1 – Tief und Hoch

Sechs Uhr und ich schaue vor meinem Bungalow der im Nebel versteckten aufgehenden Sonne zu. Ich bin ein bisschen aufgeregt, denn ganz kurzfristig hat sich ein Abenteuer ergeben. Tauchen! Ich habe vor zwei Tagen eine Werbung an einer Hauswand gesehen und nur aus Neugier über die hiesigen Konditionen eine e-mail geschrieben. Irgendwie dachte ich, dass die Saison wahrscheinlich vorbei ist, denn es sind nicht mehr viele Touristen unterwegs. Während der Tour gestern habe ich aber eine prompte Antwort erhalten und das Angebot, heute früh zu tauchen. Da konnte ich nicht widerstehen…


Ich bin überpünktlich beim Dive Center „Aqua Element“ am Strand von San Giorgio. Die gute Nachricht: Die Tauchgruppe besteht aus dem Instructor Marco und Mario, einem älteren Taucher, der wohl ein Freund ist. Ich muss nun nur noch die passende Ausrüstung finden, also anprobieren. Zu meinem Missfallen besteht Marco auf einem langen Suit mit Jacke und Kapuze. Angeblich ist es sonst zu kalt, was mir bei einer Temperatur von 22 Grad auf dem Grund wenig einleuchtet.


Ich hasse dieses dicke Zeug, was man nur mit viel Aufwand und Kraft anziehen kann und in dem man sich dann kaum bewegen kann! Es verunsichert mich total, zumal die Hose zu lang ist. Aber da muss ich wohl durch. Wir fahren vom Strand mit einem Schlauchboot los, Ziel sind zwei verschiedene Felsen, die etwas östlich Richtung Patti aus dem Meer ragen. Ich fühle mich immer noch etwas unwohl mit dem dicken Zeug. Aber im Wasser wird es hoffentlich besser. Mit dem schweren Rest der Ausrüstung behangen, geht dann alles sehr schnell.


Die Sicht ist exzellent – das Wasser ruhig und klar, leider scheint oben keine Sonne, sonst wäre es sicher noch schöner. Lobster winken mit ihren fluoreszierenden Fühlern, verschiedene Fische schwimmen vorbei, auch am Grund ist einiges Meeresgetier unterwegs. Immer wieder großartig, wenn auch nicht zu vergleichen mit den tropischen Gewässern. Doch ich komme irgendwie nicht recht zur nötigen Ruhe, denn mein Tank sitzt nicht mittig und ich versuche ständig daran herumzuzerren, weil er mich beim Schwimmen stört. Und irgendwann passiert es, ich werde nervös, achte nicht auf die richtige Schwebebalance, versuche zu schnell zu tarieren – und steige unbemerkt nach oben. Das sollte so nicht sein, ist aber nun mal passiert, der Instruktor hat es nicht verhindert.


Einmal oben, ruhe ich mich erst mal eine Weile aus und schwimme zum Boot zurück. Die beiden lassen mich in der Obhut des kugelrunden Bootsmanns und gehen noch mal unter Wasser, denn der Tauchgang hat erst eine halbe Stunde gedauert. Alles kein Problem, aber ich habe leichte Kopfschmerzen und verzichte vernünftiger Weise auf einen weiteren Tauchgang. Ein bisschen traurig bin ich schon, aber es wäre keine gute Entscheidung. Ja, ich bekenne es: Ich bin zwar kein Warmduscher, aber eindeutig ein Warmwasser-Taucher! Das ist meine Welt.


Zurück in meinem kleinen Auto überlege ich, was ich mit dem Rest des Tages machen will, das Wetter sieht eher nach Regen aus. Der Bootsmanns hat mir „Santuario de Tindari“ gezeigt, eine Kathedrale, die östlich von Patti majestätisch auf einem besonders hohen Berg thront. Das ist die beste Idee. Nach rund 40 Minuten durch die üblichen engen Serpentinen bin ich endlich da, d.h. im Dorf Tindari. Unterwegs habe ich wunderbare Sicht auf das beeindruckende Bauwerk gehabt, aber leider kann man auf diesen Straßen nicht anhalten.


