Do you know, what it means, to miss New Orleans? Dinah Washington spricht mir aus der Seele, denn ich weiß es und schon nähert sich der Abschied. Bald werde ich mich wieder zurückträumen in diese verrückte Stadt, eine von zweien in der Welt, die unterhalb des Meeresspiegels liegt. Schon deshalb sagt man ihr eine besondere Energie und Spiritualität nach. Damit kann nicht jeder etwas anfangen, aber für mich hatte diese Stadt immer etwas Mystisches und Magie. Sie kann einen bezaubern und sie macht zugleich oft Angst. Ich habe eigentlich immer nur zwei Sorten Menschen getroffen: die einen kommen her, schauen sich alles an und sagen: hmm., ja, schön und gehen wie sie gekommen sind. Die anderen können sich nicht vergessen und kommen immer wieder. „They got hooked to this place“, wie man hier sagt. So it happened to me.
Es ist diese ganz eigene Athmosphäre, diese gelassene Lebensart, obwohl das Leben hier alles andere als easy ist. Hier leben so viele ungewöhnliche, kreative Menschen, die Musik ist Teil der Alltagskultur wie sonst kaum irgendwo. Den größten Teil des Jahres ist es heiß und schwül und alles riecht ein bisschen muffelig, der Schimmel regiert. Überhaupt ist hier alles immer auch ein bisschen schäbig, Deutsche Hygienefanatiker finden es hier bestimmt schrecklich, ausser vielleicht in so exterritorialen Räumen wie den modernen Nobelhotels. Und die deutsche Gewerbeaufsicht würde die meisten Läden der Stadt sowieso dichtmachen. Aber hier nimmt man das mit laissêz affair, es ist enfach nicht so wichtig. Man kann gar nicht hektisch sein bei dem Klima, es geht nur träge und relaxt. So schwermütig und trotzdem kraftvoll wie der Blues selbst. Der Voodoo ist ein Klischee für Touristen, das sich in Form aller möglichen Souveniers prima verkaufen läßt.– aber hinter den Kulissen lebt er tatsächlich und irgendwie passt auch das, egal ob man damit etwas am Hut hat oder nicht.
Ich hab soviel erlebt in dieser Stadt, dass ich es mir gar nicht vorstellen kann, wenn alles das in meinem Leben fehlen würde. In den letzten Tagen haben wir uns ganz bewußt auch immer wieder aus den schönen Vorzeige-Ecken wegbewegt in die stinknormalen Wohngegenden, um etwas mehr davon mitzubekommen, wie der ganz durchschnittliche New Orleans – Einwohner hier lebt und tickt. Wir sind in unspektakuläre Viertel gefahren und haben in einfachen Nachbarschaftslokalen gegessen. Das war wirklich spannend und fast immer hat sich so auch das eine oder andere Gespräch ergeben.
In einem Falle sind wir in einem gutbesuchen Restaurant mit einem jungen Kellner über American Football und die Saints – die legendäre Mannschaft von New Orleans- ins Gespräch gekjommen. Uns war diesmal eine allgegenwärtige Begeisterung quer durch die Bevölkerung für die Saints aufgefallen, die wir nie vorher bemerkt hatten. Und das ist wohl auch tatsächlich so: auch eine Spätfolge von Katrina. Als die Mannschaft endlich wieder zu spielen angefangen hat, war das für viele eins der großen Symbole für die Wiedergeburt und den Überlebenswillen der Stadt. Und so ist das geblieben. Wir haben erlebt, als die Saints in Kalifornien gespielt haben: alle hingen vor den Fernsehern in den Kneipen und man würde nur hastig und ungewöhnlich unwillig bedient – keine Zeit, die Saints spielen gerade.
