9 – Stippvisite auf Koh Chang


Es ist noch stockdunkel, als wir durch Bangkoks Vororte und Slums fahren, die sich direkt an die Schienen heranschieben. Dann endlich Bahnhof Hua Lamphong, mitten in Chinatown. Altehrwürdig, aber großzügig gebaut. Und betriebsam auch um diese frühe Stunde, es ist halb sechs.
Fest entschlossen, den Taxifahrern keine Chance zu geben und auch nicht willens gleich als Tagesauftakt ewig mit einem TukTuk-Fahrer zu feilschen, habe ich vor, mit der Metro und dem Bus zum Busbahnhof Ekkamai (der östliche) zu fahren. Auch wenn dies eine unangenehme Schlepperei bedeutet, denn die Metro fährt hoch oben und ist nur über steile Treppen zu erreichen. Leider ist meine Reisetasche immer noch entschieden zu schwer, obwohl ich mich schon gebessert habe. Und nette Männer, die mal mit anfassen, sollte man in Thailand besser nicht erwarten…
Aber meine guten Vorsätze werden zunichte, als mich ein aufdringlicher Taxivermittler bestürmt. Er nennt mir einen Preis und ich lache nur. Er fragt, was ich zahlen will, ich sage 150 (obwohl das immer noch zu viel ist). Er grummelt vor sich hin, da ich aber einfach weitergehe, schiebt er mich plötzlich vor ein Taxi, wo noch zwei Frauen stehen, die fast in dieselbe Richtung wollen. Wir teilen das Taxi, jeder zahlt seinen ausgehandelten Preis.
Das Taxi ist eiskalt, der Fahrer versteht plötzlich nichts, als wir uns beschweren. Kurz darauf setzt ein schrilles Piepsen ein, das bis zum Ende nicht mehr aufhört. Ich halte mir die Ohren zu, um nicht durchzudrehen. Die Frauen wollen in ein Krankenhaus, die eine ist auf einer Insel von einem wilden Hund gebissen worden und braucht eine zweite Tollwutspritze.
Ankunft mit dem Morgengrauen am Busbahnhof Ekkamai. Hier haben die verschiedenen Gesellschaften ihre Schalter. Ich nehme den Government Bus, die bieten eine komplette Route bis zum Pier Laem Sok außerhalb der Stadt Trat und gleich noch die Überfahrt zur Insel mit der Fähre.
Aber bis zur Abfahrt sind es noch anderthalb Stunden. Gegenüber der großen Straße, die auch noch durch die Hochbahntrasse geteilt ist, sehe ich ein geöffnetes schickes Neuzeitcafé. Nur heißt das, man muss hundert Meter weiter über eine hohe Fußgängerbrücke – natürlich ohne Fahrstuhl und Rolltreppe – auf die andere Seite und dann zurücklaufen. Aber ich kann die Ticketverkäuferin überreden, auf meine Reisetasche aufzupassen. Preis: ein Café Latte aus dem Yuppie Café. Lässt sich machen.
Ich bin der einzige Gast und lasse mir ein total überteuertes, aber leckeres Frühstück schmecken, dass es in allen Großstädten der Welt gibt: Toast mit Poached Egg und Avocado. Der Laden ist groß, modern und betont cool und gar nicht thailändisch. Als ich auf die Toilette will, bekomme ich einen Schlüssel und muss draußen drei Häuser weiter in den Eingang eines Parkhauses, dann mit dem Fahrstuhl in den vierten Stock und am Ende des Ganges ist dann das Klo. Also doch Thailand…
Endlich ist es soweit und der ausverkaufte Bus setzt sich in Bewegung. Inzwischen ist Berufsverkehr und der Bus braucht ewig, um aus Bangkok herauszukommen. Ich falle in einen seltsamen Halbschlaf, der irgendwann unsanft unterbrochen wird, weil mir der Schaffner unbedingt eine Flasche Wasser und eine Schachtel mit einem pappigen Croissant geben will. Aber wenigstens sind die Sitze ganz bequem und die Temperatur ist außerhalb der Kühlfach-Kategorie, was will man mehr.
Fünfeinhalb Stunden später sind wir endlich am Ziel. Raus aus dem Bus, dann steht da schon ein Kerlchen, das uns resolut zu einer muslimischen Mama schickt, die mit zweieinhalb Brocken Englisch, die man erst nach einigem Hinhören als solches identifiziert, effizient handschriftlich die entsprechenden Tickets für die Fähre ausschreibt.
Von einem vergammelten Parkplatz holt uns ein noch total verrosteter kleiner Bus mit fehlenden Fenstern, Rostlöchern und kaputten Bänken ab, um uns zum Pier zu bringen. Dort besteigen wir eine Autofähre, die nicht viel besser aussieht. Rost überall. Und Löcher. Aber die Auswahl an Überfahrtmöglichkeiten ist nicht sehr groß – keine Ahnung, wo und wann die nächste Möglichkeit besteht.
