15 Abschied

Die letzten Tage haben wir in Boicucanga und Camburi verbracht: faulenzen, Freunde besuchen, baden – wenn es gerade mal nicht geregnet hat. Denn die schweren Regenfälle sind zwar vorbei, aber es hat täglich immer wieder geregnet. Was allerdings nicht so schlimm ist, weil es immer so warm ist, dass einen der Regen bis zu einem gewissen Maße nicht unbedingt stört.

Am Strand lagen bis kurz vor Ostern nunmehr fein zusammengetragene Haufen von Schwemmgut, aber es gab längst wieder sowas wie normales Strandleben. Zu Ostern war dann alles wieder chic- denn Ostern ist hier ein wichtiges Fest und vorallem eine sehr wichtige Einnahmequelle vor dem Saisonende für alle aus Gastgewerbe und Handel, denn da kommen Heerscharen von Paulistas (die Bewohner von Sao Paulo) und geben hier ihr Geld aus. Und selbst San Pedro schien das zu wissen, denn schlagartig zu Karfreitag war das Wetter besser und am Osterwochenende selbst war strahlend blauer Himmel, Hitze und perfektes Strandwetter.

Da fast all unsere Freunde hier in obengenannten Branchen arbeiten und noch dazu selbstständig sind, konnten sie mit uns nicht am Abschiedsabend feiern – also haben wir unser traditionelles gemeinsamen Abendessen vorgezogen und waren schon am Mittwoch aus.

Seit einigen Jahren treffen wir uns dazu in Boicucanga in -oder besser gesagt: vor einem winzigen bahianischen Restaurant. Das besteht nur aus einer besseren Hütte, die den Tresen und den Herd beherrbergt, die Tische und Stühle werden bei Bedarf auf dem kleinen Platz davor unter einem alten Baum aufgebaut. Es ist ein sehr hübscher kleiner Platz vor der alten Dorfkirche in Blau weiß – das Zentrum des alten Fischerdorfes.

Es gibt immer zwei bahianische Spezialitäten: Acaragé und Tapioca. Ersteres ist mein Favorit: Frische Sojabohnenkuchen, aufgeschitten und reichlich gefüllt mit zwei Sorten von Gemüsecremes (eine mit Okra, die andere weiss ich nicht, da haben auch alle Frauen ihre eigenen geheimen Rezepte), gebratenen Krabben und klein geschnittenen Tomaten und Zwiebeln mit Petersilie und Koriander. Dazu gibt´s dann bei Bedarf noch ein Schälchen mit höllenscharfer Sosse, die aus verschiedenen kleingekackten Chillischoten in Öl besteht. Superlecker!!! Das andere Gericht sind Tapiokafladen (besonders behandeltes Maniokmehl), die mit allem Möglichen von Huhn, über Fleisch, Fisch, Käse oder Gemüse gefüllt werden – oder als Nachtisch mit süssen Sachen wie Kokosflocken und gezuckerter Kondenzmilch etc. Auch sehr appetitlich!

Wenn man vorher Bescheid sagt, kocht einem Leda, die Chefin, auch andere, aufwändigere Gerichte, vorzugsweise mit Fisch und Krabben. Und das ist wirklich toll, denn erstens kocht die Dame sehr gut und zweitens kann man das hier noch bezahlen. Im Gegensatz zu vielen Restaurants hier, denn die haben inzwischen großteils Preise, die den armen europäischen Touristen die Augen ungläubig aufreissen lassen. Die Unterschiede im Brasilien des Wirtschaftsbooms sind wirklich extrem – wie ich bereits zu Anfang meiner Reise vermerkt hatte. Es gibt eine wachsende Mittelschicht, die erstaunlich gut verdient, eine reiche Oberschicht, bei der Geld überhaupt keine Rolle mehr spielt und dann eben die vielen ganz Armen, die niemals in ihrem Leben auch nur in einem ganz billigen Restaurant essen werden. Der Mindestlohn, der für viele Jobs hier gezahlt wird, beträgt mittlerweile 720 Real, das sind 230 Euro. Und das bei den gestiegenen Preisen!

Aber zurück zu unserem Abschiedsessen. Wir waren elf Personen und es hat leicht geregnet. Aber mit etwas gutem Willen haben wir einen langen Tisch unter das kleine Vordach gequetscht und so war das machbar. Die Caipirinhas hier sind – legendär stark. Ich habe über den Abend verteilt eine getrunken und immer wieder Eis nachgefüllt, nachdem ich im Vorjahr zwei getrunken hatte und danach in einem wild schwankenden Bett schlafen musste…

Es war ein netter Abend, es war spät und wir hatten die Rechnung bestellt. Nach einer Weile dachten wir, das sie vergessen wurde und haben erinnert. Nein, nein, hieß es, die sei in Arbeit. Und tatsächlich sahen wir Ledas Mann immer schwer arbeitend über Rechnung gebeugt, wenn wir hingeschaut haben. Fast eine Stunde später kam er und hat unseren Freund Edson gerufen, der hier sowas wie ein bunter Hund ist, den alle kennen. Als der wieder kam, war auch die Rechnung fertig. Das Problem war, dass der Mann zwar alle Bestellungen perfekt im Kopf hatte und auch den Preis korrekt ausgerechnet hat, aber nicht schreiben kann. Und das war ihm nicht nur peinlich, sondern er wollte auch bei Stammkunden wie uns nicht den Eindruck hinterlassen, das irgendwas nicht nachzuvollziehen ist. Da aber seine Enkel an dem Abend mal nicht da waren und Leda auch nicht schreiben kann, hat er sich nicht getraut, uns einfach nur den Preis zu sagen! Er wollte keinen schlechten Einbdruck machen und wusste nicht wie! Tja, auch das ist Brasilien.

Nach einem perfekten letzten Strandtag mit allen Genüssen von Acai bis gebratenem Käse, frischem Maracuja-Saft usw. Haben wir uns noch ein leckeres Essen im Cantinetta mit Corinn und einem Freund gegönnt und genug Caipi getrunken, um trotz Abschiedsschmerz schlafen zu können.

Am Sonntag wurden wir vom kreischen der Zwergpapageien vor dem Fenster im Kampf gegen die frechen Tukane geweckt und waren um sieben Uhr morgens noch mal im jungfräulichen Ozean schwimmen – kurz nach Sonnenaufgang. Der Anblick des einsamen Strandes in der ersten Morgensonne, die draussen im Ozean aufleuchtenden grünen Inseln, das sanfte Rauschen – das alles war so schön, dass ich fast Tränen in den Augen hatte bei dem Gedanken an den Abschied und Wintergrau in Berlin.

Nach einem meiner berühmten deutschen Frühstücke dann das große Abschiednehmen und schon gings mit Romarios Klapperkiste landeinwärts zurück nach Sao Paulo, wo vor einem Monat alles so schön angefangen hat. Über das Chaos am Flughafen will ich nun wirklich nicht noch schreiben – das ist öde und es war doch so eine tolle Zeit! Bis zum nächsten Abenteuer Brasilien – Até a próxima, Brasil!

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14 Das Projecto Buscapé

Bildung ist in Brasilien immer noch das große Problem. Zumindest, wenn man keine reiche Eltern hat, die Privatschulen und Universitäten bezahlen können. Die öffentlichen Schulen haben nicht mal Platz für alle, obwohl sie hier im Staat Sao Paulo z.b., der einer der wohlhabendsten ist, im Zweischichtsystem unterrichten: Vormittags und Nachmittags. Und das jeweils nur vier Stunden, egal, ob erste oder sechste Klasse., mehr Unterricht gibt es nicht.

Viele der Kinder aus den Favelas, wie die Armenviertel hier heissen, haben wirklich kaum eine Chance. Zumal die Familien selbst meist das grösste Problem sind: Alkohol, Drogen, über Generationen Lethargie und womöglich noch Gewalt. Sie lernen die einfachsten Dinge nicht wie normales Sozialverhalten, geschweige denn, dass sie irgendwie motiviert werden, zu lernen oder etwas vom Leben zu erwarten. Es ist wirklich ein sehr, sehr großes Problem.

