16. Bangkok – last call

Frühstück thailändisch: Gebratener Reis mit Gemüse und Cashew – und Chilli. Der Vormittag ist dem Kulturprogramm gewidmet: Tempelbesuch. Diesmal Wat Pho, eine der beiden größten Tempelanlagen der Stadt, berühmt durch den riesigen liegenden Buddha.

Zu erreichen ist mein Ziel am schnellsten mit dem Expressboot auf dem Chao Phraya, dem großen Fluß, der gleich neben dem Viertel von Nord nach Süd durch die Stadt fließt. Ahnungslose Neulinge lassen sich ein Ticket für das Touristenboot aufschwatzen, das 200 Baht pro Tag kostet. Wer schlauer ist, nimmt einfach die öffentliche Orange Flag Line, die vielen Einheimischen als normales, schnelles und staufreies Verkehrsmittel dient. Eine Fahrt kostet 15 Baht, ca 35 Cent.

Die Fahrt ist angenehm, selbst wenn man gelegentlich stehen muss, denn oft ist das lange Boot voll. Wenn der Fluss bei Wind unruhig ist, kann die Gischt auch schon mal für eine ordentliche Dusche sorgen. Das Boot legt mit heftigem vor-und zurückrangieren (und schwarzen Rauchwolken) jeweils an den schwimmenden Metallpiers an. Der Kapitän sitzt vorn, eingewiesen wird er per Pfiffen und Handzeichen des Bootsmanns hinten. Ein Schauspiel. Beim Ein-und Aussteigen muss man gut aufpassen, ganz schön wackelig so von einem schaukelnden auf den anders schaukelnden Untergrund!

Spontan entscheide ich, auf der anderen Flussseite zuerst den Wat Arun Tempel anzuschauen, ein rund 80 Meter hohes Bauwerk, dass über und über mit Mosaiken asiatischen Porzellans verziert ist. Die vier steilen Treppenaufgänge zum Turm sind jeweils von riesigen steinernen Wächterfiguren chinesischer Krieger bewacht, verschiedene Fabelwesen gesellen sich dazu. Beeindruckend.

Danach lasse ich mich auf die andere Seite übersetzen zu Wat Pho. Hier gibt es Schlangen an der Kasse, und wer ahnungslos mit kurzen Hosen, Röcken und ärmellosen T-Shirts gekommen ist, muss sich erstmal ordentlich verschwitzte lange Hemden oder Hosen ausleihen, um die Anlage überhaupt betreten zu dürfen. Passiert einem nur einmal, danach hat man seine Tempelkleidung garantiert immer bei sich! So wie ich…

Die Anlage ist riesig, unzählige Pagoden, kleinere und größere Tempel, Wandelgänge und Gebäude, ua. mit der ersten „offenen, demokratischen Universität“ und der ältesten Massageschule. Hauptattraktion ist natürlich der 45 m lange goldene Liegende Buddha, etwas zu groß für den Vorgarten. Untergebracht in einer Halle, deren Wände über und über  kunstvoll mit Szenen aus dem Tempellleben bemalt sind.

Auch die größte Sammlung von Buddhafiguren gibt es hier zu bewundern, mehr als 1000 Buddhas haben hier ihr Zuhause. A propos Buddha: Überall in der Stadt und an den Tempeln bitten Plakatwände und Schilder darum, Buddha nicht als Tatoo-Motiv zu benutzen. Er sei keine Dekoration und es verletze die religiösen Gefühle der Gläubigen.

Die Anlage mit ihren weißen, roten, goldenen, silbernen und bunt glitzernden Bauwerken ist wirklich wunderschön. Allerdings wimmelt es natürlich von fotografierenden Touristengruppen, Selfie-Machern und leider auch nervigen Schreihälsen darunter. Abseits der repräsentativen Hallen und Tempel werden hier und da Gebete von den Mönchen abgehalten, auch öffentlich, für jeden, der teilnehmen möchte.

33 Grad, pralle Sonne, lange Kleidung. Ich löse mich förmlich auf. Nach einer guten Stunde kann ich nichts mehr aufnehmen, ich habe einfach zu viele schöne Dinge gesehen. Ich verbringe noch eine meditative Viertelstunde in einem ventilatorengekühlten Tempel mit einer besonders schönen weiblichen Buddhafigur, der ich auch ein paar Lotosblüten und Räucherstäbchen zu Füßen lege. Dann verlasse ich die heiligen Hallen.

Es folgt der sehr weltliche Teil des Tages: Geschenke Einkaufen im allseits bekannten Shoppingcenter MBK. Ich entscheide mich wieder für ein Tuktuk. Bloß gut, dass die Dinger nicht so schnell umkippen können: Die Fahrer rasen damit wie die Verrückten durch den dichten Stadtverkehr. Wofür es Fahrtrichtungspfeile gibt, ist mir schleierhaft, niemand richtet sich auch nur annähernd danach. Und wenn irgendwo das Abbiegen verboten ist oder der Stau zu dick wird, dann saust man eben mal schnell über eine Hotelzufahrt und über einen Liefereingang verbotener Weise durch Gebäude und Grundstücke – Hauptsache schnell.

Die Schilderung der folgenden zwei Stunden Konsumwahnsinn wäre zu öde, ich kaufe kaum etwas, der Overkill an Angebot lähmt mich. Aber ein Tipp: die Foodcourts im 6. und 7. Stock des Gebäudes sind – der Hammer! Küche aus aller Welt, edel präsentiert, in offenen Küchenblöcken zubereitet und trotzdem nicht besonders teuer.

Für den Rückweg entscheide ich mich für das diesmal noch fehlende Verkehrsmittel: das Motorradtaxi. Sicherlich das riskanteste Verkehrsmittel, denn das sind die echten Großstadt-Desperados unter den Fahrern. Sie preschen gnadenlos zwischen den Bussen, Autos und Tuktuks durch, gern auch mal auf der Gegenfahrbahn durch den ohnehin aberwitzigen Verkehr. Aber einmal muss ich auf jeden Fall. Diesmal mit einer ungewöhnlichen Variante: einer Frau! Und die überzeugt. Auch sie gehört zu den Verrückten, aber ich kneife nicht einmal die Augen zu, wie so oft bei den männlichen Kollegen. Und sie fährt eine richtig schöne Sightseeing Route zurück. Eine halbe Stunde mit vielen Sehenswürdigkeiten: Parks, Tempel, das Nationalmuseum, das Nationaltheater. Klasse!

