16 Bye Bye Hollywood – Endstation Miami

Die Zeit wird knapp, viel bleibt uns nicht mehr. Aber auch, wenn wir die letzten drei Tage eher dem Müßiggang gefrönt haben und einfach nur den Luxus des Sommers im November genossen, gab es die eine oder andere kleinere Entdeckungsreise. Ob im Laufschritt (siehe runners special 3) oder per Fahrrad oder Auto. Nach dem unabdingbaren täglichen Strandbesuch am frühen Nachmittag haben wir uns im Hotel Fahrräder geschnappt und sind damit in den Ort Hollywood landeinwärts gefahren. Dahin, wo die Menschen leben und nicht nur urlauben wie hier am Strand.

War sehr lustig: es sind solche kleinen, stabilen Klapperkisten mit großen, nach hinten gebogenen Lenkern, wie man sie aus amerikanischen Filmen kennt, wenn die wilden Boys damit `rumkurven. Irgendwie komme ich mir so vor, als ob ich jetzt auch mitspielen darf. Und gleich ein bisschen einheimischer. Mal ohne Auto. Und wie sich zeigt, ist Hollywood, zumindest der Teil, durch den wir düsen, auch ein angenehmer Ort. Und er hat sogar eine erkennbare Stadtstruktur! Hübsche, palmenbestandene Wohnviertel mit Einfamilienhäusern, die sogar eine richtige Nachbarschaft bilden. Die meisten haben Gärten, Bänke vor der Tür oder auf der Terasse. Und man sieht sogar ein paar Menschen, die mit dem Hund spazieren gehen, laufen oder die riesigen trockenen Palmwedel der Königspalmen wegschleifen, die abgefallen sind. Und siehe da, man winkt uns sogar hin und wieder freundlich zu! Im Zentrum gibt´s einen großen runden Platz mit ein paar hohen Appartmenthäusern drumherum und dahinter ein kleines Straßenkarree mit vielen Restaurants und kleinen Läden. Endlich kommt mal wieder das Gefühl auf, in einem richtigen Ort zu sein. Vom warmen Sommerabendwind umweht, radeln wir, nach einem Stopp im örtlichen Supermarkt, dem Sonnenuntergang entgegen. Unterwegs staunen wir noch ein paar Mal, wie sich einige Vorgärten bei schwindendem Tageslicht plötzlich mit Hilfe unzähliger Lichterketten und leuchtender Fabelwesen in glitzernde Weihnachtsinseln verwandeln. Die Fahne fehlt selten in mitten des Festtagsschmuckes.

Bei der Überlegung wie wir unsere letzte Nacht einläuten, sind wir uns sehr schnell einig: ein Ausflug nach Miami muss dann doch noch sein. Aber wir wären nicht wir, wenn der nicht ganz anders aussehen würde als man erwarten sollte. Nein, nicht der glitzernde, bekannte Teil der südlichsten Metropole der USA ist unser Ziel, sondern eine Ecke, wo es erstens nichts wirklich zu sehen gibt und sich außerdem die meisten Fremden gar nicht hintrauen, weil der Gegend der Ruf der Gefahr vorauseilt: Little Havanna, das kubanische Viertel. Nach einem Blick auf den verwirrenden Stadtplan setzen wir uns ins Auto und düsen mal eben 23 Meilen quer durch den Großraum Miami zum Abendessen. Den größten Teil der Strecke fahren wir einen 14spurigen Highway Richtung Süden. Als wir in Höhe downtown Miami sind, ist der Eindruck wirklich überwältigend: eine bunt strahlende, weiltäufige und beeindruckende Skyline mit den verrücktesten Formen von Horizont zu Horizont. Eine, zumindest aus dieser nächtlichen, etwas abgehobenen Perspektive, glitzernde und faszinierende Metropole. Aber rechts des Highways breitet sich eine andere Welt aus: Little Havanna, die Welt der Exilkubaner und anderer Latinos: ein- bis zweistöckige Häuser, auch nicht mehr beleuchtet als Tempelhof bei Nacht.

Wir waren das letzte Mal vor 13 Jahren hier, aber am Ende drehen wir in Little Havanna doch noch einige Ehrenrunden durch das Einbahnstraßenlabyrinth des weitläufigen Viertels, auf der Suche nach der Calle Ocho, bzw dem Teil der Zentralstraße des Viertels, in dem sich die Restaurants befinden. Auf langen Abschnitten der Straße reihen sich Geschäfte und Banken aneinander, die abends geschlossen sind, so dass es dort jetzt dunkel und ausgestorben ist. Und andere Teile sind ziemlich heruntergekommen und gelegentlich von etwas gruseligen Gestalten bevölkert. Das Restaurant, das wir damals entdeckt hatten, scheint es nicht mehr zu geben. Wir fürchten schon, dass unsere Tour de Force quer durch die Stadt von Misserfolg gekrönt ist, als wir am anderen Ende der meilenlangen Calle Ocho doch noch zwei Restaurants entdecken, die für uns betretbar sind. Das erste groß, hell und chic, das andere wirkt von weitem eher etwas – einfacher. Wir entscheiden uns dafür. Eine gute Entscheidung, wie sich zeigt, denn es ist vollgestopft mit Kubanern und augenscheinlich das Authentische von Beiden. Relativ gemütlich, ein bisschen in die Jahre gekommen. Die Tagesempfehlungen sind leider bereits restlos ausverkauft. Aber wir bekommen wunderbares Ceviche (roher in Zitronen-Koriander-Marinade eingelegter Fisch) und Avocado-Salat als Vorspeise, danach ein leckeres Hühnchengericht und frittiertes Schweinefleisch mit Kochbananen und gelbem Reis. Mehr paßt nicht rein, außer den Mojitos… Die Leute sind sehr angenehm, genau wie die ganze Atmosphäre. Wir sind eben doch eher latinofixiert! Ich bin glücklich mit all dem Spanisch um mich herum und fühl mich gleich ein bisschen mehr zu Hause. Keine Frage, Mentalität und Kultur liegen mir eindeutig mehr als das Amerikanische (New Orleans immer noch ausgenommen). Dennoch habe ich sonst generell meine Probleme mit den Exilkubanern hier. Sie sind die erzkonservative, prokapitalistische Fraktion, die Kuba verlassen hat, um sich dem amerikanischen System anzubiedern, das Kuba seit vielen Jahren mit seinem Embargo bluten läßt. Aber das lasse ich heute Abend mal beiseite. Wir fühlen uns prima. Und vor der Abfahrt kaufen wir uns an der Verkaufsluke hinter dem Haus noch zwei Café cubano zum mitnehmen. Wir haben ja eine Mikrowelle…und morgen früh ordentlichen Kaffee vor dem Laufen…

Für die Rückfahrt wählt Miki den Umweg durch die Stadt, am Hafen vorbei, dem bekannten Biscayne Boulevard entlang zum historischen Art deco- Viertel, wo das Nachtleben tobt. Grell, bunt, laut, die durch unzählige Fotos und Bildbände bekannten Hotels und Restaurants erstrahlen in allen nur denkbaren Neonfarben. Es ist toll anzusehen, aber wohnen möchte ich hier in der Nähe wirklich nicht. So erweisen wir am letzten Abend doch noch Miami unseren Gruß bevor wir totmüde in unser schönes, ruhiges Hotelbett fallen.

Tja, inzwischen sitzen wir 11 km Höhe über dem Atlantik im Flugzeug, das uns dem Alltag und dem deutschen Winter entgegenbringt. Rund 2500 Meilen USA liegen hinter uns, viele Eindrücke, Erlebnisse und Erinnerungen. Hier, im Niemandsland über den Wolken, geht mir vieles durch den Kopf. Und eins ist schon jetzt ganz klar als Fazit dieser drei Wochen on the road: Die USA sind für mich immer mal wieder ein spannendes Reiseziel. Vor allem die unglaublichen Landschaften, die dieses Riesenland zu bieten hat, die großartige, fremde Natur, die es so in Europa nicht gibt, dieses Gefühl von Weite, die werden immer wieder eine Faszination für mich haben. Und einige wenige Städte auch, aber nicht allzu viele. Ein Teil meiner Seele wohnt immer noch in New Orleans. Aber ansonsten gibt es hier sehr, sehr vieles, was mich irritiert und sogar abstößt. Der american way of life ist mir fremd und wird es mir immer bleiben. Jedesmal fühle ich mich hier mehr als Europäer. Und ich hoffe inständig, dass sich Europa und unsere Gesellschaft in Deutschland nicht immer mehr dem Modell Amerika angleicht. Es ist schade, dass unsere spannende Reise zu Ende ist, aber ich freue mich auf Europa. Wäre nur für Berlin nicht Schneeregen angekündigt und ich könnte ein bisschen Florida-Sonne mitnehmen. Und eine Palme vielleicht ….

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12 Florida Westcoast

Clearwater, Florida, Westcoast. Welthauptquartier der Scientology-Sekte. Und ansonsten eine von vielen größeren amerikanischen Städten – will sagen, nichts besonderes. Das Stadtgebiet geht nahtlos über in das südlich gelegene Saint Petersburg und Tampa, auf der anderen Seite der Bucht. So gesehen eine Stadt ohne Ende oder ohne Grenzen, wie man lieber will. Jede der drei Städte hat eine downtown mit ein paar obligatorischen Wolkenkratzern und endlose Wohn-und Gewerbegebiete. Und wenn ich hier schreibe „endlos“, dann wissen wieder nur Menschen mit Amerikaerfahrung, die über New York hinausgeht, von welchen Dimensionen ich da rede.

Ok, Amerika ist ein großes Land und man kann sich leisten, großzügig und großräumig zu bauen. Aber so weitäufig, dass letztendlich große Bereiche des Landes völlig zersiedelt sind und man Stunden braucht, um in einer Durchschnittsgroßstadt von A nach B zu kommen, das ist irgendwie absurd und macht in meinen Augen wenig Sinn. Es lässt nirgends das europäische Gefühl von Ortschaft oder Stadt aufkommen. Beim ersten und zweiten Mal hier fand ich das ja zumindest noch kurios und „boah eh“, aber inzwischen finde ich es nur noch anstrengend und totlangweilig, Weil es da auch einfach nichts zu sehen gibt ausser weitläufigen Gebäuden, Parkplätzen und wieder Gebäuden. Dazwischen – nichts. Bei vielen dieser Städte gibt es nicht mal ein Stadtzentrum. Alles wirkt so isoliert, bezugslos.

Clearwater vorgelagert ist eine lange Halbinsel: Clearwater Beach. Eine lange Straße führt von einem Ende zu anderen, hier sind überwiegend kleinere Häuser, oft sogar Einfamilienhäuser, aber auch ein paar große Hotels und Appartmenthäuser. Das sieht schon alles etwas netter aus. Und hier gibt es auch endlich mal mehr als ein kleineres Restaurant, man kann sogar draußen sitzen, sehr erfreut. Nach unserer Nacht im Gruselkabinett genießen wir ein üppiges Frühstück in einem solchen Restaurantgarten und fühlen uns gleich besser. Wir fahren ein bisschen weiter und genehmigen uns zwei entspannte Stunden am Strand. Das Wetter ist herrlich, 24 Grad und ein frisches Windchen. Aber einige hier tun so, als ob gleich der Winter ausbricht und sitzen mit Anoraks und Wolldecken in der Sonne. Wir in Badesachen. Ich mache einen schönen Strandspaziergang, Miki lieber ein Nickerchen in den Mini-Dünen. Es gibt so tolle Muscheln hier! Auch weiße und schwarze Korallenstücke liegen im Sand. Das Wasser des Golfs ist ziemlich herbstlich frisch, aber wir sind uns natürlich unserer Verantwortung gegenüber unseren im nebligen Berlin frierenden Landsleuten bewußt, und gehen –als Einzige- baden, auch wenn´s erstmal eine kleine Überwindung ist. Aber einmal im Wasser, ist es richtig schön und gar nicht so kalt. Das Wasser ist helltürkis und wunderbar klar. Über uns kreisen Möwen und hin und wieder Pelikane. Mit ihrem eingezogenen Hals und dem langen, hohen, aber spitzen Schnabel sehen sie aus wie kleine Kampfjets. Plötzlich saust so ein Kampfflieger schnurstracks auf mich zu. Ich dachte schon, der hält mich für sein Riesen-Sushi, aber letztendlich stürzt er sich ein paar Meter weiter kopfüber in die Fluten und kommt mit einem anderen zappelnden Fisch wieder heraus. Ganz schön groß, diese Pelikane. Und wenn die so dasitzen und einen giftig anstarren, flößt das durchaus Respekt ein.