Umso beeindruckter war ich, als mich Corrin zu einem Projekt mitgenommen hat, an dem sie einmal wöchentlich mitarbeitet, natürlich ehrenamtlich und sogar mehr – sie bringt jedesmal das Material mit. Es heißt Projecto Buscapé und wurde von einem Militärpolizisten auf die Beine gestellt, der selbst aus solchen Verhältnissen kommt. Er will so die Kinder von der Strasse holen und vor der üblichen kleinkriminellen Karriere abbringen, im besten Falle auf eine Ausbildung vorbereiten. Er konnte die Militärpolizei als Schirmherrn und Ausrichter gewinnen, so dass er einen überdachten Raum hinter dem Reviergebäude und einen weiteren kleinen Raum sowie die Sporthalle der Militärpolizei nutzen darf – und einen Teil seiner Arbeitszeit. Das Projekt findet an fünf Tagen die Woche statt – ebenfalls in zwei Schichten – eben wenn die Kids zwischen 7 und 14 Jahren nicht Schule haben.

Insgesamt können immer 140 Kinder aufgenommen werden, viel weniger als Bewerber. Sie müssen sich verpflichten, immer zu erscheinen und auch in der Schule ordentliche Noten zu schaffen (oder zumindest es versuchen) – beim 3. unentschuldigten Fehlen fliegen sie raus. Das klingt hart, aber anders geht das nicht. Jeden Tag findet etwas anderes statt: einmal die Woche wird gekocht. Diesen Kurs betreut ein inzwischen landesweit berühmter Koch, der selbst hier mit 13 Geschwistern, ohne Strom und in purer Armut aufgewachsen ist. Er kommt extra aus Sao Paulo und opfert seinen freien Tag. Ich habe mir das zweimal angeschaut: beeindruckend. Es geht weniger um die Kochrezepte als um das Öfnen der Tür in eine andere Welt, die sie gar nicht kennen: Man kann auch anderes als Reis und Bohnen essen, wie spricht man mit anderen, wie benimmt man sich, wie behandelt man Gäste, wie stellt man sich vor usw.

An den anderen Tagen ginbt es Musikunterricht, Theater, Kunst, viel Sport und Aufklärung über Drogen.

Anfang und Ende der täglichen Kurse und eine Art Fahnenappell in militärischer Form. Mit Singen der Hymne usw. Das wirkt erst etwas befremdlich, macht aber Sinn, weil die Kids so eine Ahnung von Disziplin und Zugehörigkeitsgefühl bekommen. Sie werden respektiert und sind Mitglieder der brasilianischen Gesellschaft. Aber ausser so wichtigen Dingen wie Disziplin, Respekt voreinander, Verantwortungsgefühl, Zusammenarbeit und Anerkennung erfahren sie auch ganz viel Zuwendung: alle Kinder werden immer mit einer Umarmung verabschiedet und dürfen auch die Gäste (bzw eine Art Gastprofessoren), die immer mal einen Kurs übernehmen, umarmen. Ihr glaubt nicht, was da los geht! Ich war an drei Tagen zu Besuch – am dritten Tag sind etliche schon auf mich zugestürzt, bevor ich richtig da war, sind an mir hochgesprungen, haben mich gedrückt, geküsst und angestrahlt!

Es ist ein sehr beeindruckendes Projekt, das inzwischen drei Nachahmerprojekte in den Nachbarorten hat. Es läuft seit 5 Jahren und es haben bereits 1000 Kinder durchlaufen. Vom Staat bekommen sie ganz kleine finanzielle Unterstützungen zwischen 25 und 50 Euro im Monat für das ganze Projekt (!), der Rest sind Spenden und ehrenamtliche Arbeit. Nicht zu vergessen die Preisgelder, die sie manchmal in sportliche Wettkämpfen von Judo bis Fussball heimbringen. Vor Ostern haben alle Kinder ein Schokoladenosterei und einen großen Bonbon bekommen – die waren völlig aus dem Häuschen! So eine Freude!

Außerdem geht die Arbeit noch über das Projekt selbst hinaus: da Cabo William, der Initiator, der täglich mitarbeitet, alle Kinder einzeln kennt und auch die Familien, bei Problemen hingeht usw, ist ein Vertrauensverhältnis entstanden und die Familien wenden sich auch mit anderen Problemen an ihn. Er hilft ihnen weiter – mit anderen Behörden usw. Leute, die sonst niemals „Offizielle“ um Hilfe bitten würden, haben so plötzlich einen Ansprechpartner.

Ich war jedenfalls so beeindruckt, dass mein inzwischen etwas ermüdetetes Journalistenblut förmlich gekocht hat – deshalb bin ich auch wieder hingegangen, habe zugeschaut, Interviews und Fotos gemacht. Mal sehen, ob ich das in Deutschland unterbringen kann. Ich hoffe, ich kann etwas tun – und wenn´s nur anerkennende Aufmerksamkeit ist. Am liebsten würde ich eine Dokumentation drehen, wenn ich Geldgeber finde.

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13 Nach Norden IV

Parati stand schon lange auf meiner Wunschliste. Diesmal also hat es geklappt. Circa drei Autostunden südlich von Rio de Janeiro liegt diese hübsche alte Stadt am Meer. Schon allein das Bergpanorama,  das die Stadte einrahmt, ist beeindruckend: Gleich mehrere Bergzüge türmen sich voreinander auf, es erinnert an eine japanische Tuschzeichnung. Auf der Meerseite sind mehrere kleine Inseln malerisch im Ozean verteilt, alle dicht bewachsen (manche gehören einzelnen Privatleuten!). Wenn die Sonne scheint, sehen sie mit ihren Palmen aus wie knallgrüne Puschel im smaragdfarbenen Meer mit weißen Schaumkrönchen– einfach nur schön.

Die Stadt selbst ist etwas besonderes, denn seit sie im 16. Jahrhundert gegründet würde und nach einem ganz klaren Plan aufgebaut, hat sich die Struktur nicht geändert, zumindest, was den historischen Teil betrifft. Die Straßen sind mit großen Steinen gepflastert, die das Laufen hier zur extrem sportlichen Übung machen, ganz zu schweigen vom Autofahren. Das ist nur im Schritttempo möglich, und nach hundert Metern hat man das Gefühl, sämtliche Organe sind locker und völlig deformiert. Als Marathonläuferin habe ich ständig gedacht: Ein Glück, dass ich keinen Marathon vor mir habe, jeder Schritt wäre dann ein Risiko. Aber es sieht toll aus und hat auch einen Sinn. Hier haben die portugiesischen Baumeister nämlich mal nicht gegen die Natur, sondern mit der Natur geplant: Alle 12 Stunden ist die Stadt nämlich geflutet: die meisten Straßen stehen dann unter Wasser und das würde kein anderer Straßenbelag überstehen, schon gar nicht jahrhundertelang.

Die kleinen ein- und zweistöckigen Häuser sind fröhlich bunt gestrichen, überall üppig blühende Sträucher und Ranken neben den Hauseingängen und an den Mauern. Das gibt dem Strassenbild eine besondere Note. Jede Straße eine Postkarte. Herz der Altstadt ist der historische Kirchplatz – hier hat alles angefangen.

Die Stadt blühte auf, als im Inland, in Minas Gerais, Gold und Edelsteine gefunden wurden und die Portugiesen diese Schätze auf kürzestem Weg in die Heimat bringen wollten. So nutzten sie die von den Goaiania- Indianern gebauten Wege in die Berge. Einer davon wurde ausgebaut – aber auch nur dieser eine, damit alles unter Kontrolle und portugiesischem Monopol blieb: der Caminho de Oro (der Gold-Weg). Von Paraty wurde die Beute nach Rio verschifft und von dort aus nach Europa. Außerdem hatte der Hafen von Paraty große Bedeutung, weil hier die neuen Sklaven aus Afrika angelandet wurden… Später waren es vor allem Kaffee und Gewürze, die hier umgeschlagen wurden, bevor die Stadt dann lange Zeit in der Bedeutungslosigkeit versank.