Nach einem Bad im Hotelpool mache ich mich für meine Abendrunde zurecht. Eine Schleife über die Rambuttri und immer wieder Fassungslosigkeit, wie sehr man sich zum Affen machen kann. Und, sorry, liebe Landsleute, die deutschen Männer können das am besten. Besonders peinliche Exemplare sind die zu Hause garantiert oberbiederen 40+Modelle, die hier auf einmal total cool mit blondiertem Iro oder Rastazöpfen und Dutts in geschmacklosen bunten Wallehosen und Tanktops herumlaufen und irre gut drauf sind. Boah, eh!

Schnell verschwinde ich um die Ecke in die echte Stadt und mache mich auf über die Klong Banglamphu Bridge in den mir bis dahin unbekannten Nachbarbezirk Phra Sakhon. Verrückt. Schon wieder ein ganz anderes Straßenbild. Alles eine Nummer kleiner und gemütlicher, aber durchaus großstädtisch. Auch hier gibt es etliche Unterkünfte für die Touristen, aber hier leben auch viele Thais und alles wirkt entspannt. Auch an den Suppenküchen essen hier viele Einheimische.

Nach einem kleinen Spaziergang suche ich mir einen kleinen Massagesalon. Noch einmal genüsslich-leidvoll entspannen… Nach dem anschließenden Essen ist es bereits gegen elf und eigentlich bin ich müde. Aber da war doch noch die Sache mit dem Blues-Club…

Und tatsächlich, da ist er, gleich in der Nähe der Brücke, in der Rama VIII Rd . Davor sitzen einige Leute draußen, denn der winzige, schlauchartige und urgemütliche Laden ist rammelvoll.  Sieht tatsächlich aus wie eben so ein Musikclub aussehen muss. America in Bangkok. Ich finde noch ein Stühlchen, bestelle mir ein Chang und schon beginnt ein neues Set der jungen Bangkoker Band „The Heritagers“.

Super! Ich kann´s nicht fassen, die sind einfach toll. They got the blues! Mit einem älteren amerikanischen Banjospieler als Gast spielen sie viele Klassiker, aber das richtig gut! New Orleans ist überall! Der Laden tobt, ich kann mich nicht losreißen und halte bis zum bitteren Ende durch. Halb zwei mache ich mich glücklich auf den Heimweg. So ein schöner letzter Abend! Denn morgen heißt es Abschied nehmen, für dieses Mal.

Eine tolle Zeit geht zu Ende. Sawaddee káh, Thailand! Bis zum nächsten Mal.

 

15. First Night in Bangkok

Gut, dass es noch so früh ist, als ich in Bangkok lande: Die Hitze ist schon um halb acht kaum auszuhalten. Ich gebe den Bangkoker Taxifahrern noch eine Chance und – erwische einen netten und ehrlichen Kerl, der schon nach der ersten sanften Nachfrage sein Taxameter einschaltet.

Ich habe ein Guesthouse in Banglamphu gebucht, am Rande des Backpacker- und Halligalliviertels um die Khaosan- und Rambuttri Road. Wohlgemerkt am Rande, das hat sich bewährt. Denn Banglamphu ist ein Zwitter: hier gibt es besagte Ausgehviertel, wo es rund um die Uhr brummt und man alles findet, was das Touristenherz begehrt. Aber geht man auch nur eine Straße weiter,  findet man da das alte Bangkok: unspektakulär, gar nicht chic, aber echt. Es ist wirklich verrückt: An einer Ecke tobt der Bär, zwei Ecken weiter ist davon gar nichts mehr zu spüren. Und mein Hotel Wild Orchid Villa lam Anfang der Rambuttri Rd. liegt genau an der Grenze. Es hat sogar einen kleinen Pool, was angesichts der Bangkoker Temperaturen toll ist.

Meinen ersten Tag beginne ich, leicht hitzeparalysiert im Hirn und motorisch verlangsamt, mit einem Mittagsschläfchen, nachdem ich mein Hotelzimmer (mit Fenster!) beziehen darf. Da Sonntag ist – der erste, den ich je in Bangkok erlebe – will ich unbedingt den berühmten Wochenendmarkt Chatuchak im Bezirk Phahonyothin,  einem der 50 Bezirke von Bangkok, sehen. Er gilt als der größte Markt Thailands. Und ich will auch endlich wiedermal Tuktuk fahren. Ich liebe diese aberwitzigen, knallbunten Gefährte, in denen einem der Fahrtwind um die Ohren pfeifft, und sei es auch nur die abgasgesättigte Bangkoker Luft.

Nach erfolgreicher Preisfeilscherei geht’s dann eine halbe Stunde durch die Stadt in nördlicher Richtung. Ein großer Teil des Weges führt durch ein ausgedehntes Viertel, in dem lauter Militäreinrichtungen von Forschungsinstituten bis zu Verwaltungs-und Bildungseinrichtungen ihre ausgedehnten Sitze haben. Das heißt, es geht vorbei an endlosen weißen Mauern, Hecken, vielen Fahnen und jeder Menge Konterfeis des Regenten in majestätischen Posen.

Als Kontrastprogramm folgt dann eine ziemlich marode Straße an einem Klong (Kanal) entlang, vorbei an einem Slum. Endlich verkündet mein Fahrer, dass wir da seien. Ich stehe vor einer endlosen Umzäunung, die einige kleine Eingänge hat, an denen Straßenhändler Obst und Getränke verkaufen. Auf geht’s.

Schon nach wenigen Minuten ist mir klar, dass das höchstens eine Stippvisite werden kann, auch wenn ich mir noch so viel Zeit lasse. Endlose, wellblechüberdachte schmale Gänge, in denen sich ein Stand an den anderen reiht, ein Ende ist nirgends zu sehen, höchstens neue Abzweigungen. Menschenmassen, In-und Ausländer, schieben sich durch die Enge, Kaufrausch total. Über 5000 Stände. Im Angebot: eigentlich alles, außer Trödel und Ersatzteile.