In einem netten kleinen Café verdrücken wir noch ein reichlich belegtes, gegrilltes Cuban Sandwich und ab geht´s, über die lange imposante Brücke quer über die große Tampa Bay mit Ziel Tampa. Heute ist der Tag nach Thanksgiving, das heißt, das wichtigste Einkaufswochende vor Weihnachten beginnt und zwar mit dem Black Friday. Alle Shopping Malls geben an diesem Tag Superrabatte. Und da wir immer noch heftig unterversorgt mit Hosen und Shirts für die kühlen Abende sind und Miki sowieso nur im Urlaub zum Einkaufen bereit ist, wollen wir noch eben in die International Mall in Tampa. Allerdings stellen wir bald fest, dass die eigentlich nicht so unser Umfeld ist: Gucci, Armani – Guess gehört noch zu den Billigläden. Und wir sehen mit unseren labberigen uralt Klamotten aus wie Penner in diesen Läden. Da aber einige 50-60 Prozent Rabatt geben und wir dringend etwas brauchen, bleiben wir doch und finden sogar ein paar Jeans. Inzwischen ist es 21.30 Uhr. Oh, oh, ich sehe schwarz für ein nettes Abendessen.

Wir hatten vor, ein einfaches, aber supergutes Sushi-Lokal im Norden der Stadt zu suchen, das ich mit meiner Freundin vor…17 Jahren entdeckt habe und wo wir ein paar Jahre später noch einmal, auf Reisen mit unseren Kindern, sehr lecker gegessen haben. Wir düsen quer durch die Stadt – hier kennen wir uns wenigstens noch ein bisschen aus und Miki macht das super. Um zehn nach zehn sind wir da – und es ist tatsächlich noch offen. Es sind aber keine Gäste mehr da und alles ist schon weggeräumt, aber: ein Wunder! Man erinnert sich tatsächlich noch an uns (allzu viele Deutsche hat´s offensichtlich noch nicht hierher verschlagen) und wir dürfen Platz nehmen und bekommen alles, was wir wollen. Es entsteht ein sehr lustiges Gespräch über alte und neue Zeiten mit allen, die hier arbeiten. Wir essen phantastisch und kaufen noch jeder ein witziges T-Shirt, das auch die Staff vom „Ichiban“ trägt: auf dem Rücken steht: Sushiholic. Das passt. Wir sollen es sofort anziehen und alle klatschen und lachen sich halbtot. „Welcome to the club!“ Es ist wirklich ein fröhlicher Tagesabschluss!

Allerdings haben wir noch gute zwei Stunden Fahrt vor uns, denn unser nächstes Ziel und Motel ist Fort Meyers. Um viertel nach eins nachts erreichen wir die Stadt und nach einer angespannten halben Stunde haben wir es sogar (schon!) geschafft, unser Days Inn zu finden. Ein ordentliches sauberes Zimmer!!!! Man sollte nicht glauben, wie glücklich das uns macht, nach drei schmuddeligen Nächten inklusive des letzten Drecklochs! Als wir endlich zur Ruhe kommen ist es halb vier.

Am nächsten Tag steht ein Ausflug nach Sanibel Island auf dem Programm. Diese Insel ist zwar eine von vielen vor der Westküste, aber insofern etwas besonderes, weil sie und die anschließende Nachbarinsel Captiva in Ost-West-Richtung verläuft, während alle anderen von Norden nach Süden ausgerichtet sind. Das hat zur Folge, dass es hier unglaublich viele, und zum Teil seltene Muscheln gibt, angeblich sind nur noch zwei Inseln in Afrika und Asien ähnlich ergiebig. Der größte Teil der Insel ist Naturschutzgebiet, der Rest mit feinen, teuren Villen bebaut, die an der Hauptstrasse stehen, aber größtenteils den Blicken Fremder durch die dichte Vegetation verborgen sind. Hauptsächlich wachsen hier Palmen und Mangroven. Die Strände sind wunderschön und da sie so lang sind, findet man immer auch einsame Plätze. Wir entscheiden uns für Bowmen´s Beach. Am Strandzugang selbst ist es ziemlich voll, aber schon 500m weiter sind kaum noch Leute. Wir haben ein Strandstück ganz für uns allein, nur gelegentlich kommt ein muschelsammelndes Exemplar Mensch vorbei. Es liegen wirklich Millionen von Muscheln am Strand, ein wunderschöner Anblick. Um allerdings besondere Exemplare zu finden, muss man wohl ganz früh kommen, bevor die Heerschaaren von Sammlern alles abgrasen.

Am späteren Nachmittag wird es wie immer zu kühl und wir sehen uns aus dem Auto noch die Nachbarinsel an und trinken einen Kaffee. Aber hier sind die Reichen unter sich, alles ist völlig überteuert (zwei große Espresso kosten 8,60 Dollar).

Da man mit den langen Abenden in Orten wie Fort Myers eigentlich nichts anfangen kann, wollen wir nochmal in eine Outlet-Mall, für die hier geworben wird, wie gesag,t vorallem Mikis Garderobe bedarf dringend einer Verjüngungskur. Wir sehen wohl auf dem mickrigen Stadtplan, dass es eine ganze Ecke zu fahren ist und haben ja auch so unsere Erfahrungen, was Entfernung hier heißt. Aber was wir dannn erleben, ist unglaublich. Alles ist so weitäufig und auswechselbar, dass wir uns völlig verirren, auch fragen hilf nichts, hier kann keiner was erklären. Wir sind letztendlich gut und gern 80km durchs nächtliche Fort Myers gefahren – alles sah gleich aus. Immer dieselben sechsspurigen Straßen ohne Fußwege, keine Fußgänger, ein paarmal dachten wir, die Stadt sei längst zu Ende, weil zwischendurch einfach nur Pampa war. Eine Alptraumstadt! Hier möchte ich niemals wohnen. Man ist völlig isoliert, jeder Restaurantbesuch wird zur Reise. Soziale Begegnungen muß man ausdrücklcih arrangieren, denn Gegenden, wo man sich trifft oder einfach nur herumläuft, gibt es nicht. Die Menschen haben ein Haus, wo sie wohnen, einen Arbeitsplatz und ansonsten sitzen sie im Auto.

Wir wollen eigentlich überhaupt nicht mehr in die Mall, aber wenigstens noch ein passables Restaurant irgendwo finden, bitte, bitte. Aber plötzlich sehen wir die Mall neben dem Highway. Aber was sage ich – es ist keine Mall wie ich sie kenne – ein großer Gebäudekomplex, der ein paar Kaufhäuser und viele Geschäfte beherrbergt- sondern eine ganze Shopping-Stadt! Wir haben sowas noch nie gesehen!! Die untereinander verbundenen Outlet-Tempel inklusive Restaurants und unendliche Parkplätze erstrecken sich auf dem Areal einer deutschen Kleinstadt. Der totale Irrsinn! Eine ganze Stadt nur zum Einkaufen! Das ist der Gipfel einer pervertierten Konsumgesellschaft. Millionen leben in Slums, kaum jemand hat eine Krankenversicherung, Bildung ist Luxus und dann das hier! Für diese Ansicht lasse ich mich gern auch Moralist nennen, ich kann nicht anders. Die Lust am Shopping ist uns eigentlich vergangen. Aber immerhin finden wir ein mexikanisches Restaurant und essen richtig leckere Fajitas! Das rettet den Abend. Danach schaffen wir die knappen 40km Heimweg tatsächlich ohne uns zu verirren. Es soll wirklich keiner sagen, dass wir hier nichts erleben!

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11 On the Road Again: Louisiana – Florida

On the road again –diesmal tagelang, in Etappen, Richtung Miami. Vor drei Tagen haben wir uns von der swinging city verabschiedet, diesmal ist mir der Abschied verdammt schwer gefallen. Aber immerhin hatten wir noch einen richtig schönen letzten Tag. Noch einen kleinen Abschiedslauf mit etwas veränderter Route durch das morgendliche New Orleans, ein leckeres und reichliches Frühstück in Anita´s Grill, eine kleine Bummel- und Einkaufsrunde durch das French Quarter auf der Suche nach Gewürzen und als tröstlicher Abschluß Cajunpasta bei Coop´s. Als die Sonne über der Stadt untergegangen war, haben wir uns in unser großes weißes Auto gesetzt und nach Westen aufgemacht.

Noch einmal für ein paar Stunden links und rechts vorbeifliegende Sümpfe über zwei Staatsgrenzen hinweg: Mississippi und Alabama. Dabei auch die Fahrt durch das Pascagoula-Gebiet. Der Legende nach hört man hier immer noch das Weinen von tausenden Indianern des gleichnamigen Stammes. Sie wurden vom weißen Mann gejagt und besiegt, und um ihm nicht in die Hände zu fallen, hat sich der ganze Stamm in die Sümpfe gestürzt und ist ertrunken. Es ist ein großes, abfallendes Sumpfwaldgebiet, das man vom Highway aus sieht und irgendwie ist das eine ziemlich gruselige Vorstellung. Ansonsten erinnere ich mich von früheren Reisen, dass die Städte an der Strecke, Biloxi, Bay St. Louis und Mobile nicht wirklich viel Sehenswertes zu bieten haben. Bis auf so ein Kriegsschiff in Mobile – das reizt mich nun so gar nicht. Mag ja politisch nicht korrekt sein, aber bei mir kommen im Zusammenhang mit Mississippi und Alabama immer vorallem die Assoziationen Tom Sawyer und Ku Klux Klan…

Rund dreieinhalb Stunden später sind wir in Florida. An der Grenze ist inzwischen ein nagelneues, völlig überdimensioniertes Welcomecenter gebaut worden, allein die Anzahl der Toiletten wäre für mehrere Busladungen gleichzeitig geeignet, der weitäufige Parkplatz ist in Flutlicht getaucht, von bewaffneten Guards bewacht und über allem schwebt auf einer geschwungenen Konstruktion ein blauer „US-Navy“-Kampfjet, daneben die unvermeidliche Sternenflagge. Ich fühl mich eher unwohl bei dem Anblick als beeindruckt. Naja…gleich nebenan in Pensacola ist eine große Militärbasis. Proud to be american…Das völlig ungebrochene Verhältnis zum Militär und seinen heldenhaften Kampfeinsätzen werde ich wohl auch nie verstehen.

Wir übernachten in Pensacola in einem Motel 6, früher ziemlich clean, jetzt ein bisschen abgetakelt. Aber immerhin mit erhebendem Anblick als wir morgens die lichtundurchlässigen Vorhänge öffnen: GOD BLESS AMERICA ( plus Fahne) prangt da auf einer Werbe – Tafel in Größe eine Einfamilienhauses. Dann kann ja nichts mehr schiefgehen. Wir frühstücken im Seville Quarter wie die Altstadt hier heißt (alles relativ, so alt ist sie nun auch nicht). Das Auto darf man nur zwei Stunden parken und Miki überlegt, wie das gehen soll, da wir nirgends Parkscheiben oder-uhren sehen. Da der Sheriff grade neben uns parkt, fragt er nach, ob das ein Problem ist. Und wieder lernen wir was über Hightech-Kontroll-Land: No problem! Da fährt regelmäßig ein Kontrollfahrzeug ´rum und scannt per GPS alle parkenden Autos und weiß somit ganz genau, wer wann wielange wo steht.

Danach fahren wir über eine ca anderhalb Meilen lange Brücke auf die erste der beiden großen vorgelagerten Halbinseln: Gulf Breeze und schließlich über eine zweite Brücke nach Santa Rosa Island, unser Ziel. Das ist endlos lange Insel, die der Küste parrallel vorgelagert ist. Hier gibt es einen der weissesten Strände der Welt. Ganz feiner Sand, der so strahlt, wenn die Sonne scheint, dass es in den Augen blendet und das Kameraobjektiv immer zuzieht. Der östliche Teil der Insel ist Naturschutzgebiet, hier gibt es auch die Ruinen von Fort Pickens. Aber dahin kommen wir diesmal nicht, weil die Durchfahrt dahin plötzlich acht Dollar kostet. So bleiben wir außerhalb des Naturschutzgebietes und fläzen und das erste Mal in diesem Urlaub an den Strand. Schööön, besonders bei der Vorstellung von November in Deutschland! So richtig heiss ist es nicht mehr, es sind um die 23°C und der Wind ist kühl, aber wir genießen es sehr. Am Nachmittag wird es plötzlich schlagartig kühl, das liegt an der Jahreszeit, und so flüchten wir in ein Strand-Restaurant im Zentrum der Insel und lassen uns bei untergehender Sonne mit Blick auf den Golf von Mexiko ein paar frittierte Jumbo-Shrimp schmecken. Allerdings irritiert uns einigermaßen die Beschallung: I´m dreaming of a White Christmas.