In den 50erJahren wurde Paraty für den Tourismus entdeckt und wirklich schön und originalgetreu restauriert. Hier wohnen heute viele Künstler, europäische und amerikanische Zuwanderer – eine sehr interessante Mischung.

Am ersten Tag sind wir schwerfällig, aber begeistert durch die Gassen gestolpert – das Thermometer war auf ca 40 Grad geklettert. Man konnte kaum denken. Am Pier haben wir unter einem Baum Schatten gesucht und uns die eisgekühlten Kokosnüsse ans Dekolleté gedrückt, die wir ausgeschlürft haben, unfähig zu entscheiden, wie wir den Tag weiter gestalten wollten. Vor uns schaukelten buntgestrichene ehemalige Fischerboote am Kai, die man mieten konnte. Wir dachten, dass das viel zu teuer sei, aber es stellte sich heraus, dass es es durchaus bezahlbar war – schon ganz und gar mit der Aussicht, dem Brutofen zu entkommen und stattdessen kühlen Fahrtwind und Meer geniessen zu können.

So kam es, dass wir kurz darauf mit Käpt´n Mero und seiner lila-grünen Priscilla abgelegt haben und glücklich unter der Sonnenplane auf dem Dach liegend in die Wolken geträumt haben…bis sich eine schwarze Wolkenwand über die Berge auf das Meer zuschob.

Ein fantastisches Schauspiel! Aber auch ein bisschen beänstigend. Die Sturm- und Regenwand kam schneller auf uns zu als gedacht – umkehren hatte keinen Sinn mehr– dem Sturm entgegen. Also, schnell runter vom Dach und da flogen auch schon die schweren Kissen über Bord und es schüttete wie aus Eimern. Unser kleines Bootchen hat nicht schlecht geschaukelt… Wir haben trotzdem noch versucht, ein paar von den über Bord gegangenen Kissen wieder einzusammeln. Volle Kraft voraus hat uns unser Kapitän um die nächste Landzunge gebracht und an einem kleinen Strand angesetzt, der nur per Boot zu erreichen ist: Praia Vermelha.

Ein kleines Bambushütten-Restaurant ohne Wände, aber mit Dach zum unterschlüpfen war genau das, was wir brauchten. Wir haben ein leckeres Mittagessen aus gebratenem Fisch, Reis, schwarzen Bohnen und Salat genossen, dazu frischen Caju-Saft –so ließ sich das Schauspiel auf der Bucht gut abwarten! Bald war das Unwetter vorbei und wir sind wieder in See gestochen. Eine halbe Stunde entfernt, sind wir dann vor einer anderen kleinen Insel vor Anker gegangen und haben ausgiebig geschnorchelt.

Was für eine magische Welt. Ich übertreibe nicht – aber es waren tausende Fische! Riesige Schwärme kleiner silberner Fische, die mich an das Weltmeisterschaftskonfetti erinnert haben, sind um uns herumgeschwommen, Schwärme gelb-blau gestreifter Sergeantenfische, Zebrafische, rote, schwarze, blaue…keine Ahnung, wie die hießen. Man konnte über ein Korallenriff schimmen und einfach still schweben bleiben, so konnte man das geheime Leben auf dem Riff beobachten: Seeanemonen, seltsame scheue höhlenbewohnende Fische, blaue Krabben. Ich bin bewegungslos auf dem Wasser liegengeblieben und kurze Zeit später kamen ein paar neugierige Kerlchen und bauten sich direkt vor meiner Brille auf und glotzten so rein wie ich ´raus. Ein paar ganz freche Kerlchen fingen an, an meinen Fingerspitzen zu lutschen. Ich hatte zwischenzeitlich das Gefühl, völlig mit alldem zu verschmelzen.

Doch irgendwann wurde mir trotz des warmen Wassers kalt und meine Haut war verschrumpelt wie eine Backpflaume. Nur sehr ungern habe ich Yemanjas Welt verlassen (die Schutzheilige des Meeres in der Candomblé-Religion), um wieder in die Welt oberhalb des Wasserspiegels zurückzukehren. Im Sonnenuntergang hat uns Kapitän Mero, ein wirklich netter und smarter Typ, wieder sicher nach Paraty zurückgebracht. Ein leckeres Abendessen in den alten Gassen und die unverzichtbare Caipirinha haben den Tag perfekt abgerundet.

Tag Zwei war total verregnet und wir haben eine neue Bleibe gesucht und sind dabei auch ein Stück landeinwärts in die Berge gefahren, gern wäre ich weiter dem Caminho de Oro gefolgt.

Wenn ich den Tag auf/im Meer als einen der Höhepunkte dieser Reise empfunden hatte, sollte der folgende der zweite Höhepunkt werden: Wir sind flussaufwärts zu den Wasserfällen gefahren. Die Cachoeira da Pedra Branca liegt eine reichliche halbe Autostunde oberhalb von Paraty. Überflüssig zu sagen, wie der Weg dorthin durch den Urwald aussah. Und das mit einem unversicherten Auto… das letzte Stück muss man laufen, aber das ist ein Vergnügen: ein Winzling in der grünen Welt des Regenwaldes! Worte wie gigantisch sind hier wirklich angebracht. Riesige alte Bäume, deren oberirdische Wurzelteile dreimal so hoch sind, wie ein Menschlein, Blätter in jeder nur erdenklichen Form, trotz Herbst die herrlichsten Blüten überall – und dann der Fluss: der Wasserfall ist nicht besonders hoch, aber er hat mehrere Abschnitte, terrassengleich und immer wieder kleine Naturpools, in denen man baden kann. Kalt! Aber schööön. Allerdings muss man aufpassen, dass man auf den glitschigen Steinen nicht wegrutscht, zumal die Strömung ziemlich stark ist. Die meisten Besucher, an diesem Tag waren es nicht viele, wagen sich bloß bis zum ersten Absatz, bis dahin führt ein Weg mit einem Halteseil.

Doch wir wären nicht wir, wenn wir hier geblieben wären. Wir sind noch ein Stück den Fluss hochgeklettert – jetzt weiss ich auch, wozu der liebe Gott den Urwald mit Lianen ausgestattet hat: damit wir unvollkommenen Wesen beim Klettern Halt finden und nicht abstürzen!

Bald schon hatten wir einen großen runden Felsen mitten im tosenden Fluss erklommen. Hier waren wir ganz allein! Das sind die Momente, in denen ich wieder ganz genau weiss, warum ich dieses Land so liebe! Es erzeugt ein solches Glücksgefühl in mir, dass ich es kaum beschreiben kann. Alles andere fällt ab. Nur noch ich und die Natur! Der Dschungel macht mir in keiner Weise Angst, ich liebe ihn einfach. All die Schmetterlinge, Vögel, Blüten….

Wir sind ziemlich lange geblieben und haben einfach nur genossen. Vom Rande des Felsens konnten wir die Ausflügler unten beobachten, von denen sich maximal 20 Prozent auch nur zu einem Bad überwinden konnten…die Mutigste von allen war eine Frau, die bis fast auf unsere Höhe geklettert ist, ihr Gatte unten war not amused. Seltsamerweise macht zuviel Natur den meisten Brasilianern Angst.

Später sind wir noch weiter zum Wasserfall do Toboga am Caminho de Oro gefahren. Unterwegs haben wir in einem einfachen, aber netten Restaurant am Flussufer mitten im Wald, auf einem Holzdeck, ein sehr spätes Mittagessen zu uns genommen. Comida caicara, „regionale Küche“. Lecker!

