04 Vietnam: Auf dem Moped zu den Göttern

Es ist eben doch zu viel! Ich habe gestern doch glatt etwas vergessen – vor dem leckeren Abendessen lag noch ein anderes Abenteuer. Dies sei nun also hier nachgeliefert:

Am Abend haben wir wieder einen flotten Dreier per Motorroller gemacht und uns ins Chinesenviertel Cho Long bringen lassen. Was für ein Schock! Auch wenn man ehrlicherweise konstatieren muss, dass wir erst nach Geschäftsende dort eingetroffen sind und alle Geschäfte dunkel und verrammelt waren. Keine Schaufenster, nur Metalljalousien und Holzbretter. Häßliche dunkle Straßen und – eine einzige Müllhalde! Alles gar nicht nett. Und die Menschen sind auch ganz anders. Gar nicht so freundlich und relaxt wie die Vietnamesen, die wir bisher getroffen haben. Wir sind eine Weile zunehmend frustriert durch das scheußliche Viertel gestampft, auf der Suche nach einem appetittlichen Essen, aber dann erschien uns ein Taxi wie eine Offenbarung: Bring uns bitte zurück nach Saigon. Ich glaube, es war irgendein Schriftsteller vor meiner Zeit, der Saigon und Cho Lon als „die Schöne und das Biest“ beschrieben hat. Jetzt weiß ich, dass die Zeit nicht alles ändert. Wir genießen unser Abendessen unter freundlichen, sanften Vietnamesen auf belebten Straßen.

Nun aber weiter in der Chronologie! Ein weiterer spannender Tag. So viel zu sehen … los geht´s! Bei brütenden 35°C, die glücklicherweise durch ein Windchen etwas gekühlt werden machen wir uns auf –  zu Fuß. Eigentlich brauchen wir erstmal keine Sehenswürdigkeiten, es gibt auf allen Straßen so viel zu sehen! Das Leben spielt sich hier zum großen Teil auf der Straße ab. Neben den Verkaufsständen oder Werkstätten bezieht ein Teil der Familie Stellung, die Kinder spielen in all dem Chaos als säßen sie auf der grünen Wiese, Oma wird mal eben vor dem Laden auf´s Campingbett verfrachtet, während man bis nach Mitternacht den Laden für die Kundschaft aufhält, der Mittagsschlaf wird natürlich auf dem liebsten Platz aller Vietnamesen gehalten: dem Motorrad. Trotz des surrenden Lebens ringsherum in dieser Stadt, die gerademal zwischen zwei und vier Uhr nachts eine kleine Verschnaufpause macht, ist laissez faire das Mantra der Stadt. Und das, obwohl für viele der tägliche knallharte Überlebenskampf nie endet.

Erstes Ziel diesmal: die Kathedrale Notre Dame – nicht die in Paris, sondern die, die mit Backsteinen aus Marseille hier gebaut wurde. Auf dem Weg dorthin gleich ein ganz wichtiger Ort für das neue Vietnam: der Wiedervereinigungspalast, auf dem die Vietkong am 30. April 1975 die Rote Fahne gehisst haben: das Ende des Vietnamkriegs. Nur ein paar hundert Meter weiter, auf der anderen Seite des beliebten Stadtparks thront, gut bewacht von grünberockten vietnamesischen Polizisten, hinter hohen Mauern die riesige neuerbaute US-Botschaft, gleich neben der französischen. Es ist ein seltsamer Gedanke: die Todfeinde von einst werden jetzt bestens bewacht, auf dass es ihnen hier gut gehe … McDonalds und Starbucks gehören auch längst zum Stadtbild.

Doch immer der Reihe nach. Ich wollte ja schließlich erstmal von der Kathedrale erzählen und die liegt direkt am Park, noch vor der Botschaft. Sie ist ganz offensichtlich ein besonders beliebter Heiratsort der katholischen Vietnamesen  und vorallem auch der gefragteste Hintergrund für unglaublich kitschige Hochzeitsfotos. Gleich mehrere Paare posieren mit wehendem Schleier und schmachtenden Posen vor dem neugotischen Bauwerk á la Paris. Die Kathedrale selbst ist sonst eigentlich nicht wirklich so schrecklich aufregend für uns Europäer, innen eher schlicht.

Gleich neben dem Gotteshaus aber ein weiteres must see: das berühmte alte Postamt, das übrigens immer noch betrieben wird. Allerdings kann man an den Schaltern alles mögliche erledigen von Visaangelegenheiten (für Vietnamesen) bis Flugticket-Kauf. Die Hälfte der schönen hölzernen Telefonzellen beherbergt jetzt allerdings Bankautomaten. Der Mittelraum dient als Buchladen und in den Gängen gibt´s Kunsthandwerk für die Touristen. Und über allem wacht mit mildem Blick natürlich Ho-Chi-Minh.

Inzwischen sind meine Winterfüße von den ungewohnten Sommersandalen ziemlich maltraitiert und ich quengle so lange bis wir endlich zünftig ein Motorradtaxi nehmen: drei Mann auf einem Pferd – hier geht alles, drei ohne großes Gepäck ist gar nichts. Sonst klemmen ganze Familien samt Haustier, Einkäufen und allem, was irgendwie transportabel ist auf so einem Ding. Also kuschele ich mich an den völlig unbekannten Opa, Miki klebt hinten samt Rucksack und versucht, nicht herunterzufallen. Yippieh, los geht´s!

