durch Treme, das nette Viertel hinter dem Hotel, dann durch den noch völlig verlassenen Louis Armstrong Park und anschließend quer durch das French Quarter. Die Touristen schlafen alle noch, die meisten Bewohner wohl auch, die einzigen Menschen, die die stillen Gassen bevölkern, sind Lieferanten, Straßenkehrer und und ein paar Kellner auf dem Weg zur Arbeit. Ein Sprühfahrzeug hat gerade die Bierseeligkeit der letzten Nacht weggespült und der Jackson Square, der tagsüber von Straßenkünstlern, Malern, Pferdekutschen und Touristen bevölkert ist, hat nur auf uns gewartet. Vor einem Restaurant ruft mir der Kellner zu, wir sollten uns doch lieber erstmal mit Kaffee und Beignets stärken … Und dann: Rauf auf den Deich zum Mississippi.
Good Morning, Old Man River! Selbst der scheint noch zu schlafen. Die berühmte Natchez, der alte Missisippi-Raddampfer, ruht sich gut vertäut von seinen nächtlichenen Jazz-Steamboat-Tours aus. Auf den Bänken sitzen ein paar wenige frühe Vögel mit Zeitungen und Kaffeebechern ausgestattet und blicken kaum auf. Aber vor allem Obdachlose genießen hier die Morgensonne nach der kühlen Nacht. Mit einem kleinen Unbehagen laufe ich auf eine Gruppe zu. Aber die drehen sich grinsend zu mir um, heben den Daumen: „Hi Babe! Have a good day!“ Oh, das hatte ich, ehrlich gesagt, nicht erwartet. Auch die nächsten beiden, diesmal ältere Schwarze, winken mir gut gelaunt zu „Good morning, Lady“ Der Südstaatencharme reicht sogar bis hier. Miki ist ein ganzes Stück zurückgeblieben, er kämpft noch mit dem Bettzipfel, aber meine Laune wird immer besser. Als ich den Deich am Ende des Quarters verlassen muss, laufe ich unbehelligt von den Massen, die sich hier in zwei Stunden drängeln werden, quer durch den French Market, wo die ersten Händler ihre Stände vorbereiten. Mein San-Antonio-T-Shirt bringt mir ein paar nach oben gereckte Daumen ein.
Ich verlasse das Viertel und überquere die Esplanade. Eine mit alten Bäumen und weißen Südstaatenhäusern bestandene Avenue, die das Ende des Frech Quarters markiert. Zwei ältere schwarze Straßenkehrer machen mir freundlich lachend Platz. Einer sagt: „Good morning, Mam! You do good? Have a good time!“ „Of course, Sir, a perfect day“, antworte ich. „Ok, than go on: Let the good times roll!“ Wow, wenn das kein Tagesbeginn ist, jetzt kann doch eigentlich nichts mehr schief gehen, oder? Ich hüpfe förmlich weiter und tauche neben einer großen Umspannstation ins nächste Viertel Foubourgh Marigny ein. Später erzählt mir Miki, dass die beiden ihm zugerufen haben: „Do a good job! She will leave you!“ (Mach einen guten Job, sonst läuft sie Dir weg!). Nee, soviel Spaß am Morgen!
Eine Weile laufe ich am Rand von meinem Lieblingsviertel, dass in den nächsten Tagen noch nähere Erwähnung finden wird, entlang, dann überquere ich die Bahnlinie, hinter der das Viertel Bywater beginnt. Der nächste Coming-up-Stadtteil, der sich hier gerade von einer eher etwas heruntergekommenen Nachbarschaft zum angesagten Wohnviertel für junge Familien und Künstler und Alternative entwickelt, so wie nebenan Foubourgh Marigny. Hier gibts allerhand alternative Subkultur-Orte, aber die schlafen noch, man erkennt sie an den bunten Bemalungen und Installationen. Die Sonne taucht die kleinen Straßen mit den bunten Häusern und blühenden Baumen in ein besonders schönes Licht.
Auf einmal entdecke ich am Straßenrand abgelegt ein paar alte Tapetenrollen. Wir nehmen sie in Augenschein – keine Ahnung, warum. Und plötzlich trauen wir unseren Augen nicht: Auf der einen Rolle sind lustig gezeichnete Marathonszenen! Läufertapete! Das es sowas gibt! Obwohl das olle Ding über ein Kilo wiegt ist klar: Die muss mit! Miki schleppt sie den ganzen Rückweg tapfer – stärkt den Bizeps! Wir genießen das letzte Stück des Weges durch das malerische Viertel und grinsen noch ein paar mal fröhlich links und rechts, dann sind wir wieder am Hotel.
Völlig euphorisiert verkündet Miki: Ich gehe in den Pool! Ich bin völlig überrumpelt von so viel Unternehmerhgeist und schließe mich an. Allerdings wird es ein Superquickie, denn das Wasser ist durch die kalten Nächte eisig!. Das schwarze Zimmermädchen meint nur kopfschüttelnd: You are crazy!
What a wonderful morning! Let´s have a big breakfast!

