Traurige Wasser, lustige Viecher

Es ist doch nur Dienstag – wieso gibt es plötzlich sogar ein paar Scheiben Kochschinken zum Frühstück? Ganz einfach, der Chef war in der 60 Kilometer entfernten Stadt und da kann man solche Leckerbissen einkaufen….

Wenigstens etwas Trost für mich, nachdem ich um vier mein Bett geräumt und mich vor das Haus gesetzt habe. Ich habe den seit dem Abend durchbrüllenden Fernseher unseres Zimmernachbarn nicht mehr ertragen. Als er um halb acht mit schlechter Laune aus seinem Zimmer geschlurft kommt, durchbohre ich ihn mit bösen Hexenblicken – wenigstens das erlaube ich mir. Und – es wirkt! Als er eine halbe Stunde später abreisen will, ist sein Auto kaputt. Hallelujah!

Gabriel, auch heute wieder unser Führer, sitzt schon seit sieben mit einem Kaffee auf der Terrasse, denn wir wollen pünktlich aufbrechen. Noch einmal steht ein Wasserfall auf unserem Programm, später Schnorcheln im Rio Triste und zum Sonnenuntergang der Lagoa das Araras, an dem sich Abends Papageien zum Schlafen treffen.

Übrigens bin ich diesmal etwas verwirrt über die Informationen, die ich meinen Allzweckratgeber Lonely Planet zum Thema Bom Jardin entnehme. Diesmal sind die Angaben reichlich verwirrend und nicht wirklich geeignet, um sich einen Plan zu machen, weil sie wild durcheinandergewürfelt sind. Bin ich bisher nicht gewohnt von meinem schlauen Reisebegleiter.

Heute gilt es, 45 km als erste Etappe zum Wasserfall Chachoeira de Serra Azul zurückzulegen, davon ganze vier auf asphaltierter Straße…. Man muss sich die Schönheiten dieser Landschaft wirklich schwer verdienen. Die Fahrt ist der reine Horror, zumal es in der Nacht geregnet hat und der wellige und löchrige Lehmboden nun auch noch wie Schmierseife ist. Die riesigen Pfützen, die tiefen Löcher und die quer verlaufenden Spurrillen verlangen eine fahrerische Meisterleitung und viel Glück. Leichtes Schädel-Hirn-Trauma und gestauchte Wirbelsäule sind Kolateralschäden.

Kaum zu glauben, dass hier die Riesentrucks durchmüssen, die den Soja abtransportieren. Zumal die Brücken über die Flüsse nur aus morschen Brettern bestehen und erschreckend schmal sind.

Auf einem besonders üblen Straßenabschnitt sehen wir dann auch gleich einen solchen Riesenbrummer schräg abgesackt stehen, der Hänger ist seitlich weggerutscht und die Vorderräder haben sich hoffnungslos festgefahren. Schicksalsergeben hockt der Fahrer im Schatten des Trucks und hofft, dass irgendwann in den nächsten Stunden ein Traktor zum Anschleppen kommt. Wir sollen den armen Mann auf unserem Rückweg in ein paar Stunden noch genauso wiedersehen…

Dann endlich passieren wir die Einfahrt zur riesigen staatseigenen Fazenda, auf der Kühe und Pferde gezüchtet werden, auf der sich aber auch ein ziemlich spektakulärer Wasserfall befindet. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Rinderzucht hier in Mato Grosso eher ökologischer Schwachsinn ist: riesige Flächen wurden dafür gerodet, auf denen aber nur auffallend kleine Herden grasen, weil das Gras nichts taugt. Dünne Kühe, endlose Flächen.

Aber zurück zum Wasserfall. Das Auto bleibt bei der Basisstation, wo wir wieder mit Tauchermasken, Schnorcheln und Gummischuhen ausgerüstet werden, bevor ein schweißtreibender Anstieg durch den Wald beginnt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass auf dem steilsten Abschnitt 250 Holzstufen zur Bequemlichkeit der Besucher an den Hang getackert wurden. Von oben könnte man auch nach besonderer Voranmeldung 1200 Meter mit dem Gleitroller ins Tal rasen.

Wir sind mittlerweile echte Wasserfall-Routiniers und somit nur gedämpft aufgeregt. Aber Mutter Natur schafft es dennoch immer wieder uns zu überraschen, auch diesmal hat sich die Strapaze der Anfahrt gelohnt. Das Wasser stürzt von der Bergspitze vierzig Meter in die Tiefe in einen hellblauen See, der sich dann über Stromschnellen und kleine Wasserfälle ins Tal ergießt. Oben auf der Bergkuppe bewegt sich in den Baumwipfeln kein Blatt, es herrscht absolute Windstille. Aber unten am Ufer des Sees ist es von den herabstürzenden Wassermassen regelrecht stürmisch und die Gischt liegt wie dichter Nebel über dem See.

