13 Nach Norden IV

Parati stand schon lange auf meiner Wunschliste. Diesmal also hat es geklappt. Circa drei Autostunden südlich von Rio de Janeiro liegt diese hübsche alte Stadt am Meer. Schon allein das Bergpanorama,  das die Stadte einrahmt, ist beeindruckend: Gleich mehrere Bergzüge türmen sich voreinander auf, es erinnert an eine japanische Tuschzeichnung. Auf der Meerseite sind mehrere kleine Inseln malerisch im Ozean verteilt, alle dicht bewachsen (manche gehören einzelnen Privatleuten!). Wenn die Sonne scheint, sehen sie mit ihren Palmen aus wie knallgrüne Puschel im smaragdfarbenen Meer mit weißen Schaumkrönchen– einfach nur schön.

Die Stadt selbst ist etwas besonderes, denn seit sie im 16. Jahrhundert gegründet würde und nach einem ganz klaren Plan aufgebaut, hat sich die Struktur nicht geändert, zumindest, was den historischen Teil betrifft. Die Straßen sind mit großen Steinen gepflastert, die das Laufen hier zur extrem sportlichen Übung machen, ganz zu schweigen vom Autofahren. Das ist nur im Schritttempo möglich, und nach hundert Metern hat man das Gefühl, sämtliche Organe sind locker und völlig deformiert. Als Marathonläuferin habe ich ständig gedacht: Ein Glück, dass ich keinen Marathon vor mir habe, jeder Schritt wäre dann ein Risiko. Aber es sieht toll aus und hat auch einen Sinn. Hier haben die portugiesischen Baumeister nämlich mal nicht gegen die Natur, sondern mit der Natur geplant: Alle 12 Stunden ist die Stadt nämlich geflutet: die meisten Straßen stehen dann unter Wasser und das würde kein anderer Straßenbelag überstehen, schon gar nicht jahrhundertelang.

Die kleinen ein- und zweistöckigen Häuser sind fröhlich bunt gestrichen, überall üppig blühende Sträucher und Ranken neben den Hauseingängen und an den Mauern. Das gibt dem Strassenbild eine besondere Note. Jede Straße eine Postkarte. Herz der Altstadt ist der historische Kirchplatz – hier hat alles angefangen.

Die Stadt blühte auf, als im Inland, in Minas Gerais, Gold und Edelsteine gefunden wurden und die Portugiesen diese Schätze auf kürzestem Weg in die Heimat bringen wollten. So nutzten sie die von den Goaiania- Indianern gebauten Wege in die Berge. Einer davon wurde ausgebaut – aber auch nur dieser eine, damit alles unter Kontrolle und portugiesischem Monopol blieb: der Caminho de Oro (der Gold-Weg). Von Paraty wurde die Beute nach Rio verschifft und von dort aus nach Europa. Außerdem hatte der Hafen von Paraty große Bedeutung, weil hier die neuen Sklaven aus Afrika angelandet wurden… Später waren es vor allem Kaffee und Gewürze, die hier umgeschlagen wurden, bevor die Stadt dann lange Zeit in der Bedeutungslosigkeit versank.

In den 50erJahren wurde Paraty für den Tourismus entdeckt und wirklich schön und originalgetreu restauriert. Hier wohnen heute viele Künstler, europäische und amerikanische Zuwanderer – eine sehr interessante Mischung.

Am ersten Tag sind wir schwerfällig, aber begeistert durch die Gassen gestolpert – das Thermometer war auf ca 40 Grad geklettert. Man konnte kaum denken. Am Pier haben wir unter einem Baum Schatten gesucht und uns die eisgekühlten Kokosnüsse ans Dekolleté gedrückt, die wir ausgeschlürft haben, unfähig zu entscheiden, wie wir den Tag weiter gestalten wollten. Vor uns schaukelten buntgestrichene ehemalige Fischerboote am Kai, die man mieten konnte. Wir dachten, dass das viel zu teuer sei, aber es stellte sich heraus, dass es es durchaus bezahlbar war – schon ganz und gar mit der Aussicht, dem Brutofen zu entkommen und stattdessen kühlen Fahrtwind und Meer geniessen zu können.

So kam es, dass wir kurz darauf mit Käpt´n Mero und seiner lila-grünen Priscilla abgelegt haben und glücklich unter der Sonnenplane auf dem Dach liegend in die Wolken geträumt haben…bis sich eine schwarze Wolkenwand über die Berge auf das Meer zuschob.

Ein fantastisches Schauspiel! Aber auch ein bisschen beänstigend. Die Sturm- und Regenwand kam schneller auf uns zu als gedacht – umkehren hatte keinen Sinn mehr– dem Sturm entgegen. Also, schnell runter vom Dach und da flogen auch schon die schweren Kissen über Bord und es schüttete wie aus Eimern. Unser kleines Bootchen hat nicht schlecht geschaukelt… Wir haben trotzdem noch versucht, ein paar von den über Bord gegangenen Kissen wieder einzusammeln. Volle Kraft voraus hat uns unser Kapitän um die nächste Landzunge gebracht und an einem kleinen Strand angesetzt, der nur per Boot zu erreichen ist: Praia Vermelha.

Ein kleines Bambushütten-Restaurant ohne Wände, aber mit Dach zum unterschlüpfen war genau das, was wir brauchten. Wir haben ein leckeres Mittagessen aus gebratenem Fisch, Reis, schwarzen Bohnen und Salat genossen, dazu frischen Caju-Saft –so ließ sich das Schauspiel auf der Bucht gut abwarten! Bald war das Unwetter vorbei und wir sind wieder in See gestochen. Eine halbe Stunde entfernt, sind wir dann vor einer anderen kleinen Insel vor Anker gegangen und haben ausgiebig geschnorchelt.

Was für eine magische Welt. Ich übertreibe nicht – aber es waren tausende Fische! Riesige Schwärme kleiner silberner Fische, die mich an das Weltmeisterschaftskonfetti erinnert haben, sind um uns herumgeschwommen, Schwärme gelb-blau gestreifter Sergeantenfische, Zebrafische, rote, schwarze, blaue…keine Ahnung, wie die hießen. Man konnte über ein Korallenriff schimmen und einfach still schweben bleiben, so konnte man das geheime Leben auf dem Riff beobachten: Seeanemonen, seltsame scheue höhlenbewohnende Fische, blaue Krabben. Ich bin bewegungslos auf dem Wasser liegengeblieben und kurze Zeit später kamen ein paar neugierige Kerlchen und bauten sich direkt vor meiner Brille auf und glotzten so rein wie ich ´raus. Ein paar ganz freche Kerlchen fingen an, an meinen Fingerspitzen zu lutschen. Ich hatte zwischenzeitlich das Gefühl, völlig mit alldem zu verschmelzen.

Doch irgendwann wurde mir trotz des warmen Wassers kalt und meine Haut war verschrumpelt wie eine Backpflaume. Nur sehr ungern habe ich Yemanjas Welt verlassen (die Schutzheilige des Meeres in der Candomblé-Religion), um wieder in die Welt oberhalb des Wasserspiegels zurückzukehren. Im Sonnenuntergang hat uns Kapitän Mero, ein wirklich netter und smarter Typ, wieder sicher nach Paraty zurückgebracht. Ein leckeres Abendessen in den alten Gassen und die unverzichtbare Caipirinha haben den Tag perfekt abgerundet.

Tag Zwei war total verregnet und wir haben eine neue Bleibe gesucht und sind dabei auch ein Stück landeinwärts in die Berge gefahren, gern wäre ich weiter dem Caminho de Oro gefolgt.