Auch der zweite Wasserfall war sehr schön, aber für mich gab es da schon wieder zu viele Leute. Der untere Teil besteht aus einem riesigen glatten Felsen, den man als natürliche Rutschbahn benutzen kann. Und das taten ärgerlicherweise fast ausschliesslich sehr dicke, unsportliche Männer, was das Panorama beträchtlich verschandelt hat. Es hatte sowas von Ballermannvergnügen…Ein Stück weiter oben gab´s noch eine Hängebrücke über den Fluss (Mutprobe für mich Höhengeängstigte) und eine Bar mitten im Wald. Hier muss man einfach ein Acai na Tigêla essen: ein dunkelrotes Palmfruchtmuß mit Bananenstückchen – ein echtes Powerfutter – und suchterregend lecker!

Der letzte Tag hat uns nach Trindade geführt – einen der bekanntesten Strandorte gleich neben Paraty. Auch hier wieder reichen die steilen Urwaldhänge bis hinunter ans Meer, Platz machen sie nur für ein paar großartige Strandbuchten. Wenn man sich die Mühe macht, ca 25 Minuten über einen der Pfade durch den Dschungel zu gehen oder sich mit einem kleinen Fischerboot übersetzten lässt, gibt es noch eine kleine Zugabe von Mutter Natur zu bewundern: ein natürlicher, hellblauer Meerespool inmitten großer Felsen, „Dekobepflanzung“ mit bis ins Meer hängenden Ranken und Blüten inklusive.

Allerdings haben wir uns schnell wieder entfernt, da leider Sonnabend war und Massen von ziemlich nervenden Wochendausflüglern den schönen Pool verstopften, mit und ohne Bierdosen in der Hand…Aber abgesehen davon sind es wirklich Traumstrände.

Mit diesem Strandtag endete unsere kleine Reise nach Norden. Allerdings konnten wir nur bis Sao Sebastiao zurückfahren, nicht bis Boicucanga, da uns dort die schon beschriebene Sintflut überraschte und für Tage von der „Heimat“ abschnitt.

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12 Nach Norden III

Nu aber…endlich muss ich doch mal unseren Trip nach Norden zu einem Ende bringen …

Unsere diesjährige Endstation: Parati.

Doch unser Aufenthalt in dieser schönen alten Stadt sollte ein wenig schräg beginnen. Unsere Freundin Corrin war für zwei bis drei Tage mitgekommen, weil sie Parati liebt und mal ausspannen wollte. Da wir im Moment alle nicht allzu üppige Budget haben, hatte sie eine Super-Einfall. Die reiche Verwandtschaft von ihrem Ex-Mann…ein Cousin, der in Argentinien lebt, hat in einem Yachthafen bei Paraty seine Segelyacht liegen. Also hatte sie ihn angerufen und gefragt, ob wir vielleicht auf dem Boot schlafen dürften. Ja, kein Problem! Wir haben Luftsprünge gemacht und fanden alles cool und sehr fancy. Und zu dem noch – geldfrei!

Es war immer noch brutheiss und stockfinster als wir angekommen sind und über eine abenteuerliche Piste den Berg steil `runter zum Meer gefahren sind, bis wir endlich die Marina gefunden haben. Aber alles war vorbereitet, es war ein Schlüssel hinterlegt und uns wurde gesagt, dass schon Betten bezogen sind für uns. Ich hab mich schon wie ein echtes uptown girl gefühlt! Dutzende Yachten schaukelten auf dem glitzernden nächtlichen Ozean. Wie abgefahren!

Ein langer Steg führte an Dutzenden Yachten vorbei, bis wir an unserer ankamen. Keine der größten, aber – sah gut aus. Nachdem wir es geschafft hatten, die Luke aufzukriegen, begann der Abstieg in die Kajüte. Und schlugen bestimmt 60 Grad entgegen und es war stockfinster. Mit Feuerzeugen haben wir die Lichtschalter gesucht – nix ging. Ok, dann wohl eine Hauptsicherung. Nichts. Schweissüberströmt haben wir im Licht einer mini-Batterielampe und unserer Kopflampe aus Dschungelhaustagen fieberhaft daran gearbeitet, alles zu öffnen, was nach Luke aussah. Luft, bitte!!!!

Dann ein Anruf nach Argentinien: Ja, die Batterie ist wohl leer – tja, kein Strom. Und auch kein Wasser…Aber das gibt´s ja auf dem Festland, da ist eine Dusche und Toilette.

Unsere Laune stürzte in noch tiefere Tiefen als sie bei dem Hitzeschock schon gestürzt war. Aber so richtig zugeben wollte das noch keiner, wir haben noch gewitzelt und nur etwas gemurrt. Aber nachdem wir die Klaustrophie auslösende flache Schlafkabine gesehen hatten, ohne Luken, mit einer kaputten uralten Klimaanlage, wurde es langsam kritisch. Ich habe verkündet, ich schlafe an Deck.

Tja, aber wo? Das Schiff war nicht so groß wie gedacht, zumindest hatte es auf Deck nicht wirklich viel Platz. Ausser zwei 1,50 langen Sitzbänken sah´s schlecht aus. Wir saßen wie drei klitschnasse Häufchen Unglück da oben und haben uns angestarrt, bis das Ganze dann eher bin einem hysterischen Lachanfall endete und dem Beschluss des grossen, damendominierten Kriegsrates: Luken dicht, wir bleiben hier keine Minute länger! Pff, wer will schon auf einem Boot schlafen?!

Und so haben wir die nächste Stunde damit zugebracht, eine passable Pousada in der Nähe des historischen Zentrums zu finden. Ich hatte vorher im Internet in diesen Buchungsportalen etwas nachgeschaut und mir ein paar Sachen gemerkt. Die Frage ist nur, wie die die Fotos hingekriegt haben und wer die tollen Beurteilungen geschrieben hat…echte Löcher. Und alles andere teuer. Aber schliesslich haben wir eine bezahlbare Bleibe gefunden, die einen gewissen Charme zu haben schien, mit ein paar schönen alten Möbeln und Kunst an den Wänden: Casa Colônia. Generell sollte ich wohl bemerken, dass die Pousadas hier nur selten europäischen Maßstäben entsprechen. Das ist schon alles einen ganzen Zacken simpler und so bieten die meist kleinen Zimmer oft nur aus Bett, Nachttisch, Haken an der Wand. Und natürlich Propeller an der Decke oder (teurer) Klimaanlage. Ich hasse beides zum Schlafen, aber ohne geht es in der meisten Zeit des Jahres einfach nicht.

Wir waren´s also ganz zufrieden – für´s erste. Unsere Meinung hat sich dann in den kommenden zwei Tagen geändert, weil wir festellen mussten, dass der Laden einfach sehr schlecht und lieblos geführt wurde: Das Frühstück in einem langen, schmalen, mit alten Kolonial-Möbeln bestückten Raum war grässlich mit vergammelten Früchten und einer Zuckerdose voller Ameisen als Krönung. Dazu Beschallung aus dem Kofferradio mit einem verzerrten Radiosender, den sich das Zimmermädchen für sich selbst eingestellt hatte, bis Miki aufgestanden ist und den Stecker gezogen hat. Kein freundliches Gesicht, kein „Bom Dia“ – und das in einem Land, in dem die Menschen ausnehmend freundlich sind! Es gab zwar kein Essen für die Gäste, aber ab Mittag stank das ganze Haus nach frittiertem Fisch und Bohnen – dem Essen, das sich die Angestellten gekocht haben.

Die absolute Krönung dann war am zweiten Morgen der Auftritt des Besitzers. Ungewaschen, mit fettigen Haaren durchschlurfte er übellaunig in Pyjamahose den Frühstücksraum ohne einen Blick für seine Gäste. Es flätzte sich auf das Sofa in der Lobby, las die Zeitung und massierte sich ungeniert sein Gehänge, was ohnehin schon halb aus der kurzen Hose fiel.