Vom Dorf aus muss man den Rest zu Fuß oder per Shuttle-Bus zurücklegen. Aber es ist Mittagzeit, und da ist sogar die Madonna beim Essen: Es ist erst um 15 Uhr wieder geöffnet. Ich kehre in einem kleinen Restaurant zum Mittagessen ein. Ich bin der einzige Gast, außer einer italienischen Drei-Generationen-Familie, die hier irgend etwas feiert. Oder doch eine Beerdigung? Fast alle tragen Schwarz, die Männer weiße Hemden, am Kopfende sitzt der Patrone. Es ist wirklich immer dasselbe: Schon wieder das perfekte Klischee. Zwar nicht der Pate, aber eine Bilderbuch-Familie mit allem, was dazugehört, inklusive Zigarre, die er abseits von seinen Söhne flankiert, raucht.


Ich werde von Kellner gebeten, mich umzudrehen und die Familie zu begrüßen, die hier die Goldene Hochzeit der Familienoberhäupter feiert. Ich gratuliere angemessen, mit vielen bewundernden und freundlichen Gesten, mangels der richtigen Worte. Der Patrone ist zufrieden und wünscht mir huldvoll „Gute Appetitte!“


Als ich schließlich auf dem Berg mit der Kathedrale ankomme, nieselt es, aber das tut dem Eindruck des Riesenbauwerkes keinen Abbruch. Es ist eine Wallfahrtskirche mit einer Schwarzen Madonna. Das interessante Bild mit der schwarzen Madonna über dem Altar soll der Überlieferung gemäß nach einem Bildersturm in Konstantinopel im 9. Jh unbeschadet in einer Kiste an der sizilianischen Küste angeschwemmt worden sein. Es trägt die Aufschrift „Ich bin schwarz, aber schön“. Reicht wohl doch schon länger zurück, die Black Lives Matter – Bewegung…

Die Kirche, die groß, aber nicht sonderlich hübsch ist, wurde aber erst in den 50er Jahren gebaut.
Aber das Schönste ist der Ausblick von der Piazza vor der Kirche: Ein beeindruckendes Panorama der 220 Meter tiefer gelegenen Küste mit einer ungewöhnlichen Sand-Landzunge in der Lagune von Oliveri. Auf der anderen Seite blickt man auf das Gebirge. Aber die Küste sieht besonders spannend aus.


Und genau da will ich als nächstes hin. Obwohl Laghetto di Marinello, wie der Strand heißt, direkt unterhalb der Kirche liegt, ist es eine gute halbe Stunde Fahrt durch die Berge, bevor man endlich unten ist. Aus meinem Plan, auf die Landzunge zu wandern und das angrenzende Naturschutzgebiet anzuschauen, wird aber nichts: Es regnet. Aber – ohne Bad im Meer geht nicht. Also hopse ich schnell rein. Ich kann nicht so schnell wieder weg, wie beabsichtigt, da ein alter Fischer in mir einen willkommene Gesprächspartner sieht. Irgendwie merkt er nicht, dass ich nur einen Bruchteil verstehe. Ich höre, was über zu wenig Fisch klagt, was an den Winden aus Afrika liegt. Ich muss wohl an den richtigen Stellen den Kopf geschüttelt oder erstaunt geschaut haben – er freut sich. Und nass bin ich sowieso. Aber schließlich trolle ich mich und mache mich auf den Rückweg.


Heute ist sizilianischer Abend. Der Chef versichert sich persönlich, ob ich auch komme. Angesichts von gutem Essen und Wein werde ich mir das nicht entgehen lassen. Das Restaurant ist voll – jedes Zimmer hat seinen Tisch. Was ich nicht wusste: es gibt natürlich auch sizilianische Musik. Drei Musiker aus dem Dorf ziehen mit Gitarre, Akkordeon, viel Stimmgewalt und massenhaft Herzschmerz durch das Restaurant. Sie sind zum Glück wirklich musikalisch und etwas abgedreht, und so kann ich das folkloristische Element des Abends mit einigem Humor ganz gut aushalten. Bald ist der Gitarrist so blau, dass er den Wein aus den Gläsern der überraschten Gäste trinkt. Die Italiener sind schlauer – die halten den Jungs gleich eigene Gläser hin.


Nach dem vierten Gang mit allein vier Sorten Fleisch und Wurst ist mir langsam schlecht – soviel kann ich einfach nicht essen. Ich darf gar nicht an den Nachtisch denken! Also lege ich ein Trinkgeld auf den Tisch und entschwinde durch die Hintertür. Ich sitze noch ein Weilchen am nächtlichen Pool und verdaue, dann kann ich mich ins Bett wagen.