Kultstätten und Klapperschlangen

Ein Tag noch bleibt uns in der Chapada de Guimarães. Also auf zur letzten Erkundungstour. Diesmal, begleitet uns Elenice, eine symphatische junge Frau, die ihren Guide Job offenbar sehr ernst nimmt, will sagen, sie hat sich über das übliche Maß schlau gemacht. Schon auf den 42 Kilometern Fahrt zu den Grotten östlich von Chapada (Caverna Aroe-Jari e Gruta da Lagoa Azul ) erfahren wir viel Spannendes über die Geschichte der Stadt und der Indigenes, der Indios vom Stamm der Bororo, die hier ursprünglich lebten. Es gibt sie immer noch, aber meist vermischt mit den schwarzen Sklaven der englischen Kolonialherrn, die des Goldes wegen gekommen waren. Elenice selbst ist eine solche Mischung.

Die Straße führt durch endlose Sojafelder, alles hochindustrialisiert. Grüne Öde bis zum Horizont, zwischendurch immer wieder riesige Sprühfahrzeuge, die Wolken von Insektiziden hinter sich herziehen. Da wo vorher Serra und Wald war herrscht nun Monokultur für Öl und Tofu… Immerhin gibt es hier wenigstens ein paar Minimalregeln: Waldstücke um die Flüsse dürfen nicht gerodet werden.

Nach 30 km verlassen wir die Asphaltstraße und holpern über 12 Kilometer Lehm, Schotter und Steine unsrem Ziel entgegen. Von einer Art Station aus geht’s dann in Richtung Höhlen über die Höhen des Plateaus. Doch vorher gibt’s für alle eine Art gefütterte Ledergamaschen als Schutz vor den Giftschlangen, die hier leben: Klapperschlangen und Jararacas. Es ist zwar noch keiner gebissen worden, aber das Problem wäre die Zeit bis zum Gegengift: Cuiabá ist über 100 km entfernt – zu lange…. Die Gamaschen mögen sinnvoll sein und lassen uns ein bisschen wie Trapper aussehen, aber bei den Temperaturen sind sie wie kratzende Heizdecken.

Für den Hinweg nehmen wir einen Traktoranhänger, denn es ist verdammt heiß und der Rückweg inklusive des Waldweges zu den Höhlen ist schon rund neun Kilometer lang, und das sollte bei der Hitze genügen. Es gibt noch andere Grüppchen, aber die gehen separat und wir lassen ihnen mit viel Abstand den Vortritt, um Natur und Höhlen allein in Stille und Vogelgezwitscher genießen zu können. Und außerdem fahren die sowieso fast alle mit dem Traktor zurück, denn die meisten Brasilianer laufen nicht gern viel.

Zum Glück führt ein großer Teil des Weges durch schattigen Urwald mit vielen kleinen klaren Quellen, an denen man sich erfrischen und trinken kann.Die Tiere halten sich in den Tagstunden auch hier fern im Unterholz versteckt, so dass nur wenige zu sehen sind. Dabei reicht der Artenreichtum hier für einen Zoo: Raubtiere wie Jaguare, Pumas, Wildkatzen, Wölfe, außerdem jede Menge Wild, Nagetiere, Echsen, Tapire, Ameisenbären, Gürteltiere, Salamander – und natürlich alle möglichen Arten von Papageien. Die Papageien sind in dieser Region wie die Spatzen in Berlin.

Die Höhlen, unser Ziel, liegen mitten im Urwald. Ein typisches Merkmal der Landschaft dieser Hochebene hier ist es, dass plötzlich immer, wie aus dem Boden geschossen, riesige Felsbrocken vor einem auftauchen. Oft überragen diese aus vielen dünnen Schichten bestehenden Felsen sogar auf aberwitzige Weise den Weg, oder ein solcher Koloss steht gar auf dünnen Säulen, dass man sich fragt, wie das weiche Gestein so lange bestehen kann, ohne in sich zusammenzubrechen.

Zwei der Höhlen, die wir erreichen, darf man nicht betreten. Aber schon einfach nur hineinzuschauen, lohnt den Weg, Sie stehen unter Wasser und das erstrahlt in leuchtendem Türkis und blassgrün. Braunes und kupferfarbenes Gestein, tiefe Dunkelheit und trotzdem diese leuchtenden Farben! Wunderschön! Früher war das Baden noch erlaubt, aber Sonnenschutzmittel haben das Wasser vergiftet und die Algen sterben lassen, deshalb ist das jetzt verboten.

Allerdings an der zweiten Höhle treten Elenice und ich in eine Armeisenstraße und die Mistviecher klettern in unsere Cowboygamaschen und pieken genüsslich. So was fieses! Ehe man die Dinger abgeschnallt hat, fühlen sich die Beine wie nach einem Brennesselsturz an. Zum Glück gibt’s gerade einen Bach, indem wir die Stiche etwas kühlen können.

Die letzte Höhle ist die Größte, aber auch kann man nur einen Teil besichtigen, eine zweite anschließende Höhle,, die Goldene, steht leider im Moment zu hoch unter Wasser. Und ganz tief in den Berg dürfen nur Höhlenforscher. Trotzdem beeindruckend. Man kommt durch einen kleinen Eingang in eine bestimmt 800 Quadratmeter große Grotte, die wie eine Kathedrale wirkt. In der Mitte schießt Wasser aus der Decke. Wir haben Taschenlampen, denn es ist stockfinster.

Die Höhle heißt Kyogo Brado, was in der Sprache der Bororo soviel wie Ruheplatz der Seele bedeutet. Es war ein heiliger Kultort, wo zum Teil mehrmonatige Rituale beim Tod eines Häuptlings abgehalten wurden. Außerhalb der Höhle wachsen Pflanzen mit knallblauen Beeren, aus denen starke Halluzinogene für die Zeremonien gewonnen wurden. Die Schamanen der Bororo veranstalten bis heute bestimmte Zeremonien – unter Ausschluss Stammesfremder. Auf dem sechs Kilometer langen Rückweg knallt die Sonne unbarmherzig, aber nur ein Teil müssen wir durch die brütende Serra. Aber immerhin weiß ich jetzt, nach welchen Bäumen ich Ausschau halten muss, wenn ich am verdursten bin (Buriti), welche Stengel mich von Nieren- und Gallensteinen befreien, welche Früchte ich wild essen kann und dass der Samen des Sucupira Baums einen Tropfen Antibiotikum enthält, wenn´s mal nötig ist. Was gelernt!

Ein bisschen Nervosität kommt noch mal kurz auf, als ein entgegenkommendes Wandertrio vor einer Klapperschlange auf dem Weg warnt. Aber die ist längst wieder auf und davon und so kommen wir ungebissen zurück. Als Belohnung für den herausfordernden Marsch gibt’s noch das hier schon fast zur Gewohnheit gewordene Bad im nahegelegenen Wasserfall, dieser hier heißt Cachoeira do Relogio, – und schon geht der letzte Tag in der Chapada de Guimarães zu Ende.

Nächstes Ziel: Bom Jardin.

Ein Gedanke zu „Kultstätten und Klapperschlangen“

  1. …“endlose Sojafelder“..: Dazu passt hervorragend ein aktueller Bericht der „Zeit“ mit dem Titel „Schüsse im Sojafeld“ über die Situation landloser Kleinbauern, die von agrarischen Großbetrieben vertrieben wurden (widerrechtlich, aber das Gesetz greift hier einfach nicht!), in der die – scheiternde – Besetzung einer Farm im Norden von Mato Grosso mitverfolgt wird.

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