In den vergangenen Tagen haben wir Streifzüge quer durch die Stadt gemacht – all die alten Plätze aus den Erinnerungen wieder gesucht, manches nicht mehr gefunden, Neues entdeckt.
Mein persönliches Lieblingsviertel ist inzwischen Foubourgh Marigny, gleich an das French Quarter anschließend, wie ein Dreieck zwischen der Elysian Fields Avenue und der Esplanade Avenue. Ich erinnere mich noch gut an Zeiten, da konnte man nicht mal sein Auto am Rande dieses damals total heruntergekommen Viertels parken, geschweige denn, dort herumlaufen, weil es extrem gefährlich war. Nur ein Straßenzug am Rand war ok: die Frenchmen Street, da gab es ein paar gute Clubs und Kneipen. Aber das ist lange her, inzwischen ist Marigny ein angesagtes und ziemlich cooles Viertel – für die Einheimischen. Viele junge Leute wohnen da, jede Menge Alternative, Künstler und Musiker. Und auch gleichgepolte Ältere sowie Überlebende aus der Vorzeit des Viertels. Inzwischen steigen natürlich auch die Immobilienpreise, was das aus dem Viertel macht, bleibt abzuwarten.
Inzwischen sind schon die nächsten Viertel auf dem Weg, den Marigny genommen hat: Das östlich anschließende Bywater ist das Kreuzkölln dieser Tage. Noch ein bisschen anders verhält es sich es mit dem benachbarten Treme, wo auch unser Hotel steht: Zum Teil ist es schon richtig nett und fancy. Aber ein anderer Teil ist wirklich noch knallhart und rein schwarz. Der Übergang ist so unvermittelt, dass man gar nicht bemerkt, dass man die unsichtbare Grenze schon überschritten hat – wie wir heute morgen beim Laufen. War schon ein kleines bisschen unheimlich. Wir sind da wohl wie zwei äußerst seltsame weisse Aliens in Sportsachen durchgelaufen, so jedenfalls besagten es die Blicke. War dann aber ok. Abends würde ich da allerdings ganz sicher nicht hingehen.
Doch zurück nach Marigny. Es geht eher ruhig und beschaulich zu dort: langezogene, meist schmale Straßen mit kleinen bis mittelgroßen Häuschen, in bester Art-Déco-Manier liebevoll bunt gestrichenen. Manche haben kleine Veranden mit tropischen Bäumen und Büschen auf dem Bürgersteig oder im winzigen Vorgärtchen. Gestern saß ich dort vor einem Café unter reifen Bananenstauden und blühender Bougainvillea. Der typische Marignybewohner fährt vorzugsweise Fahrrad und geht mit seinem Computer in eins der kleinen originellen, manchmal eher wohnzimmerartigen Cafés, denn zu Hause hat man kein Internet. Musiker schleppen ihre Instrumente nach Hause oder zum Auftritt, die Hundis werden Gassi geführt, vorzugsweise mit neckischen Pullöverchen angetan. Und es gibt so eine Art ungeschriebenen Dresscode: Man muss irgendwie ein bisschen schräg aussehen, unbedingt anders. Auf jeden Fall erkennt man die Bewohner des Viertels schon an ihrem Outfit. Nicht chic, wohlgemerkt, sondern – schräg. Aber man ist tolerant: Auch Normalos wie wir werden nett behandelt und auch hier fällt wieder auf, wie freundlich man oft gegrüßt wird – einfach so. Autos fahren eher wenige herum. Fremde verirren sich nur selten hierher, obwohl das French Quarter nebenan liegt. Ich liebe es, hier faul in einem Eckcafé zu sitzen, Cappuccino zu süffeln und träge in die Gegend zu schauen. Hat wirklich was ungeheuer Entspannendes. Und das Interessante ist, irgendwie hat diese Gegend so ein bisschen den Charakter ihrer Entstehung weiterentwickelt oder bewahrt – wie man will. Foughbourg Marigny hat ein exzentrischer creolischer Plantagenbesitzer selbigen Namens Anfang des 19.Jahrunderts gegründet – außerhalb der alten Stadtgrenze und der etablierten kreolischen Gesellschaft der Stadt. Hier lebten freie Schwarze und bald auch Einwanderer aus aller Welt, vorallem Handwerker. Die etwas Anderen also, frei, selbstbewußt, aber eher arm.