Schon nach 15 Minuten bin ich kurz vor einem Koller als ich endlich um eine Ecke biege, die auf einen etwas breiteren, nicht überdachten Umgang führt. Endlich Luft zum ATMEN und ein kleines bisschen mehr Platz! Viele Suppenküchen und Grillstände, selbstgemachtes Kokoseis, Obst, Getränke. Kleine Stände und richtige Restaurants. Sogar eine Cocktailbar mit einem total aufgedrehten DJ liegt an meinem Weg. Zwei ältere thailändische Soulman machen richtig gute Musik, kaum beachtet von den Massen. Seifenblasen, ein Chor der Heilsarmee (?), Sammlungen für ein soziales Kinderprojekt . Nur – wie überall auf thailändischen Märkten: Fast keine Abfallbehälter. Wer etwas zu sich nimmt, wird den Müll nicht los, irgendwann stellt man ihn dann genervt an den Boden.

In einer Halle dreht sich alles um Kunst, die Bangkoker Künstlerszene präsentiert hier seine Werke oder arbeitet vor Ort – von richtig künstlerisch wertvoll bis zum spontanen  Aquarellportrait des kleinen Kläffers der Kundschaft. Oder man chillt einfach schlafend  vor seiner Kunst. Musiker sorgen für den handgemachten Soundtrack.

Über 5000 Stände sollen es sein – wenn mal nicht noch mehr. Nach zweieinhalb Stunden bis ich fertig. Ich pflüge noch weitere zehn Minuten durch die Massen, auf der Suche nach einem Ausgang. Ein pink-grün-metallicfarbenes Tuktuk bringt mich zurück, mit Blick auf die gruselig schöne untergehende Sonne, die hier dank Smog immer von einer knallorangen diffusen Wolke umgeben ist.

Zum Essen streife ich erst durch das Ausgehviertel, ist mir aber irgendwie alles zu rummelig. Ich biege ab in die eher glanzlosen Nebenstraßen, esse eine köstliche Entensuppe für 90 Baht, und ein paar chinesische Dimsum und mache mich auf den Heimweg.

Unterwegs auf der Pra Arthid komme ich an einem besonders schönen, blumenüberhäuften Altar vorbei. Als ich ein Foto mache, spricht mich ein englisch sprechender Farang (Ausländer) an, der mit seiner französischen Frau gerade am Straßenstand nebenan zu Abend isst. Er erklärt mir, das sei besonderer Ort, hier habe der berühmte alte Baum von Banglamphu als Wahrzeichen gestanden, bevor er eines Nachts aus Alterschwäche umgefallen sei. Nun steht hier der Altar, mit einer Spendenbox für Futter für die Straßenkatzen von Bangkok daneben, von denen es tausende gibt. Zwei Katzenbabies mit Stummelschwänzen und Mama tummeln sich wie bestellt davor.

Der Mann lädt mich ein, mich zu ihnen zu setzen. Irgendwie finde ich die beiden ganz interessant, was sich sogleich bestätigen soll. Sie haben 14 Jahre in Thailand gelebt, jetzt kommen sie regelmäßig zu Besuch. Er ist gebürtiger Texaner, sie Südfranzösin. Der Mann fasziniert mich vom ersten Moment an, weil er mit ausgeprägtem Südstaatenslang und tiefer Krächzstimme spricht, so wie mein liebster Musiker-Freund Freund aus New Orleans, der inzwischen leider nicht mehr lebt.

Ich setze mich und erfahre viele Geschichten aus Thailand und ihrem Leben. Er heißt Bill Bloomer und ist tatsächlich professioneller Musiker, eine Weile hat er in New Orleans gelebt. Zum Abschied geben mir die beiden den Tipp, einen kleinen Bluesclub im angrenzenden Bezirk Phra Nakhon zu besuchen. Ein Geheimtipp. Aber für heute bin ich restlos erledigt und falle nur noch ins Bett.

14. Bye bye Pai, hallo Chiang Mai

Ich bin super pünktlich am Busbahnhof, weil ich noch frühstücken will, wenn das Gepäck verstaut ist. Und endlich weiß ich wieder, warum ich Minibusfahrer nicht ausstehen kann (der von der Herfahrt war allerdings so nett, dass es mich ganz verwirrt hat, auch das soll gesagt werden): Kaum sieht der Mann meine Tasche, zieht er ein Gesicht, stellt sich auf  das Dach und erwartet, dass ich 19 Kilo über den Kopf stemme….seine Kollegen von den anderen Bussen stehen mit verschränkten Armen neben mir und starren mich an. Danke, Mr. Backpacker, der du mich gerettet hast!

Die vier Busse sind krachend voll. Und noch einmal heißt es Karrusselfahren ohne Ende, ab ins Tal. Am Weg passieren wir etliche größere Altäre und verschiedene goldene Gottheiten. Plötzlich lässt der Fahrer das Lenkrad los, faltet die Hände vor dem Gesicht und verbeugt sich! Also, mir ist Buddha ja durchaus sympathisch, aber ob er auch Busse lenkt?? So viel Gottvertrauen habe ich dann doch nicht und muss mich erstmal von dem Schreck erholen, als der Fahrer gerade noch die nächste Kurve kriegt.

Gute drei Stunden später sind wir in Chiang Mai. Ein Linien-Taxi, ein Song Taew, setzt mich vor meinem schönen Guesthouse Awana ab, das ich mir nach dem Reinfall auf der Herfahrt gegönnt habe. Kannte ich noch vom letzten Mal. Diesmal habe ich ein Upgrade bekommen und darf in ein richtig tolles Zimmer mit alter Fußbodenmalerei und viel Licht einziehen.

Ich vertrödele aber keine Zeit, schließlich habe ich nur einen halben Tag, bevor ich morgen in aller Herrgottsfrühe nach Bangkok fliege. Im benachbarten Hotel miete ich mir ein Fahrrad und los geht es. Ich staune, wie gut ich mich noch zurechtfinde in den vielen, verwirrenden kleinen Straßen der Altstadt. Als wäre es erst gestern gewesen: Hier habe ich Kaffee getrunken, hier gefühstückt, dort gesessen und Blog geschrieben… Alles wie gestern. Nur mein Lieblingsfrühstückscafé ist abgerissen. Anything goes.

Um sich überhaupt zu orientieren, muss man erstmal das thailändische Straßenbennungssystem verstehen: Der Name stammt immer von einer großen Straße, nach ihr heißen dann aber abgehenden Nebenstraßen, immer mit einem kleinen Zusatz: Soi1, Soi2… Bevor ich das herausgefunden hatte, habe ich überhaupt nichts gefunden, weil ich das Gefühl hatte, dass alles gleich heißt.

