Die Zeit wird knapp, viel bleibt uns nicht mehr. Aber auch, wenn wir die letzten drei Tage eher dem Müßiggang gefrönt haben und einfach nur den Luxus des Sommers im November genossen, gab es die eine oder andere kleinere Entdeckungsreise. Ob im Laufschritt (siehe runners special 3) oder per Fahrrad oder Auto. Nach dem unabdingbaren täglichen Strandbesuch am frühen Nachmittag haben wir uns im Hotel Fahrräder geschnappt und sind damit in den Ort Hollywood landeinwärts gefahren. Dahin, wo die Menschen leben und nicht nur urlauben wie hier am Strand.
War sehr lustig: es sind solche kleinen, stabilen Klapperkisten mit großen, nach hinten gebogenen Lenkern, wie man sie aus amerikanischen Filmen kennt, wenn die wilden Boys damit `rumkurven. Irgendwie komme ich mir so vor, als ob ich jetzt auch mitspielen darf. Und gleich ein bisschen einheimischer. Mal ohne Auto. Und wie sich zeigt, ist Hollywood, zumindest der Teil, durch den wir düsen, auch ein angenehmer Ort. Und er hat sogar eine erkennbare Stadtstruktur! Hübsche, palmenbestandene Wohnviertel mit Einfamilienhäusern, die sogar eine richtige Nachbarschaft bilden. Die meisten haben Gärten, Bänke vor der Tür oder auf der Terasse. Und man sieht sogar ein paar Menschen, die mit dem Hund spazieren gehen, laufen oder die riesigen trockenen Palmwedel der Königspalmen wegschleifen, die abgefallen sind. Und siehe da, man winkt uns sogar hin und wieder freundlich zu! Im Zentrum gibt´s einen großen runden Platz mit ein paar hohen Appartmenthäusern drumherum und dahinter ein kleines Straßenkarree mit vielen Restaurants und kleinen Läden. Endlich kommt mal wieder das Gefühl auf, in einem richtigen Ort zu sein. Vom warmen Sommerabendwind umweht, radeln wir, nach einem Stopp im örtlichen Supermarkt, dem Sonnenuntergang entgegen. Unterwegs staunen wir noch ein paar Mal, wie sich einige Vorgärten bei schwindendem Tageslicht plötzlich mit Hilfe unzähliger Lichterketten und leuchtender Fabelwesen in glitzernde Weihnachtsinseln verwandeln. Die Fahne fehlt selten in mitten des Festtagsschmuckes.
Bei der Überlegung wie wir unsere letzte Nacht einläuten, sind wir uns sehr schnell einig: ein Ausflug nach Miami muss dann doch noch sein. Aber wir wären nicht wir, wenn der nicht ganz anders aussehen würde als man erwarten sollte. Nein, nicht der glitzernde, bekannte Teil der südlichsten Metropole der USA ist unser Ziel, sondern eine Ecke, wo es erstens nichts wirklich zu sehen gibt und sich außerdem die meisten Fremden gar nicht hintrauen, weil der Gegend der Ruf der Gefahr vorauseilt: Little Havanna, das kubanische Viertel. Nach einem Blick auf den verwirrenden Stadtplan setzen wir uns ins Auto und düsen mal eben 23 Meilen quer durch den Großraum Miami zum Abendessen. Den größten Teil der Strecke fahren wir einen 14spurigen Highway Richtung Süden. Als wir in Höhe downtown Miami sind, ist der Eindruck wirklich überwältigend: eine bunt strahlende, weiltäufige und beeindruckende Skyline mit den verrücktesten Formen von Horizont zu Horizont. Eine, zumindest aus dieser nächtlichen, etwas abgehobenen Perspektive, glitzernde und faszinierende Metropole. Aber rechts des Highways breitet sich eine andere Welt aus: Little Havanna, die Welt der Exilkubaner und anderer Latinos: ein- bis zweistöckige Häuser, auch nicht mehr beleuchtet als Tempelhof bei Nacht.
