Wie ein Fisch im Wasser

Neuer Tag, neues Glück? Das Frühstück ist nicht nur brasilianisch bescheiden, eher noch ein bisschen magerer: Brot, Minas-Käse, Melone, Papaya. Was, wie sich später herausstellen soll, daran liegt, dass es hier fast nichts zu kaufen gibt, nicht einmal den ewigen Kochschinken oder vernünftiges Obst. Was soll´s…

Die einzige Angestellte des Hotels, Sekretärin und Buchhalterin, setzt sich zu uns, und präsentiert uns einen kompletten Fahrplan für die nächsten beiden Tage, Preise und Rechnung schon inklusive – bis hin zum Mittagessen auf den Ausflügen und Vouchern für die Eintritte. Zuerst fühlen wir uns etwas überrumpelt, bei näherem Hinsehen und Reden aber wird uns klar, dass man den Plan gar nicht besser machen kann. Und ein individueller Führer für ein winziges Entgelt gehört dazu.

Und außerdem steht bereits Daniel, ein smarter junger Guide, schüchtern lächelnd neben uns. Denn wenn wir die Vorschläge annehmen, ist es schlau, möglichst früh aufzubrechen, bevor die Tourbusse aus Cuiabá am Mittag eintreffen. Na, wenn man so charmant angetrieben wird…

Mit ihm als Motorrad-Eskorte machen wir uns mit unserem leise weinenden Mitwagen wieder auf die Schotterpiste – andere Straßen gibt’s hier nicht.

Ein kleines Schütteltrauma später biegen wir in die Fazenda zum „Aquario Encantado“ ein, eingepflegtes Gelände mit offenem Restaurant, Ruheplätzen und dem Lager für die Ausrüstung, die wir gleich erhalten: Schwimmweste (obligatorisch), Taucherbrille, Schnorchel und Gummischuhe. Alles andere bleibt zurück. Ein Traktor mit Hänger bringt uns drei zu einem Pfad, der in einen kleinen Regenwald führt. Es folgt ein knapper Kilometer Fußweg auf Holzplanken – hier soll nichts zertrampelt werden, in Mato Grosso nimmt man es sehr ernst mit dem Ökotourismus; auch hier wieder strenges Verbot für Sonnencreme und Mückenspray.

Warum unser erster Stopp „Aquario“ heißt, wird sofort klar, als wir ankommen. Mitten im saftigen Grün tut sich ein kleiner, strahlend hellblauer See auf, in dem man schon von Weitem Scharen von Fischen sehen kann. Ein fast künstlich und kitschig wirkendes Szenario – aber alles Natur. Das Wasser strömt aus einer tiefen Grotte in den See, der nach zwei Seiten als kleiner Fluss weiterläuft.

Wir dürfen uns schnorchelnd unter die Fische begeben, aber den See nicht verlassen und uns nirgends im See auf den Grund stellen. Toll!

Plötzlich bekomme ich eine Sekunde Panik, als die relativ großen Fische um mich herum ausflippen und mir auf den Rücken und den Kopf springen. Ich schieße mit dem Kopf aus dem Wasser, nur um einen lachenden Daniel zu sehen, der sich diebisch freut, weil ich nicht bemerkt habe, dass er Futter in meine Richtung geworfen hat, um das sich die Flossenträger dann auf mir gestritten haben. Kleiner Schelm!

Auch hier gibt es wieder die kleinen Knabberfische, die für Mani-und Pediküre sorgen, als wir uns auf einen Baumstamm im See setzen, um uns den Fischreigen noch mal von außen anzuschauen.

Als wir genug haben, machen wir uns noch mal auf den Weg etwas weiter durch´s Grün. An einer kleinen Flussbiegung angelangt, machen wir uns wieder schnorchelfertig und dürfen uns nun einen Kilometer weit den Fluß Rio Salobra hinuntertreiben lassen.

Die beiden ca. 30-40 Zentimeter großen Fischsorten, von denen die eine gestreift, die andere gepunktet und gut bezahnt ist, und den vielen Mini-Fischchen gibt es hier noch einige Exemplare von einer streng unter Schutz stehenden Douraden-Art zu bewundern. Besonders schön sieht diese Wasserwelt durch das einfallende Sonnenlicht und die Schatten der Baumkronen aus.