Aber das Ausgehzentrum ist immer noch die Frenchmen Street. Es gibt klasse Kneipen, Restaurants und Cafés dort: In einer Kneipe kann man sich nachts auf einem alten Friseurstuhl neben dem Tresen die Haare professionell schneiden lassen. Man kann sich aber auch in einem Tattooshop zwischen zwei Clubs, mit einem Cocktail vor sich, als Showact für die Passanten seine Körperteile dekorieren lassen. Es gibt ein berühmtes kreolisches Soulfood Restaurant, originell gestaltete Cafés mit richtig gutem Futter und Espresso (!) und so weiter. Und vor allem: Hier sind auch einige der angesagtesten Musikläden der Stadt: Einige Namen davon sind inzwischen auch über New Orleans hinaus bekannt: dba, Blue Nile, Snug Harbour, Café Istanbul, Spotted Cat oder Apple Barrel. Die meisten haben sich auf eine Musikrichtung spezialisiert. Ein paar verlangen bei Konzerten (erschwinglichen) Eintritt, in den anderen Läden muß man nur einen Drink bestellen und ist moralisch verpflichtet, der Band etwas in die Sammelbüchse zu werfen, was hier auch fast jeder macht. Die meisten Läden sind alles andere als chic; vornehm ausgedrückt haben sie Patina, genauer gesehen sind sie ziemlich abgerissen, die Möbel erinnern gelegentlich an Sperrmüll. Aber das spielt überhaupt keine Rolle.
Es ist unglaublich, wenn man da abends die Straße entlangläuft: Auf hundert Metern hört man locker zehn verschiedene Konzerte mit. Man kann auch einfach durch´s Fenster zusehen und sich dazu irgendwo was zu trinken besorgen oder – bei Hunger – z.B. von einem knallbunten umgebauten Truck jamaikanisches Grillfleisch kaufen oder ähnliches. Wir haben uns abends verstärkt hier herumgetrieben, es ist wirklich spannend! Die Musik, aber auch was auf der Straße abgeht und vorallem auch die Typen. Unglaublich! Wie Kino, nur echt! Und man kann da ebenso 20jährige wie 75jährige treffen, alle fröhlich nebeneinander.
Für mich –oder uns – hat diese Straße aber noch eine ganz persönliche Bedeutung: Hier hat ein ganz besonderer Freund gelebt: der Bluesman Coco Robicheaux. Hier ein echter local hero, aber über ebay z.B. in Europa zu beziehen. Er hat auch für Musikgrößen wie Dr John Songs geschrieben. Coco war nicht nur ein großartiger Musiker, sondern als Mischling mit indianischen und Cajunvorfahren auch Medizinmann. Eben ein ganz ungewöhnlicher Mensch, mit dem vorallem mich eine besondere Freundschaft verbunden hat. Wir haben ihn mehrmals hier in New Orleans getroffen, einmal hat er auch mit seiner Band in Berlin gespielt. Vor einigen Jahren habe ich mit meiner Freundin sogar bei ihm gewohnt, was uns zu sowas wie Kurzzeiteinheimischen der Frenchmenstreet gemacht hat. Seine Stammkneipe war der Apple Barrel, hier hat er auch regelmäßig gespielt. Am 25.November vergangenen Jahres ist er dort zusammengebrochen und gestorben, mit 64 Jahren. Hier haben wir ihn auch zum letzten Mal getroffen. Ich bin ungeheuer traurig, dass wir uns nicht nochmal sehen konnten, aber ich empfinde es so, wie es jetzt im Apple Barrel an der Wand steht: Coco Robicheaux was always here, is always here and will always be here.