Genug ist genug. Wir haben ausgecheckt und uns in den kommenden Stunden was Besseres gesucht. Nur wenige Euro teurer, aber in Strandnähe, fünf Minuten von der Altstadt entfernt: ein nettes, sauberes und helles Familienunternehmen mit freundlichen Menschen, einem leckeren Frühstück mit frischen Früchten und Säften – was will man mehr. Geht doch.

So, damit ich Eure Ausdauer nicht überfordere, schließe ich für heute und das eigentliche Thema Parati kommt als nächstes.

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11 Räubergeschichte

Oha! Irgendwie wird das wohl diesmal gar nichts mit einer auch nur halbwegs chronologischen Berichterstattung. Nicht nur, dass ich selbst so chaotisch organisiert und verlangsamt bin wie meine derzeitige Umgebung, nein – es kommen auch noch dauernd unvorhergesehene Ereignisse wie Überschwemmungskatastrophen und Raubgeschichten dazu.

Aber ich habe es aufgegeben, mich über das Durcheinander in meinem einst so geordneten Blog aufzuregen, Ihr solltet es auch tun. Vielleicht vermittelt das ja sogar ein wenig mehr brasilianisches Lebensgefühl als die Texte allein…

Zur Sache: Ich habe hier in Boicucanga gleich zu Anfang unseres Aufenthaltes von einem Projekt erfahren, das mich sehr beeindruckt. Meine Freundin Corrin beteiligt sich tatkräftig und mit Sachspenden daran: Projeto Buscapé. Das geht auf die Initiative eines Militärpolizisten hier zurück. Seit 5 Jahren arbeiten sie mit Kindern aus den Favelas (den Armenvierteln), aus armen und problematischen Familien. Jeweils 140 Kids zwischen 7 und 14 Jahren. In zwei Schichten an jedem Wochentag erscheinen sie täglich und nehmen an Kursen teil: Kochen, Musik, Theater, Kunst, viel Sport, Drogenprävention etc pp. Und fast noch wichtiger als das ist, dass sie ein normales Sozialverhalten lernen: Ich bin ein respektabler Mensch, ich respektiere andere, Disziplin, Zusammenarbeit, Zuneigung, Umgangsformen, Selbstbewußtsein etc pp. Supersache!

Und da in mir wohl doch eine Menge Journalisten-Blut fließt, konnte ich nicht anders, als Material zu sammeln, Interviews und Fotos zu machen usw. Ich habe vorgestern den ganzen Tag dort verbracht und mangels anderen Handwerkszeugs die Interviews per Fotoapparat gemacht. Es war der wöchentliche Gastro-Tag mit zwei ziemlich bekannten Chefköchen aus Sao Paulo. Am Ende hat mich einer von ihnen, der immer im Projekt mitarbeitet, Eudes Assis, ein bisschen genervt, weil er mein ganzes Material auch auf seinen Rechner laden wollte. EigentIich wollte ich längst los, aber gut…

Endlich Feierabend! Es wurde fast schon dunkel. Miki hat mich abgeholt, verschwitzt und geschafft wie ich war. Ich wollte unbedingt noch mal ins Meer springen. Wir hatten das Auto von Corrin geliehen und sind nach Camburizinho gefahren, haben das Auto abgestellt und ca 10 Minuten schwimmen gegangen. Als wir zurückkamen: Überraschung! Die Beifahrertür stand auf, das Handschuhfach war ausgewühlt – und die Kamera weg! Zum Glück hatten die Diebe wohl keine Zeit, den Kofferraum zu durchwühlen, da lagen mein Computer und Mikis Brieftasche.

Ich war …ich weiß nicht was: sauer, wütend, resigniert – just pissed. Die ganze Arbeit! Unsere persönlichen Fotos der letzten Woche – alles weg, ganz abgesehen von der Kamera. Aber was soll´s, die hat gerade mal 150 Euro gekostet und wir während zehn Brasilien-Reisen noch nie beklaut worden. Es musste ja mal passieren, dachte ich. Später haben wir rekapituliert, dass Miki einen Fehler gemacht hat: er hatte per Schlüssel die Fahrertür geschlossen, in der Annahme, dass das ganze Auto verriegelt ist, wie bei den meisten Modellen…war aber nicht.

Aber der Verlust des Materials hat mich echt gewurmt: Wir also ins Auto gesprungen und in ein Hotel in Boicucanga gefahren, wo es immer Essen und freie Logie für die Buscapé-Gäste aus Sao Paulo gibt. Dir Chefin kennt mich und hat gleich die Militärpolizei angerufen und alles genau weitergegeben, wo wann wie usw. Aber ich wollte keine sinnlose Anzeige machen, ich wollte nur das Material. Eudes, der Koch, war meine letzte Hoffung, hatte er doch einiges heruntergeladen, aber er war nicht mehr da. Die Hotelchefin hat aber herausgefunden, dass er noch vor Ort in einem Internetcafé war. Wir sind also nass und klebrig wieder ins Auto und haben ihn tatsächlich gefunden! Er hatte aber seinen eigenen Computer bei Verwandten in Camburi gelassen, mitten in der tiefgrünen Pampa, wo´s weder Telefon noch Internet gibt. Zusammen sind wir dahin – und –Jaaaa! Das Material, selbst das bereits gelöschte, war noch zu retten. Es hat eine lange Stunde gedauert, es auf einen Stick zu speichern. Auf diese Weise sind wir Eudes und seiner superhübschen smarten Nichte Nicoli bei Bier und Kuchen nähergekommen – vielleicht wieder der Beginn einer echten Freundschaft. Ich war zufrieden. Sch…auf die Kamera!

Gestern nun hatten wir Besuch von Euro und Belen aus Sao Sebastiao. Gemeinerweise hat es den ganzen Tag geregnet. Nicht schlimm und schön warm dabei, aber eben kein Strandtag. Wir haben uns von Café zu Café geschleppt und wollten noch mal kurz schwimmen, bevor ich noch ein letztes Foto bei Judotraining der Buscapé-Kinder machen wollte – mit geliehener Kamera. Damit die nicht auch noch verschwindet, sind wir diesmal zu dem erwähnten Hotel gefahren, um dort zu baden ohne das Auto auf der Strasse zu lassen.

Wir haben unseren Augen nicht getraut, als wir ausstiegen, und Hotelchefin, Cabo William und ein Kollege fröhlich lachend unsere Kamera entgegenschwenkten!!!

Ich konnte es nicht glauben. Aber die Jungs haben das persönlich genommen: eine Journalistin, die über ihr Projekt schreiben will und der man die Fotos und Interviews klaut! Die haben sich echt ´reingehängt und die Überwachungs-Kameras der gut bewachten Condominiums in Camburizinho gecheckt. Tatsächlich waren vier räuberische Kids drauf, einer hat das Zeug aus dem Auto geklaut. Per Foto haben sie jetzt ihre Patroullien suchen lassen – und den vierzehnjährigen Delinquenten gefunden! Unglaublich!

Sie haben ihn in die Mangel genommen, er hat die Kamera rausgerückt (er war ohnehin gefrustet, weil das blöde Ding nur deutsch versteht…) und ihm mächtig Angst gemacht. Er hat wohl wirklich hart arbeitende Eltern, die bisher keine Ahnung von seinen kriminellen Neigungen haben. Sie haben ihm gesagt, dass es sein könnte, dass sie vor Schreck an einem Herzinfarkt sterben, wenn sie das erfahren – und im Wiederholungsfalle würden sie seine Eltern informieren. Er hat sich fast in die Hosen gemacht vor Angst. Ausserdem haben sie ihm erzählt, dass er leicht mal auf der Flucht erschossen werden könnte, wenn er bei sowas erwischt wird (was übrigens nicht ganz abwegig ist). Diese Vorgehensweise mag in europäischen Ohren seltsam klingen, erscheint mir aber unter den hiesigen Bedingungen durchaus angemessen.

