Tag 2. Noch Muskelkater vom Stadtklettern gestern und schon wieder ein weiterer Sprint bergauf und –ab: wegen des Frühstücks. Selbe Klettertour zurück, dann holt uns unser persönlicher Taxifahrer für den Tag, Passarinho, wie verabredet ab. Er hat sich überlegt, dass er uns nicht einfach auf dem kürzesten Weg nach Andorinhas fährt, wie verbredet, sondern auf einer Extra-Route mit schönen Ausblicken und Geschichte.
An einem Aussichtspunkt über der Stadt machen wir Halt und bekommen wir eine volle Dröhnung Stadt- und Goldrauschgeschichte. Er rattert Jahreszahlen herunter, erzählt von Goldsuchern, Ganoven, gierigen Gouverneuren, Rebellen und abgeschlagenen Köpfen. Es macht ihm sichtlich Spass, Fremden seine Stadt zu erklären. Er regt sich darüber auf, dass die Stadt, die vom Tourismus lebt, nicht Schulungen für alle Taxifahrer darüber anbietet. So sei er der einzige von den 103 Taxifahrern, die sich in Geschichte und Natur der Umgebung auskennen würden. Glück gehabt! Oder Karma..?
Wir lernen das Viertel São Sebastião kennen, das ruhig und gemütlich auf einem Berg thront. Hier geht das Leben noch einen gemütlichen Gang, die Nachbarn leben noch in tatsächlicher Nachbarschaft miteinander, man kann es spüren. Und hier gibt es auch die zweitälteste Kapelle der Stadt, klein bescheiden, ohne Prunk.
Nach einigen langsamen Kilometern auf immer schlechter werdenden Straßen und ausgewaschenen Schotter- und Lehmpisten sind wir dann endlich da. Ein großartig gebautes und ebenso schnell wieder zusammengefallenes Zufahrtstor zum Naturschutzpark Parque Andourinhas erzählt auch wieder typisch brasilianischen Alltag: vor einer Wahl ein großartiges Projekt geplant, nach der Wahl vergessen. Wohl auch aus dieser Zeit stammt das überdimensionale, grauenhaft hässliche und fast ungenutztes Welcome-Center, das die Parkbesucher begrüßt. Die Informationsdame langweilt sich sichtlich, denn sie hat nicht einmal Faltblätter oder Karten zu verteilen, alles ausgegangen. Sieben Wasserfälle kann man hier erwandern, vier davon sind für uns zu schaffen, für mehr reicht unsere Zeit nicht. Der Weg ist als mittelmäßig schwierig eingestuft.
Wie sind oben auf einem steinernen Hochplateau, das in eine Terrassenlandschaft mit Wasserbecken und kleinen Wasserfällen und Stromschnellen übergeht, Blick auf ein endloses Bergpanorama. Passarinho wandert mit zum ersten Wasserfall, er hat sich offenbar entschlossen, unser persönlicher Führer zu sein. Unterwegs gibt’s noch Unterweisungen in Mineralogie und Pflanzenkunde, da er bemerkt hat, dass ich mich für alles, was wächst interessiere. Schließlich stürzt sich in stacheliges Unterholz, um für uns ein paar grüne Beeren zu ernten, die zwar klein, aber nahrhaft und erstaunlich wohlschmeckend sind.
Von dem felsigen Plateau geht es auf einem gewunden Pfand zum Eingang einer unterirdischen Höhle, in der der erste größere Wasserfall ist. Der Zugang ist verdammt eng und ziemlich glitschig, und die Gefahr, beim Klettern über die Felsbrocken auszurutschen, ist groß. Ein Mann versucht, seine korpulente Gattin zu überreden, doch nochmal zu versuchen, durch die Felsspalte zu kriechen. Man soll ja nicht lachen, aber es sieht schon kurios aus, wenn das oppulente Hinterteil da immer wieder hängenbleibt….
Schließlich gelangt man über eine Metall-Leiter auf den Grund der Höhle. Unten steht man sofort im Wasser, alles rutschig, kantig und dunkel. Aber der Anblick, der sich dann bietet, ist wunderschön! Am Ende eines schmalen Höhlengangs, durch den das Wasser fließt, öffnet sich eine schmale Höhle. Durch einen Felsspalt oben fällt ein Strahl Sonnenlicht bis auf den Grund, genau da, wo ein tosender kleiner Wasserfall auftrifft. Es sieht so unwirklich schön aus, als wäre dies eine Film-Kulisse.
