Let the good times roll – einer der Lieblingsslogans von New Orleans: Ich nehm´s ernst und genehmige mir bereits jetzt, um 15 Uhr, eine Margarita on the Rocks in der Sonne auf einer Terrasse im French Quarter, natürlich bei Lifemusik. Aber eigentlich bin ich ja noch gar nicht hier – nicht, was meine Reisegeschichten betrifft. Urlaub ist halt der pure Stress und man schafft einfach nicht alles …
Inzwischen liegen drei Tage Louisiana hinter uns, zwei davon unterwegs im Cajunland, außerhalb des Planeten New Orleans. Es sind wirklich andere Welten, diese Stadt hier und alles, was außerhalb der Stadtgrenzen liegt. Gemütlich sind wir von Lake Charles aus Richtung Südwesten gefahren, weiltäufiges Land, unterbrochen von Bayous, Seen und Sumpfwäldern. Irgendwie hat man das Gefühl, da draußen geht die Zeit langsamer. In vielen Orten liegen die weitläufigen Grundstücke, die grundsätzlich nicht eingezäunt werden und kaum Gärten haben, weit auseinander – die Art von Landschaft, wo man schon ein paar Tage im Voraus den Besuch kommen sieht. Aber es gibt auch ganz kuschelige Orte mit hübschen Holzhäuschen und herrlichen alten, moosbehangenen Eichen und gigantischen Magnolien- und Rosenbüschen davor, die sogar jetzt noch blühen. Es hat oft tatsächlich was von entrückter Idylle, wenn man davon absieht, dass jeder Einkauf eine meilenweite Fahrt bedeutet, geschweige denn ein Arztbesuch oder anderes. Und wenn man weiß ist, dann sind auch alle Leute sehr freundlich –- beste Grüße von Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Was die Einstellung der meisten hier betrifft, würde ich bei längerem Aufenthalt wahrscheinlich doch schnell Amok laufen – oder mit dem Gewehr aus dem Dorf gejagt werden. Aber das ist nur halb, naja, sagen wir dreiviertel ernst.
Die Sümpfe sind hier nicht so undurchdringlich und geheimnisvoll wie weiter nördlich, aber trotzem etwas ganz Besonderes. Für mich haben sie einfach Magie. Auch wenn die Bäume jetzt mehr gelbbraun als grün und ziemlich licht sind. Das Wasser ist mit grüner Entengrütze bedeckt und voller gelber Blumen – keine Ahnung, wie die heißen. Die Zypressenknie sehen aus wie kleine Gnome, oft liegt sogar ein leichter Nebel über der Wasseroberfläche, in dem sich die Sonnenstrahlen brechen, die in Streifen durch die Baumkronen fallen. Die Schildkröten haben sich bereits zum Winterschlaf verkrochen, die Alligatoren haben sich genütlich in den wärmenden Schlamm auf dem Grund eingekuschelt, aber wir sehen unglaublich viel Vögel: graue und weiße Reiher und Raubvögel vorallem – und natürlich Eichhörnchen und Waschbären. Die meisten davon, und dazu noch Gürteltiere, sehen wir allerdings tot am Straßenrand. Aus dem Autoradio beschallt uns die ganze Fahrt über Radio Bayou mit Zydeco Musik – das kommt gut.
Gar nicht idyllisch dagegen sind die Bohrtürme und Raffinerien, die sich immer wieder aus der Landschaft erheben, aber auch die gehören zu Louisiana und dem Mississippi-Delta.
