5 – Alt und schön

Taormina. Das ist mein Plan für heute. Ich habe gehört, daß diese alte Stadt an der Ostküste besonders schön sein soll. Es bedeutet zwar rund zwei Stunden Fahrt, aber das nehme ich gern in Kauf. Das Wetter wird immer noch von dem an der Küste vorbeigezogenen Hurrican beeinflusst – viele Wolken, mal sehen, was der Tag bringt. Auf jeden Fall ist es schön warm.
Einmal unten auf der Autobahn Richtung Messina angekommen, geht die Rallye wieder los. Wozu hier überhaupt Geschwindigkeitsschilder stehen, weiß ich nicht. Ich habe mich schon ziemlich angepasst, trotzdem gehöre ich immer noch mit Abstand zu den Langsamsten…


Die Strecke bis Milazzo kenne ich ja schon, danach kommen nur noch ein paar Tunnel, zum Glück. Aber je näher Messina rückt, desto niedriger und weitläufiger werden die Berge, sie sind nicht mit so vielen Bäumen bewachsen, wie weiter westlich. Ein anderes Landschaftbild, sanfter. Mir gefallen allerdings die wilden Berge besser. Aber das Meer bleibt fast immer in Sichtweite.


Kurz vor Messina endet diese Autobahntrasse, man muss durch die Mautstelle. Hier gibt es immer Automaten, die man vom Auto aus ziemlich schlecht erreicht. Allerdings sitzt ganz still und möglichst unauffällig ein Kassierer hinter der Scheibe daneben. Theoretisch kann man dann auch bei ihm bezahlen. Aber man tut es besser nicht. Seltsamerweise sehen die dicken älteren Herrn alle gleich aus und sind auch alle gleich bärbeißig und genervt, wenn so ein Störenfried sie mit Arbeit nervt. Muss wohl so in der Arbeitsplatzbeschreibung stehen.
Von der Großstadt Messina auf dem Nordostzipfel von Sizilien gelegen, bekomme ich nicht viel zu sehen, äußert den südlichen Ausläufern. Aber der Autobahnwechsel zur Nord-Süd-Richtung ist ein Erlebnis. Das Kreuz mit mehreren Ab-und Auffahrten liegt in einer großen, breiten Schlucht. Besser gesagt, eher darüber. Es ist eine gigantische Viaduktspirale, die aussieht wie die XXL-Version einer Kugelbahn für Kinder. Wer hier nicht aufpasst beim ewigen im Kreisfahren, stürzt tief!


Nun also nach Süden, am Horizont werden hohe Bergzüge sichtbar und dann endlich auch, dunstumhüllt, der Ätna. Die Küste wird wieder deutlich schöner, es sind wieder Strände zu sehen. Eine Dreiviertelstunde später schraube ich mich endlose Schlangenlinien nach Taormina hoch. Das kleine Auto keucht schwer im ersten und zweiten Gang nach oben und nervt damit die PS-starken Kollegen hinter mir.


Irgendwann nach dem dritten Tunnelausgang bin ich am Rand der Altstadt ganz oben auf dem Berg angekommen. Mir bleibt nur ein sündhaft teures Parkhaus, es gibt keine anderen Parkmöglichkeiten, es sei denn, ich fahre wieder die ganze Strecke runter. Aber das ist schnell vergessen. Durch das alte Messina-Tor kommt man in die eigentliche Altstadt, auf den Corso Umberto. Eine wunderschöne alte Straße, die sich für die zahlreichen Touristen in eine hübsche Shoppingmeile mit vielen Möglichkeiten zum Essen und Kaffeetrinken verwandelt hat. Kein billiger Ramsch, eher hochwertiger und schicker. Aber auch für die, die das nicht interessiert, ist es schön, hier herumzuspazieren. Immer wieder zweigen winzige, enge Gassen und Treppen ab. Blickt man durch eine solche Gasse nach oben, erhebt sich dahinter eine beeindruckend hohe, felsige Bergkuppe mit einem Gipfelkreuz.


Durch eine weiteres Tor in einer alten Mauer gelangt man auf die Piazza IX. Aprile mit gleich zwei Barockkirchen und einem Uhrenturm in der Mitte. Das schönste an dem nur zu drei Seiten bebauten Platz ist die vierte Seite: Sie bietet ein Panorama über Berge und die Küstenlinie nach Süden. Da dies ein besonderer Anziehungspunkt für Touristen ist, ist es natürlich auch der beste Platz für Künstler und Straßenmusiker. Der Corso Umberto schlängelt sich noch eine Weile dahin, bis zum nächsten alten Stadttor und einem sehr schönen alten Palazzo, dem Palazzo Corvaja.