Die Altstadt von Chiang Mai liegt in einem von vier Kanälen umflossenen Quadrat, an jeder Seite gibt es noch die Ruinen eines historischen Stadttores, mal mehr erhalten, mal sehr wenig. Der Verkehr umfließt die Altstadt innerhalb der Mauer nur in einer Richtung, will man sich in die andere bewegen, muss man den Kanal kreuzen. Und das ist bei dem Verkehr ganz schön schwierig!

Die Stadt ist extrem quirlig, geschäftig und trotzdem gelassen und charmant. Die Menschen sind überwiegend sehr freundlich und hilfsbereit. Mein erster Weg führt mich zum Massage-Studio der weiblichen Ex-Häftlinge, eine Einrichtung, die ich schon beim letzten Mal entdeckt habe. Die Frauen erhalten im Gefängnis die Möglichkeit, eine Ausbildung zu machen und arbeiten dann unterschiedlich lange in diesem Zentrum. Sie erhalten dafür oft eine Haftverkürzung, und die Arbeit hier funktioniert gut als Resozialisierungsmaßnahme, denn so haben sie gleich einen ordentlichen Job. Ich finde das erstens eine sehr gute Idee und zweitens habe ich die Massagekünste der Damen das letzte Mal schätzen gelernt. Also mache ich einen Termin für den Abend vor dem Essen.

Dann gondle ich den Rest des Nachmittags mit weniger PS als bisher, dafür aber gelassen, kreuz und quer durch die Straßen. Ich schlendere über einen kleinen Markt, auf dem alles von Fisch über Obst und Tee bis zum Maßanzug verkauft wird. Die Schneiderin sitzt mitten an ihrem Stand an einer alten Nähmaschine. Mein Weg führt vorbei an den schier unzähligen goldenen Tempeln von Chiang Mai, immer wieder schön anzusehen. Wollte ich in jeden hineingehen, wäre ich tagelang beschäftigt.

Die Zeit vergeht wie im Flug, schon ist es Zeit für meine Massage. Die traditionelle Thaimassage ist ja bekanntlich nichts für Weicheier, aber sie tut so gut! Anschließend wurstele ich mich mit einigem Herumgefahre durch das abendliche Verkehrschaos zur richtige Seite der Altstadt durch, wo ich auf dem abendlichen Food Mart essen will.

Das Chaos ist unglaublich. Unzählige Stände wurden auf beiden Seiten der Straße aufgebaut, zum Teil noch mit Tischen und Stühlen, und mittendurch führt die immer verstopfte Straße um die Altstadt. Teilweise können die Kunden gar nicht anders, als vor einem Stand auf der Straße zu stehen, da wird man schon mal angehupt, wenn die Verkehrslawine direkt am Allerwertesten vorbeigeht. Aber gemessen an dem Chaos wird nur sehr wenig gehupt, Gelassenheit und gegenseitiges Aufpassen ist der Tenor. Autos, Tuktuks, Motorräder und Fahrräder drängeln sich irgendwie durch die Menge. Hier und da steht ein Polizist in dem Gewirr und pfeifft wild, aber niemand kümmert sich darum. Und das jeden Abend.

Der Markt befindet sich an einem gut erhaltenen Stadttor, wo sogar noch ein ganzes Stück der Stadtmauer erhalten ist, dem Tha Phae Gate. Direkt daneben ist die Markthalle der Altstadt, die ist aber am Abend geschlossen, wenn das große Fressen beginnt. Es gibt wieder einfach alles und man kann sich kaum entscheiden. Die Einwohner von Chiang Mai sind besonders stolz auf ihre vielen Wurstsorten, die mir aber irgendwie zu fettig aussehen. Und kunstvoll aufgefädelte gegrillte Därme oder Hühnerköpfe möchte ich auch nicht.

Ich gönne mir einen kompletten Snapper. gedünstet mit Gemüse und Reis. Ganz schön schwierig, einen Platz zum Essen zu finden, denn ich will das Essen weder Mitnehmen, wie viele Einheimische, noch kann man einen Fisch im Stehen essen, noch dazu mit Stäbchen. Die Standbesitzer finden einen kleinen wackligen Campingtisch für mich, der steht allerdings genau neben einem Müllhaufen. Ist halt so, da stört sich hier keiner dran. Es schmeckt großartig und ich habe den Tisch einfach so verschoben, dass ich den tobenden Wahnsinn beobachten kann, statt des Müllhaufens.

Danach bin ich ziemlich geschafft und will auch schnell das Fahrrad abgeben, denn ich habe keine Ahnung, wie lange die Rezeption besetzt ist (einige schließen um neun oder zehn) und in Thailand muss man bei allen Ausleihen seinen Pass hinterlegen. Wäre ungünstig, wenn ich den heute abend nicht wiederbekommmen würde, denn morgen früh um 5 muss ich zum Flughafen.

Ausgerechnet jetzt verlässt mich mein Orientierungssinn, dank Dunkelheit, Lichtern und Gewusel habe ich keine Ahnung, wohin ich muss. Aber ein paar nette Thais, die gerade vor dem Haus sitzen und essen, können mir weiterhelfen, danach finde ich nach ein paar kleinen Extraschleifen durch die Gassen auch zurück. Schade, dass die Zeit hier so kurz war! Aber es ist fast Mitternacht und ich muss um 4:30 Uhr aufstehen…Gute Nacht, quirliges, symphatisches Chiang Mai!

13. Unter Buddhas Schutz

Nach dem Aufwachen bleibe ich noch etwas eingemummelt in meinem Bett, schlürfe meinen Espresso und schaue dem langsam lichter werdenden Nebel draußen zu. Schließlich wage ich mich, mit nur zwei Kleidungsschichten, in den neuen Tag. Ich schnappe mir noch eine herrlich aromatische Banane aus dem hauseigenen Garten, die immer für die Gäste daliegen, und mache mich strammen Schritts auf ins Dorf.

Ich genieße den Blick am Wegesrand. Aber einen Ort zum Frühstück finde ich ierstman trotz einiger Restaurants oder Cafés auf dem Weg nicht, denn sie sind erstens leer und zweitens ist die Hälfte davon so clean organic healthy, dass ich opportunistische Lust auf irgendwas Bodenständiges habe, ohne Weizengras und Pu-Err-Tee. Zwei perfekt gestylte amerikanische Läuferinnen eilen gazellengleich an mir vorbei, lange davor und danach hallt mir ihr ununterbrochnes, schrilles “ Oh, sooo great!“ im Ohr. Bei allem Respekt, Ladies, da ist mir das Muhen der Kühe auf der Wiese vor der Brücke doch lieber. Passt irgendwie besser in die Landschaft.