Ein anderes interessantes Gespräch hatten wir in Anita´s Grill – 24 hours. Das ist ein ganz einfaches Lokal an einer häßlichen Ausfallstrasse, in der Nähe des billigen Motels, wo wir früher gewohnt haben. Ich habe Jahre Anlauf gebraucht, bis ich mich vor 16 Jahren das erste Mal zusammen mit Miki hineingewagt habe. Wir wurden angestarrt wie eine Erscheinung: die einzigen Weißen. Die haben vor Schreck einen Moment ihre Unterhaltungen vergessen. Wir wußten gar nicht, wo wir hingucken sollten, um nichts falsch zu machen! Ich weiß noch, dass ich echtes Herzklopfen hatte. Aber ich bin da immer vorbeigefahren und wollte unbedingt mal rein. Und siehe da, nach ein paar Momenten haben alle weitergeredet und die Sache war gegessen. Zwei Jahre später hatten wir noch mal denselben Effekt ausgelöst, als wir mit unsren zwei hellblonden Kindern da `reinspaziert sind. Aber beim zweiten Mal, haben sie uns schon gegrüßt! Und das alles haben wir diesmal der Besitzerin erzählt, nachdem wir uns geoutet haben und erstmal über Katrina und ihr fast zerstörtes Lokal, das sie erst ein Jahr später wieder aufmachen konnte, geredet haben. Sie hat uns bestätigt, dass sowas wie unser Besuch damals incredible war. Inzwischen kommen aber wohl schon öfter Weiße herein, vorallem Bauarbeiter und jüngere Leute, die nachts Hunger haben. The times they are changeing, meinte sie und war froh drüber. Und stolz drauf zu hören, dass Leute aus Deutschland seit so vielen Jahre immer wieder bei ihr essen kommen. Es war so was, was man eine herzerwärmende Begegnung nennt.
Ein kleiner Ausflug hat uns noch in die Sümpfe geführt. Das gehört zu meinen liebsten Ausflügen, denn ich bin immer wieder fasziniert von dieser Landschaft. Wir haben schon unglaublich tolle Bootsfahrten in die verwunschenen Welten der Louisiana Swamps gemacht. Die spektakulärsten Sümpfe haben wir schon ein paar Mal besucht, also beschliessen wir, noch mal etwas Neues anzuschauen. Wir verlassen die Stadt südlich und fahren ins Naturschutzgebiet Jean Lafitte. Im Park Center lassen wir uns erklären, wo es für uns am Schönsten sein könnte. Mit Alligatoren ist nur noch mit Glück zu rechnen, die meisten schlafen am Oktober bereits. Aber bevor wir uns auf den naturetrails aufmachen, will Miki unbedingt noch bis ans Ende des Gebietes in die „Stadt“ Lafitte am Bayou Barbataria, der wie ein großer breiter Fluß aussieht. Die Anführungsstriche nehmen das Ergebnis vorweg: man wagt die über mehrere Meilen verstreuten Häuser, von denen viele mobile homes sind, kaum Ort zu nennen, es ist keinerlei Struktur zu erkennen. Soll wohl ein Anglerparadies sein – ich finde es scheusslich und absolut trist. Ausserdem frage ich mich, wovon die ganzen Menschen hier leben ausser ein paar Fischern…Bevor wir den gastlichen Ort wieder verlasen, dessen größte Attraktion eine Bande Pelikane sind, suchen wir noch Essbares. Eins von den drei Restaurants hat offen. Auch wieder so eine Welt für sich. Drei versoffene Typen, der Restaurantbesitzer, zurechtgemacht wie ein alter Rock´n Roll Star mit Föntolle, eine hübsche Bedienung und eine dicke Köchin. An den Wänden verstaubte präparierte Tiere und eine Kuckucksuhr. Spezialität ausser dem üblichen Kram: Bayrischer Teller: Bratwurst, Mettwurst, Rotkohl, Sauerkraut und german Bratkartoffeln… Leckere Zusammenstellung. Wie´s aussah, haben wir nicht überprüft.
