09 New Orleans III

Dies wird ein Kapitel der krassen Gegensätze – so wie diese Stadt selbst.

Ein „must“-Ausflug hat uns auch in den überwiegend sehr mondänen Garden District mit seinen breiten Prachtalleen und riesigen Südstaatenvillen, vorzugsweise im viktorianischen Stil, geführt. Home of the Brad Pitt-Angelina Jolie-Family.

Die berühmteste Allee ist die St. Charles mit der Trasse der berühmten alten Streetcar. Hier entlang führt auch die offizielle Paradestrecke des größten Mardi Gras-Umzuges. Als Erinnerung daran hängen das ganze Jahr noch die bunten Ketten in den Bäumen, die von den Wagen geworfen werden wie in Kölle die Kamellen. Sie verfangen sich dort und sorgen so dafür, daß hier eben immer ein bisschen Karneval ist. Aber auch die anderen Straßen sind fast alle sehr schön anzusehen, überwiegend die Welt der Reichen und Schönen. Aber auch die der beiden teuersten und angesehensten privaten Universitäten: Tulane und Loyola. Jede davon hat einen riesigen und sehr schönen parkartigen Campus. In der Nachbarschaft wohnen können aber nur die Studenten aus reichem Hause, die anderen können hier bestenfalls in den Restaurants arbeiten.

Der Audubon-Park mit all seinen alten Bäumen, einem See und den vielen Kamelien und Azaleen ist einen Spaziergang wert. Hier sieht man auch viele Läufer. Nicht weit ist der Zoo von New Orleans.

Eine etwas andere Prägung hat allerdings die Magazin Street, die sich etliche Meilen durch den ganzen Bezirk schlängelt: hier ist es zwar auch chic, aber etwa lockerer und abwechslungsreicher mit unendlich vielen Restaurants, Cafés, Galerien und Läden. Doch je mehr man sich nach uptown bewegt und dem Mississippi nähert, der den Garden District im großen Bogen umfließt, umso teurer werden die Läden und desto feiner und gebildeter wird die Klientel – Uniprofessoren und ihre Gattinnen sind die typische Fauna. Ein bisschen zu demonstrativ sophisticated…

Aber auch hier im Garden District gibt es natürlich jede Menge Musik. Das berühmte Tipitina´s war hier – vor Katrina. Und in der Oak Street, einer eher bescheidenen Strasse, ist zum Beispiel das Maple Leaf – auch ein legendärer Ort. Ich war früher ein paar Mal da. Als wir dort mal vorbeischauen am Sonntag Nachmittag, werden wir von gesperrten Straßen und Menschenmassen überrascht: In der Oak Street ist Po-Boy-Festival! Liebe Güte, da ist was los! Überall gibt´s leckere Dinge zu essen – natürlich alle nur erdenklichen Varianten der Riesensandwiches, aber auch Andere. Es gibt z.B. welche mit Shrimps, Austern, Catfish, Roastbeef auf x Arten, italienischer Wurst, Grillfleisch und gegrilltem Hummer. Und das ist noch längst nicht alles… Die Schlangen vor den Ständen sind gigantisch – bis zu 70m! Aber die Leute warten geduldigst und bestens gelaunt, und die Stände sind generalstabsmäßig organisiert, das geht ruck-zuck: wirklich beeindruckend!

Wir haben uns aber für creole sausage entschieden, kreolische Wurst. Erst halten wir das für die schon früher erwähnte leckere Boudain, die wir im ländlichen Louisiana gegessen haben. Als wir dann fragen , ob das nicht das Gleiche ist, ernten wir ein verächtliches Augenbrauenhochziehen und die leicht beleidigte Erklärung: Nein, das ist keine Cajun Wurst mit Reis, sondern die kreolische Variante – ohne. Dazu muß man wissen, dass die Kreolen sich nie mit den Cajuns gemein machen. Lächerlicherweise, denn beide haben französische Wurzeln und sind ungefähr zu selben Zeit in Amerika eingewandert. Die Cajuns, von denen es heute ungefähr eine Million gibt, sind die Nachfahren von ein paar hundert überlebenden Franzosen, die einst hier im Mississippi-Delta gestrandet sind. Auf der Flucht vor den Engländern, die sie Anfang des 18. Jh aus ihrer Wahlheimat Kannada vertrieben haben, nachdem Frankreich das Land der englischen Krone überlassen hatte. Die meisten haben sich in den Sümpfen im Südwesten Louisianas, in Arcadiana, niedergelassen, sich von Fischfang, Jagd und Landwirtschaft ernähert. Einfache Menschen, die hart arbeiten mußten, ihre eigene (alt-)französische Sprache sprachen, ihre eigene Musik und Küche hatten. Diejenigen Franzosen aber, die in New Orleans, in der Hauptstadt der französischen Provinz Louisiana lebten, und auch einiuge karibische Einflüsse hatten, nannten sich Kreolen und halten sich noch heute für was Besseres. Soviel dazu.