Am Berghang über mir thront majestätisch der Weiße Buddha, eine der Sehenswürdigkeiten hier und ein wichtiger Ort für die Buddhisten unter den Einwohnern. Weise scheint er da oben zu meditieren und im Blick zu behalten, was wir kleinen Menschlein hier unten so treiben.

Schließlich bin ich im Dorf angekommen und schlendere ein bisschen kreuz und quer. Der bis vor wenigen Jahren kleine Ort, übrigens die älteste Ansiedlung hier, ist offensichtlich ganz schön in die Breite gewachsen. Zwar ist alles noch überschaubar und nicht allzu hektisch, aber irgendwie bedaure ich, nicht vor dem großen Boom der Partyfreunde und Wanderesotheriker hier gewesen zu sein. Ich besichtige noch den größten Tempel samt Pagode, zumindest von außen, denn leider ist er geschlossen.

So langsam bin ich ziemlich hungrig und suche nun ernsthaft nach einem Frühstück. Ich entscheide mich für ein winziges Café,  das mit poschierten Eiern auf Avocado mit echtem Baguette wirbt. Ich frühstücke gemütlich und grummele immer noch etwas in mich hinein wegen der verpassten Möglichkeit auf eine gute Trekkingtour. Was mache ich nun an meinem letzten Tag in Pai….

In meinem Hinterkopf formt sich eine Idee. Ich stelle fest, dass ich nun irgendwie doch anfange, das Rollerfahren mit dem Unfall zu verbinden, auch wenn das so ja gar nicht stimmt. Und eigentlich habe ich keine Lust, eine neue Angst, die mir dann irgendwann in der Zukunft im Wege steht.

Die nette Berlinerin gestern hat mir von einem eigenwilligen Typen hier erzählt, der zwar, wie viele hier, vom Rollervermieten lebt, der da aber offensichtlich eine Mission damit verbindet. Nicht nur weißt er seine Kunden ungewöhnlich gründlich ein, sondern er glaubt auch nicht, dass sie sicher fahrfähig sind, bevor er sich nicht ausgiebig davon überzeugt hat.

Klingt nach meinem Mann. Also Schultern gestrafft und den Laden gesucht. Der Typ guckt mich an und sagt doch glatt: In Ihrem Alter sollte man nicht mehr Roller fahren lernen, die Reflexe könnten zu langsam sein…. Wer mich kennt, kennt auch den süss verpackten Killerbienenblick, mit dem ich denn Mann nun bedenke. Jetzt hat er meinen Kampfgeist gedopt!

Ich erkläre ihm, dass ich bereits Roller fahren kann, und auch nur einen mit wenig PS möchte. Mein lädiertes Auge ist unter meiner großen Sonnenbrille nicht zu sehen, muss also nicht erklärt werden. Daraufhin ist er einverstanden, aber wie alle muss ich probefahren, die Seitenstraße vor dem Laden immer auf uns ab. Da kurven schon einige andere rum. Er schaut immer mal zu und horcht auf die Motorgeräusche. Ein echter Sicherheitsfreak. Aber gut so! Hier fahren genug Verrückte durch die Gegend.

Der Mann lässt mich fast eine halbee Stunde kreisen, dann darf ich los. Die letzte Warnung gilt den Touristen aus dem Nachbarland: Ich soll mich vor den Chinesen auf Scootern in Achtr nehmen, die sind gefährlich….Er malt mir eine schöne Route auf, die keine unbefestigten Straßen einschließt, weil ich das nicht möchte. Berge und Kurven finde ich herausfordernd genug! Also macht sich Moto-Granny auf. Hier muss man schon ganz shön aufpassen, weil hier wesentlich mehr Verkehr herrscht als auf meinem Inselchen, inklusive großer LKW.

Zuerst fahre ich noch etwas angespannt, langsam sowieso, aber dann werde ich langsam wieder etwas lockerer. Ich komme an der Memorial Bridge vorbei, die die Japaner im 2. Weltkrieg hier für ihre Truppentransporte über den Fluss gebaut haben und an einem knallbunten Disneylandverdächtigen Etwas am Straßenrand. Ich schaue auf die Karte und erfahre, dass dies ein chinesisches Dorf mit dem Namen Santichon ist, das allerdings in der Tat etwas zu sehr für die Augen der Besucher gepimpt worden ist. Ich halte kurz an und schau ein bisschen, weil alles so schön bunt und glitzernd ist, besonders gefällt mir die Drachenbrücke. Trotzdem habe ich keine große Lust, lange zu verweilen. Als ich nach einer dreiviertel Stunde endlich von der großen Straße abbiegen kann, bin ich endgültig entspannt genug, um die Landschaft und die tollen Aussichten zu genießen.

Ich mache eine Pause bei einem Elefantencamp und schäkere ein bisschen mit dem Dickhäutern. Danach gibt es Eiskaffee in einem der teuersten Ressors ganz oben auf dem Berg, fernab des Pöbels. Am schönsten ist aber die Aussicht von einem ausgedehnten Hochplateau, das mit gelbblühenden Feldern bedeckt ist. Von hier schaut man auf der einen Seite auf einen rötlich bewaldeten hohen Bergzug und auf der anderen Seite auf ein schier endloses Panorama entfernter Bergketten bis zum Horizont. Jetzt glaube ich, dass das hier in die Ausläufer des Himalaya übergeht, wie ich es gelesen habe. So schön!

Zufrieden tuckere ich nach zweieinhalb Stunden wieder nach Pai und liefere die alte Mühle ab, die mir der misstrauische Mann zugeordnet hat. Er freut sich jetzt und ich mich auch! Trauma gebannt und Schönes erlebt.

Über meinen Abend zu schreiben ist müssig, es wäre nur wieder eine erweiterte Speisekarte….Mit einem Bier im Rucksack lasse ich mich von meinem schon bewährten Motorradtaxi von gestern nach Hause fahren und genieße meine letzte Nacht hier mit Blick auf die silberne Mondsichel über den Bergen.

12. Entdeckerfieber

Die Zeit läuft, nur keine unnötigen Pausen… Der Morgennebel ist noch nicht mal von der Sonne vertrieben worden, als ich schon mit Rucksack und allem, was ich übereinanderziehen kann, am Eingang stehe und darauf warte, abgeholt zu werden zur Exkursion. Als der offene Pickup ankommt, muss ich mir ein Foto verkneifen: alle 6 anderen Teilnehmer, die bereits auf den Bänkchen hocken, sind mit demselben „Zieh- einfach-alles-an-und-schau- nicht-hin“-Stil angezogen. Es ist sooo kalt!