Wir waren das letzte Mal vor 13 Jahren hier, aber am Ende drehen wir in Little Havanna doch noch einige Ehrenrunden durch das Einbahnstraßenlabyrinth des weitläufigen Viertels, auf der Suche nach der Calle Ocho, bzw dem Teil der Zentralstraße des Viertels, in dem sich die Restaurants befinden. Auf langen Abschnitten der Straße reihen sich Geschäfte und Banken aneinander, die abends geschlossen sind, so dass es dort jetzt dunkel und ausgestorben ist. Und andere Teile sind ziemlich heruntergekommen und gelegentlich von etwas gruseligen Gestalten bevölkert. Das Restaurant, das wir damals entdeckt hatten, scheint es nicht mehr zu geben. Wir fürchten schon, dass unsere Tour de Force quer durch die Stadt von Misserfolg gekrönt ist, als wir am anderen Ende der meilenlangen Calle Ocho doch noch zwei Restaurants entdecken, die für uns betretbar sind. Das erste groß, hell und chic, das andere wirkt von weitem eher etwas – einfacher. Wir entscheiden uns dafür. Eine gute Entscheidung, wie sich zeigt, denn es ist vollgestopft mit Kubanern und augenscheinlich das Authentische von Beiden. Relativ gemütlich, ein bisschen in die Jahre gekommen. Die Tagesempfehlungen sind leider bereits restlos ausverkauft. Aber wir bekommen wunderbares Ceviche (roher in Zitronen-Koriander-Marinade eingelegter Fisch) und Avocado-Salat als Vorspeise, danach ein leckeres Hühnchengericht und frittiertes Schweinefleisch mit Kochbananen und gelbem Reis. Mehr paßt nicht rein, außer den Mojitos… Die Leute sind sehr angenehm, genau wie die ganze Atmosphäre. Wir sind eben doch eher latinofixiert! Ich bin glücklich mit all dem Spanisch um mich herum und fühl mich gleich ein bisschen mehr zu Hause. Keine Frage, Mentalität und Kultur liegen mir eindeutig mehr als das Amerikanische (New Orleans immer noch ausgenommen). Dennoch habe ich sonst generell meine Probleme mit den Exilkubanern hier. Sie sind die erzkonservative, prokapitalistische Fraktion, die Kuba verlassen hat, um sich dem amerikanischen System anzubiedern, das Kuba seit vielen Jahren mit seinem Embargo bluten läßt. Aber das lasse ich heute Abend mal beiseite. Wir fühlen uns prima. Und vor der Abfahrt kaufen wir uns an der Verkaufsluke hinter dem Haus noch zwei Café cubano zum mitnehmen. Wir haben ja eine Mikrowelle…und morgen früh ordentlichen Kaffee vor dem Laufen…
Für die Rückfahrt wählt Miki den Umweg durch die Stadt, am Hafen vorbei, dem bekannten Biscayne Boulevard entlang zum historischen Art deco- Viertel, wo das Nachtleben tobt. Grell, bunt, laut, die durch unzählige Fotos und Bildbände bekannten Hotels und Restaurants erstrahlen in allen nur denkbaren Neonfarben. Es ist toll anzusehen, aber wohnen möchte ich hier in der Nähe wirklich nicht. So erweisen wir am letzten Abend doch noch Miami unseren Gruß bevor wir totmüde in unser schönes, ruhiges Hotelbett fallen.
Tja, inzwischen sitzen wir 11 km Höhe über dem Atlantik im Flugzeug, das uns dem Alltag und dem deutschen Winter entgegenbringt. Rund 2500 Meilen USA liegen hinter uns, viele Eindrücke, Erlebnisse und Erinnerungen. Hier, im Niemandsland über den Wolken, geht mir vieles durch den Kopf. Und eins ist schon jetzt ganz klar als Fazit dieser drei Wochen on the road: Die USA sind für mich immer mal wieder ein spannendes Reiseziel. Vor allem die unglaublichen Landschaften, die dieses Riesenland zu bieten hat, die großartige, fremde Natur, die es so in Europa nicht gibt, dieses Gefühl von Weite, die werden immer wieder eine Faszination für mich haben. Und einige wenige Städte auch, aber nicht allzu viele. Ein Teil meiner Seele wohnt immer noch in New Orleans. Aber ansonsten gibt es hier sehr, sehr vieles, was mich irritiert und sogar abstößt. Der american way of life ist mir fremd und wird es mir immer bleiben. Jedesmal fühle ich mich hier mehr als Europäer. Und ich hoffe inständig, dass sich Europa und unsere Gesellschaft in Deutschland nicht immer mehr dem Modell Amerika angleicht. Es ist schade, dass unsere spannende Reise zu Ende ist, aber ich freue mich auf Europa. Wäre nur für Berlin nicht Schneeregen angekündigt und ich könnte ein bisschen Florida-Sonne mitnehmen. Und eine Palme vielleicht ….