Eine nette Anwechslung ist es auch, sich auf den Rücken zu drehen, dann gleitet man unter den Wipfeln der Palmen und Laubbäume vor dem knallblauen Himmel dahin.

Ein Kilometer kann so kurz sein!

Zurück in der Basisstation erwartet uns ein leckeres Mittagsbuffet. Und das schmeckt noch dreimal besser, als nun zwei Riesenbusse aus Cuiabá eintreffen, einer voll mit aufgeregten , der andere mit brasilianischem Mix, der nun laut schnatternd und Selfies schießend in die Schwimmwesten klettert und grüppchenweise abgekarrt wird, da immer nur eine streng begrenzte Zahl von Menschen zum Fluß darf. Was hatten wir für eine luxuriöse Einsamkeit um uns!! Wir haben nur einmal zwei sich eilig trollende schwarze Affen getroffen. Echte, oben im Baum.

Nach einer ausgedehnten Siesta erklärt uns die Sekretärin, dass wir auf der Estancia da Mata, der Fazenda und dem Wohnsitz unsres Pousada-Besitzers erwartet werden. Das sei übrigens gratis.

Fünf Kilometer Hoppelweg weiter in die andere Richtung finden wir die idyllische Estancia da Mata – wie der Name schon sagt, mitten im Wald. Ein ausgedehntes Anwesen mit organisch angebautem Obst und Gemüse von Maniok, Okra, Avocados bis Papaya und allen möglichen Bananen. Außerdem eine überdachte Terrasse, die offensichtlich für Besucher gedacht ist.

Was ich nicht verstanden hatte, war dass auch hier noch eine Aktivität auf uns wartete: eine Runde Tubing in alten Autoreifen auf dem nahegelegenen Fluß, begleitet vom 18 jährigen Sohn der Familie, Evander.

Nette Überraschung! Das hatte was von Abenteuer für große Kinder, wenn man sich aber nur still auf den Reifen gelegt hat, dann war´s eher eine kontemplative Reise. Nach einem Schwätzchen und einem Bauch voll kleiner reifer Bananen wurden wir zurück begleitet, denn völlig unsichtbar im grünen Dickicht am Wegesrand versteckte sich noch eine kleine Attraktion: eine Grotte.

Keine erschlossene für Touristen, einfach eine Grotte, wo man sich auf eigene Gefahr beim Klettern den Kopf anschlagen konnte (selbst ausprobiert), und seine Kletterkünste auf eigene Gefahr testen konnte. Eine spannende Höhle, auch wenn wir nicht allzu weit hinein konnten: Stalaktiten, Skulpturen, Ausblicke auf die Landschaft.

Ein Abendspaziergang durch das Dorf, dass noch so aussieht, wie es, abgesehen von den Satellitenantennen auf den schäbigen Häusern, sicher schon vor dreißig Jahren ausgesehen hat, beschließt diesen Tag. Nix los, verstreute Häuser, Schuppen und chaotische Motorradwerstätten, auf der breiten Dorfstraße schlafen die Hunde, vor den Häusern sitzen die Bewohner auf alten Sofas oder alten Plastikstühlen und registrieren dankbar jedes noch so kleine Ereignis. Ab und zu jagen ein paar Jungspunds aus Motorrädern durchs Dorf und damit hat sich´s dann auch.

Ein erstauntes altes Ehepaar, das einen Plastiktisch und eine Eismaschine draußen stehen hat, bietet auf einer Tafel Tapioka an – herzhaft oder süß gefüllte Tapiokamehlfladen. Immmerhin eine Alternative zur Lanchonete von gestern. Sie sind ganz aufgeregt, Gäste zu haben, noch dazu welche von irgendwo der Welt da draußen, weit weg. Ihr Angebot im Laden ist schwer einzuordnen: Sie Eine leere Thekenvitrine, eine fast leere Gefriertruhe mit ein paar Getränkedosen, scharfes selbstgemachtes Öl, selbst eingelegte Chillischoten mit Knoblauch, selbstgehäkelte Serviettenhalter und 10 Paar Flipflops in verschiedenen Größen. Der Rest ist leer und Gerümpel. Mit vier Tapiokas, vier Dosen Bier und einmal Mini- Gummilatschen für unsre Enkelin haben sie wohl mit uns das Geschäft des Monats gemacht. Sie sind glücklich, wir auch.