Die Feuchtigkeit macht alles noch schlimmer, aber die Sonne kämpft sich durch den dichten Nebel, als wir losfahren. Mittags ist es dann heiss. Erstes Ziel sind die 55 Kilometer entfernten Höhlen Tam Nam Lot. Schon wieder Kurven! Und diesmal seitlich zur Fahrtrichtung sitzend, ohne nach vorn schauen zu können. Wir vertreiben uns die Zeit damit, uns bekannt zu machen: England, California, Israel, France, zweimal Berlin. Gute Mischung.

Der Blick nach hinten, der einzige, den wir haben, ist wieder genauso schön, wie gestern, Berge, Berge, Berge und wilder Urwald. Endlich rumpeln wir über den letzten Wegabschnitt zu den Höhlen. Ich bin erschrocken, wie viele Autos hier schon stehen, und fürchte, vor lauter Leuten die Höhle nicht zu sehen. Dann geht es los, begleitet und bewacht von unseren mit Petroleumlampen ausgestatteten Führern.

Unglaublich! Diese Höhlen sind riesig! Drei verschiedene große Felshallen, die durch verschlungene Gänge miteinander verbunden sind. Mittendurch fließt ein Fluss. Die Menschen sind darin wie Ameisen und das Gewimmel stört überhaupt nicht. Man muss sehr aufpassen, wo man hintritt, denn der Untergrund ist gefährlich und bietet hundert Gelegenheiten zu stürzen. Halsbrecherisch steile Treppen verbinden die verschiedenen Höhlen, teilweise muss man über schwankende Bambusstege, die auf Sandsäcken liegen, balancieren. Der deutsche TÜV hätte den Laden längst geschlossen.

Gut, dass der hier nichts zu sagen hat, es wäre zu schade, wenn man hier nicht durchstreifen könnte. Manche Räume sind klein und eng, dann wieder tun sich Kathedralengroße Hallen auf, in denen Stalagniten und Stalagtiten in jeder Größe zu bewundern sind, glitzernde Mineralablagerungen, die wie Wasserfälle aussehen. Dazwischen bizarre Felsskulpturen. Eine sieht aus wie ein Krokodil, daneben hockt eine steinerne Schildkröte.

Man muss dicht bei den Führern bleiben, denn es ist wirklich stockdunkel. Aber der Geruch des verbrannten Petroleums ist ziemlich intensiv und etwas übelkeiterzeugend. Nach einer Weile steigen wir am Fluss auf lange, schmale Bambusflöße, je vier Personen und die beiden Führer, die das Floß fahren. Es ist ein toller Anblick, all die Boote auf dem dunklen Fluss mit den schwankenden Lichtpunkten der Laternen still durch die Höhlen fahren zu sehen. Ein bisschen wie im Märchen.

Im Wasser tummeln sich große, graue Fische und oben kreischen hunderte von Fledermäusen. Wir fahren bis zu einem Ausgang der Höhle, der sich plötzlich strahlend im Sonnenschein präsentiert. Aber noch ist die Tour nicht zu Ende, von hier aus geht es weiter in einen anderen Teil der ca 600 Meter langen Höhle. Hier wurden Artefakte gefunden. Holzsarkophage, die mindestens 800 bis 1000 Jahre alt sind und hier einfach so herumliegen, ungesichert, ungeschützt. Und ein paar 2-3000 Jahre alte Höhlenmalereien gibt es hier auch.

Die lange Fahrt hat sich gelohnt, es ist wirklich beeindruckend. Wieder an der Oberfläche, werden wir mit Mittagessen Thai-Style in einem offenen, sehr rustikalen Lokal unter Bäumen versorgt. Und schon geht es weiter, wir haben noch einiges vor bis Sonnenuntergang.

Nächstes Ziel: Der Wasserfall Mor Paeng. Der wahre Preis für diese Entdeckungen sind nicht die 12 Euro, die der Ganztagesausflug mit Essen und Nationalparksgebühren alles ein allem kostet, sondern die langen Schaukelfahrten von Ort zu Ort. Aber ich hätte auch keine Lust, das alles selbst abzufahren auf den durchaus sehr befahrenen aanstrengenden Bergstraßen.

Der Wasserfall ist einer der eher sanften Art, der sich über einen breiten, abgeflachten Felsen in ein Bassin ergießt. Schön anzusehen, aber nichts so besonderes. Immerhin eine erfrischende Pause.

Weiter geht es zu den Hotsprings. Genau genommen, einer davon, um Pai gibt es nämlich mehrere Thermalquellen. Und einige verlangen 300 Baht Eintritt. Nicht so diese. Bei Sai Ngam fließt das aus dem Boden kommende warme Quelwassee in einen Fluss, der sich zu einem breiten naturbelassenen Badebecken unter Bäumen verbreitert. Besonders heiß ist das Wasser hier allerdings nicht, eher angenehm warm. An anderer Stelle sollen sie bis zum 80 Grand heiss aus dem Boden kommen.

Badepause, entspannen. Ich habe mir extra ein riesiges wasserfestes Pflaster für meinen Arm besorgt, das Baden lasse ich mir hier nicht entgehen. Inzwischen bin ich übrigens eher bunt als blau im Gesicht, und in meinem linken Auge ist sogar wieder eine normale Iris vor inzwischen blassrotem Hintergrund auszumachen. Alles wird gut.

Letztes Ziel für heute: der berühmte Pai Canyon. Wir sind rechtzeitig vor Sonnenuntergang da und können in Ruhe vorher noch ein bisschen herumlaufen und staunen. Es ist unglaublich schön: gelber Lehmboden, tiefe Abbrüche, auch auf dem Weg schlängeln sich tiefe Spalten auf dem Hochplateau, bizzare Felsformationen und rötlich schimmernde steile Felswände. Einfach wunderschön!

Allerdings bleibt mir ein großer Teil der Pfade auf dem Kamm verschlossen, denn dahin gelangt man nur über aberwitzig schmale, glatte und völlig ungesicherte Pfade – rechts und links der Abgrund. Und so bleibe ich, leise weinend, mit meiner Höhenangst und all denen, die dasselbe Problem haben, auf dem uns zugänglichen Teil zurück. Ich kann nicht glauben, dass hier noch keiner abgestürzt sein soll. Es sieht unglaublich gefährlich aus!