Zur Bildergalerie New Orleans

03 Rock ´n´Roll Marathon San Antonio

Als Kreuzung aus passionierten Globetrottern und Marathonläufern der Spaßfraktion liegt uns nichts näher als die Welt auch laufend zu erobern. Nun also im Land der Cowboys. Unserem Ruf als Chaosfamilie machen wir aber auch dieses Mal wieder alle Ehre: Ich bin zwei Tage vor dem Abflug übel gestürzt und habe mir eine Rippe sehr schmerzhaft … geprellt? angebrochen? Schlimmeres? Ich will es lieber gar nicht wissen, auch nicht, was das für unser Vorhaben bedeuten könnte. Also alles denkbar Hilfreiche von Homöopathie bis chemische Bombe eingepackt und tapfer los. Nicht falsch bewegen, nicht tief atmen, nicht husten. Aber schließlich will mich Miki, mein Mann, nun doch nicht so ganz allein leiden lassen und legt einen Gepäckwagenrodeo auf dem Flughafen Houston hin, in dessen Folge sein Ringfinger zu doppelter Stärke anschwillt und sich tiefblau verfärbt. Zusätzlich hatte ich das Sturmbeutelchen mit den Medikamenten auf dem Londoner Flughafenklo liegenlassen! Sollten wir uns vielleicht besser als disabled runners ummelden?

Ein vorsichtiger Testlauf zwei Tage vor dem Großereignis aber lässt mir einen Stein vom Herzen fallen und ermutigt mich: Es geht nicht toll, aber es geht. Zudem meint es mein Schutzengel gut mit uns und führt uns zum wahrscheinlich einzigen Edelsupermarkt von San Antonio, der sogar Arnica und Beinwellsalbe führt – wow! Also: Start frei!

Der Countdown für einen Marathon beginnt ja immer schon ein bis zwei Tage vorher mit der Marathonmesse und der Abholung der Startunterlagen. Das ist der Moment, wenn meine Adrenalinproduktion so langsam anläuft. Also machen wir uns auf zum Convention Center. Alles riesig hier, Johnny Cash begrüßt uns lautstark akustisch mit „Walk the line“ – wie nett. Zumal ich den guten alten Johnny auf ganz besondere Weise kennenlernen durfte. Bei seinem letzten Berlin-Konzert wurde vom Management ein von mir erbetenes Interview abgelehnt. Aber ich erwischte ihn per Zufall am Zaun backstage und er bot mir einen Deal an: in 30 Minuten mit einer großen Portion Snickers, die ihm seine Frau strikt verboten hat. Ich erinnere mich mit Vergnügen an den engen Wohnwagen, den schmatzenden und plaudernden Johnny. Der liebe Gott – oder wer auch immer- sei seiner Seele gnädig. Also: Wenn das kein guter Auftakt für diesen Marathon unter erschwerten Bedingungen ist!

Wir werden mit T-Shirt und Startnummer versorgt und wandeln euphorisiert durch die Messehallen, wo jede Menge Sportbekleidung und Zeugs verkauft wird, das eigentlich niemand braucht. Wir lassen uns sogar hinreißen, ein typisch amerikanisches Gratisphoto mit albernen Kopfbedeckungen vor einer Fotowand von The Alamo zu machen! Auf einem Bildschirm läuft im Zeitraffer die Strecke ab – nach fünf Sekunden wende ich entsetzt den Blick ab: Was ich da gesehen habe, war eine endlose breite Straße ohne Bäume und Häuser, huh!

Zurück im Motel erwartet uns eine Mail des Veranstalters, die vor einem heißen Renntag warnt: immer schön langsam, aufhören, wenn´s zuviel wird. An der Strecke werden zusätzliche Salzrationen für das Wasser ausgeteilt und crushed ice, es gibt Duschen und Kältebusse. Man ist gewarnt: Im Vorjahr hat es ein oder zwei Tote gegeben, je nachdem, wen man fragt … oh, oh!