So habe ich nun meine Kamera zurück, wenn auch alle Bilder gelöscht sind, ein neues brasilianisches Abenteuer erlebt, neue Freunde gefunden – und das Leben ist schön!

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10 Update Sintflut

Vor zweieinhalb Tagen sind wir aus unserem Flut-Exil bei Belen in Sao Sebastiao „nach Hause“, nach Boicuganga, zurückgekommen. Wir sind etwas länger geblieben als unbedingt nötig, weil erstens immer noch Regenwetter war und zweitens unsere jungen Freunde uns gebeten haben, noch zu bleiben, weil sie es gerade nicht so leicht haben.  Sie haben ein Restaurant – Il Forno – und damit jede Menge Probleme; auch diese Geschichte ist ein echtes Stück Brasil, aber davon später.

Die Küstenstrasse ist seit Mittwoch vergangener Woche wieder freigeben, mußte aber zwischenzeitlich immer wieder zeitweilig gesperrt werden, weil Teile der aufgeweichten Berghänge abrutschen und zudem auf der Strecke immer noch schwere Baumaschinen damit beschäftigt sind, die Schäden in den Griff zu bekommen und die lockeren Erdmassen, Felsbrocken und Bäume zu sichern oder gleich vorsorglich abzutragen. So gestalten sich dieser Tage die Fahrten noch etwas stotternd – die Strecke ist immer noch teilweise einspurig wegen Bauarbeiten.

Zu sehen sind hier vor Ort überall noch Haufen von angeschwemmtem Müll, Baumresten, Plastikzeugs und in den direkt betroffenen Gebieten kaputte Brücken und Häuser. Einige Leute könnnen einfach noch gar nichtnzu ihren Häusern kommen. Die Flüsse, die ins Meer münden, bringen den ganzen Dreck jetzt mit. Deshalb gab es gestern auch schon wieder eine kleine Überschwemmung, obwohl es nur vorgestern Nacht ca 1 Stunde geschüttet hat: die Flussläufe sind noch blockiert, die Wassermassen können nicht abfließen und so „schwappt“ alles etwas verspätet über. Schon wieder fünf Häuser weniger. Wir haben hier echt Glück gehabt. Genau gegenüber unsrem Haus, am anderen Flussufer, wurden von einem großen Grundstück mit Hotel und einer kleinen Marina 1200qm Land einfach vom Fluss gefressen.

Hier in Boicucanga und Camburi, wo die Schäden mit am Schlimmesten waren, erscheint das Leben wieder erstaunlich normal, angesichts der Tatsache, dass hier soviel Menschen alles verloren haben. Das ist eine der Besonderheiten der brasilianischen Mentalität: Es geschehen die schlimmsten Dinge und kurz darauf geht man zur Normalität über, hat sich abgefunden, lacht wieder und das Leben ist schön. Es ist einerseits bewundernswert und ich wünschte, wir, die ewig Probleme wälzenden, leidenden, klagenden Deutschen könnten alle eine ordentlich Portion davon lernen. Andererseits ist es auch erschreckend und fatal, ist doch genau diese Eigenschaft verantwortlich dafür, dass hier soviele Dinge im Argen liegen und sich nichts ändert. Man vergisst und geht einfach zum Alltag über, egal wie groß die Probleme sind.

Die social media wie facebook haben hier eine wichtige Funktion, so zwiespältig ich ihnen auch in Europa gegenüberstehe: Hier wird unter anderem in solchen Situationen über facebook zur Mithilfe, zu Benefizaktionen, zu Spenden u.a. aufrufen, über den Stand der Dinge und auch über politische Vorgänge informiert. Auch für mich war das jetzt eine wichtige Informationsquelle. Z.B. dass Spenden gesammelt werden –  ich werde zwei Kisten mit Sommersachen, die ich hier geparkt habe, spenden. Gebraucht wird alles…Ich wollte gerade einen ollen Rucksack wegwerfen, der nicht nur grauenhaft aussah, sondern völlig ausgerissen ist – Belen hat ihn mir weggenommen, denn der ist sogar ohne Flut für viele hier wertvoll.

Vor zwei Tagen war der Gouverneur von Sao Paulo höchstpersönlich hier, um sich ein Bild zu machen (und gutes Wetter für die nächsten Wahlen). Er hat versprochen, dass es ausser 1,5 Millionen Real für die Schadensbehebung in den nächsten drei Jahren noch das Geld für 300 Häuser für die Armen fließen sollen – in überflutungssicheren Territorien, die kommunales Eigentum sind. Abgesehen davon, dass die meisten hier schwer daran zweifeln, dass am Ende viel von dem versprochenen Geld hier ankommt und nicht in den tiefen Kanälen der Korruption verschwindet, trifft das eins der Probleme, die Schuld an diesen katastrophalen Zustände sind.

Die Natur hier ist mächtig, sie lässt sich von den Menschen nicht beherrschen. Aber man könnte mit ihr leben. Aber genau das passiert nicht – vorallem aus Ignoranz, Unwissenheit und Armut. So wird hier ohne Sinn und Verstand wild gebaut und gesiedelt. Es gibt zwar mittlerweile einige Gesetze, die z.B. untersagen, an den Flussufern zu bauen oder in bestimmten von Überschwemmungen gefährdeten Gebieten zu bauen, aber niemand hält sich daran und es verhindert auch niemand. Bis vor Kurzem (und ich glaube, z.T. bis jetzt) galt, dass illegal besetzte Grundstücke nach zwei Jahren in den Besitz der Besetzer übergehen, wenn keiner Einspruch erhebt, so ist auch bis jetzt das Bauen ohne die nötigen Baugenehmigungen, die mit einer absurden, unendlich langwierigen Bürokratie verbunden sind, durchaus üblich. Notfalls werden die Bauten mit den üblichen Bestechungen legalisiert Dazu kommt, dass hier die Immobilienpreise sehr hoch sind und viele Menschen nur wenig bezahlen können. Billiges Bauland oder etwa öffentliche Siedlungsprojekte gibt es nicht – also wird gebaut, wo immer sich Platz findet. Und das ist eben genau in den Überschwemmungsgebieten. Leider muss man der Wahrheit halber auch sagen, dass dazu noch eine gehörige Portion Ignoranz und mangelnde Lernfähigkeit kommt. So ist den Leuten hier einfach nicht zu vermitteln, dass viele regelmässige Überschwemmungen der Häuser zu verhindern wären, wenn sie ihre Häuser einfach etwas höher bauen würden. Nö, haben das immer so gemacht, da wird nichts geändert….Ich weiss, dass klingt wieder rassistisch, ist es aber überhaupt nicht, es entspricht einfach der Realität. Und wir fahren schon so lange hier her und lieben vieles an diesem Land, aber wir haben eben inzwischen auch in seinen dunklen Seiten kennengelernt.

Für die nächsten Tage sind noch mögliche stärkere Regenfälle angesagt – hoffen wir, dass sie ausbleiben und sich alles wieder beruhigt.

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09 Nach Norden II

Erster erwähnenswerter Ort unterwegs nach Norden hinter Boicucanga ist Maresias. Eine lange gerade Ortschaft (Erholung für den gebeutelten Kurvenlehrling), die an einem ebenso langen geraden Strand liegt. Der ist der Grund dafür, dass hier immer schöne  langezogene Traumwellen an den Strand rollen und Maresias daher ein weithin bekanntes Surferparadies ist. Entspechend viele sonnengrbräunte, muskulöse Surferboys sieht man hier mit ihren fliegenden Untertassen umherstreifen. Die entsprechenden Girls nicht zu vergessen.

Es folgen einige Traumstrände in kleineren und größeren Buchten, meist mit einer entsprechenden Siedlung. Die Namen sind fast alle indianischer Herkunft und klingen für uns sehr exotisch: Barequecaba, Guaeca und Toque-Toque –wobei vorallem letzter (es gibt eine kleine und eine große Variante) mein Lieblingsstrand ist.