Wenn ich den Tag auf/im Meer als einen der Höhepunkte dieser Reise empfunden hatte, sollte der folgende der zweite Höhepunkt werden: Wir sind flussaufwärts zu den Wasserfällen gefahren. Die Cachoeira da Pedra Branca liegt eine reichliche halbe Autostunde oberhalb von Paraty. Überflüssig zu sagen, wie der Weg dorthin durch den Urwald aussah. Und das mit einem unversicherten Auto… das letzte Stück muss man laufen, aber das ist ein Vergnügen: ein Winzling in der grünen Welt des Regenwaldes! Worte wie gigantisch sind hier wirklich angebracht. Riesige alte Bäume, deren oberirdische Wurzelteile dreimal so hoch sind, wie ein Menschlein, Blätter in jeder nur erdenklichen Form, trotz Herbst die herrlichsten Blüten überall – und dann der Fluss: der Wasserfall ist nicht besonders hoch, aber er hat mehrere Abschnitte, terrassengleich und immer wieder kleine Naturpools, in denen man baden kann. Kalt! Aber schööön. Allerdings muss man aufpassen, dass man auf den glitschigen Steinen nicht wegrutscht, zumal die Strömung ziemlich stark ist. Die meisten Besucher, an diesem Tag waren es nicht viele, wagen sich bloß bis zum ersten Absatz, bis dahin führt ein Weg mit einem Halteseil.

Doch wir wären nicht wir, wenn wir hier geblieben wären. Wir sind noch ein Stück den Fluss hochgeklettert – jetzt weiss ich auch, wozu der liebe Gott den Urwald mit Lianen ausgestattet hat: damit wir unvollkommenen Wesen beim Klettern Halt finden und nicht abstürzen!

Bald schon hatten wir einen großen runden Felsen mitten im tosenden Fluss erklommen. Hier waren wir ganz allein! Das sind die Momente, in denen ich wieder ganz genau weiss, warum ich dieses Land so liebe! Es erzeugt ein solches Glücksgefühl in mir, dass ich es kaum beschreiben kann. Alles andere fällt ab. Nur noch ich und die Natur! Der Dschungel macht mir in keiner Weise Angst, ich liebe ihn einfach. All die Schmetterlinge, Vögel, Blüten….

Wir sind ziemlich lange geblieben und haben einfach nur genossen. Vom Rande des Felsens konnten wir die Ausflügler unten beobachten, von denen sich maximal 20 Prozent auch nur zu einem Bad überwinden konnten…die Mutigste von allen war eine Frau, die bis fast auf unsere Höhe geklettert ist, ihr Gatte unten war not amused. Seltsamerweise macht zuviel Natur den meisten Brasilianern Angst.

Später sind wir noch weiter zum Wasserfall do Toboga am Caminho de Oro gefahren. Unterwegs haben wir in einem einfachen, aber netten Restaurant am Flussufer mitten im Wald, auf einem Holzdeck, ein sehr spätes Mittagessen zu uns genommen. Comida caicara, „regionale Küche“. Lecker!

Auch der zweite Wasserfall war sehr schön, aber für mich gab es da schon wieder zu viele Leute. Der untere Teil besteht aus einem riesigen glatten Felsen, den man als natürliche Rutschbahn benutzen kann. Und das taten ärgerlicherweise fast ausschliesslich sehr dicke, unsportliche Männer, was das Panorama beträchtlich verschandelt hat. Es hatte sowas von Ballermannvergnügen…Ein Stück weiter oben gab´s noch eine Hängebrücke über den Fluss (Mutprobe für mich Höhengeängstigte) und eine Bar mitten im Wald. Hier muss man einfach ein Acai na Tigêla essen: ein dunkelrotes Palmfruchtmuß mit Bananenstückchen – ein echtes Powerfutter – und suchterregend lecker!

Der letzte Tag hat uns nach Trindade geführt – einen der bekanntesten Strandorte gleich neben Paraty. Auch hier wieder reichen die steilen Urwaldhänge bis hinunter ans Meer, Platz machen sie nur für ein paar großartige Strandbuchten. Wenn man sich die Mühe macht, ca 25 Minuten über einen der Pfade durch den Dschungel zu gehen oder sich mit einem kleinen Fischerboot übersetzten lässt, gibt es noch eine kleine Zugabe von Mutter Natur zu bewundern: ein natürlicher, hellblauer Meerespool inmitten großer Felsen, „Dekobepflanzung“ mit bis ins Meer hängenden Ranken und Blüten inklusive.

Allerdings haben wir uns schnell wieder entfernt, da leider Sonnabend war und Massen von ziemlich nervenden Wochendausflüglern den schönen Pool verstopften, mit und ohne Bierdosen in der Hand…Aber abgesehen davon sind es wirklich Traumstrände.

Mit diesem Strandtag endete unsere kleine Reise nach Norden. Allerdings konnten wir nur bis Sao Sebastiao zurückfahren, nicht bis Boicucanga, da uns dort die schon beschriebene Sintflut überraschte und für Tage von der „Heimat“ abschnitt.

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12 Nach Norden III

Nu aber…endlich muss ich doch mal unseren Trip nach Norden zu einem Ende bringen …

Unsere diesjährige Endstation: Parati.

Doch unser Aufenthalt in dieser schönen alten Stadt sollte ein wenig schräg beginnen. Unsere Freundin Corrin war für zwei bis drei Tage mitgekommen, weil sie Parati liebt und mal ausspannen wollte. Da wir im Moment alle nicht allzu üppige Budget haben, hatte sie eine Super-Einfall. Die reiche Verwandtschaft von ihrem Ex-Mann…ein Cousin, der in Argentinien lebt, hat in einem Yachthafen bei Paraty seine Segelyacht liegen. Also hatte sie ihn angerufen und gefragt, ob wir vielleicht auf dem Boot schlafen dürften. Ja, kein Problem! Wir haben Luftsprünge gemacht und fanden alles cool und sehr fancy. Und zu dem noch – geldfrei!

Es war immer noch brutheiss und stockfinster als wir angekommen sind und über eine abenteuerliche Piste den Berg steil `runter zum Meer gefahren sind, bis wir endlich die Marina gefunden haben. Aber alles war vorbereitet, es war ein Schlüssel hinterlegt und uns wurde gesagt, dass schon Betten bezogen sind für uns. Ich hab mich schon wie ein echtes uptown girl gefühlt! Dutzende Yachten schaukelten auf dem glitzernden nächtlichen Ozean. Wie abgefahren!

Ein langer Steg führte an Dutzenden Yachten vorbei, bis wir an unserer ankamen. Keine der größten, aber – sah gut aus. Nachdem wir es geschafft hatten, die Luke aufzukriegen, begann der Abstieg in die Kajüte. Und schlugen bestimmt 60 Grad entgegen und es war stockfinster. Mit Feuerzeugen haben wir die Lichtschalter gesucht – nix ging. Ok, dann wohl eine Hauptsicherung. Nichts. Schweissüberströmt haben wir im Licht einer mini-Batterielampe und unserer Kopflampe aus Dschungelhaustagen fieberhaft daran gearbeitet, alles zu öffnen, was nach Luke aussah. Luft, bitte!!!!

Dann ein Anruf nach Argentinien: Ja, die Batterie ist wohl leer – tja, kein Strom. Und auch kein Wasser…Aber das gibt´s ja auf dem Festland, da ist eine Dusche und Toilette.

Unsere Laune stürzte in noch tiefere Tiefen als sie bei dem Hitzeschock schon gestürzt war. Aber so richtig zugeben wollte das noch keiner, wir haben noch gewitzelt und nur etwas gemurrt. Aber nachdem wir die Klaustrophie auslösende flache Schlafkabine gesehen hatten, ohne Luken, mit einer kaputten uralten Klimaanlage, wurde es langsam kritisch. Ich habe verkündet, ich schlafe an Deck.