Fünf Uhr, der Wecker, das Handy und die Rezeption klingeln. Nötig wär´s nicht gewesen, wir haben vor Nervosität nur wenig geschlafen und ich bin längst wach. Miki macht sich auf dem Weg, um zwei starke Capuccini aufzutreiben (ohne bin ich kein Mensch) und ich bereite auf Styropor und Plaste Obstsalat und Sandwiches zu. Danach ist Auzsrüstungscheck und Kriegsbemalung. Bei soviel Patriotismus (heute ist auch noch Veteran´s Day!) können wir nun auch nicht umhin, ein symbolisches „Proud to come from good old Europe´s Germany“ farblich entgegenzusetzen. Wenigstens auf den Armen, Miki sogar im Gesicht. Er sieht aus wie ein durchgeknallter oller Indianerhäuptling. Was die USA nicht alles an seltsamen Reaktionen auslöst!

Abmarsch! Plötzlich trippeln von allen Seiten Ameisenkolonien Richtung Convention Center und die morgendliche Stille wird plötzlich vom aufgeregten Pfeifen der Verkehrspolizisten erfüllt, die die Läufer über die Straßen zum Startgebiet schleusen. Die Luft vibriert vor Energie. Am Start ist alles perfekt organisiert: 25 UPS-Busse warten, militärisch im 45 Grad Winkel ausgerichtet, auf unsre Kleiderbeutel, aufgeregte Helfer wuseln herum, kleine Reden werden gehalten. Dann –live von einer Countrysängerin vorgetragen- die Hymne. Basecaps werden vom Kopf gerissen, tausende Hände auf´s Herz gelegt – mann-o-mann! Dann gehts los.

Die Blöcke werden nach und nach gestartet, unsere Startmusik ist „Eye of the tiger“. Übrigens sind wir totale Exoten, bis auf ein paar Mexikaner und Kolombianer scheinen wir fast die einzigen Ausländer zu sein. Wir laufen im wörtlichen Sinne zunächst der Sonne entgegen, bereits nach 500 Metern sind wir schweißnass. Nach kurzer Zeit stellen wir fest, wie schlecht trainiert hier einige sind: Sie keuchen, haben Wadenkrämpfe. Irgendwie haben die wohl mit dem hier obligatorischen positiv thinking gemeint: Yes, we can! – sich aber nicht wirklich überlegt, worauf sie sich eingelassen haben.

Die ersten Bands spielen am am Straßenrand auf, vor einer kleinen Bretterkirche trommelt ein Rastaman-Priester zum Gott der Läufer. Die ersten 17 km führen durch greater downtown – vorbei am Alamo und durch einige nette, aber ganz schön hügelige Wohnviertel. Die Anzahl der Zuschauer hält sich in Grenzen, aber es ist trotzem sehr nett und ich bin stolz auf mich, weil ich mich schon etwas orientieren kann. Wir haben beschlossen, es ganz ruhig anzugehen, zu genießen und Fotos zu machen – und unbedingt zusammenzulaufen. Das kostet uns viel Zeit, denn wir haben uns ein paar mal verloren – die Rechnung sollen wir später präsentiert bekommen, wenn´s in die Zeit schießt und unesre Körper die Kraft verlieren. Aber davon wissen wir jetzt noch nichts und sind bester Laune.

Vor den unzähligen Kirchen steht jeweils die sonntägliche Gemeinde und winkt den Läufern zu. Das erste Mal, dass ich der hiesigen Kirchenschwemme etwas Gutes abgewinnen kann. In einem hübschen, bescheidenen Mittelstandsviertel mit Gärtchen stehen zwei schüchterne Männer mit bunten Lockenperücken und Glitzerschlips vor ihrem Haus und halten tapfer ein Transparent hoch: Run for the gay´s pride – irgendwie rührend in dieser Umgebung. Ein Stück weiter begrüßt uns ein überdimensionaler Cowboy von einem Dach. Dies und andere Kuriositäten lenken die laufenden und teilweise bereits schlurfenden Teilnehmer von der zunehmenden Hitze ab. Viele sehen gar nicht mehr gut aus, dabei ist noch nicht mal das Halbmarathon-Ziel in Sicht. Wie wollen die das schaffen? Kurz vor dem Halbmarathon-Split durchqueren wir noch ein besonders schönes Viertel mit malerischen Südstaatenvillen und ausladenden alten Eichen: King William. Hier haben die vor langer Zeit eingewanderten Deutschen der Stadt ihren Stempel aufgedrückt. Die Sehnsucht nach der alten Heimat hat wohl den ollen Kaiser Wilhelm Namenspate werden lassen.