Nur fünf Minuten entfernt ist die wohl berühmteste Sehenswürdigkeit Taorminas: Das Teatro Greco, ganz oben auf dem Berg, zur einen Seite direkt über dem tief unten liegenden Meer. Der Eintritt ist nicht billig, aber das ist egal.
Das antike Amphitheater hat seinen Namen eigentlich von seinem zerstörten Vorgänger: Die alten Griechen hatten hier im 3. Jh v. Chr ein Theater gebaut. Ein Jahrhundert später haben dann die Römer an gleicher Stelle den jetzigen Bau errichtet. Für sein stolzes Alter ist noch ziemlich viel von dem alten Gemäuer erhalten: Die beeindruckend große Arena mit den Sitzreihen, das Orchester, die oberen Wandelgänge, eine Aussichtsplattform. Und das schönste sind die Mauerdurchbrüche auf der Rückseite der Bühne, durch die man auf die Stadt, die Küste und – den Ätna am Horizont schaut. Irgendwie seltsam sich vorzustellen, daß hier dereinst einige von den großen Feldherrn wie Octavian und Hadrian gesessen und sich divertiert haben…


Ich durchstreife noch ein bisschen die alten Gassen, aber dann bin ich geschafft und brauche eine Pause mit Limonengranito und Bruschetta. Ich konnte von hier oben schon einen ausgiebigen Blick auf die berühmte Isola Bella unten vor der Küste werfen – eigentlich wollte ich da noch hinfahren und auch an den Strand gehen. Aber nun scheint mir das doch zu stressig zu werden, immerhin muss ich noch zurück, und das würde ich gern vor der Dunkelheit schaffen.

Ich schlängele mich auf einem neuen Weg durch Taormina zurück zum Meer und zur Autobahn. Auch die nicht direkt zur Altstadt gehörenden Viertel sind heimelig und angenehm, aber es gibt unglaublich viele Hotels hier. Die Strände nach Süden sind zwar lang, aber nicht unbedingt zu Fuß zu erreichenAuf den Serpentinen nach unten jagen mich Motorroller- und Motorradfahrer mit röhrenden Motoren, sie kleben genervt an meiner Stoßstange, dabei kann ich angesichts der extremen Kurven nun wirklich nicht schneller als 50 kmh fahren.


Ich fahre auf einen Blick an der Isola Bella vorbei, bevor ich zurück auf die Autobahntrasse abbiege. Schnell bin ich wieder in Messina. Hier ist in Richtung Palermo aber die erste echte, kilometerlange Baustelle. Es gibt eine Umfahrung, auch Mr. Google weiß das. Die Route führt ein Stück durch Messina, so dass ich nun doch einen Eindruck bekomme. Dann geht es über die Dörfer in teilweise extrem engen Straßen – immer weiter nach oben. Irgendwann werde ich misstrauische, auch wenn das Navi stur bleibt. Inzwischen bin ich ganz oben in den Bergen über Messina. Und auch wenn das Folgende langsam inflationär wird: Wieder einmal bin ich begeistert von dem Blick, der diesmal gleich über mehrere hohe Bergzüge reicht. Manchmal stehen Kirchen, alte Festungsruinen ganz oben drauf. Der Himmel darüber schmückt sich mit Wolkengebirgen, die Sonne wirft ein paar Strahlen auf die Erde. Fast schon zu viel Postkarte.


Aber die Strecke hört nicht auf, sie wird immer länger und es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass ich meine Hände am Lenkrad keine zehn Sekunden gerade halten kann, eine Kurve jagt die nächste. Da könnte eine Geschäftsidee drauss werden: Extremfahrtraining in echter Natur. Aber die absolute Krönung habe ich noch vor mir: Die alternativlose Strecke führt mich durch ein hochgelegenes Städtchen mit Straßen, in denen immer nur abwechselnd Autos aus einer Richtung passieren können. Und der Clou am Schluss: eine steile Gasse, die so schmal ist, dass ich mit dem Panda kaum durchkomme ohne die Mauer links und rechts zu touchieren.


Das Navi hat zwar wieder mal versagt bei diesem langen und anstrengenden Umweg, aber – es war ein aufregender und schöner Umweg. Nur gut, dass ich allein im Auto war (was ich übrigens hier schön öfter gedacht habe) – denn dem jeweiligen Beifahrer wäre garantiert schlecht. Endlich wieder unten auf der Küstenstraße, erreiche ich auch bald die Autobahn, die ich mir für den Rest des Weges verdient habe.


Die Sonne steht schon tiefer, aber hoch genug, dass ich mir noch meinen täglichen Ausflug ans Meer erlauben kann, bevor ich nach Santa Margherita hochfahre. Diesmal lande ich per Zufall an einem besonders schönen Strand in Mangiova, dem Grotte Strand. Ein ausgiebiges Bad unter einem kitschigen echten Regenbogen krönt meinen spannenden Tag. Als Ich auch noch ein kleines Restaurant entdecke, beschließe ich, hier im Sonnenuntergang zu essen.