Tja, aber wo? Das Schiff war nicht so groß wie gedacht, zumindest hatte es auf Deck nicht wirklich viel Platz. Ausser zwei 1,50 langen Sitzbänken sah´s schlecht aus. Wir saßen wie drei klitschnasse Häufchen Unglück da oben und haben uns angestarrt, bis das Ganze dann eher bin einem hysterischen Lachanfall endete und dem Beschluss des grossen, damendominierten Kriegsrates: Luken dicht, wir bleiben hier keine Minute länger! Pff, wer will schon auf einem Boot schlafen?!

Und so haben wir die nächste Stunde damit zugebracht, eine passable Pousada in der Nähe des historischen Zentrums zu finden. Ich hatte vorher im Internet in diesen Buchungsportalen etwas nachgeschaut und mir ein paar Sachen gemerkt. Die Frage ist nur, wie die die Fotos hingekriegt haben und wer die tollen Beurteilungen geschrieben hat…echte Löcher. Und alles andere teuer. Aber schliesslich haben wir eine bezahlbare Bleibe gefunden, die einen gewissen Charme zu haben schien, mit ein paar schönen alten Möbeln und Kunst an den Wänden: Casa Colônia. Generell sollte ich wohl bemerken, dass die Pousadas hier nur selten europäischen Maßstäben entsprechen. Das ist schon alles einen ganzen Zacken simpler und so bieten die meist kleinen Zimmer oft nur aus Bett, Nachttisch, Haken an der Wand. Und natürlich Propeller an der Decke oder (teurer) Klimaanlage. Ich hasse beides zum Schlafen, aber ohne geht es in der meisten Zeit des Jahres einfach nicht.

Wir waren´s also ganz zufrieden – für´s erste. Unsere Meinung hat sich dann in den kommenden zwei Tagen geändert, weil wir festellen mussten, dass der Laden einfach sehr schlecht und lieblos geführt wurde: Das Frühstück in einem langen, schmalen, mit alten Kolonial-Möbeln bestückten Raum war grässlich mit vergammelten Früchten und einer Zuckerdose voller Ameisen als Krönung. Dazu Beschallung aus dem Kofferradio mit einem verzerrten Radiosender, den sich das Zimmermädchen für sich selbst eingestellt hatte, bis Miki aufgestanden ist und den Stecker gezogen hat. Kein freundliches Gesicht, kein „Bom Dia“ – und das in einem Land, in dem die Menschen ausnehmend freundlich sind! Es gab zwar kein Essen für die Gäste, aber ab Mittag stank das ganze Haus nach frittiertem Fisch und Bohnen – dem Essen, das sich die Angestellten gekocht haben.

Die absolute Krönung dann war am zweiten Morgen der Auftritt des Besitzers. Ungewaschen, mit fettigen Haaren durchschlurfte er übellaunig in Pyjamahose den Frühstücksraum ohne einen Blick für seine Gäste. Es flätzte sich auf das Sofa in der Lobby, las die Zeitung und massierte sich ungeniert sein Gehänge, was ohnehin schon halb aus der kurzen Hose fiel.

Genug ist genug. Wir haben ausgecheckt und uns in den kommenden Stunden was Besseres gesucht. Nur wenige Euro teurer, aber in Strandnähe, fünf Minuten von der Altstadt entfernt: ein nettes, sauberes und helles Familienunternehmen mit freundlichen Menschen, einem leckeren Frühstück mit frischen Früchten und Säften – was will man mehr. Geht doch.

So, damit ich Eure Ausdauer nicht überfordere, schließe ich für heute und das eigentliche Thema Parati kommt als nächstes.

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11 Räubergeschichte

Oha! Irgendwie wird das wohl diesmal gar nichts mit einer auch nur halbwegs chronologischen Berichterstattung. Nicht nur, dass ich selbst so chaotisch organisiert und verlangsamt bin wie meine derzeitige Umgebung, nein – es kommen auch noch dauernd unvorhergesehene Ereignisse wie Überschwemmungskatastrophen und Raubgeschichten dazu.

Aber ich habe es aufgegeben, mich über das Durcheinander in meinem einst so geordneten Blog aufzuregen, Ihr solltet es auch tun. Vielleicht vermittelt das ja sogar ein wenig mehr brasilianisches Lebensgefühl als die Texte allein…

Zur Sache: Ich habe hier in Boicucanga gleich zu Anfang unseres Aufenthaltes von einem Projekt erfahren, das mich sehr beeindruckt. Meine Freundin Corrin beteiligt sich tatkräftig und mit Sachspenden daran: Projeto Buscapé. Das geht auf die Initiative eines Militärpolizisten hier zurück. Seit 5 Jahren arbeiten sie mit Kindern aus den Favelas (den Armenvierteln), aus armen und problematischen Familien. Jeweils 140 Kids zwischen 7 und 14 Jahren. In zwei Schichten an jedem Wochentag erscheinen sie täglich und nehmen an Kursen teil: Kochen, Musik, Theater, Kunst, viel Sport, Drogenprävention etc pp. Und fast noch wichtiger als das ist, dass sie ein normales Sozialverhalten lernen: Ich bin ein respektabler Mensch, ich respektiere andere, Disziplin, Zusammenarbeit, Zuneigung, Umgangsformen, Selbstbewußtsein etc pp. Supersache!

Und da in mir wohl doch eine Menge Journalisten-Blut fließt, konnte ich nicht anders, als Material zu sammeln, Interviews und Fotos zu machen usw. Ich habe vorgestern den ganzen Tag dort verbracht und mangels anderen Handwerkszeugs die Interviews per Fotoapparat gemacht. Es war der wöchentliche Gastro-Tag mit zwei ziemlich bekannten Chefköchen aus Sao Paulo. Am Ende hat mich einer von ihnen, der immer im Projekt mitarbeitet, Eudes Assis, ein bisschen genervt, weil er mein ganzes Material auch auf seinen Rechner laden wollte. EigentIich wollte ich längst los, aber gut…

Endlich Feierabend! Es wurde fast schon dunkel. Miki hat mich abgeholt, verschwitzt und geschafft wie ich war. Ich wollte unbedingt noch mal ins Meer springen. Wir hatten das Auto von Corrin geliehen und sind nach Camburizinho gefahren, haben das Auto abgestellt und ca 10 Minuten schwimmen gegangen. Als wir zurückkamen: Überraschung! Die Beifahrertür stand auf, das Handschuhfach war ausgewühlt – und die Kamera weg! Zum Glück hatten die Diebe wohl keine Zeit, den Kofferraum zu durchwühlen, da lagen mein Computer und Mikis Brieftasche.

Ich war …ich weiß nicht was: sauer, wütend, resigniert – just pissed. Die ganze Arbeit! Unsere persönlichen Fotos der letzten Woche – alles weg, ganz abgesehen von der Kamera. Aber was soll´s, die hat gerade mal 150 Euro gekostet und wir während zehn Brasilien-Reisen noch nie beklaut worden. Es musste ja mal passieren, dachte ich. Später haben wir rekapituliert, dass Miki einen Fehler gemacht hat: er hatte per Schlüssel die Fahrertür geschlossen, in der Annahme, dass das ganze Auto verriegelt ist, wie bei den meisten Modellen…war aber nicht.