Km 17: Die Halbmarathonis werden abgeleitet. Die wahren Kämpfer bleiben und sehen einer Feuerprobe entgegen –im wahrsten Sinne des Wortes. Wir durchqueren ein Flussbiotop und dann wird´s einsam. Aber zunächst gibt´s das erste crushed ice. Würd´ ich normalerweise nicht an meinen Körper lassen beim Laufen, aber jetzt schiebe ich es mir dankbar überall hin: ins T-Shirt, unter das Stirnband – mittlerweile ist die Hitze wirklich kaum noch auszuhalten. Salz als Wasserzugabe wird verteilt, Duschen sprudeln über die Straße, die ersten Kältebusse stehen am Straßenrand.

Linker Hand erstrecken sich nun endlose Golfplätze, rechts, als passendes Pendent dazu, heruntergekommene Wohnwagenparks für die Armen. Aber immerhin sitzen einige von den Bewohnern mit einer Dose Bier am Straßenrand und leisten uns Gesellschaft. Bis auf gelegentliche Cheerleadertrupps und ein paar Bands alle paar Meilen sind das fast die letzten menschlichen Wesen, die wir für die nächste Zeit zu sehen bekommen sollen. Die Strecke führt über endlosen Asphalt vorbei an riesigen memorial fields (Riesenfriedhöfen, die bis auf kleine Fähnchen im Boden seltsam den Golfplätzen ähneln), einem Flughafen, der airbase, einer Raffinerie, einem Kraftwerk und einfach nur Pampa. Inzwischen trottet ein großer Teil der Läufer mehr als zu laufen, langsam schwant mir Böses und die Kräfte verlassen mich, der Kopf dröhnt.

Bei Meile 18, irgendwo im Nirgendwo stolpere ich in einen Kältebus. Hier begrüßt mich ein junger Asiate, der quer auf einer Bank liegt, mit der Erklärung: „Das ist der Punkt, an dem ich mich frage: Was, zur Hölle, mache ich hier?!“ I agree. Nach zehn Minuten gehts mir besser und ich laufe wieder los. Nachdem ich allerdings unvernünftigerweise einen endlosen Anstieg an einer Raffinerie in den Abgasen der hier ausnahmsweise parallel fahrenden Autos absolviert habe, wird mir übel und schwindlig. Mein Magen krampft. Ich versuche, mich im Schatten eines mikrigen Busches zu erholen und laufe dann irgendwie weiter. Miki versucht mich zum Essen eines Früchteriegels zu überreden, ich kriege nichts herunter. Auch Miki quält sich nur noch. Ein paar Meter weiter läuft plötzlich ein Sanitäter neben mir, der sich Sorgen macht. Ich bin wohl ein bisschen blass um die Nase. Aber ich überzeuge ihn, tapfer lächelnd, von meiner Renntauglichkeit; so leicht gebe ich nicht auf! Aber eigentlich will ich nur noch in ein kaltes, dunkles Zimmer … Doch nicht ohne diese verdammte Medaille! Das sei übrigens unbedingt noch angemerkt: Die medical teams sind in Garnisonsstärke angetreten und sie sind sehr aufmerksam!

Den Rest der Strecke nehme ich nur noch als Füße auf dem Asphalt wahr. Einziges Geräusch sind die tappelnden oder schlurfenden Schritte der anderen und keuchender Atem. Immer wieder kauern erschöpfte Gestalten am Straßenrand. Die schnellen Superathleten sind längst im Ziel, aber der Masse bleiben noch etliche Kilometer. Endlich sind wieder ein paar mehr Bands zu sehen: Meilensteine. Ausgerechnet in der langen Einsamkeit der Südkurve haben einige schon keine große Lust mehr gezeigt, Blödmänner! Auf den letzten drei Meilen in der Stadt versuchen uns u.a. Highschool-Kids mit Spalieren und anderen aufmunternden Spielchen rührend aufzumuntern, wirklich süß. Ein kleines bisschen hilft es auch. Im Kopf hämmert verzweifelt das Mantra: Bald, bald, bald … Mikis tapfere Versuche, mich trotz seiner eigenen Erschöpfung vor der Verzweiflung zu retten, treiben mir nur Tränen in die Augen. Aber einer seiner Sätze klebt jetzt in meinem Hirn: Egal! Das Ding ist doch gelaufen! We got it!

Dann endlich das Ziel am Alamo Dome!!!!!!!!!!! Ich laufe noch einmal so schnell ich kann, wir fassen uns an den Händen und reißen sie in die Luft. An der Ziellinie die Lautsprecher stimme: “And now arriving: Maikel and Bietie Ostermän from  Germany!!“ Heul, schluchz! Die Medaille! Und in Eiswasser getauchte Tücher statt Wärmefolien. So fühlt sich Glück an!!!!

Zur Bildergalerie Runners Special