Als wir abfahren, haben sich plötzlich Bäume und Palmen in strahlend illuminierte Weihnachtsbäume verwandelt. Verrückt! 500 km liegen vor uns, wir wollen die langen Abende nutzen, um unserem Endziel Miami ein großes Stück näher zu kommen, damit wir an schönen Orten noch in Ruhe einen Stopp einlegen können. Die Universitätsstadt Gainsville im nördlichen Zentralflorida ist unser Ziel. Ich nutze die Zeit, um mit einer Stirnlampe ausgerüstet wie ein Grubenarbeiter, auf dem Beifahrersitz unsere Reisegeschichten aufzuschreiben. So vergehen die Stunden und eine kurz vor Mitternacht segeln wir in unser am selben Tage online gebuchtes Motel 6.

Hunger! Schnell setzen wir uns noch mal ins Auto, lange herumfahren wollen wir nicht, denn in Amerika kann die Suche nach dem, was man Innenstadt nennen könnte schon mal ziemlich schwierig werden. Und da Amerikaner früh essen, haben die vernünftigen Restaurants längst geschlossen, wie wir schnell feststellen. Das ist er also, der Abend ist gekommen, an dem auch wir mit einem Drivethru vorlieb nehmen müssen. Wir entscheiden uns für Checker´s, wegen der netten 50ies-Optik. Ein stirnackiger Manager nimmt unsere Bestellung auf, zwei genervte dicke schwarze Frauen bereiten unser Gourmetmahl zu: eine klatscht mit Gummibehandschuhten Händen Salat und Belag auf das Schwabbelbrot – mit Blick auf die über ihr hängende bildliche Anweisung, wie´s geht, die andere füllt ebenso nach der aufgemahlten Füllmenge Eis/Cola unsren Becker. Klatsch auf die Durchreiche, fertig. Ich erspare Euch unsere glücklich kauenden Gesichter. Zum Glück haben wir noch etwas Tequila im Gepäck, das verhindert schlechte Laune.

Am nächsten Morgen verbringen wir wieder etliche Zeit im Auto, wir wollten eigentlich bei einem wunderbaren Ort Pause machen: dort speisen Süsswasserquellen mitten im Sumpfwald knallig türkise Wasserlöcher, in denen man an einer Stelle sogar baden darf, wenn man Glück hat, schwimmt man neben einer netten, gemütlichen Seekuh. Bei letzten Mal allerdings bin ich dort ahnungslos neben einem großen Alligator geschwommen. Ein paar Typen haben es mir vom Ufer zugerufen, aber das habe ich für einen dämlichen Witz gehalten und bin seelenruhig weitergeschwommen. Am Ufer hat mich Miki dann gefragt, ob ich den fetten Gator gesehen habe… der Schock saß. Da wollen wir hin, weil es wunderschön dort ist. Irgendwo bei Crystal River.

Wir finden es nicht gleich, machen dafür aber erst einen Stopp in einem Schutzgebiet an einem traumhaften, aber gefährlichen See, in dem sich tatsächlich ein riesiger alter Alligator sonnt. Aus sicherer Entfernung beobachtet von einem blue heron, einem Reiher. Anschließend hängen wir noch einen sehr schönen, einsamen Spaziergang auf einem birding nature trail im state park dran. Gut drei Kilometer Wildnis, keine Menschenseele, dafür in ein paar kleine Gator in einem Sumpfloch und ein paar lustige Gürteltiere. Die giftige Cottonmouthschlange und ihre Freundin, die schwarze Klapperschlange, vor denen die Schilder warnen, bleiben uns erspart. Puh. Bis dahin ist es ein schöner Tag. Dann allerdings verlässt uns das Glück und wir verbringen den Rest des Nachmittags suchend nach den Quellen, die wir nicht mehr finden. Viele sinnlose Meilen, genervt brechen wir Stunden später die Suche ab, denn wir wollen Abends noch bis Clearwater an der SüdWest-Küste. Außerdem ist Thanksgiving und soviel Amerika muß sein, dass ich darauf bestehe, auch den traditionellen Turkey essen zu wollen. Das ist hier schließlich ein superwichtiger Feiertag. Und ich möchte ein nettes Restaurant.

Also fangen wir noch vor sechs an an zu suchen, da wir wissen, hier gibt´s ab acht kaum noch was zu essen. Aber das klingt so einfach: ein sechsspuriger Highway, immer geradeaus, immer dieselben Tankstellen, Ketten etc.pp. da muß man schon viel Glück und Adleraugen haben, um die wenigen versteckten anderen Restaurants zu entdecken. Einmal halten wir an, aber der Laden sieht so trostlos aus, das jede deutsche Kantine mithalten kann. Langsam wird es knapp: es ist halb acht. Viertel vor acht betreten wir in ein halbwegs erträgliches Familienrestaurant, gerade noch zur rechten Zeit. In verschiedensten Brauntönen gehalten, groß, ohne Tischdecken oder etwa Blumen. Die meisten Feiertagsgäste haben sich sogar chic gemacht, aber von festlich kann man wirklich nicht sprechen. Zumal die hier Versammelten fast alle unter Geschmacksverrenkung leiden. 60jährige Frauen in Leggings mit kurzem T-Shirt, die Golden Girls im Glitterlook, Papa im Anzug, der eigentlich mal ein Schlafanzug werden wollte, ein paar Westernhemden usw. Während der Boden des Nebentisches schon gestaubsaugt wird und auch sonst das große Putzen begonnen hat, bekommen unser Truthahn-Dinner…– immerhin es sättigt.

Irgendwie hatten wir uns das mit unserem Thanksgiving-Abend etwas anders vorgestellt. Nennen wir es halt eine weitere Milieustudie. Aber unsere Pechsträhne ist noch nicht beendet. Nach weiteren Stunden auf immer dem gleichen endlos geradeausführenden Highway mit exakt immer demselben ermüdenden Desfile von Kinoleinwandgroßen Reklametafeln für alles und jedes: Schmierig grinsende Anwälte, die gegen böse Chefs klagen wollen oder eine besonders aggressive Prozeßführung im Scheidungsfalle versprechen, Chirurgen, die alles ganz ohne Klinge und Nadel erledigen, Schlankheitsinstitute, bei denen man bei einem einmaligen 100-Dollarbesuch 5 kg abnimmt oder Waffenhändler, die darauf hinweisen, dass es zweierlei Menschen gibt: Opfer und Waffenbesitzer. So könnte ich das noch eine Weile weiter fortsetzen, manches klingt wie boshaft ausgedacht, aber leider habe ich all das und noch viel mehr gelesen. Neben den üblichen Produkt-und Unternehmenswerbungen, vor allem auf für Restaurants. Zu dem Thema ist mir in den letzten Tagen immer wieder durch den Kopf gegangen, dass sich hier inzwischen eine ganz andere gesellschaftliche Norm hinsichtlich der Ästhetik entwickelt haben muß, angesichts von Millionen extrem Übergewichtiger, die ungehemmt Berge verschlingen, obwohl sie ihre Beine nicht mal mehr tragen und die auf kleinen Wagen durch die Gegend fahren müssen. Wo sonst in der Welt könnte man Restaurantreklame machen für „Fat Boy´s Yummie Paradies“ oder „Fat Daddie´s Foodbowl“? Da läuft doch was falsch, oder? Damit will ich auf keinen Fall Menschen zu nahe treten, die von Natur aus Gewichtsprobleme haben, aber das hier, das geht einfach gar nicht. Wer noch nicht hier war, kann sich das einfach nicht vorstellen. All solche Gedanken kommen mir bei unserer ermüdenden stundenlagen Nachtfahrt.

Gegen 1 Uhr nachts sind wir dann endlich in Clearwater. Dei Stadt scheint endlos, nichts gibt einen Hinweis darauf, wo vielleicht ein Zentrum liegen könnte, oder die großen Straßen, an denen gewöhnlich die Motels und Hotels liegen. Alles sieht gleich aus – endlos, dunkel. Wir irren herum, entdecken endlich ein paar Motels, aber ein Blick in offenstehende Zimmertüren läßt uns mit Grausen weiterfahren. Dann endlich finden wir ein Budget Inn, von dem wir sogar einen Ermäßigungscoupon von 79 auf 59 Dollar haben. Der gilt aber an Feiertagen eigentlich nicht. Doch Miki diskutiert knallhart – mehr gibt unsre Reisekasse auf keinen Fall her. Wir kriegen das Zimmer. Muß mal ein netter Laden gewesen sein, sogar nachts erkennt man noch die rosa-grau gestrichenen Gebäude, die Grünanlagen, den Pool mit Palmen. Das Zimmer ist die Härteprobe: Schmierige Türen, ein nicht näher zu beschreibender uralt Teppich, kaputte, versiffte Möbel, kleine wilde Tiere und –zur Krönung schmutzige Laken. Gewaschen ja, aber mit ekelhaften Flecken. Alarm! Wir kriegen wenigstens ein Zimmer mit halbwegs sauberen Laken. Wir sind total fertig, weitersuchen schaffen wir nicht. Bloß nix anfassen oder berühren außer den Laken, mit diesem Gedanken schlafen wir ein. Der schwarze Tag dieser Reise. Jetzt kann´s nur wieder besser werden. Gute Nacht!

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10 New Orleans – last not least

Do you know, what it means, to miss New Orleans? Dinah Washington spricht mir aus der Seele, denn ich weiß es und schon nähert sich der Abschied. Bald werde ich mich wieder zurückträumen in diese verrückte Stadt, eine von zweien in der Welt, die unterhalb des Meeresspiegels liegt. Schon deshalb sagt man ihr eine besondere Energie und Spiritualität nach. Damit kann nicht jeder etwas anfangen, aber für mich hatte diese Stadt immer etwas Mystisches und Magie. Sie kann einen bezaubern und sie macht zugleich oft Angst. Ich habe eigentlich immer nur zwei Sorten Menschen getroffen: die einen kommen her, schauen sich alles an und sagen: hmm., ja, schön und gehen wie sie gekommen sind. Die anderen können sich nicht vergessen und kommen immer wieder. „They got hooked to this place“, wie man hier sagt. So it happened to me.

Es ist diese ganz eigene Athmosphäre, diese gelassene Lebensart, obwohl das Leben hier alles andere als easy ist. Hier leben so viele ungewöhnliche, kreative Menschen, die Musik ist Teil der Alltagskultur wie sonst kaum irgendwo. Den größten Teil des Jahres ist es heiß und schwül und alles riecht ein bisschen muffelig, der Schimmel regiert. Überhaupt ist hier alles immer auch ein bisschen schäbig, Deutsche Hygienefanatiker finden es hier bestimmt schrecklich, ausser vielleicht in so exterritorialen Räumen wie den modernen Nobelhotels. Und die deutsche Gewerbeaufsicht würde die meisten Läden der Stadt sowieso dichtmachen. Aber hier nimmt man das mit laissêz affair, es ist enfach nicht so wichtig. Man kann gar nicht hektisch sein bei dem Klima, es geht nur träge und relaxt. So schwermütig und trotzdem kraftvoll wie der Blues selbst. Der Voodoo ist ein Klischee für Touristen, das sich in Form aller möglichen Souveniers prima verkaufen läßt.– aber hinter den Kulissen lebt er tatsächlich und irgendwie passt auch das, egal ob man damit etwas am Hut hat oder nicht.

Ich hab soviel erlebt in dieser Stadt, dass ich es mir gar nicht vorstellen kann, wenn alles das in meinem Leben fehlen würde. In den letzten Tagen haben wir uns ganz bewußt auch immer wieder aus den schönen Vorzeige-Ecken wegbewegt in die stinknormalen Wohngegenden, um etwas mehr davon mitzubekommen, wie der ganz durchschnittliche New Orleans – Einwohner hier lebt und tickt. Wir sind in unspektakuläre Viertel gefahren und haben in einfachen Nachbarschaftslokalen gegessen. Das war wirklich spannend und fast immer hat sich so auch das eine oder andere Gespräch ergeben.

In einem Falle sind wir in einem gutbesuchen Restaurant mit einem jungen Kellner über American Football und die Saints – die legendäre Mannschaft von New Orleans- ins Gespräch gekjommen. Uns war diesmal eine allgegenwärtige Begeisterung quer durch die Bevölkerung für die Saints aufgefallen, die wir nie vorher bemerkt hatten. Und das ist wohl auch tatsächlich so: auch eine Spätfolge von Katrina. Als die Mannschaft endlich wieder zu spielen angefangen hat, war das für viele eins der großen Symbole für die Wiedergeburt und den Überlebenswillen der Stadt. Und so ist das geblieben. Wir haben erlebt, als die Saints in Kalifornien gespielt haben: alle hingen vor den Fernsehern in den Kneipen und man würde nur hastig und ungewöhnlich unwillig bedient – keine Zeit, die Saints spielen gerade.