Aber der Verlust des Materials hat mich echt gewurmt: Wir also ins Auto gesprungen und in ein Hotel in Boicucanga gefahren, wo es immer Essen und freie Logie für die Buscapé-Gäste aus Sao Paulo gibt. Dir Chefin kennt mich und hat gleich die Militärpolizei angerufen und alles genau weitergegeben, wo wann wie usw. Aber ich wollte keine sinnlose Anzeige machen, ich wollte nur das Material. Eudes, der Koch, war meine letzte Hoffung, hatte er doch einiges heruntergeladen, aber er war nicht mehr da. Die Hotelchefin hat aber herausgefunden, dass er noch vor Ort in einem Internetcafé war. Wir sind also nass und klebrig wieder ins Auto und haben ihn tatsächlich gefunden! Er hatte aber seinen eigenen Computer bei Verwandten in Camburi gelassen, mitten in der tiefgrünen Pampa, wo´s weder Telefon noch Internet gibt. Zusammen sind wir dahin – und –Jaaaa! Das Material, selbst das bereits gelöschte, war noch zu retten. Es hat eine lange Stunde gedauert, es auf einen Stick zu speichern. Auf diese Weise sind wir Eudes und seiner superhübschen smarten Nichte Nicoli bei Bier und Kuchen nähergekommen – vielleicht wieder der Beginn einer echten Freundschaft. Ich war zufrieden. Sch…auf die Kamera!

Gestern nun hatten wir Besuch von Euro und Belen aus Sao Sebastiao. Gemeinerweise hat es den ganzen Tag geregnet. Nicht schlimm und schön warm dabei, aber eben kein Strandtag. Wir haben uns von Café zu Café geschleppt und wollten noch mal kurz schwimmen, bevor ich noch ein letztes Foto bei Judotraining der Buscapé-Kinder machen wollte – mit geliehener Kamera. Damit die nicht auch noch verschwindet, sind wir diesmal zu dem erwähnten Hotel gefahren, um dort zu baden ohne das Auto auf der Strasse zu lassen.

Wir haben unseren Augen nicht getraut, als wir ausstiegen, und Hotelchefin, Cabo William und ein Kollege fröhlich lachend unsere Kamera entgegenschwenkten!!!

Ich konnte es nicht glauben. Aber die Jungs haben das persönlich genommen: eine Journalistin, die über ihr Projekt schreiben will und der man die Fotos und Interviews klaut! Die haben sich echt ´reingehängt und die Überwachungs-Kameras der gut bewachten Condominiums in Camburizinho gecheckt. Tatsächlich waren vier räuberische Kids drauf, einer hat das Zeug aus dem Auto geklaut. Per Foto haben sie jetzt ihre Patroullien suchen lassen – und den vierzehnjährigen Delinquenten gefunden! Unglaublich!

Sie haben ihn in die Mangel genommen, er hat die Kamera rausgerückt (er war ohnehin gefrustet, weil das blöde Ding nur deutsch versteht…) und ihm mächtig Angst gemacht. Er hat wohl wirklich hart arbeitende Eltern, die bisher keine Ahnung von seinen kriminellen Neigungen haben. Sie haben ihm gesagt, dass es sein könnte, dass sie vor Schreck an einem Herzinfarkt sterben, wenn sie das erfahren – und im Wiederholungsfalle würden sie seine Eltern informieren. Er hat sich fast in die Hosen gemacht vor Angst. Ausserdem haben sie ihm erzählt, dass er leicht mal auf der Flucht erschossen werden könnte, wenn er bei sowas erwischt wird (was übrigens nicht ganz abwegig ist). Diese Vorgehensweise mag in europäischen Ohren seltsam klingen, erscheint mir aber unter den hiesigen Bedingungen durchaus angemessen.

So habe ich nun meine Kamera zurück, wenn auch alle Bilder gelöscht sind, ein neues brasilianisches Abenteuer erlebt, neue Freunde gefunden – und das Leben ist schön!

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10 Update Sintflut

Vor zweieinhalb Tagen sind wir aus unserem Flut-Exil bei Belen in Sao Sebastiao „nach Hause“, nach Boicuganga, zurückgekommen. Wir sind etwas länger geblieben als unbedingt nötig, weil erstens immer noch Regenwetter war und zweitens unsere jungen Freunde uns gebeten haben, noch zu bleiben, weil sie es gerade nicht so leicht haben.  Sie haben ein Restaurant – Il Forno – und damit jede Menge Probleme; auch diese Geschichte ist ein echtes Stück Brasil, aber davon später.

Die Küstenstrasse ist seit Mittwoch vergangener Woche wieder freigeben, mußte aber zwischenzeitlich immer wieder zeitweilig gesperrt werden, weil Teile der aufgeweichten Berghänge abrutschen und zudem auf der Strecke immer noch schwere Baumaschinen damit beschäftigt sind, die Schäden in den Griff zu bekommen und die lockeren Erdmassen, Felsbrocken und Bäume zu sichern oder gleich vorsorglich abzutragen. So gestalten sich dieser Tage die Fahrten noch etwas stotternd – die Strecke ist immer noch teilweise einspurig wegen Bauarbeiten.

Zu sehen sind hier vor Ort überall noch Haufen von angeschwemmtem Müll, Baumresten, Plastikzeugs und in den direkt betroffenen Gebieten kaputte Brücken und Häuser. Einige Leute könnnen einfach noch gar nichtnzu ihren Häusern kommen. Die Flüsse, die ins Meer münden, bringen den ganzen Dreck jetzt mit. Deshalb gab es gestern auch schon wieder eine kleine Überschwemmung, obwohl es nur vorgestern Nacht ca 1 Stunde geschüttet hat: die Flussläufe sind noch blockiert, die Wassermassen können nicht abfließen und so „schwappt“ alles etwas verspätet über. Schon wieder fünf Häuser weniger. Wir haben hier echt Glück gehabt. Genau gegenüber unsrem Haus, am anderen Flussufer, wurden von einem großen Grundstück mit Hotel und einer kleinen Marina 1200qm Land einfach vom Fluss gefressen.

Hier in Boicucanga und Camburi, wo die Schäden mit am Schlimmesten waren, erscheint das Leben wieder erstaunlich normal, angesichts der Tatsache, dass hier soviel Menschen alles verloren haben. Das ist eine der Besonderheiten der brasilianischen Mentalität: Es geschehen die schlimmsten Dinge und kurz darauf geht man zur Normalität über, hat sich abgefunden, lacht wieder und das Leben ist schön. Es ist einerseits bewundernswert und ich wünschte, wir, die ewig Probleme wälzenden, leidenden, klagenden Deutschen könnten alle eine ordentlich Portion davon lernen. Andererseits ist es auch erschreckend und fatal, ist doch genau diese Eigenschaft verantwortlich dafür, dass hier soviele Dinge im Argen liegen und sich nichts ändert. Man vergisst und geht einfach zum Alltag über, egal wie groß die Probleme sind.

Die social media wie facebook haben hier eine wichtige Funktion, so zwiespältig ich ihnen auch in Europa gegenüberstehe: Hier wird unter anderem in solchen Situationen über facebook zur Mithilfe, zu Benefizaktionen, zu Spenden u.a. aufrufen, über den Stand der Dinge und auch über politische Vorgänge informiert. Auch für mich war das jetzt eine wichtige Informationsquelle. Z.B. dass Spenden gesammelt werden –  ich werde zwei Kisten mit Sommersachen, die ich hier geparkt habe, spenden. Gebraucht wird alles…Ich wollte gerade einen ollen Rucksack wegwerfen, der nicht nur grauenhaft aussah, sondern völlig ausgerissen ist – Belen hat ihn mir weggenommen, denn der ist sogar ohne Flut für viele hier wertvoll.

Vor zwei Tagen war der Gouverneur von Sao Paulo höchstpersönlich hier, um sich ein Bild zu machen (und gutes Wetter für die nächsten Wahlen). Er hat versprochen, dass es ausser 1,5 Millionen Real für die Schadensbehebung in den nächsten drei Jahren noch das Geld für 300 Häuser für die Armen fließen sollen – in überflutungssicheren Territorien, die kommunales Eigentum sind. Abgesehen davon, dass die meisten hier schwer daran zweifeln, dass am Ende viel von dem versprochenen Geld hier ankommt und nicht in den tiefen Kanälen der Korruption verschwindet, trifft das eins der Probleme, die Schuld an diesen katastrophalen Zustände sind.