Nett hier. Der Ort wir immer netter, und wir stellen fest – irgendwie passt er zu uns. Besser als ein schicker Touristenort.

Not amused…

170 Kilometer Nord-Nordwest liegt unser nächstes Ziel: Bom Jardin. Zum Glück ist die Überlandstraße seit zwei oder drei Jahren asphaltiert, sonst wäre dies ein sehr anstrengender Trip geworden. Wir fahren am Spätnachmittag los, in der Hoffnung, am frühen Abend anzukommen. Aber 15 km weiter bemerke ich, dass mein Handy noch an der Rezeption liegt und wir dafür den Zimmerschlüssel noch haben. Also im Sturzflug all die Serpentinen zurück und dann das Ganze auf Anfang. Aber als wir endlich in Bom Jardin sind, ist es bereits stockfinster. Keine Ahnung, wo die Pousada liegt, die wir reserviert haben.

Die Militärpolizei, die in Brasilien auch für den Verkehr zuständig ist, erklärt uns, dass wir gar nicht hier wohnen, sondern ein Dorf weiter, so circa 8 km entfernt. Klingt ja harmlos…ist es aber nicht, denn nach etwas fünf Kilometern hört die asphaltierte Strecke auf und es geht über eine unbeleuchtete Buckel-Lehm-Schotterpiste irgendwo ins Dunkle. Und das ohne Ende. Das Auto war fast neu. Das dürfte sich nun dank Steinschlag und ewig aufschlagendem Unterboden erledigt haben. Als wir nach einer gefühlten Ewigkeit schon nicht mehr daran glauben, dass dieser Weg irgendwohin führt, tauchen ein paar fahle Lichtlein auf.

Ein Dorf, ein Dorf! Naja, so was ähnliches jedenfalls. Immerhin ein paar bewohnte eher schäbige, kleine Häuser und ein Ortsschild mit dem blumigen Namen: Vila da Rota da Agua – Dorf an der Route des Wassers. Der Beschreibung nach sollten wir jetzt eine idyllisch gelegene, kuschelige Pousada finden. Als das Funzeln einer der wenigen Straßenlaternen auf ein kleines Gebäude mit dem Namen „Estancia da Mata“ ( Waldfarm) auf einem total chaotischen, nach Großbaustelle aussehenden Grundstück fällt, sind wir erstmal stumm und geschockt. Nach DER Fahrt DAS…

Von Idylle keine Spur. Wie kommen bloß die guten Bewertungen ins Internet?! Aber immerhin kommt sofort ein strahlender Mann nebst lächelndem Teenager heraus und freut sich, dass wir nicht verloren gegangen sind. Herzliches Händeschütteln, trotz unserer immer noch finsteren Minen. Das Zimmer ist pieksauber – Bett, Minitisch, Fernseher an der Decke und Dusche.

Aber draußen halt eine Baustelle. Der Regen, der viele Regen sei Schuld, dass die Neugestaltung des Grundstücks nicht fertig sei, die Baumaschinen kommen nicht durch. Tröstet uns immer noch nicht.

Der Sohn des Hauses erbietet sich sofort, uns per Motorrad Wasser und eine Kleinigkeit zu essen zu holen. Nett, aber bessert die Laune auch nicht so recht, lässt es doch auf die Abwesenheit von Restaurants schließen. Danke nein, wir gehen ein bisschen spazieren. Skeptische Blicke. Der Chef erscheint und kündigt an, uns zu begleiten, weil es so dunkel ist. Er hat eine Taschenlampe.

Was soll´s – wir lassen wir uns darauf ein, vom ihm nebst Tochter durch diesen Vorposten der Zivilisation zur einzigen Lanchonete des Dorfes gebracht zu werden, die noch etwas zu essen hat. Lanchonete – das ist mehr als ein Imbiss und weniger als ein Restaurant. Wir entscheiden uns für Pastel, mit Fleisch, Huhn, Käse oder Gemüse gefüllte, frittierte Teigtaschen. Und Bier.

