06 New Orleans I

New Orleans…endlich. Ich hab´s schon wieder getan – es ist mein 11. Besuch. Aber was erzähl ich nun wann? Irgendwie scheint es mir keinen Sinn zu machen, chronologisch irgendwas aufzuzählen, was wir hier tun. Dann vielleicht doch lieber meine Eindrücke und Gedanken zu den verschiedenen Themen, wie sie mir gerade durch den Kopf gehen. Wie immer ohne Anspruch auf Objektivität…

Ich war ziemlich unruhig bei dem Gedanken, was uns hier erwartet, war es doch das erste Mal nach dem Super-Gau von Hurrican Katrina und den Deichbrüchen 2005, der große Teile der Stadt in Trümmer gelegt hat. 7 Jahre danach.

Der erste Eindruck, als wir uns dem Stadtzentrum näherten, war schon ziemlich erschreckend, denn das Viertel gegenüber des billigen Motels in der Tulane Avenue, indem ich so viele Jahre abgestiegen bin, bis es verkauft wurde, existiert nicht mehr. Nicht ein Haus. Es war ein nicht unproblematisches Viertel, nicht weit vom Superdome, indem überwiegend schwarze, aber auch ärmere weiße Familien gewohnt haben. Nun gibt ist davon nichts mehr zu sehen. Statt dessen einige superhäßliche hohe Appartmenthäuser, die überall in der Welt stehen könnten – nur nicht hier in New Orleans. Und die Bewohner des alten Viertels können sich diese Wohnungen mit absoluter Sicherheit nicht leisten; so wird vermutlich nichts aus den Plänen zu neuen“ gemischten“ statt schwarzen Siedlungen. Auch das alte Gericht und ein Gefängnis sind verschwunden, ebenso eine schwarze Kirchengemeinde, aus der man oft Gospelmusik hörte. So weit das Auge hier blickt erstreckt sich nun eine gigantische Baustelle, wo ein neues Uni-Klinikum entstehen soll. Naja, zumindest das ist was Vernünftiges.

Aber nach diesem ersten Schock legt sich der verstörende Eindruck schnell. Das historische French Quarter – das, was alle Welt eben von New Orleans kennt, ist wie durch ein Wunder von Sturm und Fluten weitgehend verschont worden. Hier brummt es wie eh und je: die Touristen flanieren durch die kleinen alten Straßen, die unzähligen Restaurants und Läden machen ihr Geschäft und überall wird Musik gemacht.

Ich mag das alte Viertel total gern, abgesehen von der berühmten Super-Amüsiermeile Burbon Street, die sowas wie eine Mischung aus Ballermann, Reeperbahn(ohne Puffs allerdings – wir sind in Amerika, da sind die Striptease-Bars schon der Kracher) und Disneyland für Erwachsene ist. Da muß ich höchstens einmal kurz vorbeischauen, um dann fassungslos den Amüsierwütigen aus aller Welt, vorallem aber den USA selbst, zuzusehen.

Da ist der amerikanische Touri aus der ebenso öden, wie prüden Provinz mal so richtig „draufgängerisch“ und läßt die Sau raus! Es ist eine ganz eigene Spezies von Touristen, die hierher geht. Mit leuchtenden Augen schiebt man sich mit seinem Drink im bunten Plastikcontainer á la Ballermann durch die sündige Amüsiermeile, vorzugsweise mit „gewagter“ Bekleidung: Männer, denen das brave Bürooutfit zur zweiten Haut geworden ist, treten hier unbedingt in kurzen Hosen über den kalkwißen Beinen und seltsamsten T-Shirts auf, dicke amerikanische Muttis in rückenfreien, knallengen Klamotten, „lustigen“ Hüten und anderen peinlichen Utensilien. Allein die Tatsache, mit Alkohol einfach so auf der Straße herumzurennen ist schon der Gipfel des Amüsements – das Trinken in der Öffentlichkeit ist ja sonst schließlich streng verboten. Nach acht Uhr abends ist die Hälfte sturzbetrunken, grölt herum und findet alles suuuper…Am liebsten noch mal eben die Bluse hochziehen vor quiekendem Volk rundherum. Es ist wirklich oft ein groteskes Schauspiel – Ergebnis eines Lebens in einer oberprüden, extrafrommen und intoleranten Gesellschaft, denn das ist Amerika nun mal in weiten Teilen. Und noch was: die Burbonstreet ist der einzige Ort hier, wo man tatsächlich richtig miese Bands hören kann: Hauptsache laut, es hört sowieso keiner richtig zu.