Ein anderes interessantes Gespräch hatten wir in Anita´s Grill – 24 hours. Das ist ein ganz einfaches Lokal an einer häßlichen Ausfallstrasse, in der Nähe des billigen Motels, wo wir früher gewohnt haben. Ich habe Jahre Anlauf gebraucht, bis ich mich vor 16 Jahren das erste Mal zusammen mit Miki hineingewagt habe. Wir wurden angestarrt wie eine Erscheinung: die einzigen Weißen. Die haben vor Schreck einen Moment ihre Unterhaltungen vergessen. Wir wußten gar nicht, wo wir hingucken sollten, um nichts falsch zu machen! Ich weiß noch, dass ich echtes Herzklopfen hatte. Aber ich bin da immer vorbeigefahren und wollte unbedingt mal rein. Und siehe da, nach ein paar Momenten haben alle weitergeredet und die Sache war gegessen. Zwei Jahre später hatten wir noch mal denselben Effekt ausgelöst, als wir mit unsren zwei hellblonden Kindern da `reinspaziert sind. Aber beim zweiten Mal, haben sie uns schon gegrüßt! Und das alles haben wir diesmal der Besitzerin erzählt, nachdem wir uns geoutet haben und erstmal über Katrina und ihr fast zerstörtes Lokal, das sie erst ein Jahr später wieder aufmachen konnte, geredet haben. Sie hat uns bestätigt, dass sowas wie unser Besuch damals incredible war. Inzwischen kommen aber wohl schon öfter Weiße herein, vorallem Bauarbeiter und jüngere Leute, die nachts Hunger haben. The times they are changeing, meinte sie und war froh drüber. Und stolz drauf zu hören, dass Leute aus Deutschland seit so vielen Jahre immer wieder bei ihr essen kommen. Es war so was, was man eine herzerwärmende Begegnung nennt.

Ein kleiner Ausflug hat uns noch in die Sümpfe geführt. Das gehört zu meinen liebsten Ausflügen, denn ich bin immer wieder fasziniert von dieser Landschaft. Wir haben schon unglaublich tolle Bootsfahrten in die verwunschenen Welten der Louisiana Swamps gemacht. Die spektakulärsten Sümpfe haben wir schon ein paar Mal besucht, also beschliessen wir, noch mal etwas Neues anzuschauen. Wir verlassen die Stadt südlich und fahren ins Naturschutzgebiet Jean Lafitte. Im Park Center lassen wir uns erklären, wo es für uns am Schönsten sein könnte. Mit Alligatoren ist nur noch mit Glück zu rechnen, die meisten schlafen am Oktober bereits. Aber bevor wir uns auf den naturetrails aufmachen, will Miki unbedingt noch bis ans Ende des Gebietes in die „Stadt“ Lafitte am Bayou Barbataria, der wie ein großer breiter Fluß aussieht. Die Anführungsstriche nehmen das Ergebnis vorweg: man wagt die über mehrere Meilen verstreuten Häuser, von denen viele mobile homes sind, kaum Ort zu nennen, es ist keinerlei Struktur zu erkennen. Soll wohl ein Anglerparadies sein – ich finde es scheusslich und absolut trist. Ausserdem frage ich mich, wovon die ganzen Menschen hier leben ausser ein paar Fischern…Bevor wir den gastlichen Ort wieder verlasen, dessen größte Attraktion eine Bande Pelikane sind, suchen wir noch Essbares. Eins von den drei Restaurants hat offen. Auch wieder so eine Welt für sich. Drei versoffene Typen, der Restaurantbesitzer, zurechtgemacht wie ein alter Rock´n Roll Star mit Föntolle, eine hübsche Bedienung und eine dicke Köchin. An den Wänden verstaubte präparierte Tiere und eine Kuckucksuhr. Spezialität ausser dem üblichen Kram: Bayrischer Teller: Bratwurst, Mettwurst, Rotkohl, Sauerkraut und german Bratkartoffeln… Leckere Zusammenstellung. Wie´s aussah, haben wir nicht überprüft.

Nachdem wir endlose Zeit hier verplempert hatten, kommen wir endlich, eine gute Stunde vor der Dunkelheit, in die Sumpfwälder bzw was die Trockenzeit hier davon übriggelassen hat. Man kann sie hier zu Fuß am Bayou entlang erwandern, im Gegensatz zu den richtigen tiefen Sümpfen anderswo. Aber die Natur ist auch hier wirklich schön, die letzten Sonnenstrahlen geben der Szenerie mit den moosbehangenen Bäumen, die sich im Wasser spiegeln und all den Palmettos und letzten Blumen ein besonders schönes Licht. Wenn wir nur die 3,2 Meilen bis zur Schließung des Naturparks nicht im Dauerlauf zurücklegen müssten… Aber wir beobachten immerhin noch eine große Nutriafamilie beim Abendessen und sind dann bei heftig sinkender Sonne und dem unheimlichen Ruf eines Uhus noch rechtzeitig zurück, um vor Parkplatzschliessung ins Auto zu kommen. Ich bin gerade beruhigt, dass ich nicht in der Wildniss bei den Bären und Alligatoren schlafen muss, da verkündet Miki, wir sehen uns noch den anderen Trail ein paar Meilen weiter an, weil der Ranger gesagt haben soll, nach Sonnenuntergang sieht man besonders viele Wildtiere!! Im fast Dunklen, mit Badelatschen! Ich habe die ganze Zeit Angst, auf eine Schlange zu treten, die es hier in Massen gibt! Nach ein paar hundert Metern und heftigem Geraschel in den Büschen, etlichen erschreckten Eichhörnchen und einem fetten Platschen im Bayou ist er endlich bereit, umzukehren. Und zufrieden – so wie Kinder eben sind, wenn sie sich durchgesetzt haben…

Und zur Liste der Dinge, die ich hier gelernt habe , muss ich wohl diesmal noch etwas hinzufügen, was sicherlich wenig vorteilhaft für mich ausfällt, aber bestimmt zur Erheiterung meiner werten Leser beiträgt! Also: Beate hat in ihrem Leben noch nie einem Waschsalon betreten. Das sei vorangesetzt. Nun haben wir diesmal nicht mit dem zwischenzeitlichen Wettereinbruch gerechnet – der sich auch glücklicherweise jetzt wieder erledigt hat. Aber wir hatten zu wenig Sachen für kühles Wetter und die, die wir hatten, waren – bereits stark getragen…Also: waschen. Im Hotel zeigte man mir die Laundry und die Rezeptionstante sagt noch: da stehen zwei Maschinen zu Ihrer Verfügung. Ok. Ich also meine Wäsche unter den Arm geklemmt, das extra gekaufte Waschmittel gegriffen und die Brille aufgesetzt. Ich hab auch schön die Anweisung auf der Münzmaschine befolgt. Nach anderthalb Stunden die noch heiße, trockene Wäsche rausgeholt und noch ein bißchen rumgemeckert, dass die Maschine ja nicht viel taugt, denn es war nicht alles so besonders sauber. Bevor wir abgefahren sind, mache ich das Ganze Procedere nochmal, diesmal waren seltsamerweise sogar diese sich selbstauflösenden Waschmittelpäckchen noch heil…?! Und die Wäsche noch weniger sauber. Naja, was soll ich sagen: Ich hatte nicht kapiert, dass das nur der Trockner war und kein Vollautomat…Miki hat sich weggeschmissen vor lachen und ich bin fast im Boden versunken. Tja, wieder was gelernt. Nicht so unbedingt zwingend New-Orleans-bezogen und schon gar nicht von höherem philosophischen Wert – aber wat für´s Leben, oder?

Die letzten Streifzüge, die Zeit wird immer knapper. Noch ein paar Gewürzmischungen für die Cajunküche zu Hause (Ich kann super Gumbo kochen, jetzt will ich mich an Boudain heranwagen). Und wir müssen unbedingt bei Coop´s Place, unserem Lieblingsesslokal im Quarter, nochmal Cajun Pasta essen! Mit jeder Menge Shrimps, Crawfischen, Muscheln, Austern (die allerdings immer auf dem Tellerrand bleiben), Tassoschimken, Artischocken und Lauch in der Sahnesosse. Und das schön scharf, nach Cajun-Art! (Miki ist danach immer schweißgebadet, vorallem da, wo der werte Haarschopf etwas schütter geworden ist) Lecker!

Mir ist bei unseren letzten Spaziergängen, vorallem im French Quarte,r aufgefallen, dass ein Ausserirdischer hier eigentlich nicht sagen könnte, welche Jahreszeit eigentlich herrscht: viele Häuser tragen das ganze Jahr den glitzernden, knallbunten Schmuck von Mardi Gras, einige Häuser sind noch im orange-schwarzen Halloween-Look und andere erstrahlen trotz blühender Bäume bereits im vollen Weihnachtsornat. Geht hier alles.

Manchmal frage ich mich selbst, warum ich gerade hierher immer wieder zurückkommen muß. Es ist eine aufregende Stadt, aber auch eine beunruhigende. Aber vielleicht ist es ja sogar ganz gesund, dass einen die Stadt oft so verunsichert…Und womöglich liegt der tiefere Sinn auch in dem, was ein urbaner Straßenphilosoph (oder mehrere), damit meint, als er oben an einigen Laternenmasten handgemalte Schilder aufgehängt hat mit der Aufschrift: „Remember you could be wrong“ –„Denk daran, Du könntest Dich irren“.

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09 New Orleans III

Dies wird ein Kapitel der krassen Gegensätze – so wie diese Stadt selbst.

Ein „must“-Ausflug hat uns auch in den überwiegend sehr mondänen Garden District mit seinen breiten Prachtalleen und riesigen Südstaatenvillen, vorzugsweise im viktorianischen Stil, geführt. Home of the Brad Pitt-Angelina Jolie-Family.

Die berühmteste Allee ist die St. Charles mit der Trasse der berühmten alten Streetcar. Hier entlang führt auch die offizielle Paradestrecke des größten Mardi Gras-Umzuges. Als Erinnerung daran hängen das ganze Jahr noch die bunten Ketten in den Bäumen, die von den Wagen geworfen werden wie in Kölle die Kamellen. Sie verfangen sich dort und sorgen so dafür, daß hier eben immer ein bisschen Karneval ist. Aber auch die anderen Straßen sind fast alle sehr schön anzusehen, überwiegend die Welt der Reichen und Schönen. Aber auch die der beiden teuersten und angesehensten privaten Universitäten: Tulane und Loyola. Jede davon hat einen riesigen und sehr schönen parkartigen Campus. In der Nachbarschaft wohnen können aber nur die Studenten aus reichem Hause, die anderen können hier bestenfalls in den Restaurants arbeiten.

Der Audubon-Park mit all seinen alten Bäumen, einem See und den vielen Kamelien und Azaleen ist einen Spaziergang wert. Hier sieht man auch viele Läufer. Nicht weit ist der Zoo von New Orleans.

Eine etwas andere Prägung hat allerdings die Magazin Street, die sich etliche Meilen durch den ganzen Bezirk schlängelt: hier ist es zwar auch chic, aber etwa lockerer und abwechslungsreicher mit unendlich vielen Restaurants, Cafés, Galerien und Läden. Doch je mehr man sich nach uptown bewegt und dem Mississippi nähert, der den Garden District im großen Bogen umfließt, umso teurer werden die Läden und desto feiner und gebildeter wird die Klientel – Uniprofessoren und ihre Gattinnen sind die typische Fauna. Ein bisschen zu demonstrativ sophisticated…

Aber auch hier im Garden District gibt es natürlich jede Menge Musik. Das berühmte Tipitina´s war hier – vor Katrina. Und in der Oak Street, einer eher bescheidenen Strasse, ist zum Beispiel das Maple Leaf – auch ein legendärer Ort. Ich war früher ein paar Mal da. Als wir dort mal vorbeischauen am Sonntag Nachmittag, werden wir von gesperrten Straßen und Menschenmassen überrascht: In der Oak Street ist Po-Boy-Festival! Liebe Güte, da ist was los! Überall gibt´s leckere Dinge zu essen – natürlich alle nur erdenklichen Varianten der Riesensandwiches, aber auch Andere. Es gibt z.B. welche mit Shrimps, Austern, Catfish, Roastbeef auf x Arten, italienischer Wurst, Grillfleisch und gegrilltem Hummer. Und das ist noch längst nicht alles… Die Schlangen vor den Ständen sind gigantisch – bis zu 70m! Aber die Leute warten geduldigst und bestens gelaunt, und die Stände sind generalstabsmäßig organisiert, das geht ruck-zuck: wirklich beeindruckend!