Dann schiebt sich plötzlich eine gigantische grüne Insel mit 1300m Meter hohen Bergen ins Bild: Ilha Bella, die Schöne Insel, wie sie zurecht heißt. Eine über 300qkm große Vulkaninsel, die im 16. Jh einem englischen Piraten Unterschlupf bot, nachdem er die Stadt Santos ausgeraubt hatte…

Nur der dem Festland zugewandte Teil ist mit dem Auto (nach einer Überfahrt mit der Fähre) zugänglich, der westliche Teil ist nur per Boot erreichbar und kaum besiedelt aber wohl paradiesisch schön mit Wasserfällen im tropischen Regenwald, kristallkaren Bächen und fast unberührten Stränden – heute zum Glück zu 80 Prozent unter Naturschutz stehend. Aber auch der zugängliche strandnahe Ost-Teil ist wirklich hübsch und entsprechend beliebt für Touristen, Tagesausflügler und wohlhabende Menschen aus Sao Paulo, die hier ihre Sommerhäuser haben. Überall blühen üppige Bougainvillea in lila, rosa und rot, Hibiskus, hawaianische Orchideenbäume, zweifarbige Manacabäume, Orchideen und noch wer weiß was alles, das ich nicht mal nach Befragung schlauer Bücher benennen kann.

Allerdings hat die Insel ein Problem: sie ist mit Urwald und den Wasserfällen, vorallem bei bestimmten Wetterlagen, eine Mosquito-Hölle! Uahhh! Vor einigen Jahren war es noch viel schlimmer, kaum auszuhalten. Inzwischen werden wohl den Wasserfällen Insektenschutzmittel zugesetzt, damit die Brut nicht in voller Stärke überlebt und man kann es aushalten. Ohne Insektenspray ist hier an der Regenwaldküste sowieso niemand unterwegs.

Es gibt offiziell nur einen richtigen Ort, die Vila. Im Mittelpunkt: eine hübsche alte blau-weisse Kirche „Ingrexa da Nossa Senhora da Ajuda“, die die portugiesischen Seefahrer nach ihrer Überfahrt aus Dank für Leib und Leben erbaut haben, mit einem sehr modernen Gekreuzigten von einem zeitgenössischen Künstler davor. Und natürlich ein Kirchplatz, der mit hübschen Blumen unter alten Riesenbäumen bepflanzt ist und dessen Attraktion nachts bunt illuminuierte Wasserspiele sind. In den alten Häuschen tummeln sich völlig überteuerte Geschäfte mit Kunsthandwerk und teurer Garderobe. Ansonsten reihen sich entlang der ca 3km-langen Strasse Privathäuser, Pousadas. Hotels und Restaurants aneinander, die andere Strassenseite besteht überwiegend aus Stränden. 25 Strände gibt es allein auf dieser Seite. Es ist wirklich schön hier für einen Ausflug, länger bleiben möchte ich nicht unbedingt. Die westliche Inselseite anzuschauen bleibt uns für ein anderes Mal.

Auf dem Festland, gegenüber von Ilha Bella liegt Sao Sebastiao. „die Stadt“ , „a cidade“, wie die Leute hier sagen. Sie ist sowas wie die Bezirksstadt in Deutschland. Allerdings werde ich sie an dieser Stelle übergehen, ich werde später davon erzählen, auf der Rückfahrt sozusagen.

Noch 30 km weiter, also ca 70 km oder knapp 2 Autostunden von unsrem Ausgangsort entfernt, liegt Caraguatatuba, noch eine größere Stadt – mit Abstand die allerhässlichste!!! Endlos zieht sie sich an zwei Strassen parallel zur Küste hin, planlos hingebaute lieblose, teilweise rotte Gebäude, die unzählige Werkstätten, Tankstellen, Supermärkte, Möbelläden u.ä. beherrbergen. Die trostlosen Querstrassen mit meist schwarz verschimmelten Wohnhäusern erzeugen Fluchteffekt. Der Stadtkern besteht überwiegend aus Geschäftsstrassen – das ist das Bedeutende an dieser zauberhaften Stadt: hierher fährt man für größere Anschaffungen und Einkäufe, wenn´s nicht für Sao Paulo reicht. Größte Attraktion ist ein schickes Shopping-Center mit einem Kino. Gruselig! Schnell weiter!.

Weiter geht´s im alten Indianergebiet der Tupi-Stämme. Etliche davon waren Kannibalen und haben im 16. Jh den deutschen Landsknecht Hans Staden gefangen, den sie auch verspeisen wollten, der aber gerettet wurde. Auch hier wieder ist die indianische Geschichte deutlich am Namen abzulesen, diesmal heißt die Stadt Ubatuba. Sie ist auch alles andere als aufregend, dafür aber endlos lang und hat 72 Strände und 10 Inseln! Das ist doch mal ´ne Statistik! Und mit Ubatuba endet dann auch der Staat Sao Paulo und es beginnt der Staat Rio de Janeiro. Unser Ziel. Nicht Rio selbst, sondern die alte Stadt Parati.

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08 Busfahren und so …

Ferien sind wirklich anstrengend – man kommt zu nichts. (Und das gute Essen mit anschließender Caipi am Abend verhindert die Schreiblust im Bett auf angenehm träge Weise) Ich bin schwer im Rückstand und dabei habe doch noch so einiges zu erzählen.

Die Küstenstrasse zum Beispiel – diesmal haben wir sie Richtung Norden befahren. Kurvenreich führt sie in stetigen Auf und Ab immer an der Küste entlang, nur selten entfernt sie sich mal ein paar hundert Meter davon, wenn man durch grössere Ortschaften fährt zum Beispiel. Aber meist ist sie direkt in den steil aufsteigenden Regenwald gebaut (Die Berge sind oft bis 200 Meter hoch), so dass man irgendwie immer das Gefühl hat, auf Safari zu sein: tiefer Dschungel, unendliche viele Formen und Varianten von Grün, hier und da von violetten, gelben und roten Blüten durchsetzt, Bananenstauden, Kokosnüsse, Acai – alles im Übermaß und einfach so neben dem Auto. Rechts, auf der dem Meer zugewandten Seite, immer wieder atemberaubend schöne Ausblicke auf den Atlantik, Dutzende vorgelagerter Inseln, Buchten, mal einsame Strände, mal besiedelt, der Blick meist umrahmt von tiefhängenden Zweigen, Ranken – und immer wieder auch beängstigend tiefhängenden Stromleitungen, die man sich lieber nicht im nächsten Sturm vorstellt.

Kurvenreich heisst hier, dass die Strasse eigentlich fast nur aus mehr oder weniger steil ansteigenden und abfallenden Kurven besteht. Kurze Gerade ausgenommen, die braucht der nicht seefeste Beifahrer oder gar Busfahrgast, um seinen Magen wieder zu beruhigen. Die Schönheit der Landschaft kann ich persönlich nur geniessen, wenn ich im privaten Auto vorn sitze oder im komfortablen Reisebus tief im Polstersitz vor mich hinschaukele. Bin ich allerdings gezwungen, einen der „Normalbusse“ zu benutzen oder bei einheimischen Freunden mitzufahren, kämpfe ich mit meinem Magen und – beim Busfahren zusätzlich mit dem ständigen Versuch, nicht voller blauer und grüner Flecke auszusteigen. Man muss sich wirklich mit beiden Händen festhalten, es hat was von Achterbahn. Diese Busse für den Normalo sind nicht nur laut, zugig und ungepolstert, die fahren in einem echten Rodeostil um die Kurven und nachdem sie sich mühsam einen Berg hochgequält haben, fahren sie dann mit Freuden auf anderen Streckenabschnitten einen so flotten Reifen, dass einem gelegentlich himmelangst wird.