Die Natur hier ist mächtig, sie lässt sich von den Menschen nicht beherrschen. Aber man könnte mit ihr leben. Aber genau das passiert nicht – vorallem aus Ignoranz, Unwissenheit und Armut. So wird hier ohne Sinn und Verstand wild gebaut und gesiedelt. Es gibt zwar mittlerweile einige Gesetze, die z.B. untersagen, an den Flussufern zu bauen oder in bestimmten von Überschwemmungen gefährdeten Gebieten zu bauen, aber niemand hält sich daran und es verhindert auch niemand. Bis vor Kurzem (und ich glaube, z.T. bis jetzt) galt, dass illegal besetzte Grundstücke nach zwei Jahren in den Besitz der Besetzer übergehen, wenn keiner Einspruch erhebt, so ist auch bis jetzt das Bauen ohne die nötigen Baugenehmigungen, die mit einer absurden, unendlich langwierigen Bürokratie verbunden sind, durchaus üblich. Notfalls werden die Bauten mit den üblichen Bestechungen legalisiert Dazu kommt, dass hier die Immobilienpreise sehr hoch sind und viele Menschen nur wenig bezahlen können. Billiges Bauland oder etwa öffentliche Siedlungsprojekte gibt es nicht – also wird gebaut, wo immer sich Platz findet. Und das ist eben genau in den Überschwemmungsgebieten. Leider muss man der Wahrheit halber auch sagen, dass dazu noch eine gehörige Portion Ignoranz und mangelnde Lernfähigkeit kommt. So ist den Leuten hier einfach nicht zu vermitteln, dass viele regelmässige Überschwemmungen der Häuser zu verhindern wären, wenn sie ihre Häuser einfach etwas höher bauen würden. Nö, haben das immer so gemacht, da wird nichts geändert….Ich weiss, dass klingt wieder rassistisch, ist es aber überhaupt nicht, es entspricht einfach der Realität. Und wir fahren schon so lange hier her und lieben vieles an diesem Land, aber wir haben eben inzwischen auch in seinen dunklen Seiten kennengelernt.

Für die nächsten Tage sind noch mögliche stärkere Regenfälle angesagt – hoffen wir, dass sie ausbleiben und sich alles wieder beruhigt.

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09 Nach Norden II

Erster erwähnenswerter Ort unterwegs nach Norden hinter Boicucanga ist Maresias. Eine lange gerade Ortschaft (Erholung für den gebeutelten Kurvenlehrling), die an einem ebenso langen geraden Strand liegt. Der ist der Grund dafür, dass hier immer schöne  langezogene Traumwellen an den Strand rollen und Maresias daher ein weithin bekanntes Surferparadies ist. Entspechend viele sonnengrbräunte, muskulöse Surferboys sieht man hier mit ihren fliegenden Untertassen umherstreifen. Die entsprechenden Girls nicht zu vergessen.

Es folgen einige Traumstrände in kleineren und größeren Buchten, meist mit einer entsprechenden Siedlung. Die Namen sind fast alle indianischer Herkunft und klingen für uns sehr exotisch: Barequecaba, Guaeca und Toque-Toque –wobei vorallem letzter (es gibt eine kleine und eine große Variante) mein Lieblingsstrand ist.

Dann schiebt sich plötzlich eine gigantische grüne Insel mit 1300m Meter hohen Bergen ins Bild: Ilha Bella, die Schöne Insel, wie sie zurecht heißt. Eine über 300qkm große Vulkaninsel, die im 16. Jh einem englischen Piraten Unterschlupf bot, nachdem er die Stadt Santos ausgeraubt hatte…

Nur der dem Festland zugewandte Teil ist mit dem Auto (nach einer Überfahrt mit der Fähre) zugänglich, der westliche Teil ist nur per Boot erreichbar und kaum besiedelt aber wohl paradiesisch schön mit Wasserfällen im tropischen Regenwald, kristallkaren Bächen und fast unberührten Stränden – heute zum Glück zu 80 Prozent unter Naturschutz stehend. Aber auch der zugängliche strandnahe Ost-Teil ist wirklich hübsch und entsprechend beliebt für Touristen, Tagesausflügler und wohlhabende Menschen aus Sao Paulo, die hier ihre Sommerhäuser haben. Überall blühen üppige Bougainvillea in lila, rosa und rot, Hibiskus, hawaianische Orchideenbäume, zweifarbige Manacabäume, Orchideen und noch wer weiß was alles, das ich nicht mal nach Befragung schlauer Bücher benennen kann.

Allerdings hat die Insel ein Problem: sie ist mit Urwald und den Wasserfällen, vorallem bei bestimmten Wetterlagen, eine Mosquito-Hölle! Uahhh! Vor einigen Jahren war es noch viel schlimmer, kaum auszuhalten. Inzwischen werden wohl den Wasserfällen Insektenschutzmittel zugesetzt, damit die Brut nicht in voller Stärke überlebt und man kann es aushalten. Ohne Insektenspray ist hier an der Regenwaldküste sowieso niemand unterwegs.

Es gibt offiziell nur einen richtigen Ort, die Vila. Im Mittelpunkt: eine hübsche alte blau-weisse Kirche „Ingrexa da Nossa Senhora da Ajuda“, die die portugiesischen Seefahrer nach ihrer Überfahrt aus Dank für Leib und Leben erbaut haben, mit einem sehr modernen Gekreuzigten von einem zeitgenössischen Künstler davor. Und natürlich ein Kirchplatz, der mit hübschen Blumen unter alten Riesenbäumen bepflanzt ist und dessen Attraktion nachts bunt illuminuierte Wasserspiele sind. In den alten Häuschen tummeln sich völlig überteuerte Geschäfte mit Kunsthandwerk und teurer Garderobe. Ansonsten reihen sich entlang der ca 3km-langen Strasse Privathäuser, Pousadas. Hotels und Restaurants aneinander, die andere Strassenseite besteht überwiegend aus Stränden. 25 Strände gibt es allein auf dieser Seite. Es ist wirklich schön hier für einen Ausflug, länger bleiben möchte ich nicht unbedingt. Die westliche Inselseite anzuschauen bleibt uns für ein anderes Mal.

Auf dem Festland, gegenüber von Ilha Bella liegt Sao Sebastiao. „die Stadt“ , „a cidade“, wie die Leute hier sagen. Sie ist sowas wie die Bezirksstadt in Deutschland. Allerdings werde ich sie an dieser Stelle übergehen, ich werde später davon erzählen, auf der Rückfahrt sozusagen.

Noch 30 km weiter, also ca 70 km oder knapp 2 Autostunden von unsrem Ausgangsort entfernt, liegt Caraguatatuba, noch eine größere Stadt – mit Abstand die allerhässlichste!!! Endlos zieht sie sich an zwei Strassen parallel zur Küste hin, planlos hingebaute lieblose, teilweise rotte Gebäude, die unzählige Werkstätten, Tankstellen, Supermärkte, Möbelläden u.ä. beherrbergen. Die trostlosen Querstrassen mit meist schwarz verschimmelten Wohnhäusern erzeugen Fluchteffekt. Der Stadtkern besteht überwiegend aus Geschäftsstrassen – das ist das Bedeutende an dieser zauberhaften Stadt: hierher fährt man für größere Anschaffungen und Einkäufe, wenn´s nicht für Sao Paulo reicht. Größte Attraktion ist ein schickes Shopping-Center mit einem Kino. Gruselig! Schnell weiter!.