Aber abgesehen von dieser Galaxis macht es wirklich Spaß, durch die vielen kleinen Straßen des French Quarters zu bummeln und sich die tausend Läden anzusehen, die von Kitsch bis Kunst, Antiquiäten und Fashion so ziemlich alles verkaufen, allerdings ziemlich teuer. Viele nette kleine Cafés locken mit ungesunden Portionen mächtiger Torten (sie haben Namen wie „Chocolat Suicide“ = Schokoladen-Selbstgmord), Brownies, Cookies und –echtem Kaffee, im Gegensatz zu dem gefärbten Wasser, was es hier sonst so gibt. Überall kann man gigantische Po-Boys essen: große Spezialsandwiches mit soviel Fleisch, Fisch, gebackenen Austern, Krabben oder Crawfish, Mixed Pickles und Salat, dass man sie eigentlich nicht essen kann, ohne hinterher zu duschen. Denn die Hälfte des in Soße und Dressing getauchten Belages hat man meist im ganzen Gesicht, an den Händen und auf den Klamotten. Aber sie sind sehr lecker! Ein halber Po-Boy (kommt ironischerweise von poor boy!) reicht meist locker für zwei Personen. Zumal ja unbedingt noch Pommes Frites – oder French fries, wie sie hier heißen – dazugereicht werden müssen, damit man auch satt wird! Die Mengen, die durchschnittliche Menschen hier essen können, sind für uns unbegreiflich. Aber leider sieht man das ja auch an den massigen Körpern rundherum…

Die Musiker, die in den Lokalen spielen, leben übrigens nur von Tips – Trinkgeldern der Touristen. Richtige Gage gibts nur in wenigen Konzertläden, die auch Eintritt verlangen. Ganz schön hart so ein Musikerleben hier, zumal es so viel hochkarätige Konkurrenz und so wenig bezahlte gigs gibt! Die meisten Musiker haben noch andere Jobs. Ich habe z.B. schon erlebt, dass eine Kellnerin nach Feierabend plötzlich auf die Bühne geht und mitjammt –und  man kann gar nicht glauben, was für eine tolle Stimme sie hat. Manchmal glaube ich, jeder hier kann Musik machen. Wer vom Film träumt, geht nach Hollywood, wer Musik machen will, nach New Orleans.

Einerseits ist das French Quarter das Touristen-Mekka schlechthin, andererseits ist es erstaunlich, wie sich das Bild wandelt, wenn man nur ein paar Blocks vom Trubel entfernt in die ruhigeren Straßen abbiegt – da führen die Bewohner weiter ihr eigenes, ungestörtes Leben als gäbe es den Rummel um die Ecke garnicht. Die alten Häuser – meist im viktorianischen, französischen oder spanischen Stil – haben wunderschöne Balkons oder Veranden mit schmiedeeisernen Gittern, meist verschönert noch mit großen Hängekübeln voller Farne und Blumen, tropischen Bäumen und Büschen davor und bunten glitzernden Mardi Gras Perlen an den Balkongittern. Lustig sind auch die langen superschmalen Shotgun-Houses, bei denen alle Zimmer huntereinader liegen, so daß eine Gewehrkugel von vorn bis hinten durchgeht. Oft haben die Häuser hier, den Blicken der Passanten entzogen, idyllische Innenhöfe, die Courtyards, als kleine Oasen. Aber die Türen und Fensterläden zur Straße hin sind meist verrammelt, viele haben Eisengitter…man lebt gefährlich hier und ist sich dessen bewußt. Auch das ist Teil des Big Easy.

Keine fünf Minuten vom Quarter entfernt sind einige besonders harte Sozial-Viertel (projects), in die man sich auf keinen Fall verirren sollte. Auch die in Quarternähe gelegenen berühmten historischen Friedhöfe St.Louis Nr1 und Nr2, diese spannenden weißen Totenstädte (auf einem ist die berühmte Voodoo- Queen Marie Laveau begraben), kann man nur tagsüber und auch da nur äußerst vorsichtig und aufmerksam besuchen. Ich erinnere mich noch, dass wir vor Jahren wiedermal mit Freunden dahin wollten, als plötzlich vor dem Eingang neben uns ein Auto bremste. Ein schwarze Frau rief uns zu, wir sollten schnell verschwinden, sie hätte mitbekommen, dass wir gleich überfallen werden. Wir waren GANZ schnell weg…

Das Leben im Quarter jedenfalls ist wie vor Katrina auch, und auch in den sich anschliessenden Vierteln hier haben wir nur wenig bemerkt, was an die Katastrophe erinnert. Im Gegenteil, die Meisten, die man darauf anspricht, sagen nur ganz stolz: „You see: we are back!“ Alle sind stolz darauf, daß sie sich nicht unterkriegen lassen haben. So zumindest hat sich uns das die ersten drei Tage vermittelt.