Dazu muss man wissen, dass die Strasse nur zweispurig ist und die Brasilianer wie die Verrückten auch vor Kurven überholen. In der Dunkelheit sind dann noch jede Menge unbeleuchteter Radfahrer und lebensmüder Motorradfahrer auf der Piste. Wenn nicht gerade Miki fährt, dem ich voll vertraue, dann kneife ich schon öfter mal die Augen zu und halte mich fest – woran auch immer. Als extra Beigabe kommen dann noch Wildtiere und die in aller Ruhe über die Strasse trottenden streunenden Hunde dazu. Ja, langweilig ist so eine Autofahrt auf der schönsten Küstenstrasse der Welt wahrlich nicht – das Genießen muß man lernen. Aber dann ist es umso schöner. Das meine ich ehrlich, denn die Aussichten sind überwältigend.

Von Camburi aus nach Norden kommt man durch verschiedene Ortschaften, die nicht alle erwähnt werden können und müssen – im Folgenden nur einige wichtige Stationen.

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07 Auf nach Norden I

Die Küstenstrasse Santos-Rio de Janeiro gilt als eine der schönsten der Welt. Wir sitzen im unteren Drittel. Die alte Kaffee-Handelsstadt Santos, heute ein wichtiger Hafen und Endstation der Ölpipeline von Petrobras,  haben wir schon kennengelernt. In diesem Jahr muss was neues dazukommen – wie sich das für echte Forscher und Zigeuner gehört. Größere Unternehmungen gibt unser schmales Budget nicht her….aber wer emsig sucht, der findet eine Möglichkeit. Manchmal fällt sie einem auch in den Schoß.

Diesmal dürfen wir das Auto von Belen und Euro für ein paar Tage haben. Allerdings stellt sich plötzlich heraus, dass es nicht versichert ist – seit sechs Jahren. Zuerst hat das Geld immer gefehlt, dann das Daran-denken. Als sicherheitsbewußte Europäer erklären wir natürlich – neee, ohne Versicherung fahren wir nicht. Zumal hier Autos astronomisch teuer sind.

Wir erbieten uns, die erste Zahlung zu übernehmen. Ja, prima Anlass, das Projekt Versicherung endlich durchzuziehen. Alles kling ganz easy – die Bank macht das hier. Per Telefon werden die Daten aufgenommen – angelblich ist die Kiste nun versichert, sie muss nur innerhalb von 72 Stunden noch an einem Ort unserer Wahl von einem Versicherungsheini in Augenschein genommen werden. Haha. Wäre wohl zuschön gewesen, wenn mal irgendwas einfach so funlktionieren würde. Wir fahren los, unsere Freundin Corrin kommt 3 Tage mit und übernimmt die ewigen Telefonate – immer in Kontakt mit der Bank. Gar nicht so einfach, wenn es oft keine Handyverbindungen gibt, im nächsten Bundesstaat manche Handy-Karten nicht funktionieren, die Bank-Tante ihr Handy einfach zeitweilig ausschaltet….Ständig wird der Treffpunkt für die Besichtigung verschoben – entsprechend der geplanten Route nach Norden. Immer wieder fehlt angeblich eine andere Angabe, dreimal in zweieinhalb Tagen geben wir alle Daten von Neuem durch. Vergeblich, angeblich ist immer wieder etwas falsch, das Auto ist in keinem Meldesystem zu finden….blablabla. Schließlich sollen wir alles scannen und mailen – mach mal, wenn´s in vielen Orten nicht mal einen Kopierer gibt, geschweige denn Scanner! Nach fast 3 Tagen sind wir auf brasilianischem Niveau: Scheiss drauf, wer braucht schon eine Versicherung?!

Einen halben Tag noch verursacht das Gefühl, in einem potientiellen 40.000 Real-schluckenden schwarzen Loch zu sitzen (wenn´s dumm kommt), ein mulmiges Gefühl, dann macht sich entspannter Fatalismus breit, gepaart mit einem zweckoptimistischen „wir fahren ja vorsichtig“.

Irgendwie schwant mir wiedermal, warum hier alle so drauf sind. Hatten wir doch noch ein Europa-Kabel zu kappen vergessen bei der Ankunft? Ok, ist hiermit auch geschehen!

Auf geht´s, lasst uns eine Reise machen!

Davon im nächsten Kapitel mehr.

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06 Sintflut II

Und noch mehr breaking news: Wir sitzen immer noch in Sao Sebastiao fest. Nachdem die Straße nach Camburi gestern wieder einspurig geöffnet war, ist nun eine zweite Stelle abgerutscht und es wieder alles gesperrt. Darüberhinaus haben wir erfahren, dass die Überschwemmungen viel schlimmer waren, als wir anfangs gehört haben: Fast 2000 Menschen sind ganz oder zeitweise obdachlos, natürlich vorallem die Habenichtse in den miesen Vierteln, die besonders tief liegende und schlecht gebaute Häuser haben bzw hatten. Ob es Tote gibt, ist unklar. Es war wohl bis heute der Ausnahmezustand verhängt. Jetzt ist das Wasser einigermaßen weg, aber der Schlamm und die abgebrochenen Äste und Bäume, sowie Schutt und Müll liegen noch weitgehend herum. Unsere Freundin sagt, immer noch gibt es zeitweise Unterbrechungen der Strom- und Wasserversorgung, obwohl sich die Situation schon weitgehend entspannt hat.

Etwas nördlicher, im Staat Rio des Janeiro, war alles noch schlimmer, da sind 17 Menschen gestorben.

Die Regierung des Staates Sao Paulo hat 1,5 Millionen Real Soforthilfe bewilligt, was hier als Witz empfunden wird, weil das vielleicht 150-200 Euro für die Betroffenen bedeutet. Und das bei den Preisen hier!

Um die Sache noch absurder zu machen, macht der Regen jetzt auch noch Politik. Wieder ein Kapitel aus der Geschichte der Korruption hier: Der Prefekt/Bürgermeister von Sao Sebastiao (das ist nicht nur die Stadt selbst, sondern der ganze Verwaltungsbezirk mit vielen Orten) musste vor 3 Tagen zurücktreten, weil er der Korruption angeklagt wurde. Grund war, dass er sich für seine Wiederwahl die nötigen Wählerstimmen erkauft hat, indem er einer Gemeinde neues Land zur Urbanisierung versprochen hat – wenn er wieder gewählt wird. Er hat gegen 3 Gegenkandidaten mit 39 % der Stimmen gewonnen. Nun wurde er abgesetzt – vor drei Tagen. Gestern nun kam die Nachricht, dass der Richter über´s Wochenende seine Meinung geändert hat: in Anbetracht der Situation mit dem Regen und blablabla, sowie der ausstehenden höheren Instanzen in Sao Paulo und der Landeshauptstadt Brasilia, die der Mann für eine Revision der Entscheidung anrufen kann, befindet der Richter nunmehr, dass es der Region vielleicht mehr schaden als nutzen würde….und hat ihn wieder ins Amt gehoben. Ganz böse Zungen munkeln, dass der Richter jetzt etwas reicher ist. Er nimmt also seine eigene Entscheidung zurück. Der nachrückende Kandidat Nr 2 der Wahl hatte schon seinen Amtsantritt mit Feuerwerk gefeiert…Alles total gaga.

Hier in Sao Sebasiao ist alles ruhig, es nieselt, aber es gibt keine Probleme, außer dass das Supermarktangebot an Obst und Gemüse immer mieser wird, die Lieferungen bleiben aus. All unseren Freunden in Camburi und Boicucanga geht es gut. Allerdings ist der schöne, neuangelegte Garten von Corrin vollkommen platt – begraben unter Schlamm und einem großen umgestürzten Baum. Ihr Haus hat nichts abbekommen, wie auch die Behausungen aller anderen Bekannten nicht oder zumindest vergleichsweise nur wenig. Belen und Euro freien sich, dass wir noch länger bleiben. Aber wir würden uns wohl auch nicht wohl fühlen, jetzt in Camburi fröhliches Strandleben zu feiern…Also bleiben wir noch ein bisschen und warten ab.

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