Weiter geht´s im alten Indianergebiet der Tupi-Stämme. Etliche davon waren Kannibalen und haben im 16. Jh den deutschen Landsknecht Hans Staden gefangen, den sie auch verspeisen wollten, der aber gerettet wurde. Auch hier wieder ist die indianische Geschichte deutlich am Namen abzulesen, diesmal heißt die Stadt Ubatuba. Sie ist auch alles andere als aufregend, dafür aber endlos lang und hat 72 Strände und 10 Inseln! Das ist doch mal ´ne Statistik! Und mit Ubatuba endet dann auch der Staat Sao Paulo und es beginnt der Staat Rio de Janeiro. Unser Ziel. Nicht Rio selbst, sondern die alte Stadt Parati.

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08 Busfahren und so …

Ferien sind wirklich anstrengend – man kommt zu nichts. (Und das gute Essen mit anschließender Caipi am Abend verhindert die Schreiblust im Bett auf angenehm träge Weise) Ich bin schwer im Rückstand und dabei habe doch noch so einiges zu erzählen.

Die Küstenstrasse zum Beispiel – diesmal haben wir sie Richtung Norden befahren. Kurvenreich führt sie in stetigen Auf und Ab immer an der Küste entlang, nur selten entfernt sie sich mal ein paar hundert Meter davon, wenn man durch grössere Ortschaften fährt zum Beispiel. Aber meist ist sie direkt in den steil aufsteigenden Regenwald gebaut (Die Berge sind oft bis 200 Meter hoch), so dass man irgendwie immer das Gefühl hat, auf Safari zu sein: tiefer Dschungel, unendliche viele Formen und Varianten von Grün, hier und da von violetten, gelben und roten Blüten durchsetzt, Bananenstauden, Kokosnüsse, Acai – alles im Übermaß und einfach so neben dem Auto. Rechts, auf der dem Meer zugewandten Seite, immer wieder atemberaubend schöne Ausblicke auf den Atlantik, Dutzende vorgelagerter Inseln, Buchten, mal einsame Strände, mal besiedelt, der Blick meist umrahmt von tiefhängenden Zweigen, Ranken – und immer wieder auch beängstigend tiefhängenden Stromleitungen, die man sich lieber nicht im nächsten Sturm vorstellt.

Kurvenreich heisst hier, dass die Strasse eigentlich fast nur aus mehr oder weniger steil ansteigenden und abfallenden Kurven besteht. Kurze Gerade ausgenommen, die braucht der nicht seefeste Beifahrer oder gar Busfahrgast, um seinen Magen wieder zu beruhigen. Die Schönheit der Landschaft kann ich persönlich nur geniessen, wenn ich im privaten Auto vorn sitze oder im komfortablen Reisebus tief im Polstersitz vor mich hinschaukele. Bin ich allerdings gezwungen, einen der „Normalbusse“ zu benutzen oder bei einheimischen Freunden mitzufahren, kämpfe ich mit meinem Magen und – beim Busfahren zusätzlich mit dem ständigen Versuch, nicht voller blauer und grüner Flecke auszusteigen. Man muss sich wirklich mit beiden Händen festhalten, es hat was von Achterbahn. Diese Busse für den Normalo sind nicht nur laut, zugig und ungepolstert, die fahren in einem echten Rodeostil um die Kurven und nachdem sie sich mühsam einen Berg hochgequält haben, fahren sie dann mit Freuden auf anderen Streckenabschnitten einen so flotten Reifen, dass einem gelegentlich himmelangst wird.

Dazu muss man wissen, dass die Strasse nur zweispurig ist und die Brasilianer wie die Verrückten auch vor Kurven überholen. In der Dunkelheit sind dann noch jede Menge unbeleuchteter Radfahrer und lebensmüder Motorradfahrer auf der Piste. Wenn nicht gerade Miki fährt, dem ich voll vertraue, dann kneife ich schon öfter mal die Augen zu und halte mich fest – woran auch immer. Als extra Beigabe kommen dann noch Wildtiere und die in aller Ruhe über die Strasse trottenden streunenden Hunde dazu. Ja, langweilig ist so eine Autofahrt auf der schönsten Küstenstrasse der Welt wahrlich nicht – das Genießen muß man lernen. Aber dann ist es umso schöner. Das meine ich ehrlich, denn die Aussichten sind überwältigend.

Von Camburi aus nach Norden kommt man durch verschiedene Ortschaften, die nicht alle erwähnt werden können und müssen – im Folgenden nur einige wichtige Stationen.

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07 Auf nach Norden I

Die Küstenstrasse Santos-Rio de Janeiro gilt als eine der schönsten der Welt. Wir sitzen im unteren Drittel. Die alte Kaffee-Handelsstadt Santos, heute ein wichtiger Hafen und Endstation der Ölpipeline von Petrobras,  haben wir schon kennengelernt. In diesem Jahr muss was neues dazukommen – wie sich das für echte Forscher und Zigeuner gehört. Größere Unternehmungen gibt unser schmales Budget nicht her….aber wer emsig sucht, der findet eine Möglichkeit. Manchmal fällt sie einem auch in den Schoß.

Diesmal dürfen wir das Auto von Belen und Euro für ein paar Tage haben. Allerdings stellt sich plötzlich heraus, dass es nicht versichert ist – seit sechs Jahren. Zuerst hat das Geld immer gefehlt, dann das Daran-denken. Als sicherheitsbewußte Europäer erklären wir natürlich – neee, ohne Versicherung fahren wir nicht. Zumal hier Autos astronomisch teuer sind.

Wir erbieten uns, die erste Zahlung zu übernehmen. Ja, prima Anlass, das Projekt Versicherung endlich durchzuziehen. Alles kling ganz easy – die Bank macht das hier. Per Telefon werden die Daten aufgenommen – angelblich ist die Kiste nun versichert, sie muss nur innerhalb von 72 Stunden noch an einem Ort unserer Wahl von einem Versicherungsheini in Augenschein genommen werden. Haha. Wäre wohl zuschön gewesen, wenn mal irgendwas einfach so funlktionieren würde. Wir fahren los, unsere Freundin Corrin kommt 3 Tage mit und übernimmt die ewigen Telefonate – immer in Kontakt mit der Bank. Gar nicht so einfach, wenn es oft keine Handyverbindungen gibt, im nächsten Bundesstaat manche Handy-Karten nicht funktionieren, die Bank-Tante ihr Handy einfach zeitweilig ausschaltet….Ständig wird der Treffpunkt für die Besichtigung verschoben – entsprechend der geplanten Route nach Norden. Immer wieder fehlt angeblich eine andere Angabe, dreimal in zweieinhalb Tagen geben wir alle Daten von Neuem durch. Vergeblich, angeblich ist immer wieder etwas falsch, das Auto ist in keinem Meldesystem zu finden….blablabla. Schließlich sollen wir alles scannen und mailen – mach mal, wenn´s in vielen Orten nicht mal einen Kopierer gibt, geschweige denn Scanner! Nach fast 3 Tagen sind wir auf brasilianischem Niveau: Scheiss drauf, wer braucht schon eine Versicherung?!

Einen halben Tag noch verursacht das Gefühl, in einem potientiellen 40.000 Real-schluckenden schwarzen Loch zu sitzen (wenn´s dumm kommt), ein mulmiges Gefühl, dann macht sich entspannter Fatalismus breit, gepaart mit einem zweckoptimistischen „wir fahren ja vorsichtig“.

Irgendwie schwant mir wiedermal, warum hier alle so drauf sind. Hatten wir doch noch ein Europa-Kabel zu kappen vergessen bei der Ankunft? Ok, ist hiermit auch geschehen!

Auf geht´s, lasst uns eine Reise machen!

Davon im nächsten Kapitel mehr.