Trotzdem, ich genieße diesen großartigen Ausblick und das strahlend orange Licht des Sonnenuntergangs! Einziger Minuspunkt: viel zu viel Leute! Es ist die Sensation hier und viele kommen mit dem Roller aus Pai für diesen Augenblick.

Neun spannende Stunden sind vorbei und ich lasse mich im Ort absetzen, um wieder auf der Walking Street zu schlemmen. Diesmal entdecke ich leckere süße, gegrillte schwarze Klebreisfladen mit Sesam gefüllt, zubereitet von zwei bis auf die Augenschlitze tief verschleierten Frauen. Es gibt hier einige Muslime, viele sind irgendwann aus Burma hierher geflüchtet. Aber hier geht das Nebeneinander von Muslimen, Buddisten und Hindus ganz gut, wenngleich man auch lieber unter sich bleibt.

Zwischen meinen einzelnen Gängen suche ich verzweifelt Veranstalter von Trekkingtouren. Denn das wünsche ich mir für Tag Zwei. Endlich finde ich zwei und die telefonieren sogar noch herum, aber das Problem ist, dass es für den nächsten Tag nur meine Anmeldung gibt und mit einer Person machen sie das nicht. Und dabei wäre es eine so schöne 6-Stunden-Tour. Zu drei Dörfern der hier lebenden Minderheiten, den Lisu, den Lahu und den Karen. Und zum Schluss noch einen Wasserfall zum Baden.

Ich weine fast vor Enttäuschung, aber das hilft nichts. Immerhin tue ich dem Veranstalter, selbst ein Karen, leid genug, dass er mich für 50 Baht mit dem Roller durch die Nacht nach Hause fährt. Noch ein Kummerbier auf meiner nächtlichen Terrasse und dann schön warm einrollen….9

11. Auf in die Berge

Mein nächtliches Stopover in Chiang Mai war nicht die Freude, die ich bei der Fahrt vom Flughafen in die Altstadt empfunden habe, als ich meine Lieblingsstadt in Thailand  wiedergesehen habe. Hätte ich lieber in meinen Lonely Planet geschaut, der mich in Übernachtungsfragen meist gut beraten hat, als booking.com zu vertrauen. Das Hotel Top North Guesthouse in der Altstadt entpuppt sich als wahrer Fehlschlag.

Das Zimmer ist nicht nur schlicht und alt, sondern mit Sperrmüll möbliert, ranzig, schmutzig und überhaupt….Lediglich die Laken sind wenigstens sauber. Ich bin wirklich frustriert. Ich brauche keinen Luxus, aber das geht gar nicht. Aber es ist Mitternacht, das Zimmer ist bezahlt, was soll ich machen. Eine Nacht wirdś gehen. Denke ich.

Falsch gedacht. An der Rückfront des Hotels ist ein großer Parkplatz auf einer Brache und da feiert offenbar die illegale Partyszene eine spontane Sause. Mit Autos, lauter Musik und viel Alkohol. Der Lärm ist ohrenbetäubend, die Fenster von meinem Zimmer sind kaputt und lassen sich nicht schließen. Neben und über mir kommen noch Geräusche dazu, die man lieber nicht hören möchte. Immerhin schaffe ich ein Nickerchen von fünf bis halb sieben….

Einerseits denke ich nach dem Aufwachen gerädert: Bloß weg hier, andererseits muss ich erstmal meine schlechte Laune loswerden. Also mache ich einen ausgedehnten morgendlichen Spaziergang  durch die angrenzenden Straßen und Gassen, frühstücke in Ruhe und fühle mich gleich besser.

Ich versuche, an einer Rezeption ein Busticket nach Pai zu kaufen. Pai? Da ist gerade Hauptsaison, da fahren stündlich zwar mehrere Busse ab, aber bis zum Nachmittag ist nichts mehr zu machen, alles ausgebucht, sagt man der freundlichen Dame per Telefon am Busbahnhof. Sie rät mir, ich solle schnell für einen noch freien Nachmittagsbus buchen. Aber ich bin bockig. In Thailand, habe ich gelernt, ist eine Antwort nicht unbedingt eine Antwort.

Gegen alle Ratschläge hole ich mein Gepäck und suche mir ein Sammeltaxi zu einem vernünftigen Preis. Ich will es am Busbahnhof selbst hören, dass nichts geht! Und siehe da, eine halbe Stunde später habe ich einen Platz in einem der Minibusse, die als kleines Geschwader stündlich gen Pai schwirren.

Drei Stunden etwa soll die Fahrt dauern. Nach über einer halben Stunde sind wir immer noch in Chiang Mai, obwohl ich dachte, dass der Busbahnhof bereits am Stadtrand läge. Die Stadt ist viel größer, als ich dachte. Schöne Mittelklasse-Wohnviertel mit gemütlichen, baumbestandenen Straßen wechseln sich mit ärmlichen Hüttenvierteln und Gewerbegebieten ab. Dann plötzlich fahren wir an einem Gebiet vorbei, wo viele Schulen ihren Campus haben – so ein reines Schulviertel habe ich noch nie gesehen. Quasi auch eine Galerie für den Regenten, denn jede Schule hat natürlich ein eigenes, riesiges Königsbild mit dem goldgewandeten neuen König.

Dann endlich lassen wir die Stadt hinter uns. Die Straßen steigen an und winden sich in die Berge. Es ist wirklich schön  aus dem Fenster zu schauen – und empfehlenswert, denn es geht um sehr viele Kurven… Nach knapp zwei Stunden durch dichten Wald, vorbei an einigen an einigen Felder am Hang, wo vor allem Gemüse und Erdbeeren mitten im Urwald bestens gedeihen, macht unser Tross eine Pause an einer Raststätte.

Die leckersten Sachen lachen einen hier an, von kompletten Gerichten, über Gegrilltes von Schwein bis Banane, geschnittenenes oder getrocknetes Obst, Nüsse, Snacks – und es gibt sogar guten Kaffee. Irgendwie kann keiner widerstehen, ich sehe alle glücklich kauen. Ich probiere einen Hefekloß mit schwarzer Sesampaste gefüllt und zwei Grillfleischspieße. Zum Glück nicht mehr.