Es war eine sehr schöne Zeit auf Sizilien mit vielen Entdeckungen, die Lust auf mehr gemacht haben. Und der morgige Tag wird für mich noch mal schön, für Leser aber uninteressant: Da ich mein Auto abgeben muss, haben mich ein paar sehr nette und lustige Leute aus dem Hotel eingeladen, mich mit an genau diesen Strand zu nehmen für einen letzten genussvoll faulen Tag. Sonne, Meer und süße Träume….

1 – Tief und Hoch

Sechs Uhr und ich schaue vor meinem Bungalow der im Nebel versteckten aufgehenden Sonne zu. Ich bin ein bisschen aufgeregt, denn ganz kurzfristig hat sich ein Abenteuer ergeben. Tauchen! Ich habe vor zwei Tagen eine Werbung an einer Hauswand gesehen und nur aus Neugier über die hiesigen Konditionen eine e-mail geschrieben. Irgendwie dachte ich, dass die Saison wahrscheinlich vorbei ist, denn es sind nicht mehr viele Touristen unterwegs. Während der Tour gestern habe ich aber eine prompte Antwort erhalten und das Angebot, heute früh zu tauchen. Da konnte ich nicht widerstehen…


Ich bin überpünktlich beim Dive Center „Aqua Element“ am Strand von San Giorgio. Die gute Nachricht: Die Tauchgruppe besteht aus dem Instructor Marco und Mario, einem älteren Taucher, der wohl ein Freund ist. Ich muss nun nur noch die passende Ausrüstung finden, also anprobieren. Zu meinem Missfallen besteht Marco auf einem langen Suit mit Jacke und Kapuze. Angeblich ist es sonst zu kalt, was mir bei einer Temperatur von 22 Grad auf dem Grund wenig einleuchtet.


Ich hasse dieses dicke Zeug, was man nur mit viel Aufwand und Kraft anziehen kann und in dem man sich dann kaum bewegen kann! Es verunsichert mich total, zumal die Hose zu lang ist. Aber da muss ich wohl durch. Wir fahren vom Strand mit einem Schlauchboot los, Ziel sind zwei verschiedene Felsen, die etwas östlich Richtung Patti aus dem Meer ragen. Ich fühle mich immer noch etwas unwohl mit dem dicken Zeug. Aber im Wasser wird es hoffentlich besser. Mit dem schweren Rest der Ausrüstung behangen, geht dann alles sehr schnell.


Die Sicht ist exzellent – das Wasser ruhig und klar, leider scheint oben keine Sonne, sonst wäre es sicher noch schöner. Lobster winken mit ihren fluoreszierenden Fühlern, verschiedene Fische schwimmen vorbei, auch am Grund ist einiges Meeresgetier unterwegs. Immer wieder großartig, wenn auch nicht zu vergleichen mit den tropischen Gewässern. Doch ich komme irgendwie nicht recht zur nötigen Ruhe, denn mein Tank sitzt nicht mittig und ich versuche ständig daran herumzuzerren, weil er mich beim Schwimmen stört. Und irgendwann passiert es, ich werde nervös, achte nicht auf die richtige Schwebebalance, versuche zu schnell zu tarieren – und steige unbemerkt nach oben. Das sollte so nicht sein, ist aber nun mal passiert, der Instruktor hat es nicht verhindert.


Einmal oben, ruhe ich mich erst mal eine Weile aus und schwimme zum Boot zurück. Die beiden lassen mich in der Obhut des kugelrunden Bootsmanns und gehen noch mal unter Wasser, denn der Tauchgang hat erst eine halbe Stunde gedauert. Alles kein Problem, aber ich habe leichte Kopfschmerzen und verzichte vernünftiger Weise auf einen weiteren Tauchgang. Ein bisschen traurig bin ich schon, aber es wäre keine gute Entscheidung. Ja, ich bekenne es: Ich bin zwar kein Warmduscher, aber eindeutig ein Warmwasser-Taucher! Das ist meine Welt.


Zurück in meinem kleinen Auto überlege ich, was ich mit dem Rest des Tages machen will, das Wetter sieht eher nach Regen aus. Der Bootsmanns hat mir „Santuario de Tindari“ gezeigt, eine Kathedrale, die östlich von Patti majestätisch auf einem besonders hohen Berg thront. Das ist die beste Idee. Nach rund 40 Minuten durch die üblichen engen Serpentinen bin ich endlich da, d.h. im Dorf Tindari. Unterwegs habe ich wunderbare Sicht auf das beeindruckende Bauwerk gehabt, aber leider kann man auf diesen Straßen nicht anhalten.