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06 Sintflut II

Und noch mehr breaking news: Wir sitzen immer noch in Sao Sebastiao fest. Nachdem die Straße nach Camburi gestern wieder einspurig geöffnet war, ist nun eine zweite Stelle abgerutscht und es wieder alles gesperrt. Darüberhinaus haben wir erfahren, dass die Überschwemmungen viel schlimmer waren, als wir anfangs gehört haben: Fast 2000 Menschen sind ganz oder zeitweise obdachlos, natürlich vorallem die Habenichtse in den miesen Vierteln, die besonders tief liegende und schlecht gebaute Häuser haben bzw hatten. Ob es Tote gibt, ist unklar. Es war wohl bis heute der Ausnahmezustand verhängt. Jetzt ist das Wasser einigermaßen weg, aber der Schlamm und die abgebrochenen Äste und Bäume, sowie Schutt und Müll liegen noch weitgehend herum. Unsere Freundin sagt, immer noch gibt es zeitweise Unterbrechungen der Strom- und Wasserversorgung, obwohl sich die Situation schon weitgehend entspannt hat.

Etwas nördlicher, im Staat Rio des Janeiro, war alles noch schlimmer, da sind 17 Menschen gestorben.

Die Regierung des Staates Sao Paulo hat 1,5 Millionen Real Soforthilfe bewilligt, was hier als Witz empfunden wird, weil das vielleicht 150-200 Euro für die Betroffenen bedeutet. Und das bei den Preisen hier!

Um die Sache noch absurder zu machen, macht der Regen jetzt auch noch Politik. Wieder ein Kapitel aus der Geschichte der Korruption hier: Der Prefekt/Bürgermeister von Sao Sebastiao (das ist nicht nur die Stadt selbst, sondern der ganze Verwaltungsbezirk mit vielen Orten) musste vor 3 Tagen zurücktreten, weil er der Korruption angeklagt wurde. Grund war, dass er sich für seine Wiederwahl die nötigen Wählerstimmen erkauft hat, indem er einer Gemeinde neues Land zur Urbanisierung versprochen hat – wenn er wieder gewählt wird. Er hat gegen 3 Gegenkandidaten mit 39 % der Stimmen gewonnen. Nun wurde er abgesetzt – vor drei Tagen. Gestern nun kam die Nachricht, dass der Richter über´s Wochenende seine Meinung geändert hat: in Anbetracht der Situation mit dem Regen und blablabla, sowie der ausstehenden höheren Instanzen in Sao Paulo und der Landeshauptstadt Brasilia, die der Mann für eine Revision der Entscheidung anrufen kann, befindet der Richter nunmehr, dass es der Region vielleicht mehr schaden als nutzen würde….und hat ihn wieder ins Amt gehoben. Ganz böse Zungen munkeln, dass der Richter jetzt etwas reicher ist. Er nimmt also seine eigene Entscheidung zurück. Der nachrückende Kandidat Nr 2 der Wahl hatte schon seinen Amtsantritt mit Feuerwerk gefeiert…Alles total gaga.

Hier in Sao Sebasiao ist alles ruhig, es nieselt, aber es gibt keine Probleme, außer dass das Supermarktangebot an Obst und Gemüse immer mieser wird, die Lieferungen bleiben aus. All unseren Freunden in Camburi und Boicucanga geht es gut. Allerdings ist der schöne, neuangelegte Garten von Corrin vollkommen platt – begraben unter Schlamm und einem großen umgestürzten Baum. Ihr Haus hat nichts abbekommen, wie auch die Behausungen aller anderen Bekannten nicht oder zumindest vergleichsweise nur wenig. Belen und Euro freien sich, dass wir noch länger bleiben. Aber wir würden uns wohl auch nicht wohl fühlen, jetzt in Camburi fröhliches Strandleben zu feiern…Also bleiben wir noch ein bisschen und warten ab.

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05 Verspätet: An die Küste

Uups, da ist wohl was durcheinandergegangen. Der böse Computer hat nicht gmacht, was die zugegebenermaßen etwas chaotische Autorin wollte…So habe ich gerade diesen Artikel entdeckt, der nur als Entwurf gespeichert war, aber irgendwie nicht veröffentlicht wurde, Dabei sollte er doch schon nach dem Kapitel Sao Paulo zu lesen sein! Sorry, nehmt´s mir  und dem Computer nicht übel. Also, einfach weiter im Text…Ao litoral do Sao Paulo! Auf ans Meer, an die Küste des Staates Sao Paulo! Ein komfortabler Überlandbus – das verbreitetste Verkehrsmittel innerhalb von Brasilien, oft sogar mit 1. und 2. Klasse – bringt einen vom Busbahnhof Tietê, der so groß ist wie ein ganzes Stadtviertel und mit Restaurants, Läden und den Schaltern der verschiedenen Busunternehmen ausgestattet ist, in alle Teile des Landes.

Das Kaufen eines Bustickets ist übrigens ein langwieriger, sehr bürokratischer Vorgang. Entsprechend lange steht man an den Kassen an. Fragt mich nicht, was da alles in die Computer eingegeben werden muß und warum jedes Ticket in dreifacher Ausführung ausgestellt und abgestempelt werden oder wieso vor dem Einsteigen Name und Ausweisnummer eingetragen werden muss, bevor der Fahrer alles gewissenhaft kontrolliert, ehe man einsteigen und den gebuchten Sessel in Beschlag nehmen darf. Wenn auch sonst alles chaotisch ist, das Busfahren ist in diesem Land eine höchst durchorganisierte, ernste Sache. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Busfahrer picobello-schnieke Uniformen tragen, Kellner vornehmer Restaurants dagegen durchaus in bunten Shorts und Badelatschen antreten…

Noch ein Tipp: wer in der üblichen sommerlichen Bekleidung einen Bus besteigt, sollte mindestens ein langärmliges Shirt greifbar haben, denn oft verwandeln die Klimanalagen den Bus in eine fahrende Kühltruhe, und wenn die nicht angestellt ist, werden die Fenster aufgerissen und man sitzt stundenlang im Zug. Aber darüber hinaus ist eine Fahrt im Überlandbus hier äußerst bequem und darüber hinaus lassen einen die Fahrer, wenn man schweres Gepäck hat, auch an einem x-beliebigen Punkt aussteigen und bestehen nicht auf offizielle Haltestellen. Zwischendurch gibt´s übrigens regelmäßige Kaffee- und Snackpausen an entsprechenden Restaurants.

Um der Chronistenpflicht aber Rechnung zu tragen sei gesagt, dass wir dieses Mal von einem Freund abgeholt wurden, was wir sehr zu schätzen wissen, denn wir sind nach 16 Reisestunden erst am Abend angekommen und hätten Probleme gehabt, noch einen Bus zu erreichen. Außerdem war die Aussicht auf 3 Stunden Fahrt in Romarios Klapperkiste bei halsbrecherischem Tempo und netten Gesprächen wesentlich angenehmer als die teure Busfahrt vom Flughafen nach Tietê, das Anstehen an der Kasse, Warten auf den nächsten Bus und anschließende 4,5 Fahrstunden.

Kurz vor Mitternacht erreichen wir Camburi, hier ist sowas wie unser Hauptquartier, auch wenn wir dieses Mal im Nachbardorf bei unsrer Freundin Corrin wohnen. Sie hat ihr Rrestaurant Cantinetta an der Strandstrasse von Camburizinho, dem teuersten Ortsteil dieses zum gefragten Badeort aufgestiegenen Dorfes.

In Camburi gibt es zwei Strände: eine kleinere, sehr pitoreske Bucht, Camburiszinho und durch eine Flußmündung und eine kleine, palmenbewachsene Felsinsel davon abgetrennt, der ca einen Kilometer langen Strand von Camburi. Den Strand von Camburizinho begrenzen ausschließlich superteure, gutbewachte Residenzen der Superreichen, Multimillionäre eingeschlossen. Einige haben auch Häuser oder Conduminums-Appartments in Camburi, aber die meisten eben in Camburizinho.