Wir haben uns aber für creole sausage entschieden, kreolische Wurst. Erst halten wir das für die schon früher erwähnte leckere Boudain, die wir im ländlichen Louisiana gegessen haben. Als wir dann fragen , ob das nicht das Gleiche ist, ernten wir ein verächtliches Augenbrauenhochziehen und die leicht beleidigte Erklärung: Nein, das ist keine Cajun Wurst mit Reis, sondern die kreolische Variante – ohne. Dazu muß man wissen, dass die Kreolen sich nie mit den Cajuns gemein machen. Lächerlicherweise, denn beide haben französische Wurzeln und sind ungefähr zu selben Zeit in Amerika eingewandert. Die Cajuns, von denen es heute ungefähr eine Million gibt, sind die Nachfahren von ein paar hundert überlebenden Franzosen, die einst hier im Mississippi-Delta gestrandet sind. Auf der Flucht vor den Engländern, die sie Anfang des 18. Jh aus ihrer Wahlheimat Kannada vertrieben haben, nachdem Frankreich das Land der englischen Krone überlassen hatte. Die meisten haben sich in den Sümpfen im Südwesten Louisianas, in Arcadiana, niedergelassen, sich von Fischfang, Jagd und Landwirtschaft ernähert. Einfache Menschen, die hart arbeiten mußten, ihre eigene (alt-)französische Sprache sprachen, ihre eigene Musik und Küche hatten. Diejenigen Franzosen aber, die in New Orleans, in der Hauptstadt der französischen Provinz Louisiana lebten, und auch einiuge karibische Einflüsse hatten, nannten sich Kreolen und halten sich noch heute für was Besseres. Soviel dazu.

Kontrastprogramm: Vom idyllischen und vornehmen Garden District in den ärmsten Teil der Stadt: den 9th Ward, den 9. Bezirk. Den hatte es bei Katrina am schlimmsten erwischt. Und da wir alte New Orleans Junkies sind und nicht bloß Sightseeing-Touristen, wollen wir uns das dann auch aus der Nähe ansehen. Das heißt, wir wissen ja nicht, ob es da nach all der Zeit noch viel zu sehen gibt. Aber je näher wir der Gegend kommen, desto größer werden die Brachflächen. Aber in den ersten Vierteln, die wir auf dem Weg in den 9th Ward in Seenähe durchqueren, sind inzwischen viele Häuser neu oder wieder schön hergerichtet– es sind bürgerliche Gegenden, wie Gentilly. Und die Brachen fallen auch gar nicht so schlimm auf, weil sie inzwischen von Rasenflächen bedeckt sind. Aber es ist schon mehr als wir dachten. Je östlicher wir fahren, desto eindrücklicher wird das Erbe von Katrina dann sichtbar. Die eigentliche Katastrophe nach dem Hurrican selbst war, dass das Meer Wasser in den See Pontchartrain gedrückt hat und hier zwei Dämme gebrochen sind und den Großteil der Stadt teilweise meterhoch überschwemmt haben. In riesigen Gebieten haben die Leute tagelang auf den Dächern gesessen und auf Retter gewartet, während die Leichen an ihnen vorbeigetrieben sind und später geplündert wurde, was zu plündern ging. Wochenlang hat absolute Anarchie geherrscht.

Als wir den berüchtigten 9. Bezirk, erreichen, sind wir geschockt. Die Straßen sehen aus wie löchrige Gebisse mit all den Baulücken. Und das ist noch nicht alles. Von den Häusern, die noch stehen, sind über die Hälfte noch immer unbewohnte Ruinen, teilweise stehen noch Möbel drin, als wäre es erst vor ein paar Wochen passiert. An den Türen sind noch die Codes der Rettungstrupps zu lesen, wo vermerkt ist, wieviele Leute da drin waren – wieviele Tote und wieviele lebendig. Man kann lesen, daß diese Rettertrupps teilweise erst zwei Wochen nach der Katastrophe bei den Häusern angekommen sind. Unserer Schätzung nach sind mindestens sechs Achtel der Häuser unbewohnt oder zerstört. Sieben Jahre danach!

Einige von den Bewohnern, die zurückgekehrt sind, haben sich ihre Häuser nun erst recht mit Liebe wiederhergerichtet, auch wenn es ganz einfache sind: mit Blumenkübeln, Schaukelstühlen auf Veranda und ähnlichem. Ein paar Meter weiter stehen die verlassenen und verrottenden Wracks mit ihren toten Fenstern. Kleine Jungs spielen Fußball neben dem Bauschutt, der von den Nachbarhäusern übriggeblieben sind. Ein ziemlich gespenstischer Anblick.

Es ist viel geschrieben und gesagt worden über all das – auch wir haben uns hier noch ein paar Mal mit Leuten unterhalten. Es ist zwar richtig, dass das hier immer die große Problemzone der Stadt war und viele hier vom Staat gelebt und keinerlei Anstrengungen mehr gemacht haben, daran etwas zu ändern. Und es ist auch richtig, daß die Kriminalitätsrate hier schwindelerregend war. Aber das ist schliesslich nicht nur einfach die Schuld der Leute, sondern eben ein gesellschaftlich-politisches Problem. Und eine andere Wahrheit ist es, dass Katrina dazu genutzt wurde, hier eine Art sozialer Säuberung durchzuführen und den ungeliebten Bevölkerungsteil loszuwerden. Ich habe gehört, dass z.B. den evakuierten und geflüchteten Menschen monatelang die Rückkehr verboten wurde mit der Behauptung, es gäbe keinen Strom und kein Wasser, was in etlichen Fällen eindeutig gelogen war und nur dem Zweck diente, die Leute so lange draussen zu halten, bis sie sich anderswo niedergelassen hatten. Die Infrastruktur ist zum Teil bis heute zerstört – wir sehen leere, zerstörte Schulgebäude, Krankenhäuser u.ä. Die Grundstücke stehen zum Verkauf, aber hier will keiner herziehen. Kein ruhmreiches Kapitel zum Thema Katrina.

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08 New Orleans II

In den vergangenen Tagen haben wir Streifzüge quer durch die Stadt gemacht – all die alten Plätze aus den Erinnerungen wieder gesucht, manches nicht mehr gefunden, Neues entdeckt.

Mein persönliches Lieblingsviertel ist inzwischen Foubourgh Marigny, gleich an das French Quarter anschließend, wie ein Dreieck zwischen der Elysian Fields Avenue und der Esplanade Avenue. Ich erinnere mich noch gut an Zeiten, da konnte man nicht mal sein Auto am Rande dieses damals total heruntergekommen Viertels parken, geschweige denn, dort herumlaufen, weil es extrem gefährlich war. Nur ein Straßenzug am Rand war ok: die Frenchmen Street, da gab es ein paar gute Clubs und Kneipen. Aber das ist lange her, inzwischen ist Marigny ein angesagtes und ziemlich cooles Viertel – für die Einheimischen. Viele junge Leute wohnen da, jede Menge Alternative, Künstler und Musiker. Und auch gleichgepolte  Ältere sowie  Überlebende aus der Vorzeit des Viertels. Inzwischen steigen natürlich auch die Immobilienpreise, was das aus dem Viertel macht, bleibt abzuwarten.

Inzwischen sind schon die nächsten Viertel auf dem Weg, den Marigny genommen hat: Das östlich anschließende Bywater ist das Kreuzkölln dieser Tage. Noch ein bisschen anders verhält es sich es mit dem benachbarten Treme, wo auch unser Hotel steht: Zum Teil ist es schon richtig nett und fancy. Aber ein anderer Teil ist wirklich noch knallhart und rein schwarz. Der Übergang ist so unvermittelt, dass man gar nicht bemerkt, dass man die unsichtbare Grenze schon überschritten hat – wie wir heute morgen beim Laufen. War schon ein kleines bisschen unheimlich. Wir sind da wohl wie zwei äußerst seltsame weisse Aliens in Sportsachen durchgelaufen, so jedenfalls besagten es die Blicke. War dann aber ok. Abends würde ich da allerdings ganz sicher nicht hingehen.

Doch zurück nach Marigny. Es geht eher ruhig und beschaulich zu dort: langezogene, meist schmale Straßen mit kleinen bis mittelgroßen Häuschen, in bester Art-Déco-Manier liebevoll bunt gestrichenen. Manche haben kleine Veranden mit tropischen Bäumen und Büschen auf dem Bürgersteig oder im winzigen Vorgärtchen. Gestern saß ich dort vor einem Café unter reifen Bananenstauden und blühender Bougainvillea. Der typische Marignybewohner fährt vorzugsweise Fahrrad und geht mit seinem Computer in eins der kleinen originellen, manchmal eher wohnzimmerartigen Cafés, denn zu Hause hat man kein Internet. Musiker schleppen ihre Instrumente nach Hause oder zum Auftritt, die Hundis werden Gassi geführt, vorzugsweise mit neckischen Pullöverchen angetan. Und es gibt so eine Art ungeschriebenen Dresscode: Man muss irgendwie ein bisschen schräg aussehen, unbedingt anders. Auf jeden Fall erkennt man die Bewohner des Viertels schon an ihrem Outfit. Nicht chic, wohlgemerkt, sondern – schräg. Aber man ist tolerant: Auch Normalos wie wir werden nett behandelt und auch hier fällt wieder auf, wie freundlich man oft gegrüßt wird – einfach so. Autos fahren eher wenige herum. Fremde verirren sich nur selten hierher, obwohl das French Quarter nebenan liegt. Ich liebe es, hier faul in einem Eckcafé zu sitzen, Cappuccino zu süffeln und träge in die Gegend zu schauen. Hat wirklich was ungeheuer Entspannendes. Und das Interessante ist, irgendwie hat diese Gegend so ein bisschen den Charakter ihrer Entstehung weiterentwickelt oder bewahrt – wie man will. Foughbourg Marigny hat ein exzentrischer creolischer Plantagenbesitzer selbigen Namens Anfang des 19.Jahrunderts gegründet – außerhalb der alten Stadtgrenze und der etablierten kreolischen Gesellschaft der Stadt. Hier lebten freie Schwarze und bald auch Einwanderer aus aller Welt, vorallem Handwerker. Die etwas Anderen also, frei, selbstbewußt, aber eher arm.

Aber das Ausgehzentrum ist immer noch die Frenchmen Street. Es gibt klasse Kneipen, Restaurants und Cafés dort: In einer Kneipe kann man sich nachts auf einem alten Friseurstuhl neben dem Tresen die Haare professionell schneiden lassen. Man kann sich aber auch in einem Tattooshop zwischen zwei Clubs, mit einem Cocktail vor sich, als Showact für die Passanten seine Körperteile dekorieren lassen. Es gibt ein berühmtes kreolisches Soulfood Restaurant, originell gestaltete Cafés mit richtig gutem Futter und Espresso (!) und so weiter. Und vor allem: Hier sind auch einige der angesagtesten Musikläden der Stadt: Einige Namen davon sind inzwischen auch über New Orleans hinaus bekannt: dba, Blue Nile, Snug Harbour, Café Istanbul, Spotted Cat oder Apple Barrel. Die meisten haben sich auf eine Musikrichtung spezialisiert. Ein paar verlangen bei Konzerten (erschwinglichen) Eintritt, in den anderen Läden muß man nur einen Drink bestellen und ist moralisch verpflichtet, der Band etwas in die Sammelbüchse zu werfen, was hier auch fast jeder macht. Die meisten Läden sind alles andere als chic; vornehm ausgedrückt haben sie Patina, genauer gesehen sind sie ziemlich abgerissen, die Möbel erinnern gelegentlich an Sperrmüll. Aber das spielt überhaupt keine Rolle.

Es ist unglaublich, wenn man da abends die Straße entlangläuft: Auf hundert Metern hört man locker zehn verschiedene Konzerte mit. Man kann auch einfach durch´s Fenster zusehen und sich dazu irgendwo was zu trinken besorgen oder – bei Hunger – z.B. von einem knallbunten umgebauten Truck jamaikanisches Grillfleisch kaufen oder ähnliches. Wir haben uns abends verstärkt hier herumgetrieben, es ist wirklich spannend! Die Musik, aber auch was auf der Straße abgeht und vorallem auch die Typen. Unglaublich! Wie Kino, nur echt! Und man kann da ebenso 20jährige wie 75jährige treffen, alle fröhlich nebeneinander.

Für mich –oder uns – hat diese Straße aber noch eine ganz persönliche Bedeutung: Hier hat ein ganz besonderer Freund gelebt: der Bluesman Coco Robicheaux. Hier ein echter local hero, aber über ebay z.B. in Europa zu beziehen. Er hat auch für Musikgrößen wie Dr John Songs geschrieben. Coco war nicht nur ein großartiger Musiker, sondern als Mischling mit indianischen und Cajunvorfahren auch Medizinmann. Eben ein ganz ungewöhnlicher Mensch, mit dem vorallem mich eine besondere Freundschaft verbunden hat. Wir haben ihn mehrmals hier in New Orleans getroffen, einmal hat er auch mit seiner Band in Berlin gespielt. Vor einigen Jahren habe ich mit meiner Freundin sogar bei ihm gewohnt, was uns zu sowas wie Kurzzeiteinheimischen der Frenchmenstreet gemacht hat. Seine Stammkneipe war der Apple Barrel, hier hat er auch regelmäßig gespielt. Am 25.November vergangenen Jahres ist er dort zusammengebrochen und gestorben, mit 64 Jahren. Hier haben wir ihn auch zum letzten Mal getroffen. Ich bin ungeheuer traurig, dass wir uns nicht nochmal sehen konnten, aber ich empfinde es so, wie es jetzt im Apple Barrel an der Wand steht: Coco Robicheaux was always here, is always here and will always be here.