Kontrastprogramm: Vom idyllischen und vornehmen Garden District in den ärmsten Teil der Stadt: den 9th Ward, den 9. Bezirk. Den hatte es bei Katrina am schlimmsten erwischt. Und da wir alte New Orleans Junkies sind und nicht bloß Sightseeing-Touristen, wollen wir uns das dann auch aus der Nähe ansehen. Das heißt, wir wissen ja nicht, ob es da nach all der Zeit noch viel zu sehen gibt. Aber je näher wir der Gegend kommen, desto größer werden die Brachflächen. Aber in den ersten Vierteln, die wir auf dem Weg in den 9th Ward in Seenähe durchqueren, sind inzwischen viele Häuser neu oder wieder schön hergerichtet– es sind bürgerliche Gegenden, wie Gentilly. Und die Brachen fallen auch gar nicht so schlimm auf, weil sie inzwischen von Rasenflächen bedeckt sind. Aber es ist schon mehr als wir dachten. Je östlicher wir fahren, desto eindrücklicher wird das Erbe von Katrina dann sichtbar. Die eigentliche Katastrophe nach dem Hurrican selbst war, dass das Meer Wasser in den See Pontchartrain gedrückt hat und hier zwei Dämme gebrochen sind und den Großteil der Stadt teilweise meterhoch überschwemmt haben. In riesigen Gebieten haben die Leute tagelang auf den Dächern gesessen und auf Retter gewartet, während die Leichen an ihnen vorbeigetrieben sind und später geplündert wurde, was zu plündern ging. Wochenlang hat absolute Anarchie geherrscht.

Als wir den berüchtigten 9. Bezirk, erreichen, sind wir geschockt. Die Straßen sehen aus wie löchrige Gebisse mit all den Baulücken. Und das ist noch nicht alles. Von den Häusern, die noch stehen, sind über die Hälfte noch immer unbewohnte Ruinen, teilweise stehen noch Möbel drin, als wäre es erst vor ein paar Wochen passiert. An den Türen sind noch die Codes der Rettungstrupps zu lesen, wo vermerkt ist, wieviele Leute da drin waren – wieviele Tote und wieviele lebendig. Man kann lesen, daß diese Rettertrupps teilweise erst zwei Wochen nach der Katastrophe bei den Häusern angekommen sind. Unserer Schätzung nach sind mindestens sechs Achtel der Häuser unbewohnt oder zerstört. Sieben Jahre danach!

Einige von den Bewohnern, die zurückgekehrt sind, haben sich ihre Häuser nun erst recht mit Liebe wiederhergerichtet, auch wenn es ganz einfache sind: mit Blumenkübeln, Schaukelstühlen auf Veranda und ähnlichem. Ein paar Meter weiter stehen die verlassenen und verrottenden Wracks mit ihren toten Fenstern. Kleine Jungs spielen Fußball neben dem Bauschutt, der von den Nachbarhäusern übriggeblieben sind. Ein ziemlich gespenstischer Anblick.

Es ist viel geschrieben und gesagt worden über all das – auch wir haben uns hier noch ein paar Mal mit Leuten unterhalten. Es ist zwar richtig, dass das hier immer die große Problemzone der Stadt war und viele hier vom Staat gelebt und keinerlei Anstrengungen mehr gemacht haben, daran etwas zu ändern. Und es ist auch richtig, daß die Kriminalitätsrate hier schwindelerregend war. Aber das ist schliesslich nicht nur einfach die Schuld der Leute, sondern eben ein gesellschaftlich-politisches Problem. Und eine andere Wahrheit ist es, dass Katrina dazu genutzt wurde, hier eine Art sozialer Säuberung durchzuführen und den ungeliebten Bevölkerungsteil loszuwerden. Ich habe gehört, dass z.B. den evakuierten und geflüchteten Menschen monatelang die Rückkehr verboten wurde mit der Behauptung, es gäbe keinen Strom und kein Wasser, was in etlichen Fällen eindeutig gelogen war und nur dem Zweck diente, die Leute so lange draussen zu halten, bis sie sich anderswo niedergelassen hatten. Die Infrastruktur ist zum Teil bis heute zerstört – wir sehen leere, zerstörte Schulgebäude, Krankenhäuser u.ä. Die Grundstücke stehen zum Verkauf, aber hier will keiner herziehen. Kein ruhmreiches Kapitel zum Thema Katrina.

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