Denn jetzt geht der Spaß erst richtig los. Hatte ich eben noch gedacht, dass dies eine extrem kurvenreiche Strecke sei, dann lerne ich jetzt, dass es für alles eine Steigerung gibt. Eine einspurige Straße windet sich von steil bis sehr steil ins Gebirge und es gibt nicht mehr nur viele Kurven, sondern eine Kurve geht in die nächste über, viele in einem Winkel von bis zu 350 Grad, gerade Abschnitte gibt es nicht für fünfzig Meter. Das ist wie Kosmonautentraining! Die munteren jungen Engländer hinten haben sich ordentlich den Bauch vollgeschlagen und leiden jetzt still, konzentriert und leicht grün. Der Bus vor uns bremst plötzlich und gleich zwei Passagiere stürzen an die Böschung und übergeben sich. Zum Glück sitze ich ganz vorn, da lässt sich die Karrusselfahrt besser ertragen.

Die Fahrt, die übrigens auf den 150 Kilometern über 1000 Kurven haben soll, ist zwar ein echtes Härtetraining, aber dafür belohnt sie die Starken unter uns mit wirklich atemberaubenden Bergpanoramen, die weit, sanft und gewaltig zugleich sind! Wunderschön! Immer wieder blickt man durch die vorbeirauschenden hohen Bäume, die sich mit Bananenstauden den Platz im Urwald teilen, auf neue sonnenbeschienene Bergzüge.

Pai gehört zur Provinz Mae Hong Son und liegt im Nationalpark Huai Nam Dang an der burmesischen Grenze. Wir müssen eine fest installierte Militärkontrolle über uns ergehen lassen, wo zwar keine Pässe kontrolliert werden, wohl aber ein Soldat streng jeden Einzelnen mustert. Keine Ahnung, was das soll.

Nach gefühlten sieben Stunden Kettenkarussell sind wir endlich da.  Ich bin geschafft und nehme erstmal gar nicht allzuviel war, als eine lange, geschäftige Straße mit niedrigen Häusern und unendlich vielen Geschäften und Restaurants. Am winzigen Busbahnhof ist Gewusel und ich schnappe mir nach kurzen Verhandlungen ein Taxi – ich will nur noch ankommen. Hoffentlich nicht wieder ein Reinfall…

Aber diesmal habe ich es gut getroffen. Mein Guesthouse Pai Propeang liegt zwar ca 2 km außerhalb, ist aber dafür sehr schön ruhig mit viel Natur drumherum. Grün, Bäume, blühende Büsche, leuchtend pinkfarbene Bougainvillea, ein  überdachtes hölzernes Sonnendeck am Flüsschen und kuschelige Holzbungalows, jeder mit einer kleinen Terrasse. Und eine sehr nette Besitzerin. Und durch Bäume, an Bnanenstauden vorbei – geht der Blick wieder auf das grandiose Panorama. Ein Platz zum Wohlfühlen. Ich bin jetzt schon sicher, es war eine gute Entscheidung hier herzukommen. Aber das werde ich natürlich nach einem Päuschen noch genauer untersuchen.

Eine Stunde vor Sonnenuntergang mache ich mich auf den Weg Eine Landstraße mit einigen angelagerten Guesthouses und Restaurants, aber noch viel Natur dazwischen führt nach Pai. Sogar Kühe stehen hier noch auf einem Feld. Eine Brücke über den Fluß, nachdem Pai benannt ist, bildet die Stadtgrenze. Je näher man ihr kommt, desto größer die Hotel- und Backpacker-Hostel-Dichte.

Pai ist flach. Nicht weil der Ort selbst hier oben auf dem Bergrücken auch flach ist, sondern von Eindruck her: ein Haus mit zwei Stockwerken ist hoch. Der Tourismus hat das wohl ehemals verschlafene Bergdorf überrollt. Der Lonely Planet, der bezüglich Koh Kood etwas sparsam informiert hat, hat Pai dafür umso genauer getroffen: Ein Partybeach ohne Meer. Hier drängeln sich alte und junge Hippies, Partypeople, Yoga- und Weizengras-Anhänger aus aller Welt und: Thaituristen. Pai soll einer der liebsten Ferienorte der Thais sein. Und das merkt man auch.

Mitten durch den Ort führt die Walking Street. Theoretisch eine Art Marktstraße für Fußgänger, was aber nicht bedeutet, das sich nicht trotzdem immer wieder Autos und Roller durch die Fußgänger drängeln. Seltsamerweise passiert aber nichts dabei.

Am Tage relativ ruhig, erwacht die Straße am späten Nachmittag zu Leben, unzählige Stände werden aufgebaut, Grills angezündet – selbst in den Eingängen vor Klamottenläden, der Rauch zieht dann so richtig schön in die Kleiderständer. Und dann wird gekocht, gebrutzelt, geschnippelt, und was sonst noch alles getan werden kann, um jede erdenkliche Art von Essen und Getränken herzustellen. Es ist sowas von….animierend. Eine solche frische, oft raffiniert präsentierte Vielfalt von Leckereien, dass ich – ich nehmś vorweg – mich jeden Abend überfressen habe.

Diese Straße erinnert mich – auf eine gehobene Weise – an die Bourbonstreet in New Orleans. Jede Menge Bars und Restaurants mit live-Musik (die nicht immer nur schön ist!) werben um feierwütiges Publikum, die meisten Menschen ziehen aufgedreht und auf der Suche nach Abenteuer durch die Straßen. Wie gesagt, dies hier ist nicht Amerika, aber es hat ein bisschen was davon. Während ich aber die Bourbonstreet immer gemieden habe, macht die Walking Street noch Spaß, auch wenn es am Abend wirklich etwas zu voll ist. Aber das, was angeboten wird, kann man wirklich als „The Art of Streetfood“ beschreiben.

Vollgestopft mache ich mich auf den nächtlichen Weg in mein Domizil, inzwischen ist die Temperatur merklich gefallen, ich ziehe sogar eine Strickjacke über, die ich hier erst einmal in der kalten Inselnacht gebraucht habe. Über Nacht stürzen die Grade dann sogar noch auf mickrige zehn Grad ab, und das mit dichtem Nebel. Das ist aber hier ganz typisch. Alle haben dicke Jacken dabei, die Einheimischen tragen sogar Pudelmützen.

Ich verkrieche mich in meine Extradecke eingerollt unter das doppelt gefaltete Deckbett und finde es immer noch frisch. Und das in Thailand ! Aber ich will nicht meckern…ich wundere mich nur.