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06 New Orleans I

New Orleans…endlich. Ich hab´s schon wieder getan – es ist mein 11. Besuch. Aber was erzähl ich nun wann? Irgendwie scheint es mir keinen Sinn zu machen, chronologisch irgendwas aufzuzählen, was wir hier tun. Dann vielleicht doch lieber meine Eindrücke und Gedanken zu den verschiedenen Themen, wie sie mir gerade durch den Kopf gehen. Wie immer ohne Anspruch auf Objektivität…

Ich war ziemlich unruhig bei dem Gedanken, was uns hier erwartet, war es doch das erste Mal nach dem Super-Gau von Hurrican Katrina und den Deichbrüchen 2005, der große Teile der Stadt in Trümmer gelegt hat. 7 Jahre danach.

Der erste Eindruck, als wir uns dem Stadtzentrum näherten, war schon ziemlich erschreckend, denn das Viertel gegenüber des billigen Motels in der Tulane Avenue, indem ich so viele Jahre abgestiegen bin, bis es verkauft wurde, existiert nicht mehr. Nicht ein Haus. Es war ein nicht unproblematisches Viertel, nicht weit vom Superdome, indem überwiegend schwarze, aber auch ärmere weiße Familien gewohnt haben. Nun gibt ist davon nichts mehr zu sehen. Statt dessen einige superhäßliche hohe Appartmenthäuser, die überall in der Welt stehen könnten – nur nicht hier in New Orleans. Und die Bewohner des alten Viertels können sich diese Wohnungen mit absoluter Sicherheit nicht leisten; so wird vermutlich nichts aus den Plänen zu neuen“ gemischten“ statt schwarzen Siedlungen. Auch das alte Gericht und ein Gefängnis sind verschwunden, ebenso eine schwarze Kirchengemeinde, aus der man oft Gospelmusik hörte. So weit das Auge hier blickt erstreckt sich nun eine gigantische Baustelle, wo ein neues Uni-Klinikum entstehen soll. Naja, zumindest das ist was Vernünftiges.

Aber nach diesem ersten Schock legt sich der verstörende Eindruck schnell. Das historische French Quarter – das, was alle Welt eben von New Orleans kennt, ist wie durch ein Wunder von Sturm und Fluten weitgehend verschont worden. Hier brummt es wie eh und je: die Touristen flanieren durch die kleinen alten Straßen, die unzähligen Restaurants und Läden machen ihr Geschäft und überall wird Musik gemacht.

Ich mag das alte Viertel total gern, abgesehen von der berühmten Super-Amüsiermeile Burbon Street, die sowas wie eine Mischung aus Ballermann, Reeperbahn(ohne Puffs allerdings – wir sind in Amerika, da sind die Striptease-Bars schon der Kracher) und Disneyland für Erwachsene ist. Da muß ich höchstens einmal kurz vorbeischauen, um dann fassungslos den Amüsierwütigen aus aller Welt, vorallem aber den USA selbst, zuzusehen.

Da ist der amerikanische Touri aus der ebenso öden, wie prüden Provinz mal so richtig „draufgängerisch“ und läßt die Sau raus! Es ist eine ganz eigene Spezies von Touristen, die hierher geht. Mit leuchtenden Augen schiebt man sich mit seinem Drink im bunten Plastikcontainer á la Ballermann durch die sündige Amüsiermeile, vorzugsweise mit „gewagter“ Bekleidung: Männer, denen das brave Bürooutfit zur zweiten Haut geworden ist, treten hier unbedingt in kurzen Hosen über den kalkwißen Beinen und seltsamsten T-Shirts auf, dicke amerikanische Muttis in rückenfreien, knallengen Klamotten, „lustigen“ Hüten und anderen peinlichen Utensilien. Allein die Tatsache, mit Alkohol einfach so auf der Straße herumzurennen ist schon der Gipfel des Amüsements – das Trinken in der Öffentlichkeit ist ja sonst schließlich streng verboten. Nach acht Uhr abends ist die Hälfte sturzbetrunken, grölt herum und findet alles suuuper…Am liebsten noch mal eben die Bluse hochziehen vor quiekendem Volk rundherum. Es ist wirklich oft ein groteskes Schauspiel – Ergebnis eines Lebens in einer oberprüden, extrafrommen und intoleranten Gesellschaft, denn das ist Amerika nun mal in weiten Teilen. Und noch was: die Burbonstreet ist der einzige Ort hier, wo man tatsächlich richtig miese Bands hören kann: Hauptsache laut, es hört sowieso keiner richtig zu.

Aber abgesehen von dieser Galaxis macht es wirklich Spaß, durch die vielen kleinen Straßen des French Quarters zu bummeln und sich die tausend Läden anzusehen, die von Kitsch bis Kunst, Antiquiäten und Fashion so ziemlich alles verkaufen, allerdings ziemlich teuer. Viele nette kleine Cafés locken mit ungesunden Portionen mächtiger Torten (sie haben Namen wie „Chocolat Suicide“ = Schokoladen-Selbstgmord), Brownies, Cookies und –echtem Kaffee, im Gegensatz zu dem gefärbten Wasser, was es hier sonst so gibt. Überall kann man gigantische Po-Boys essen: große Spezialsandwiches mit soviel Fleisch, Fisch, gebackenen Austern, Krabben oder Crawfish, Mixed Pickles und Salat, dass man sie eigentlich nicht essen kann, ohne hinterher zu duschen. Denn die Hälfte des in Soße und Dressing getauchten Belages hat man meist im ganzen Gesicht, an den Händen und auf den Klamotten. Aber sie sind sehr lecker! Ein halber Po-Boy (kommt ironischerweise von poor boy!) reicht meist locker für zwei Personen. Zumal ja unbedingt noch Pommes Frites – oder French fries, wie sie hier heißen – dazugereicht werden müssen, damit man auch satt wird! Die Mengen, die durchschnittliche Menschen hier essen können, sind für uns unbegreiflich. Aber leider sieht man das ja auch an den massigen Körpern rundherum…

Die Musiker, die in den Lokalen spielen, leben übrigens nur von Tips – Trinkgeldern der Touristen. Richtige Gage gibts nur in wenigen Konzertläden, die auch Eintritt verlangen. Ganz schön hart so ein Musikerleben hier, zumal es so viel hochkarätige Konkurrenz und so wenig bezahlte gigs gibt! Die meisten Musiker haben noch andere Jobs. Ich habe z.B. schon erlebt, dass eine Kellnerin nach Feierabend plötzlich auf die Bühne geht und mitjammt –und  man kann gar nicht glauben, was für eine tolle Stimme sie hat. Manchmal glaube ich, jeder hier kann Musik machen. Wer vom Film träumt, geht nach Hollywood, wer Musik machen will, nach New Orleans.

Einerseits ist das French Quarter das Touristen-Mekka schlechthin, andererseits ist es erstaunlich, wie sich das Bild wandelt, wenn man nur ein paar Blocks vom Trubel entfernt in die ruhigeren Straßen abbiegt – da führen die Bewohner weiter ihr eigenes, ungestörtes Leben als gäbe es den Rummel um die Ecke garnicht. Die alten Häuser – meist im viktorianischen, französischen oder spanischen Stil – haben wunderschöne Balkons oder Veranden mit schmiedeeisernen Gittern, meist verschönert noch mit großen Hängekübeln voller Farne und Blumen, tropischen Bäumen und Büschen davor und bunten glitzernden Mardi Gras Perlen an den Balkongittern. Lustig sind auch die langen superschmalen Shotgun-Houses, bei denen alle Zimmer huntereinader liegen, so daß eine Gewehrkugel von vorn bis hinten durchgeht. Oft haben die Häuser hier, den Blicken der Passanten entzogen, idyllische Innenhöfe, die Courtyards, als kleine Oasen. Aber die Türen und Fensterläden zur Straße hin sind meist verrammelt, viele haben Eisengitter…man lebt gefährlich hier und ist sich dessen bewußt. Auch das ist Teil des Big Easy.

Keine fünf Minuten vom Quarter entfernt sind einige besonders harte Sozial-Viertel (projects), in die man sich auf keinen Fall verirren sollte. Auch die in Quarternähe gelegenen berühmten historischen Friedhöfe St.Louis Nr1 und Nr2, diese spannenden weißen Totenstädte (auf einem ist die berühmte Voodoo- Queen Marie Laveau begraben), kann man nur tagsüber und auch da nur äußerst vorsichtig und aufmerksam besuchen. Ich erinnere mich noch, dass wir vor Jahren wiedermal mit Freunden dahin wollten, als plötzlich vor dem Eingang neben uns ein Auto bremste. Ein schwarze Frau rief uns zu, wir sollten schnell verschwinden, sie hätte mitbekommen, dass wir gleich überfallen werden. Wir waren GANZ schnell weg…

Das Leben im Quarter jedenfalls ist wie vor Katrina auch, und auch in den sich anschliessenden Vierteln hier haben wir nur wenig bemerkt, was an die Katastrophe erinnert. Im Gegenteil, die Meisten, die man darauf anspricht, sagen nur ganz stolz: „You see: we are back!“ Alle sind stolz darauf, daß sie sich nicht unterkriegen lassen haben. So zumindest hat sich uns das die ersten drei Tage vermittelt.

Eine große Freude war es, als wir gleich bei unserem ersten Weg in die Stadt das „Rock´n Bowl“ wiederentdecken – wenn auch an neuem Ort. Das ist eine echte Institution hier, weniger für die Touristen, die es meist gar nicht finden, als für die locals, die Einheimischen. Es ist eine Bowlingbahn mit Tanz. Und zwar besonders berühmt für die Zydeco-und Cajunmusic. Mindestens ein-bis zweimal die Woche treten hier die local heroes der Szene auf und dann geht die Post ab, aber haste nicht gesehen! Kaum schlägt die Band auf der Bühne den ersten Akkord an, stürzen die Tanzwütigen auf´s Parkett und verlassen es bis auf kurze Trink- und Abkühlpausen erst beim Nachhausegehen wieder. Wer das noch nicht gesehen hat, kennt Lousisiana nicht wirklich (in der Provinz gibts überall ähnliche Tanzfeste, fais dodo genannt. Da wir Zydeco, Zydeco Two Step, Zydeco Jitterbuck, Zydeco Cha Cha usw. getanzt – sowas habe ich noch nirgendwo sonst gesehen. Das sind wirklich ziemlich komplizierte Tanzstile, schnell, anstregend, varíantenreich. Unglaublich! Manche Männer kommen gleich in Turnhosen mit einem kleinen Handtuch im Bund für den Schweiß. Andere sind total chic im Ausgeh-Cowboy-Outfit mit Stetson und Silberschmuck. Und da gelten keine Alters-, Rassen- und Standesgrenzen (abgesehen davon, daß das grundsätzlich eher ein Vergnügen für´s einfachere Volk ist). Und ablehnen geht gar nicht. Mindestens einen Tanz muß man machen. Und das ist auch gar nicht weiter schlimm, denn das Spiel heißt hier nicht anbaggern, sondern tanzen.

Also: das Rock´n Bowl am alten Platz war bei Katrina auch überflutet und geplündert. Der Besitzer der Immobilie wollte nach dem Wiederaufbau dann wohl zu viel Geld – da ist man halt eine Meile weitergezogen in einen ehemaligen Supermarkt und nun brummt der Laden wieder, wie seit 1941. Wir haben´s vorgestern gleich ausprobiert: Großartig, selten soviel Spaß gehabt! Auf der Bühne stand Chubby Carrier. Der Bandchef spielt traditionell das Akkordeon, zweitwichtigstes Instrument ist das Shuffleboard, das Waschbrett. Auch wenn ich das nicht so wirklich richtig hinkriege mit den Schritten hat´s wieder super Spaß gemacht Da tanzen gerade Zwanzigjährige genause wie 88jährige (am nebentisch, hat er uns stolz erzählt!). Sogar Tanzmuffel Miki hat sich vor dem Feierabend noch auf´s Parkett getraut, das will nun wirklich was heißen

Aber noch was fällt uns nach unserer Reise durchs ländliche Louisiana ganz krass ins Auge: die andere Gesinnung. Die Stadt ist ja überwiegend schwarz (vor Katrina zu über 60 Prozent), das spielt sicher eine Rolle. Aber auch sonst ist sie mit all den Musikern, Künstlern und Aussteigern, die hier leben, eher liberal bis freigeistig. Straßenhändler an der Canalstreet verkaufen ihren schwarzen Stolz gleich mit, so nach dem Motto „Wir sind Präsident“: Plakate, auf denen stolz verkündet wird, daß Obama wiedergewählt ist, gerahmte Fotos von „The first family of America“, oder sogar diese fetten Rapper-Goldketten mit Anhängern, auf denen wahlweise Martin Luther King oder Obama ist. Tja, so schnell ändert sich das Bild hier mit dem Überqueren der Stadtgrenze.