Gar nicht so einfach, bei der starken Strömung zu schnorcheln und überhaupt zu schwimmen. Und direkt unter dem Wasserfall würde man vom Wasser erschlagen. Keine Ahnung, wie die Fische es schaffen, sich hier von A nach B zu bewegen. Irgendwann ist man geschafft und müde, aber ein Nickerchen auf einem trockenen Felsen inmitten der Stromschnellen entspannt ungemein. Außer uns sind noch zwei Leute da. Wir haben wirklich die beste Reisezeit erwischt: noch vor dem offiziellen Ende der Regenzeit, außerhalb aller Ferien, am Beginn des Herbstes. Ich werde mich im November in Deutschland wehmütig an diese Herbstvariante erinnern…

Mittagszeit. Wieder ist ein Mittagessen in nächstgelegenen Restaurant eingeplant. Dummerweise heißt das heute: Dreißig Kilometer Buckelpiste zurück, um dann anderthalb Stunden später wiederum zehn Kilometer auf der selben Strecke zurückzufahren, um zur nächsten, weiterführenden Straß derselben Qualität zu gelangen. Was für ein Irrsinn. Aber in diesem Land sind die Begriffe Entfernung und Straßenqualität nun mal in einem anderen Koordinatensystem verankert.

Als wir mit vollen Bäuchen vom leckeren Mittagsbuffet, von dem man hier prinzipiell zu viel isst, zu unserem Auto wanken – erwartet uns eine affige Vorstellung. Eine Bande Kapuziner-Affen tobt sich in den Baumkronen über unseren Autos aus. Und es lohnt sich für die Trapezkünstler: flugs werden Bananen aus den Rucksäcken geholt und Louis&Co machen sogar Männchen dafür und hopsen auf unserem Autodach herum und futtern sie filmreif. Danach hängen sie mit faulen Bäuchen auf den Ästen und wir sind entlassen.

Eine Stunde später liegen wir auf türkisen Felsplatten (!) am Ufer des Rio Triste (Trauriger Fluss) und halten nun unsererseits eine kleine Mittagsruhe unter den Uferbäumen.

Daniel erzählt uns eine traurige Liebesgeschichte mit doppeltem Selbstmord, die dem Fluss den Namen gegeben haben soll. Und dann stürzen wir uns noch mal kopfunter für 1200 Meter in den Fluss. Auf die Gefahr hin, inzwischen in meiner Begeisterung unglaubhaft zu werden – ich muss es trotzdem sagen: diese Schnorcheltour hat dem bisher erlebten noch mal eine Krone aufgesetzt, was selbst wir nicht erwartet hatten. Weißer Sand, türkise Felsen, hellgrüne Wasserpflanzenbüschel, fast schwarze alte Baumstämme und silber-orange Fische – beleuchtet von glitzernden Sonnenkringeln. Eine Farborgie!

Ich schwebe gerade so vor mich hin und betrachte eine verrückte Wurzel, die vom Grund nach oben wächst, als plötzlich Daniel neben mir ausflippt und an mir herumzerrt. Komisch, der war doch bisher so ruhig und diskret….Aber in dem Moment fällt mein Blick auf meine Füße, die knappe dreißig Zentimeter über einem Stachelrochen schweben. Vor Schreck hätte ich fast versucht, mich am Boden abzustoßen…. Gerade noch mal gut gegangen. Der giftige Schwanz hat mich nicht erwischt.

Auf dem Weg zum Auto knabbern wir noch an Pequi-Früchten von einer Palme herum – ein ganz eigener Geschmack. Wird auch gern mit Reis gekocht. Hat kaum Fleisch, aber einen sehr würzigen Geschmack.

Eigentlich bin ich erschlagen von so viel Schnorcheln und so vielen Eindrücken. Aber an ein Schläfchen auf dem langen Rückweg ist natürlich bei dem Geruckel nicht zu denken.

Rechtzeitig eine knappe Stunde vor Sonnenuntergang kommen wir beim Lagoa das Araras an.

Vor uns breitet sich ein Sumpfsee aus,wie ich ihn noch nie gesehen habe: Im Wasser stehen überall lebende und abgestorbene Palmen. Ein verrückter Anblick, zumal sich die Palmen im schrägen letzten, goldenen Sonnenlicht des Tages perfekt auf dem stillen Wasser spiegeln. Man muss am Ufer bleiben, erstens weil dies wieder ein geschütztes Gebiet ist und außerdem wegen der Wasserbewohner: Krokodile.

Es gibt zwei Holzstege, wo man sich aufhalten kann. Und da fängt das Gekreische auch schon an: Alle möglichen Papageien kommen hier her, um sich einen Schlafplatz zu suchen. Aber so schön sie auch anzusehen sind: sie sind nur zweite Garde. Die Könige des Sumpfes sind die riesigen blau-gelben Aras. Paarweise überfliegen sie ihr Königreich und lassen sich laut lärmend auf ihren Schlafbäumen nieder, zibbeln sich gegenseitig am Gefieder und machen überhaupt viel Aufhebens. Irgendwie erscheint mir das Alles fast wie eine dieser famosen Naturdokus, wären da nicht die Mosquitos, die für die Echtheit der Szene sorgen. Sendeschluss mit Sonnenuntergang.

Schreibe einen Kommentar