Vom Dorf aus muss man den Rest zu Fuß oder per Shuttle-Bus zurücklegen. Aber es ist Mittagzeit, und da ist sogar die Madonna beim Essen: Es ist erst um 15 Uhr wieder geöffnet. Ich kehre in einem kleinen Restaurant zum Mittagessen ein. Ich bin der einzige Gast, außer einer italienischen Drei-Generationen-Familie, die hier irgend etwas feiert. Oder doch eine Beerdigung? Fast alle tragen Schwarz, die Männer weiße Hemden, am Kopfende sitzt der Patrone. Es ist wirklich immer dasselbe: Schon wieder das perfekte Klischee. Zwar nicht der Pate, aber eine Bilderbuch-Familie mit allem, was dazugehört, inklusive Zigarre, die er abseits von seinen Söhne flankiert, raucht.


Ich werde von Kellner gebeten, mich umzudrehen und die Familie zu begrüßen, die hier die Goldene Hochzeit der Familienoberhäupter feiert. Ich gratuliere angemessen, mit vielen bewundernden und freundlichen Gesten, mangels der richtigen Worte. Der Patrone ist zufrieden und wünscht mir huldvoll „Gute Appetitte!“


Als ich schließlich auf dem Berg mit der Kathedrale ankomme, nieselt es, aber das tut dem Eindruck des Riesenbauwerkes keinen Abbruch. Es ist eine Wallfahrtskirche mit einer Schwarzen Madonna. Das interessante Bild mit der schwarzen Madonna über dem Altar soll der Überlieferung gemäß nach einem Bildersturm in Konstantinopel im 9. Jh unbeschadet in einer Kiste an der sizilianischen Küste angeschwemmt worden sein. Es trägt die Aufschrift „Ich bin schwarz, aber schön“. Reicht wohl doch schon länger zurück, die Black Lives Matter – Bewegung…

Die Kirche, die groß, aber nicht sonderlich hübsch ist, wurde aber erst in den 50er Jahren gebaut.
Aber das Schönste ist der Ausblick von der Piazza vor der Kirche: Ein beeindruckendes Panorama der 220 Meter tiefer gelegenen Küste mit einer ungewöhnlichen Sand-Landzunge in der Lagune von Oliveri. Auf der anderen Seite blickt man auf das Gebirge. Aber die Küste sieht besonders spannend aus.


Und genau da will ich als nächstes hin. Obwohl Laghetto di Marinello, wie der Strand heißt, direkt unterhalb der Kirche liegt, ist es eine gute halbe Stunde Fahrt durch die Berge, bevor man endlich unten ist. Aus meinem Plan, auf die Landzunge zu wandern und das angrenzende Naturschutzgebiet anzuschauen, wird aber nichts: Es regnet. Aber – ohne Bad im Meer geht nicht. Also hopse ich schnell rein. Ich kann nicht so schnell wieder weg, wie beabsichtigt, da ein alter Fischer in mir einen willkommene Gesprächspartner sieht. Irgendwie merkt er nicht, dass ich nur einen Bruchteil verstehe. Ich höre, was über zu wenig Fisch klagt, was an den Winden aus Afrika liegt. Ich muss wohl an den richtigen Stellen den Kopf geschüttelt oder erstaunt geschaut haben – er freut sich. Und nass bin ich sowieso. Aber schließlich trolle ich mich und mache mich auf den Rückweg.


Heute ist sizilianischer Abend. Der Chef versichert sich persönlich, ob ich auch komme. Angesichts von gutem Essen und Wein werde ich mir das nicht entgehen lassen. Das Restaurant ist voll – jedes Zimmer hat seinen Tisch. Was ich nicht wusste: es gibt natürlich auch sizilianische Musik. Drei Musiker aus dem Dorf ziehen mit Gitarre, Akkordeon, viel Stimmgewalt und massenhaft Herzschmerz durch das Restaurant. Sie sind zum Glück wirklich musikalisch und etwas abgedreht, und so kann ich das folkloristische Element des Abends mit einigem Humor ganz gut aushalten. Bald ist der Gitarrist so blau, dass er den Wein aus den Gläsern der überraschten Gäste trinkt. Die Italiener sind schlauer – die halten den Jungs gleich eigene Gläser hin.


Nach dem vierten Gang mit allein vier Sorten Fleisch und Wurst ist mir langsam schlecht – soviel kann ich einfach nicht essen. Ich darf gar nicht an den Nachtisch denken! Also lege ich ein Trinkgeld auf den Tisch und entschwinde durch die Hintertür. Ich sitze noch ein Weilchen am nächtlichen Pool und verdaue, dann kann ich mich ins Bett wagen.