Wir haben das große Glück, daß wir ein bezahlbares Hotelzimmer direkt neben dem French Quarter gefunden haben. Ein feines, altes Haus mit viel Charme, einem Hof mit Pool (leider ist es immer noch zu kühl) und netten Holzterrassen zum Patio. Eine Petitesse am Rande: beim eher mickrigen Hotelfrühstück erzeugen die Gäste jeden Morgen wieder Berge von Plastik- und Styropurmüll…im Gegensatz zu den beiden billigen schwarzen Lokalen außerhalb der feinen Gegend, in denen wir eingekehrt sind, um etwas leckerer und reichhaltiger zu essen – auf Porzellantellern, mit echten Tassen, Gläsern und Bestecken! Es gibt noch Hoffnung!

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05 Still on the Road: Südwest-Louisiana

Let the good times roll – einer der Lieblingsslogans von New Orleans: Ich nehm´s ernst und genehmige mir bereits jetzt, um 15 Uhr, eine Margarita on the Rocks in der Sonne auf einer Terrasse im French Quarter, natürlich bei Lifemusik. Aber eigentlich bin ich ja noch gar nicht hier – nicht, was meine Reisegeschichten betrifft. Urlaub ist halt der pure Stress und man schafft einfach nicht alles …
Inzwischen liegen drei Tage Louisiana hinter uns, zwei davon unterwegs im Cajunland, außerhalb des Planeten New Orleans. Es sind wirklich andere Welten, diese Stadt hier und alles, was außerhalb der Stadtgrenzen liegt. Gemütlich sind wir von Lake Charles aus Richtung Südwesten gefahren, weiltäufiges Land, unterbrochen von Bayous, Seen und Sumpfwäldern. Irgendwie hat man das Gefühl, da draußen geht die Zeit langsamer. In vielen Orten liegen die weitläufigen Grundstücke, die grundsätzlich nicht eingezäunt werden und kaum Gärten haben, weit auseinander – die Art von Landschaft, wo man schon ein paar Tage im Voraus den Besuch kommen sieht. Aber es gibt auch ganz kuschelige Orte mit hübschen Holzhäuschen und herrlichen alten, moosbehangenen Eichen und gigantischen Magnolien- und Rosenbüschen davor, die sogar jetzt noch blühen. Es hat oft tatsächlich was von entrückter Idylle, wenn man davon absieht, dass jeder Einkauf eine meilenweite Fahrt bedeutet, geschweige denn ein Arztbesuch oder anderes. Und wenn man weiß ist, dann sind auch alle Leute sehr freundlich –- beste Grüße von Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Was die Einstellung der meisten hier betrifft, würde ich bei längerem Aufenthalt wahrscheinlich doch schnell Amok laufen – oder mit dem Gewehr aus dem Dorf gejagt werden. Aber das ist nur halb, naja, sagen wir dreiviertel ernst.
Die Sümpfe sind hier nicht so undurchdringlich und geheimnisvoll wie weiter nördlich, aber trotzem etwas ganz Besonderes. Für mich haben sie einfach Magie. Auch wenn die Bäume jetzt mehr gelbbraun als grün und ziemlich licht sind. Das Wasser ist mit grüner Entengrütze bedeckt und voller gelber Blumen – keine Ahnung, wie die heißen. Die Zypressenknie sehen aus wie kleine Gnome, oft liegt sogar ein leichter Nebel über der Wasseroberfläche, in dem sich die Sonnenstrahlen brechen, die in Streifen durch die Baumkronen fallen. Die Schildkröten haben sich bereits zum Winterschlaf verkrochen, die Alligatoren haben sich genütlich in den wärmenden Schlamm auf dem Grund eingekuschelt, aber wir sehen unglaublich viel Vögel: graue und weiße Reiher und Raubvögel vorallem – und natürlich Eichhörnchen und Waschbären. Die meisten davon, und dazu noch Gürteltiere, sehen wir allerdings tot am Straßenrand. Aus dem Autoradio beschallt uns die ganze Fahrt über Radio Bayou mit Zydeco Musik – das kommt gut.

Gar nicht idyllisch dagegen sind die Bohrtürme und Raffinerien, die sich immer wieder aus der Landschaft erheben, aber auch die gehören zu Louisiana und dem Mississippi-Delta.

Wir machen einen Abstecher nach Avery Island, das wohl besser Tabasco-Island heißen sollte. Denn hier wurde sie erfunden und wird sie noch heute hergestellt, die weltberühmte scharfe Soße. Wir wollen uns diesmal die Fabrik ansehen. 1868 hat Mr. Mc Ilhenny die erste Soße für einen Dollar pro Fläschchen verkauft, jetzt werden 200.000 Flaschen täglich produziert! Die allerdings nicht mehr alle hier (obwohl man das eher verschweigt und behauptet, nur die Pfefferschoten würden inzwischen auch in Südamerika angebaut). Die Schoten werden noch immer von Hand geerntet und es dauert drei Jahre, bis sie vergoren und zur Soße verarbeitet sind.Die erste Fabrik steht noch und wurde nur erweitert. Ein sehr schön anzusehendes Ziegelgebäude, das um 1900 gebaut wurde. Und das Faszinierende ist, sie steht auf einem gigantischen unterirdischen Salzberg, der höher als der Mount Everest ist und dessen Salz noch heute für die Herstellung der Soße abgebaut wird. Wir haben uns einer Touristenführung in der Fabrik angeschlossen, die allerdings eher kurz ist und vorallem die Verdienste der Tabasco-Mc-Ilhenny-Familie würdigt. Beeindruckend, wie oft die Führerin es schafft, in ca. 15 Minuten diesen Namen auszusprechen, getoppt nur noch von dem Hochglanzfilmchen, das man vorgeführt bekommt, über Anbau und Verarbeitung der kleinen scharfen Schoten. Die letzten drei Minuten der insgesamt elf bestehen aus purer Werbung für die neuesten Kreationen, die man im angeschlossenen Countryshop kaufen soll. Zum Schluß darf man dann noch mal kurz durch einen 30m Glasgang gehen und in die Abfüllhalle schauen, wo sich genervte Arbeiter wohl eher wie im Zoo vorkommen. Interessant war´s trotzdem.

Außerdem gibt es auf Avery Island noch etwas sehr Schönes zu besichtigen: die Dshungel Gardens. Ein riesiges Areal, dass der gute (schon wieder!) Mc Ilhenny vor über 100 Jahren angelegt hat, um die heimische Fauna und Flora zu schützen, angereichert mit ein paar tropischen Neuzugängen. Man kann das Gelände größtenteils mit dem Auto durchfahren, wie bei einer Safari, aber an einigen Stellen gibt es auch ein paar Trails zum spazieren und Vögel beobachten. Die uralten Eichen sind wirklich eine Wucht! Es hat wirklich was von versunkener Welt. Das spanische Moos hängt an den Uraltbäumen teilweise bis zum Boden herunter – wie meine Freundin bei früheren Gelegenheiten schon so treffend sagte: Sie sehen aus wie bärtige alte Männer.

Wir übernachten in einem der größeren Kaffs an unserer Strecke: Morgan City. Wobei die „City“ aus ein paar verstreuten Gebäuden, Motels, Tankstellen und Restaurants am Highway besteht. Um 21 Uhr wird sogar der Highway eingerollt. Die Auswahl an möglichen Lokalen beschränkt sich kurz vor dem Zapfenstreich um neun auf zwei Fastfood-Lokale, eine äußerst zweifelhaft aussehende 24-Stunden geöffnete, schmierige Speise-Kaschemme und ein Grill-Lokal mit einer ebenso netten wie hübschen Bedienung, die uns trotz Feierabend noch einläßt. Das Essen ist gut ,aber besteht aus Fleischmassen, die wir nur zur knappen Hälfte in uns `reinzwängen, dann ist mir schlecht. Einen Verdauungsschnaps zu trinken bedeutet hier Mut: Schnaps führt nur die in der amerikanischen Provinz allgegenwärtige Sport´s Bar des Ortes. Für viele sicher eine Mutprobe, auf die sie lieber verzichten würden angesichts des trostlosen, düsteren Ladens mit den Gruselgestalten, die da herumhängen. Kriegt Hollywood nicht besser hin: Ein Altrocker mit hüftlangen, weißen Haaren, daneben ein jüngeres Semester mit stierem Blick, ein fetter, bleicher Gruftie, ein paar Billiardspieler ähnliche Kalibers und das unvermeidliche Honky Tonk Girl. Egal –mir ist schlecht. Ich brauche einen Drink. Zehn Minuten später verlassen wir den gastlichen Ort und begeben uns in unser ziemlich abgerissenes, aber freundliches Twin City Motel mit dem klebrigen Teppich und dem Brandloch-verzierten Bettdeck.

Der letzte Tag „auf dem Land“ zieht sich wieder ewige Landstraßen entlang, führt uns außer durch ein wenig pitoreskes Industriehafengebiet mit ein paar zusammenfallenden Bretterhütten-Puffs daneben, die so anziehend sind wie schmutzige Plumsklos mit abblätternder Erotikbeschriftung. Brrr. Außerdem passieren wir eine riesige Anti-Obama-Plakatwand und ein paar weitere, auf denen mir mitgeteilt wird, dass Schwangerschaftsabbruck Mord an Gottes Geschenken ist. Naja, wir sind ja bald in New Orleans! Aber immerhin essen wir in einem echten Fleischerladen (kein Supermarkt!!!) in einem Nest die beste Boudain, die ich je gegessen habe. Das ist eine ziemlich scharfe Wurst, die klassisch aus Reis, Gemüse  Kräutern und Schweinefleisch besteht. Hier gibt es sogar noch eine Extravariante mit Crawfisch, Flußkrebsen. Sie wird heiß gegessen, gleich aus dem Papier – es schmeckt einfach phantastisch!!!!! Damit könnte man halb Berlin süchtig machen – zumindest das nicht-vegetarische.

Am Mississippi angekommen passieren wir von Zeit zu Zeit noch ein paar von den berühmten alten Plantations (die alten Baumwollplantagen), auch die Oak Alley, wo „Vom Winde verweht“ gedreht wurde. Majestätische weiße Südstaatenvillen mit einer wenig ruhmreichen Geschichte, in der bekanntlich viel Sklavenblut geflossen ist. Aber darüber wird nicht so viel geredet, man schaut sich lieber den übriggebliebenen schönen Rest an. Und der ist wirklich schön.

Dann endlich: Über eine tolle alte Eisenbrücke (die allerdings wohl Ärger mit dem deutschen TÜV bekäme) auf die andere Seite des Flusses. Am Horizont eine Skyline: New Orleans. Mein Herz schlägt höher. Aber davon morgen mehr.

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04 On the Road: Texas – Louisiana

Das Wetter ist umgeschlagen, über Nacht. Gestern noch war es brütend heiß und auf einmal weht ein eisiger Wind und es sind noch gerade 14°C. Nicht zu fassen. So eine Gemeinheit! Beim letzten Frühstück am Riverwalk zittern wir in Sweatshirt, Strickjacke und Lederjacke gehüllt …

Der Abschied von Texas fällt mir nicht so richtig schwer. Es war spannend und schön, aber ich habe mich doch etwas alienmäßig gefühlt in diesem superamerikanischen Umfeld. Jedenfalls bin ich nicht gerade wehmütig, als wir uns aufmachen und Stunde um Stunde durch eine ziemlich öde, flache, fast baumlose Landschaft gen Osten rollen.Gelegentlich tauchen Ortsschilder –wieder vorallem mit deutschen und spanischen Namen – auf, ohne dass Orte in unserem altmodischen, europäischen Sinne zu erkennen wären. Eher ein paar willkürlich in die Landschaft gewürfelte Gebäude, Tankstellen, Baufirmen und so weiter. Irgendwo, weit voneinander entfernt, auch ein paar Wohnhäuser, meist diese mobilen, die sich auf einem Tieflader transportieren lassen. Keine Zäune, keine Gärten. Da! Plötzlich eine Erscheinung: „New Berlin!!“ Tja, Berliner gibt´s eben überall!