Nachdem wir endlose Zeit hier verplempert hatten, kommen wir endlich, eine gute Stunde vor der Dunkelheit, in die Sumpfwälder bzw was die Trockenzeit hier davon übriggelassen hat. Man kann sie hier zu Fuß am Bayou entlang erwandern, im Gegensatz zu den richtigen tiefen Sümpfen anderswo. Aber die Natur ist auch hier wirklich schön, die letzten Sonnenstrahlen geben der Szenerie mit den moosbehangenen Bäumen, die sich im Wasser spiegeln und all den Palmettos und letzten Blumen ein besonders schönes Licht. Wenn wir nur die 3,2 Meilen bis zur Schließung des Naturparks nicht im Dauerlauf zurücklegen müssten… Aber wir beobachten immerhin noch eine große Nutriafamilie beim Abendessen und sind dann bei heftig sinkender Sonne und dem unheimlichen Ruf eines Uhus noch rechtzeitig zurück, um vor Parkplatzschliessung ins Auto zu kommen. Ich bin gerade beruhigt, dass ich nicht in der Wildniss bei den Bären und Alligatoren schlafen muss, da verkündet Miki, wir sehen uns noch den anderen Trail ein paar Meilen weiter an, weil der Ranger gesagt haben soll, nach Sonnenuntergang sieht man besonders viele Wildtiere!! Im fast Dunklen, mit Badelatschen! Ich habe die ganze Zeit Angst, auf eine Schlange zu treten, die es hier in Massen gibt! Nach ein paar hundert Metern und heftigem Geraschel in den Büschen, etlichen erschreckten Eichhörnchen und einem fetten Platschen im Bayou ist er endlich bereit, umzukehren. Und zufrieden – so wie Kinder eben sind, wenn sie sich durchgesetzt haben…
Und zur Liste der Dinge, die ich hier gelernt habe , muss ich wohl diesmal noch etwas hinzufügen, was sicherlich wenig vorteilhaft für mich ausfällt, aber bestimmt zur Erheiterung meiner werten Leser beiträgt! Also: Beate hat in ihrem Leben noch nie einem Waschsalon betreten. Das sei vorangesetzt. Nun haben wir diesmal nicht mit dem zwischenzeitlichen Wettereinbruch gerechnet – der sich auch glücklicherweise jetzt wieder erledigt hat. Aber wir hatten zu wenig Sachen für kühles Wetter und die, die wir hatten, waren – bereits stark getragen…Also: waschen. Im Hotel zeigte man mir die Laundry und die Rezeptionstante sagt noch: da stehen zwei Maschinen zu Ihrer Verfügung. Ok. Ich also meine Wäsche unter den Arm geklemmt, das extra gekaufte Waschmittel gegriffen und die Brille aufgesetzt. Ich hab auch schön die Anweisung auf der Münzmaschine befolgt. Nach anderthalb Stunden die noch heiße, trockene Wäsche rausgeholt und noch ein bißchen rumgemeckert, dass die Maschine ja nicht viel taugt, denn es war nicht alles so besonders sauber. Bevor wir abgefahren sind, mache ich das Ganze Procedere nochmal, diesmal waren seltsamerweise sogar diese sich selbstauflösenden Waschmittelpäckchen noch heil…?! Und die Wäsche noch weniger sauber. Naja, was soll ich sagen: Ich hatte nicht kapiert, dass das nur der Trockner war und kein Vollautomat…Miki hat sich weggeschmissen vor lachen und ich bin fast im Boden versunken. Tja, wieder was gelernt. Nicht so unbedingt zwingend New-Orleans-bezogen und schon gar nicht von höherem philosophischen Wert – aber wat für´s Leben, oder?
Die letzten Streifzüge, die Zeit wird immer knapper. Noch ein paar Gewürzmischungen für die Cajunküche zu Hause (Ich kann super Gumbo kochen, jetzt will ich mich an Boudain heranwagen). Und wir müssen unbedingt bei Coop´s Place, unserem Lieblingsesslokal im Quarter, nochmal Cajun Pasta essen! Mit jeder Menge Shrimps, Crawfischen, Muscheln, Austern (die allerdings immer auf dem Tellerrand bleiben), Tassoschimken, Artischocken und Lauch in der Sahnesosse. Und das schön scharf, nach Cajun-Art! (Miki ist danach immer schweißgebadet, vorallem da, wo der werte Haarschopf etwas schütter geworden ist) Lecker!
Mir ist bei unseren letzten Spaziergängen, vorallem im French Quarte,r aufgefallen, dass ein Ausserirdischer hier eigentlich nicht sagen könnte, welche Jahreszeit eigentlich herrscht: viele Häuser tragen das ganze Jahr den glitzernden, knallbunten Schmuck von Mardi Gras, einige Häuser sind noch im orange-schwarzen Halloween-Look und andere erstrahlen trotz blühender Bäume bereits im vollen Weihnachtsornat. Geht hier alles.
Manchmal frage ich mich selbst, warum ich gerade hierher immer wieder zurückkommen muß. Es ist eine aufregende Stadt, aber auch eine beunruhigende. Aber vielleicht ist es ja sogar ganz gesund, dass einen die Stadt oft so verunsichert…Und womöglich liegt der tiefere Sinn auch in dem, was ein urbaner Straßenphilosoph (oder mehrere), damit meint, als er oben an einigen Laternenmasten handgemalte Schilder aufgehängt hat mit der Aufschrift: „Remember you could be wrong“ –„Denk daran, Du könntest Dich irren“.