Eine große Freude war es, als wir gleich bei unserem ersten Weg in die Stadt das „Rock´n Bowl“ wiederentdecken – wenn auch an neuem Ort. Das ist eine echte Institution hier, weniger für die Touristen, die es meist gar nicht finden, als für die locals, die Einheimischen. Es ist eine Bowlingbahn mit Tanz. Und zwar besonders berühmt für die Zydeco-und Cajunmusic. Mindestens ein-bis zweimal die Woche treten hier die local heroes der Szene auf und dann geht die Post ab, aber haste nicht gesehen! Kaum schlägt die Band auf der Bühne den ersten Akkord an, stürzen die Tanzwütigen auf´s Parkett und verlassen es bis auf kurze Trink- und Abkühlpausen erst beim Nachhausegehen wieder. Wer das noch nicht gesehen hat, kennt Lousisiana nicht wirklich (in der Provinz gibts überall ähnliche Tanzfeste, fais dodo genannt. Da wir Zydeco, Zydeco Two Step, Zydeco Jitterbuck, Zydeco Cha Cha usw. getanzt – sowas habe ich noch nirgendwo sonst gesehen. Das sind wirklich ziemlich komplizierte Tanzstile, schnell, anstregend, varíantenreich. Unglaublich! Manche Männer kommen gleich in Turnhosen mit einem kleinen Handtuch im Bund für den Schweiß. Andere sind total chic im Ausgeh-Cowboy-Outfit mit Stetson und Silberschmuck. Und da gelten keine Alters-, Rassen- und Standesgrenzen (abgesehen davon, daß das grundsätzlich eher ein Vergnügen für´s einfachere Volk ist). Und ablehnen geht gar nicht. Mindestens einen Tanz muß man machen. Und das ist auch gar nicht weiter schlimm, denn das Spiel heißt hier nicht anbaggern, sondern tanzen.

Also: das Rock´n Bowl am alten Platz war bei Katrina auch überflutet und geplündert. Der Besitzer der Immobilie wollte nach dem Wiederaufbau dann wohl zu viel Geld – da ist man halt eine Meile weitergezogen in einen ehemaligen Supermarkt und nun brummt der Laden wieder, wie seit 1941. Wir haben´s vorgestern gleich ausprobiert: Großartig, selten soviel Spaß gehabt! Auf der Bühne stand Chubby Carrier. Der Bandchef spielt traditionell das Akkordeon, zweitwichtigstes Instrument ist das Shuffleboard, das Waschbrett. Auch wenn ich das nicht so wirklich richtig hinkriege mit den Schritten hat´s wieder super Spaß gemacht Da tanzen gerade Zwanzigjährige genause wie 88jährige (am nebentisch, hat er uns stolz erzählt!). Sogar Tanzmuffel Miki hat sich vor dem Feierabend noch auf´s Parkett getraut, das will nun wirklich was heißen

Aber noch was fällt uns nach unserer Reise durchs ländliche Louisiana ganz krass ins Auge: die andere Gesinnung. Die Stadt ist ja überwiegend schwarz (vor Katrina zu über 60 Prozent), das spielt sicher eine Rolle. Aber auch sonst ist sie mit all den Musikern, Künstlern und Aussteigern, die hier leben, eher liberal bis freigeistig. Straßenhändler an der Canalstreet verkaufen ihren schwarzen Stolz gleich mit, so nach dem Motto „Wir sind Präsident“: Plakate, auf denen stolz verkündet wird, daß Obama wiedergewählt ist, gerahmte Fotos von „The first family of America“, oder sogar diese fetten Rapper-Goldketten mit Anhängern, auf denen wahlweise Martin Luther King oder Obama ist. Tja, so schnell ändert sich das Bild hier mit dem Überqueren der Stadtgrenze.

Wir haben das große Glück, daß wir ein bezahlbares Hotelzimmer direkt neben dem French Quarter gefunden haben. Ein feines, altes Haus mit viel Charme, einem Hof mit Pool (leider ist es immer noch zu kühl) und netten Holzterrassen zum Patio. Eine Petitesse am Rande: beim eher mickrigen Hotelfrühstück erzeugen die Gäste jeden Morgen wieder Berge von Plastik- und Styropurmüll…im Gegensatz zu den beiden billigen schwarzen Lokalen außerhalb der feinen Gegend, in denen wir eingekehrt sind, um etwas leckerer und reichhaltiger zu essen – auf Porzellantellern, mit echten Tassen, Gläsern und Bestecken! Es gibt noch Hoffnung!

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