Mein Ziel ist Thailands zweitgrößte Insel Koh Chang, an der nördlichen Küste des Golf von Thailand, nicht zu verwechseln mit seiner kleinen Schwester Ko Chang vor Ranong in der Andamanensee. Seit einigen Jahren ist diese Insel , nicht weit von der Grenze zu Kambodscha, zu einem neuen Urlauberparadies gediehen. Ich verbinde das Kurz-Kennenlern-Rendezvous mit der Insel aber eigentlich vor allem mit einer sehr persönlichen Angelegenheit, über die ich hier hier nicht schreiben werde. Ein Freund und Kollege ist hier vor ein paar Wochen gestorben.
Am Rande dessen aber habe ich einen kleinen Eindruck von dieser Insel bekommen, der leider in meinem Falle so gar nicht gut ist. In Unkenntnis der Örtlichkeiten habe ich zuerst ein Guesthouse in Lonely Beach gebucht, einem von rund einem Dutzend Stränden der Insel. Die Insel besteht aus mehr oder weniger hohen Bergen. Mit dem Sammeltaxi, das unverschämt teuer ist, komme ich, teilweise über halsbrecherische Serpentinen, ans Ziel. Ein Alptraum: Tür an Tür stehen hier in mehreren Reihen überwiegend billige Gästehäuser, in den zahlreichen Bars dudelt schon jetzt, am Nachmittag, laute Musik.
Mein Zimmer ist klein, aber sauber, ich schaue dem nächsten Gästehaus auf Armlänge ins Fenster, die Wände sind sehr dünn. Nach einer Stunde taucht die deutsche Besitzerin auf, und verkündet, als sie mich einmal skeptisch angeschaut hat: „Aber eins müssen Sie wissen: Schlafen können sie hier nicht. Hier ist Party bis morgens. Überall. Wollte Sie nur drauf hinweisen.“ Und das nach einer achtzehnstündigen Reise!
Ich habe auf der Stelle ausgecheckt, auch wenn ich mein Geld nicht wiederbekommen sollte. Auf der Straße stehend habe ich kurz vor Sonnenuntergang per Handy versucht, ein bezahlbares Zimmer an einem anderen Ende der Insel zu finden. Schließlich habe ich gebucht und bin mit dem nächsten Taxi den ganzen Weg zurückgefahren, fast die gesamte Strecke führt durch zugebautes Gebiet, das nur aus Urlauberhochburgen besteht.
Um es kurz zu machen, ich habe ein halbwegs ruhiges und sauberes Zimmer für zuviel Geld in einem hässlichen Neubau am Rande von White Sands Beach gefunden. Mit einem sehr freundlichen thailändischen Besitzer.
Aber bereits mein abendlicher Spaziergang durch den Ort hat Fluchtgedanken ausgelöst. Eine Bar an der anderen, manchmal mehrere hintereinander, laute Kakophonie, die Läden heißen: Sweet love, cheeky bar, nice nice….. Zu essen gibt´s homemade Schnitzel, „deutsche Wurst, Butter, Käse“, Kebap, Burger, danish food, english porridge….und ein bisschen Thaifood. Der Ballermann in Thailand!
Ich setze mich in ein kleines Minirestaurant am Ende des Ortes. Thailändisch ist hier nur die hübsche Bedienung, Freundin des jungen bayrischen Besitzers. Nach zehn Minuten platzen fünf alte, lautbrüllende Kerle herein: die lieben Freunde aus dem Freistaat. Und die Herren sind, man verzeihe mir meine Abfälligkeit, dümmste alte Dorfdepps, die in ihrer Strandverkleidung wie ihre eigenen Karikaturen wirken. Mir reichtś, ich geh ins Bett.
Am nächsten Tag bleibt mir nur der Nachmittag, nachdem ich vorher getan habe, weshalb ich gekommen bin. Ich gehe zum Strand und muss fast drei Kilometer wandern, bis nur noch erträglich viele Menschen um mich herum liegen. Der Strand ist lang und weiß, aber einfach viel zu voll. Am Abend verwandelt er sich in eine von tausend Lichtern hübsch beleuchtete lange Restaurant Meile, wenn alle angrenzenden Gastronomen ihre Tische, Teppiche, Matten und Sitzkissen inklusive Lampions und Kerzen herausgeräumt haben. Das sieht sogar richtig hübsch aus, ist aber Business pur.
Auf dem Heimweg muss ich aufpassen, hier sind Taxen, SongTaews, Autos und jede Menge Roller unterwegs, viele davon mit alkoholisierten Fahrern. Ich weiß wohl, dass es sicher auch ein paar schöne Plätze hier gibt und auch der Dschungel im Inneren der Insel Spannendes zu bieten hat, aber der größte Teil der besiedelten Ostküste ist einfach hoffnungslos zugebaut und verschandelt.
Ich habe nach meinem schlechten Start und dem ebenso unschönen zweiten Eindruck aber weder Lust und Geduld, nach dem verborgenen Schönen der Insel zu suchen, zumal sie sehr weitläufig ist und ohne Gefährt schlecht zu erkunden. Und einen Roller würde ich hier auf keinen Fall fahren: zu schwierige Straßen, zuviel Verkehr, zuviele Verrückte und Betrunkene auf Rollern und in Autos.
Ich bin sehr zufrieden, dass ich hier das tun konnte, was ich mir vorgenommen habe. Aber darüber hinaus habe ich keine Lust mehr, länger hier zu bleiben und sehne mich nach meiner kleinen verschlafenen Insel Koh Kood, gut zwei Stunden von hier! Das Bootsticket ist gekauft!