Nass und glücklich klettern wir wieder ans Tageslicht und genießen die Aussicht ins Tal und auf die fernen Bergketten. Vor uns ein paar Felsnasen, die wie ein riesiges Krokodil aus der Bergwand ragen. Passarinho ist selbst begeistert, nach Jahren mal wieder hier zu sein und beschließt hier auf dem Berg auf uns zu warten, statt zurückzufahren.
Der Abstieg zu den nächsten beiden Wasserfällen ist ziemlich anstrengend und gar nicht so einfach wie angegeben. Sicherungsgeländer oder Seile gibt´s hier sowieso nicht, hier scheint die Seuche der Haftungsprozesse von gestürzten Touristen noch nicht angekommen zu sein. … Ein steiler, glitschiger Pfad über Wurzeln und Felsbrocken führt durch den Urwald. Hohe Bäume, Blühende Sträucher, Lianen, Eidechsen Kolibris und andere Gefiederte machen den Weg zu einem Erlebnis. Und immer wieder Ausblicke auf die Bergwand hinter uns und das Tal vor uns. Teilweise muss ich auf meinem Hinterteil sitzend weiterrutschen und mich an Wutzen und Ästen festkrallen, um nicht abzurutschen. Manchmal fällt das Gelände neben dem Pfad steil ab. Höhenangst-Training.
Wir klettern zuerst zum untersten Punkt, einem Plateau mit kleinen Fels-Bassins und Stromschnellen, in denen man wie in Whirlpools baden kann. Die Felsen sind zwar fast eben, aber gefährlich glitschig. Das Plateau endet an einer Felskante, von der das Wasser dann wirklich tief ins Tal stürzt. Den Blick über die Felsen der Kante wage ich nicht, zu glatt die Felsen, meine Höhenangst nagelt mich die Meter entfernt fest. Aber auch so ist der Ausblick berauschend schön.
Auf dem Rückweg nach oben, nehmen wir den Abzweig zur Cachoeira das Noivas, der Wasserfall der Bräute. Keine Ahnung, was es mit dem Namen auf sich hat, aber es ist ein magischer Ort. Der Fluss schießt durch eine schmale Urwaldschneise etwa 15 Meter in eine offene Grotte, in einem Felsenbecken bildet sich ein sprudelndes Bassin, in das man sich sofort stürzen möchte. Die Sonne fällt durch die Blätter der hohen Bäume und taucht alles in flimmerndes Licht. Problem: die Felsen um und im Becken sind so glatt, als hätte man sie mit Schmierseife eingerieben. Ich bin nur mit Mühe hinein und trotz Hilfe fast nicht heil wieder herausgekommen.
Und noch etwas ist besonders an diesem Ort: Im prüden Brasilien darf man hier ausdrücklich Nacktbaden! Welche Überraschung. Wir genießen noch ein kurzes Weilchen den Zaber des Ortes und machen uns auf den Rückweg, denn leider läuft unsere Uhr – wir müssen noch heute nach Belo Horizonte und von dort mit dem Nachtbus zurück nach São Paulo.
Passarinho hat brav gewartet, wir nehmen noch ein Paar mit, dass gern wenigstens bis zur Bushaltestelle in die Stadt mitfahren will, der Weg dahin ist ziemlich weit und heiß. Fast wären wir nicht zurückgekommen, denn auf der Straße, die vor ein paar Stunden noch in Ordnung war, liegt nun der halbe Hang. Abgerutscht samt Baum. Aber zum Glück kann man das Auto noch gerade so hindurchmanövrieren.
Unsere aufregenden zwei Tage in Ouro Preto enden mit einem späten oppulenten Mittagessen „self service“, d.h. all-you-can-eat in einem Restaurant mit typischer regionaler Küche. an der Praça. Anschließend sammeln wir unsere Sachen ein und trinken mit Passarinho einen Abschiedskaffee in dem winzigen Café „Cafetelier“ unserer Gastgeber, die dort übrigens Bohnen aus der familieneigenen Plantage verkaufen. Das schwarze Gold der Neuzeit…. Passarinho bringt uns zum Busbahnhof und lädt uns schon mal vorsorglich für ein nächstes Mittagessen bei seiner Frau ein. Wer weiß, vielleicht…?! Ouro Preto und die Berge von Minas Gerais wären einen Nachschlag wert.