Am scheußlichsten sind die nicht enden wollenden Vorstädte von San Antonio und später von Houston. Riesige, meist phantasielose Gewerbebauten auf noch riesigeren verödeten Grundstücken, gebaut ohne jede erkennbare Stadtplanung, hässlich, abstoßend, zerstörte Landschaft. Aber dafür jede Menge Sternenbanner.Am scheußlichsten sind die nicht enden wollenden Vorstädte von San Antonio und später von Houston. Riesige, meist phantasielose Gewerbebauten auf noch riesigeren verödeten Grundstücken, gebaut ohne jede erkennbare Stadtplanung, hässlich, abstoßend, zerstörte Landschaft. Aber dafür jede Menge Sternenbanner.Wir rauschen an der Skyline von Houston vorbei, lassen sie links liegen. Immer wieder Öl-Raffinerien, die nachts durch tausende Lichter beleuchtet wie Märchenburgen wirken, flimmernde Inseln in der Dunkelheit – Trugbilder. Nur der Gestank, der gelegentlich durch die Lüftung ins Auto zieht, spricht eine andere Sprache. Westlich von Houston ist die Landschaft zwar immer noch platt und öde, aber immerhin sieht man jetzt schon etwas mehr grün und schließlich auch die ersten Sumpflandschaften. Die ersten französischen Namen tauchen auf, vorzugsweise enden sie auf -eaux: Cajunland und Louisiana in Sicht!Wir sind hungrig und entdecken zu unserer Freude ein Cajun-Food-Lokal. Ich bin begeistert als wir in einen saloonähnlichen, holzgetäfelten Raum kommen, der mit päparierten Catfisch-Köpfen, Alligatoren-Häuten und sonstigen echten und unechten Getier dekoriert ist. Das sieht nach gutem, bodenständigen Essen aus, sagt mir die Erfahrung. Dazu ein paar lustige gemalte Gator und Crawfische (=Flußkrebse, das Nationalessen hier), die gehören immer dazu, und Werbung für Gerichte, die es wirklich nur in der„Cajun Cuisine“ gibt: Gumbo, Jambalaya, Boudain, Crawfisch. Lecker, endlich! Wir stärken uns begeistert schmatzend und setzen uns wieder ins Auto: Unser Ziel ist Lake Charles, die erste größere Stadt in Louisiana, dort wollen wir übernachten.

Kurz vor der Dunkelheit überqueren wir endlich die Staatsgrenze zu Louisiana. Wir steigen beim Welcome-Center aus in der Hoffnung auf Hotelcoupons, die einem gelegentlich viel Geld sparen können – geschlossen, immerhin hat ein schlaues Köpfchen eine Kiste mit den gesuchten Heftchen vor der Tür abgestellt – wie aufmerksam! Bei einem Blick hinter das Gebäude macht mein Herz plötzlich einen Sprung: Vor mir liegt ein großer See. Im letzten Tageslicht spiegeln sich die mit spanischen Moos behangenen Zypressen imWasser – das ist das Bild, das für Louisiana steht wie kaum ein anderes. Ein Schild warnt vor dem Baden: Es gibt Alligatoren und Schlangen. Jaaa! Das ist es! Es fühlt sich absurderweise ein bisschen an wie „Nach Hause kommen“! Endlich bin ich, nach sieben langen Jahren, wieder da. Ich rupfe eine Portion Moos vom Baum und hänge es Miki um den Hals wie die Hulamädchen den Touristen auf Hawai die Blumenketten. Jetzt beginnt der schönste Teil des Urlaubs!

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02 San Antonio/Texas II

Liebe Güte- wie die Zeit vergeht! Da sitze ich schon wieder im Auto, und wir düsen endlose Highway-Meilen durch Texas nach Osten Richtung Louisiana. Will sagen, San Antonio ist Geschichte – zumindest für diese Reise. Dabei bin ich noch gar nicht dazu gekommen, Teil 2 des SA-Kapitels aufzuschreiben. In den letzten Tagen haben wir zwar viel Zeit unserem Laufabenteuer gewidmet, das allerdings ist unter eigener Überschrift zu lesen, unter special interest sozusagen.

Aber daneben haben wir uns natürlich auch eifrig als Touristen – oder soll ich sagen Voyeure texanisch-amerikanischen Lebens betätigt. Unsere Streifzüge durch die Stadt haben uns z.B zum Market Place geführt, im westlichen Teil von Downtown. Ja, und das ist auch nochmal so eine richtige Touri-Ecke, aber eine, die wirklich hübsch anzuschauen ist. Market Place besteht aus zwei Markthallen und einem Boulevard dazwichen mit Kneipen, Buden und einer kleinen Open Air-Bühne. Uns das alles auf mexikanisch. Wow, das sind mal Farben!! Hier wird alles angeboten, von Kitsch bis Kunsthandwerk, und alles knallbunt. Fast alle, die hier arbeiten, sprechen besser spanisch als englisch, und die Beschallung schwelgt, jammert und juchzt auch nach bester Mariachi-Manier. Am schönsten anzuschauen sind die Keramiksachen, schade,dass die einfach zu schwer sind … 23kg sagt die Airline und basta. Übrigens, der hier favorisierte T-Shirt-Aufdruck ist „I don´t asked to be mexican – i´m just happy“, soviel Nationalstolz ist dann doch geblieben. Aber mir hat ein Plakat im alten Steckbrief-Stil besser gefallen. Darauf zeigt ein furcherregender, bärtiger Gaucho auf den Betrachter, unterschrieben mit „I want you! For the mexican revolution!“

Ein anderer Streifzug führt uns auf der Suche nach verdaulicher Kost zu einem Sushi-Lokal, dem Tokyo Inn, nach Norden. Erst dachten wir, der Laden ist zu. Dunkel, verhangene Fenster, wären da nicht die verräterischen Autos auf dem Parkplatz. Und wieder ein Treffer für unsere kulinarische Wünschelroute! Der Laden ist proppevoll, viele Japaner. Das Essen ist echt lecker, liebevoll angerichtet und bezahlbar! Allerdings sorgt die Einrichtung bestimmt dafür, dass nicht jeder den Mut aufbringt, hier rohen Fisch zu essen: Der Laden wurde 1975 eröffnet, billig eingerichtet, und seitdem sind Generationen Hungriger hier eingefallen, ohne das jemals was erneuert worden wäre: ein abgetretener , siffiger Teppich, bröckelnde Isoliermasse aus der Styropur-Wandverkleidung, aufgeplatzte Vinylsessel , um nur mal den Gastraum ansatzweise zu beschreiben, von anderen Räumwn rede ich lieber nicht. Und die Krönung ist die asthmatische Klimaanlage, die alles in Eisluft taucht – im 10 Minuten-Takt ziehe ich meine Jacke an und aus, je nachdem, ob der fauchende Drachen gerade anspringt oder ausgeht.

Ausgesprochen der Ortskenntnis förderlich ist die Suche nach einem auch nach europäisch snobistischen Maßstäben genießbaren oder gar leckerem Frühstück! Nach zwei Tagen von pappigen Sandwiches, Hoachies oder ähnlichem verkleistertem Magen und der Weigerung, bei Danny´s, McDonald´s etc. einzukehren, haben wir uns dann doch ins Auto gesetzt, um die Umkreissuche auszuweiten. Broadway … klingt gut. Auf der Suche nach einem Supermarkt ist mir hier ein „Coffeeshop 24 hours“ aufgefallen, kuschelig gelegen gleich hinter einem mehrfachen Autobahnkreuz. Wir finden den „Pig Shop“ auf Anhieb.

Davor parken einige sehr merkwürdige Bikes, alle mit seltsamen Gestalten auf dem Rücksitz: Pink Panther etwa oder Miss Piggy oder eine vollbusige Dame mit Totenschädel, alle gut vertäut. Oha, wer gehört da wohl auf den Bock dieser Harleys? Die Sache klärt sich schnell: Wir betreten einen Laden im besten Fifties-Design: eine lange Sitztheke  und ansonsten Sprelacard-Tische und wundervolle gepolsterte Glitzer-Vinylstühle in rot, blau und grün. Ein paar dickliche, ältere Kellnerinnen tragen soeben mächtige Südstaaten-Frühstücke mit Maisgrütze, Pancakes, Bacon, Bergen von Eiern und Hashbrowns (eine Art Bratkartoffeln gerieben) auf. Und die Hungrigen sind die Harleybesitzer höchstpersönlich: Rocker und eine Rockerbraut so zwischen 60 und 70 Jahre alt, in perfektem Styling! Wie Kino! Und wir mittendrin! Zwar wird nun nix aus Espresso und Baguette, aber das Südstaaten-Frühstück in abgespeckter und abgegrützter Form ist lecker und der Unterhaltungsquotient hoch. Ausserdem hat noch jeder Tisch eine Filiale der zentralgesteuerten Music Box, an dem man vom Tisch aus seine Musik anwählen kann. Boah eh! Aus den vergrößersten Zeitungsartikeln über dem Tresen lernen wir noch, das dies ein Anleger des erstenDrive-Ins der USA in den 50ern ist und das die Onionrings in Texas erfunden wurden. Der fette Gormetkritiker auf dem Foto starrt durch zwei jener Zwiebelringe und erklärt „Ich habe nichts mit naturbelassenem Essen am Hut! In meinem Alter erwartet man gut durchgegarte Speisen.“ Mahlzeit !

Das bringt mich darauf, wie fasziniert und entsetzt ich hier immer wieder bin ob der nationübergreifenden Fettleibigkeit! Und irgendwie glaube ich, es wird immer schlimmer. Nirgendwo auf der Welt – die ja allgemein prozentual immer fetter wird, habe ich soviele Super-Korpulente (das war jetzt mein Versuch, mich politisch korrekt auszudrücken) gesehen. Zwei-Zentner-Wesen gelten da noch als Anfängerlevel. So viele Menschen, die nicht mehr gehen können, bestenfalls aus ihrem Riesenauto in einen motorisierten Wagen plumsen, um im Supermarkt neue Fastfoodberge und 5kg-Eispackungen nachzuladen! Junge Mädchen, bildhübsche Gesichter, aber den Körper böswilliger Karikaturen. Ganz zu schweigen von den älteren Homo Sapiens dieser Spezialausführung. Und im Fernsehen wirbt eine nach altmodischen Maßstäben ebenfalls stark Übergewichtige dafür, sich doch endlich gesund zu ernähren, mit echtem Gemüse und so … Nee, tut mir leid, das ist einfach ein schauerliches Kapitel des American Way of Life.

Und wo ich ja gerade am geifern bin: Oh, mein Gott: dieser Abfall-Wahnsinn!!! Wir werden ja schon bald im Plastikmüll versinken, aber vorher ist Amerika längst darunter begraben. Nichtmal in den „besseren“ Cafés, die italienische Espressomaschinen haben, kann man einen Kaffee in einem wiederverwendbaren Gefäß bekommen. Nein, um den Plastikbecher wird sogar noch ein dicker Pappring gestreift, damit man sich die Finger nicht verbrennt. Das Sandwich wird nicht nur auf einem Wegwerfteller serviert, sondern es wird nochmal extra in Papier verpackt, Soßen, Ketchup etc. dann noch in extra Plastiknäpfchen. Das eingeschweißte Plastikbesteck dazu ist dann nochmals zusammen mit Zucker und Süsstoff und Coffee Creamer (egal , ob man das alles will) in eine weitere Tüte eingeschweißt usw. usw.

Genau wie der Energiewahnsinn: Nicht nur, dass man sich jedesmal fragt, wenn man bei jedem Autohändler nicht Dutzende, sondern mehrere hundert neue Kisten stehen sieht, wer die noch alle kaufen soll … Ein Beispiel: Wir kommen in San Antonio nachts an, mieten uns in einem Motel ein. Wir bekommen eins von etlichen leerstehenden Zimmern. Tür auf: Eiseskälte – die Klimaanlage läuft auf vollen Touren, wie lange? Seit Tagen? Wir wechseln das Zimmer, weil ich nicht ebenerdig direkt an der Einfahrt schlafen will. Dieselbe Eiseskälte. Und sogar als wir schon dort wohnen und das Ding tagsüber ausmachen, wenn wir weg sind – nein, die Zimmermädchen schalten es wieder auf volle Pulle! Offensichtlich Anweisung des Managements … Mann-o-mann, da hat Obama aber noch ganz schön zu tun, so als Vorreiter-Kämpfer gegen den Klimawandel …

So, genug aufgeregt. Aber das gehört eben unter die Rubrik: mein schwerwiegend zwiespältiges Verhältnis zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten!

Zum Schluss für heute aber noch was Positives: Die Menschen, denen wir hier in Texas begegnet sind, waren alle unglaublich freundlich. Auch außerhalb des Haifischgrinsens der Verkäufer und Restaurant-Werber! Höflich, freundlich und hilfsbereit, ganz den alten Südstaatentraditionen folgend. Wirklich sehr angenehm! Allerdings sollte man sich nicht allzu oft hinreißen lassen, über heikle Themen wie Waffenrecht, Krieg, Welt- oder Sozialpolitik zu reden, wenn man nicht weiß, wen man vor sich hat. Das kann hier unangenehm werden. Aber das habe ich schon lange gelernt.

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