Der Mann, der sich als Senhor Anselmo entpuppt, ist ein so symphatischer Mensch, dass sich unser Schock langsam etwas abkühlt. Er hat auch schon gleich ein paar Ideen für Unternehmungen, die sich in etwa mit dem decken, was uns der Lonely Planet empfiehlt. Und er hat auch gleich Führer an der Hand, ohne die nichts geht hier, das haben wir schon gelesen. Vielleicht ist es hier ja doch nicht so schrecklich…

Kultstätten und Klapperschlangen

Ein Tag noch bleibt uns in der Chapada de Guimarães. Also auf zur letzten Erkundungstour. Diesmal, begleitet uns Elenice, eine symphatische junge Frau, die ihren Guide Job offenbar sehr ernst nimmt, will sagen, sie hat sich über das übliche Maß schlau gemacht. Schon auf den 42 Kilometern Fahrt zu den Grotten östlich von Chapada (Caverna Aroe-Jari e Gruta da Lagoa Azul ) erfahren wir viel Spannendes über die Geschichte der Stadt und der Indigenes, der Indios vom Stamm der Bororo, die hier ursprünglich lebten. Es gibt sie immer noch, aber meist vermischt mit den schwarzen Sklaven der englischen Kolonialherrn, die des Goldes wegen gekommen waren. Elenice selbst ist eine solche Mischung.

Die Straße führt durch endlose Sojafelder, alles hochindustrialisiert. Grüne Öde bis zum Horizont, zwischendurch immer wieder riesige Sprühfahrzeuge, die Wolken von Insektiziden hinter sich herziehen. Da wo vorher Serra und Wald war herrscht nun Monokultur für Öl und Tofu… Immerhin gibt es hier wenigstens ein paar Minimalregeln: Waldstücke um die Flüsse dürfen nicht gerodet werden.

Nach 30 km verlassen wir die Asphaltstraße und holpern über 12 Kilometer Lehm, Schotter und Steine unsrem Ziel entgegen. Von einer Art Station aus geht’s dann in Richtung Höhlen über die Höhen des Plateaus. Doch vorher gibt’s für alle eine Art gefütterte Ledergamaschen als Schutz vor den Giftschlangen, die hier leben: Klapperschlangen und Jararacas. Es ist zwar noch keiner gebissen worden, aber das Problem wäre die Zeit bis zum Gegengift: Cuiabá ist über 100 km entfernt – zu lange…. Die Gamaschen mögen sinnvoll sein und lassen uns ein bisschen wie Trapper aussehen, aber bei den Temperaturen sind sie wie kratzende Heizdecken.

Für den Hinweg nehmen wir einen Traktoranhänger, denn es ist verdammt heiß und der Rückweg inklusive des Waldweges zu den Höhlen ist schon rund neun Kilometer lang, und das sollte bei der Hitze genügen. Es gibt noch andere Grüppchen, aber die gehen separat und wir lassen ihnen mit viel Abstand den Vortritt, um Natur und Höhlen allein in Stille und Vogelgezwitscher genießen zu können. Und außerdem fahren die sowieso fast alle mit dem Traktor zurück, denn die meisten Brasilianer laufen nicht gern viel.

Zum Glück führt ein großer Teil des Weges durch schattigen Urwald mit vielen kleinen klaren Quellen, an denen man sich erfrischen und trinken kann.Die Tiere halten sich in den Tagstunden auch hier fern im Unterholz versteckt, so dass nur wenige zu sehen sind. Dabei reicht der Artenreichtum hier für einen Zoo: Raubtiere wie Jaguare, Pumas, Wildkatzen, Wölfe, außerdem jede Menge Wild, Nagetiere, Echsen, Tapire, Ameisenbären, Gürteltiere, Salamander – und natürlich alle möglichen Arten von Papageien. Die Papageien sind in dieser Region wie die Spatzen in Berlin.