Da flitzen auf Handzeichen der Herrschaften schon mal die Angestellten mit den gekühlten Getränken oder kleinen Erfrischungen über den Strand, um die Herrschaften in ihrem Sonnenzelt am Strand zu bedienen. Weißgekleidete Nannis betreuen die kleinen Erben derweil 24 Stunden am Tag, damit Mutti und Vati nicht gestört werden. Gelegentlich darf man zusehen, wie mit einem kleinen Traktor mal eben ein Wassermotorrad im Wert eines Mittelklassewagens für eine kleine Runde um die Bucht angekarrt wird…Nicht selten werden die Herrschaften auch per Hubschrauber aus Sao Paulo ein- und ausgeflogen. Reich sein in Brasilien bedeutet meistens superreich, Geld spielt überhaupt keine Rolle mehr.

Nichtsdestotrotz sind die Strände hier aber auch für arme Schlucker oder schmalbudgetierte reisende Europäer offen und einfach traumhaft: weißer Sand, ein meist recht bewegtes Meer (die Wellen können an manchen Tagen schon mal bis zu 3m hoch werden), das je nach Tageszeit mal dunkelblau, mal helltürkis strahlt. Den Strand säumen tropische Bäume und Sträucher mit herrlichen Blüten. Rollende Imbisskarren, Barracas genannt, versorgen die Strandbesucher mit kostenlosen Stühlen und Sonnenschirmen im Gegenzug für mindestens eine Bestellung: frische Fruchtsäfte, Bier, Caipirinha, grüne Kokosnüsse und Snacks. Wir haben seit Jahren unseren persönlichen „Saftfranz“, der uns notfalls auch Kredit gibt oder und gelegentlich einen Schlag aus seinem Leben erzählt. Allerdings sind die Preise in den vergangenen 10 Jahren explodiert, wie überall in Brasilien: kostete anfangs ein frischer Saft noch 2 Real, so muss man heute dafür 7 Real hinlegen.

Circa drei Kilometer vom Strand entfernt erheben sich majestätische Berge mit dem atlantischen Regenwald, die mata atlântica. In den Sommermonaten ist es meistens tagsüber heiß und sonnig, am Nachmittag schieben sie dann regelmäßig mal weiße, mal bedrohlich dunkle Wolkenberge über die Bergkuppen. Manchmal bleiben sie dort hängen und verpassen den Bergen flauschige Zipfelmützen. Oft aber kriechen sie die Berghänge hinab und bescheren der Küste heftige Regenschauer, die sich schnell zu Überschwemmungen auswachsen können, das ist hier Alltag und interessiert erst ab sintflutartigen Zuständen. (Siehe Sintflut; die Ereignisse haben sich überstürz, bevor ich dieses Kapitel veröffentlichen konnte). Unsereins flüchtet sich meist rechtzeitig ins nahe Cantinetta zum nachmittäglichen Cappuccino, der sich schon mal zur abendlichen Caipiroska ausweiten kann….

Die geneigte Leserschaft möge mir diese vorgezogenen Einlassungen zum Strandleben von Camburi verzeihen, aber da wir schon oft hier waren und einige meiner Leser manches bereits aus nichtöffentlichen Reisemails der letzten Jahre kennen, wollte ich die Gelegenheit nutzen, hier glech noch einmal Wesentliches zu unserem Zielort und „Hauptquartier“ zu erzählen für all die, die neu dazugekommen sind. Dafür werde ich dieses Mal nicht jeden hier verbrachten Tag kolportieren.

Dieses Mal jedenfalls wohnen wir im Nachbarort Boicucanga, 3 km und einen Berg      rücken dazwischen entfernt. Corrin hat hier ein Häuschen in einem Condominium gemietet. Das sind geschlossene, oft bewachte Wohnanlagen, wie sie inzwischen auch in Südeuropa verbreitet sind. Das, in dem Corrin wohnt, ist allerdings eher eine eingezäunt Nachbarschaft ohne Wache mit ewig kaputtem Tor. Trotzdem achtet man etwas aufeinander und es gibt einen Hausmeister, der sich um das Anwesen kümmern soll.

Hier stehen noch einige alte kleine Holzbungalows und immer mehr neue kleine zweistöckige Steinhäuser um einen parkähnlichen Innenraum verteilt. Insgesamt etwa 20 Häuschen, in denen ganz normale Leute wohnen. Gemütlich, nett. Und mit vielen herrlichen Obstbäumen von denen man sich bedienen kann wie z.b. bei den Limonen, Bananen und Carambolas. Da lacht das Herz des wintergebeutelten europäischen Flüchtling, der sich sonst auf wenig aromatische Supermarktfrüchte beschränken muss.

Das Häuschen und die Umgebung in all ihrer Schönheit können wir allerdings erst am nächsten Morgen in Augenschein nehmen, denn bei unserer Ankunft ist das ganze Viertel stockfinster: Stromausfall für mehrere Stunden. Kofferausladen bei Kerzenschein. Mal was anderes als die kniehohen Überschwemmungen in den vergangenen zwei Jahren…Willkommen in Brasilien!

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04 Klimaschock

Nach den breaking news von der Wetterfront werde ich nun wieder etwas weitererzählen wie geplant.

Bereits der erste Morgen umhüllt uns mit drückender Hitze – und das im März! Eigentlich beginnt jetzt der Herbst. Was nicht heißt, das es kalt, nass und grau wie in good old Germany ist, sondern nur angenehm warm zwischen 20 und 25 Grad, auch mal heiss, aber immer auch mal ein Regentag. Aber in diesem Jahr, so klagen unsere Freunde hier, hat es im Hochsommer, also im Januar, extrem viel geregnet. Und die Temperatur-Rekorde der ersten Tage  – so sei vorausgeschickt – sind erst der Beginn eines ganz ungewöhnlich heissen März (wie ich jetzt nach fast drei Wochen weiss). Jeden Tag scheint es noch ein bisschen heisser zu werden, die Luftfeuchtigkeit ist hier an der Regenwaldküste immer extrem hoch, oft um die 90 Prozent. Nicht, dass ich mich ungebührlich beklagen würde angesichts der Neuschnee-Berichte aus Berlin, aber es ist schon…verdammt heiss. Zu heiss jedenfalls, um sich viel oder schnell zu bewegen oder irgendwas auf die Reihe zu kriegen.

Die Temperaturen schaffen es an einigen Tagen auf 40 Grad, das Hirn kocht, man schafft´s gerade noch vom Frühstückstisch in die Hängematte, später auf die Couch, gegen Abend dann vielleicht zum Strand…

Die wenigen Aktivitäten, die darüber hinausgehen, sind an den Fingern einer Hand abzuzählen. Nicht mal zum Schreiben meiner Blogtexte reicht mein träger Wille. Faul sein, quatschen, Saft trinken, träge durch Gegend schlurfen…gerade mal das Zubereiten eines guten Frühstücks, das ich Corrin für die Zeit unseres Aufenthaltes versprochen habe, kriege ich noch geregelt. Lustig ist die fast stereotype Eröffnung aller Gespräche, egal ob unter Freunden, im Geschäft, mit dem Vordermann an der Supermarktkasse oder wo auch immer:
„Nossa, que calor hoje, né?“ -„Mein Gott, was für eine Hitze heute, nicht wahr?“ Und schon schwitzt man nicht mehr allein , alle tun das und schon geht´s einem besser.

Man kann gar nicht so oft duschen, wie man schwitzt. Schlafen ohne Ventilator geht nicht – und das obwohl ich Zugluft wie die Pest hasse. Im Getränkeladen sind die 10l-Wasser-Behälter alle, die hier jeder kauft, weil man das Wasser aus der Leitung auf keinen Fall konsumieren kann. Aber Caipirinha aus frischen Früchten am Abend schmeckt immer und braucht nur gaaaanz wenig Wasser…Aber dafür wachsen uns die Früchte rund ums Haus in den Mund, alles blüht, das Meer ist traumhaft und das Leben – schön!

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