Wer´s nicht erlebt hat, kann sich das hier einfach nicht vorstellen. Wie an anderer Stelle schon erwähnt ist das motorisierte Zweirad DAS nationale Fortbewegungsmittel. Tag und Nacht durchzieht ein unendlicher Strom dieser Gefährte alle Straßen der Stadt. Das Geräusch erinnert ein bisschen an die Vuvuzelas der Fußball-WM in Südafrika. Der Smog ist grauenhaft, viele Vietnamesen tragen ständig Mundschutz – überall zu haben in jedem erdenklichen Design, genau wie die Nussschalen von Motorradhelmen, die übrigens Pflicht sind. Auch wir kriegen so ein Teil aufgesetzt.

Schon der Versuch die Masse dieser Motorräder und –roller zu benennen scheitert – irgendwie wird man den Gedanken nicht los, dass Millionen von Vietnamesen den ganzen Tag immer im Kreis durch die Stadt fahren. Und was für ein Chaos!!!! An jeder Ampel stapeln sich mindestens  Dutzende (bei kleinen, ruhigen Straßen) und hunderte bei größeren. Und dabei gibt es nur ganz wenige Ampeln. Aber der Umstand, der in Europa den Verkehr zum erliegen bringen würde, bewirkt hier genau das Gegenteil: alles fließt. Die fahren nicht nur in eine Richtung alle nebeneinander, durcheinander in Schlangenlinien, sondern – und das ist das Faszinierendste: Sie fahren gleichzeitig über die Kreuzungen durcheinander ohne das großartig angehalten wird. Und es funktioniert!!! Unglaublich!

Als Fußgänger muss man einfach irgendwann losgehen, eine Mutprobe für Anfänger! Aber auch das funktioniert. Sie fahren einfach um einen herum. Der größte Fehler wäre stehenzubleiben. Die paar Autos habens nicht leicht gegen die Könige der Straße zu bestehen. Übrigens fährt hier niemand schnell – die Strafen müssen drakonisch sein, wie wir hörten. In drei Tagen Saigon haben wir einen einzigen kleinen, harmlosen Zusammenstoß gesehen. Einen!

Jedenfalls überwinde ich schnell meine Angst um meine Knie, die immer nur Zentimeter entfernt von anderen Brummern entlangschrappen und wir erreichen den Tempel des Jadekaisers unbeschadet. Alt, schon etwas mitgenommen, aber dennoch imposant und wie alle Tempel hier farbenprächtig. Wir tauchen ein in die Welt der Götter, Kaiser, Krieger, Höllenfürsten und all der anderen Bewohner dieses Reiches. In Schwaden von Räucherstäbchen sehen wir uns die Götter, Kaiser und Krieger an, die ihr Reich im Innern des Tempels haben. Sie sind immer bestens versorgt mit frischen Opfergaben: Früchte, Süßigkeiten, Kuchen, Zigaretten, Getränke, Blumen – es fehlt ihnen an nichts. Übrigens hat hier fast jedes Mauseloch seinen Buddha-Altar, der täglich versorgt wird. Überall mischen sich betende Buddhisten mit den schnatternden und fotografierenden Touristen.

Vor dem Tor können die Gutmenschen aus Europa von geschäftstüchtigen Händlern arme kleine Vögelchen und Schildkröten aus überfüllten Käfigen kaufen, um ihnen auf dem Tempelgelände die Freiheit zu schenken. Die armen Kreaturen sind allerdings so erschöpft, dass sie nicht weit kommen. Wenn sie nicht wegen eines Herzinfarktes nach ein paar Flügelschlägen tot vom Himmel fallen werden sie schon bald wieder eingesammelt, wie die Schildkröten, die einfach wieder umgesetzt werden  – auf ein Neues.

Und nochmal Tempel: diesmal das prachtvollste buddhistische Heiligtum Saigons, der Chua Ngoc Hoang Tempel mit seinem siebenstöckigen Pagodenturm. Hier werden viele buddhistische Priester und Nonnen ausgebildet. Es ist ein riesiger neuer Betonbau, der aber trotzdem sehr eindrucksvoll ist. Mit unserem geduldig wartenden Töfftöff geht´s dann schließlich durch den Wahnsinn des Berufsverkehrs ins Hotel, wo wir erstmal erschöpft unser Haupt niederlegen.

Später spazieren wir noch durch das benachbarte Touristenviertel und einen weiteren großen Stadtpark, der den Einheimischen frühmorgens und spätabends als Freizeitort für jede Art von Aktivitäten dient. Der Tag endet später mit einem fantastischen Mahl vor einem kleinen Restaurant auf dem Bürgersteig: großer Salat aus gehackten Bananenblüten mit Kräutern und Hühnchen und Lotossprossensalat mit Shrimp und Schweinefleisch. Samt zwei frischen Säften und zwei Bier für weniger als zehn Euro.

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