Die Höhlen, unser Ziel, liegen mitten im Urwald. Ein typisches Merkmal der Landschaft dieser Hochebene hier ist es, dass plötzlich immer, wie aus dem Boden geschossen, riesige Felsbrocken vor einem auftauchen. Oft überragen diese aus vielen dünnen Schichten bestehenden Felsen sogar auf aberwitzige Weise den Weg, oder ein solcher Koloss steht gar auf dünnen Säulen, dass man sich fragt, wie das weiche Gestein so lange bestehen kann, ohne in sich zusammenzubrechen.

Zwei der Höhlen, die wir erreichen, darf man nicht betreten. Aber schon einfach nur hineinzuschauen, lohnt den Weg, Sie stehen unter Wasser und das erstrahlt in leuchtendem Türkis und blassgrün. Braunes und kupferfarbenes Gestein, tiefe Dunkelheit und trotzdem diese leuchtenden Farben! Wunderschön! Früher war das Baden noch erlaubt, aber Sonnenschutzmittel haben das Wasser vergiftet und die Algen sterben lassen, deshalb ist das jetzt verboten.

Allerdings an der zweiten Höhle treten Elenice und ich in eine Armeisenstraße und die Mistviecher klettern in unsere Cowboygamaschen und pieken genüsslich. So was fieses! Ehe man die Dinger abgeschnallt hat, fühlen sich die Beine wie nach einem Brennesselsturz an. Zum Glück gibt’s gerade einen Bach, indem wir die Stiche etwas kühlen können.

Die letzte Höhle ist die Größte, aber auch kann man nur einen Teil besichtigen, eine zweite anschließende Höhle,, die Goldene, steht leider im Moment zu hoch unter Wasser. Und ganz tief in den Berg dürfen nur Höhlenforscher. Trotzdem beeindruckend. Man kommt durch einen kleinen Eingang in eine bestimmt 800 Quadratmeter große Grotte, die wie eine Kathedrale wirkt. In der Mitte schießt Wasser aus der Decke. Wir haben Taschenlampen, denn es ist stockfinster.

Die Höhle heißt Kyogo Brado, was in der Sprache der Bororo soviel wie Ruheplatz der Seele bedeutet. Es war ein heiliger Kultort, wo zum Teil mehrmonatige Rituale beim Tod eines Häuptlings abgehalten wurden. Außerhalb der Höhle wachsen Pflanzen mit knallblauen Beeren, aus denen starke Halluzinogene für die Zeremonien gewonnen wurden. Die Schamanen der Bororo veranstalten bis heute bestimmte Zeremonien – unter Ausschluss Stammesfremder. Auf dem sechs Kilometer langen Rückweg knallt die Sonne unbarmherzig, aber nur ein Teil müssen wir durch die brütende Serra. Aber immerhin weiß ich jetzt, nach welchen Bäumen ich Ausschau halten muss, wenn ich am verdursten bin (Buriti), welche Stengel mich von Nieren- und Gallensteinen befreien, welche Früchte ich wild essen kann und dass der Samen des Sucupira Baums einen Tropfen Antibiotikum enthält, wenn´s mal nötig ist. Was gelernt!

Ein bisschen Nervosität kommt noch mal kurz auf, als ein entgegenkommendes Wandertrio vor einer Klapperschlange auf dem Weg warnt. Aber die ist längst wieder auf und davon und so kommen wir ungebissen zurück. Als Belohnung für den herausfordernden Marsch gibt’s noch das hier schon fast zur Gewohnheit gewordene Bad im nahegelegenen Wasserfall, dieser hier heißt Cachoeira do Relogio, – und schon geht der letzte Tag in der Chapada de Guimarães zu Ende.

Nächstes Ziel: Bom Jardin.

Stress im Paradies

Auch das Leben in einer so beschaulichen und ausgesprochen entspannten Kleinstadt wie Chapada kann anstrengend werden. In den drei Tagen hier habe ich zumindest zwei Gründe dafür ausgemacht. Zumindest gelten sie für Nicht-Brasilianer.

Der erste Grund ist ein rein bürokratischer. Die brasilianischen Banken haben im vergangenen Jahr offensichtlich beschlossen, es Touristen möglichst schwer zu machen, ihr Geld auszugeben. Schon im reichen Staate Sao Paulo gab es dieses Mal ungekannte Probleme mit dem Geldabheben bei einigen Bankautomaten.

Aber hier in Mato Grosso erreicht das Problem existenzielle Ausmaße, wenn man ohne allzu viel Bargeld, mit ausländischen Kreditkarten ausgerüstet anreist: Viele Kartenleser akzeptieren die Karten nicht und sogar die zwei ortsansässigen großen Banken Bradesco und Banco do Brasil rücken nicht einen Real für notleidende Touristen heraus. Nix. Null. Nada.

Da ist Einfallsreichtum und Vertrauen der Menschen aus spätere Überweisungen gefragt. Eine unserer Führerinnen hat und im tiefen Vertrauen auf unsere Ehrlichkeit auf Vorkasse gearbeitet und uns die nicht eben geringen Eintrittsgelder in die oft auf Privatland liegenden Naturattraktionen bezahlt. Ein anderer erfolgreicher Coup ist beim Tanken gelungen. Die Tankstelle, die erstaunlicherweise noch ein Ausländer nicht ablehnendes Kartenlesegerät hatte, hat uns für die Tankfüllung fast den doppelten Preis abgebucht und den Rest in echten Real ausgezahlt. Juhu! Wirklich lästig, das Problem. Und der viel bejammerten brasilianischen Krise dürfte es auch nicht eben zuträglich sein, wenn die Touristen daran gehindert werden, Geld auszugeben.

Der zweite Stressfaktor ist eher ein Mentalitätsproblem: schön Feiern ist hier gaaanz laut Feiern. So wurde mein Blogschreiben am Samstagabend zur Nervenprobe. Da unser Zimmer wenig anheimelnd und mehr oder weniger möbelfrei ist, haben wir uns in ein Restaurant am Platz vertagt. Sah alles ganz nett aus: Caiprinha, warme Nacht, flanierende Menschen. Es war aber Samstagabend…. Das heißt hier: Ausgehzeit für alle, das große Aufrüsten setzte just eine halbe Stunde nach unserer Ankunft ein.

Überall wurden plötzlich Mikrofone und Lautsprecher aufgebaut. Dazu muss man wissen: am Platz sind viele Restaurants direkt nebeneinander. Aber jedes einzelne hat seine eigene Live-Musik, natürlich draußen. Und die ist nur dann gut, wenn sie laut ist. Die Kakophonie von allen Seite ist wirklich beeindruckend. Aber – die Leute hier finden das total in Ordnung.

Ich doofes Weichei dagegen habe die letzten Zeilen mit dröhnendem Schädel geschrieben. Hätte gern noch was getrunken und einfach dagesessen, aber die Kopfschmerzen hatte ich schon ohne Alkohol. Also Flucht in unsere außerhalb der Stadt in der Pampa liegende Pousada.

Endlich Ruhe, bitte! Ich war kurz davor Amok zu laufen, als wir dort ankamen und auf dem einzig bebauten Nachbargelände, was es dort in hundert Meter Entfernung von unserem Bungalow gibt, eine Hochzeit gefeiert wurde! Mit Live-Band! Und einer riesigen Soundanlage! Die Bässe allein haben unser Bett in Schwingungen versetzt. Sogar die Hunde hatten sich verkrochen.

Aber erstens kann man sich bei so einem großen Fest nun wirklich schlecht beschweren und zweitens ist das mit dem Beschweren in Brasilien auch noch so ein Problem, dass ich schwer erklären kann. Erstens kommt Beschweren gleich nach Beleidigen und man tut es fast nie und zweitens kann es bei den falschen Leuten mit entsprechend hitziger Mentalität auch sehr handgreiflich ausgehen. Irgendwann bin ich dann ins Lärmkoma gefallen.

Aber mit aufgehender Sonne und Papageiengeschnatter hatte ich Brasilien dann auch wieder lieb…Und nächstes Mal gibt es auch wieder schöne Geschichten.

Und wenn dann auch noch das Internet mal nicht auf Sparflamme läuft, sogar Fotos….