Wir machen einen Abstecher nach Avery Island, das wohl besser Tabasco-Island heißen sollte. Denn hier wurde sie erfunden und wird sie noch heute hergestellt, die weltberühmte scharfe Soße. Wir wollen uns diesmal die Fabrik ansehen. 1868 hat Mr. Mc Ilhenny die erste Soße für einen Dollar pro Fläschchen verkauft, jetzt werden 200.000 Flaschen täglich produziert! Die allerdings nicht mehr alle hier (obwohl man das eher verschweigt und behauptet, nur die Pfefferschoten würden inzwischen auch in Südamerika angebaut). Die Schoten werden noch immer von Hand geerntet und es dauert drei Jahre, bis sie vergoren und zur Soße verarbeitet sind.Die erste Fabrik steht noch und wurde nur erweitert. Ein sehr schön anzusehendes Ziegelgebäude, das um 1900 gebaut wurde. Und das Faszinierende ist, sie steht auf einem gigantischen unterirdischen Salzberg, der höher als der Mount Everest ist und dessen Salz noch heute für die Herstellung der Soße abgebaut wird. Wir haben uns einer Touristenführung in der Fabrik angeschlossen, die allerdings eher kurz ist und vorallem die Verdienste der Tabasco-Mc-Ilhenny-Familie würdigt. Beeindruckend, wie oft die Führerin es schafft, in ca. 15 Minuten diesen Namen auszusprechen, getoppt nur noch von dem Hochglanzfilmchen, das man vorgeführt bekommt, über Anbau und Verarbeitung der kleinen scharfen Schoten. Die letzten drei Minuten der insgesamt elf bestehen aus purer Werbung für die neuesten Kreationen, die man im angeschlossenen Countryshop kaufen soll. Zum Schluß darf man dann noch mal kurz durch einen 30m Glasgang gehen und in die Abfüllhalle schauen, wo sich genervte Arbeiter wohl eher wie im Zoo vorkommen. Interessant war´s trotzdem.
Außerdem gibt es auf Avery Island noch etwas sehr Schönes zu besichtigen: die Dshungel Gardens. Ein riesiges Areal, dass der gute (schon wieder!) Mc Ilhenny vor über 100 Jahren angelegt hat, um die heimische Fauna und Flora zu schützen, angereichert mit ein paar tropischen Neuzugängen. Man kann das Gelände größtenteils mit dem Auto durchfahren, wie bei einer Safari, aber an einigen Stellen gibt es auch ein paar Trails zum spazieren und Vögel beobachten. Die uralten Eichen sind wirklich eine Wucht! Es hat wirklich was von versunkener Welt. Das spanische Moos hängt an den Uraltbäumen teilweise bis zum Boden herunter – wie meine Freundin bei früheren Gelegenheiten schon so treffend sagte: Sie sehen aus wie bärtige alte Männer.
Wir übernachten in einem der größeren Kaffs an unserer Strecke: Morgan City. Wobei die „City“ aus ein paar verstreuten Gebäuden, Motels, Tankstellen und Restaurants am Highway besteht. Um 21 Uhr wird sogar der Highway eingerollt. Die Auswahl an möglichen Lokalen beschränkt sich kurz vor dem Zapfenstreich um neun auf zwei Fastfood-Lokale, eine äußerst zweifelhaft aussehende 24-Stunden geöffnete, schmierige Speise-Kaschemme und ein Grill-Lokal mit einer ebenso netten wie hübschen Bedienung, die uns trotz Feierabend noch einläßt. Das Essen ist gut ,aber besteht aus Fleischmassen, die wir nur zur knappen Hälfte in uns `reinzwängen, dann ist mir schlecht. Einen Verdauungsschnaps zu trinken bedeutet hier Mut: Schnaps führt nur die in der amerikanischen Provinz allgegenwärtige Sport´s Bar des Ortes. Für viele sicher eine Mutprobe, auf die sie lieber verzichten würden angesichts des trostlosen, düsteren Ladens mit den Gruselgestalten, die da herumhängen. Kriegt Hollywood nicht besser hin: Ein Altrocker mit hüftlangen, weißen Haaren, daneben ein jüngeres Semester mit stierem Blick, ein fetter, bleicher Gruftie, ein paar Billiardspieler ähnliche Kalibers und das unvermeidliche Honky Tonk Girl. Egal –mir ist schlecht. Ich brauche einen Drink. Zehn Minuten später verlassen wir den gastlichen Ort und begeben uns in unser ziemlich abgerissenes, aber freundliches Twin City Motel mit dem klebrigen Teppich und dem Brandloch-verzierten Bettdeck.
Der letzte Tag „auf dem Land“ zieht sich wieder ewige Landstraßen entlang, führt uns außer durch ein wenig pitoreskes Industriehafengebiet mit ein paar zusammenfallenden Bretterhütten-Puffs daneben, die so anziehend sind wie schmutzige Plumsklos mit abblätternder Erotikbeschriftung. Brrr. Außerdem passieren wir eine riesige Anti-Obama-Plakatwand und ein paar weitere, auf denen mir mitgeteilt wird, dass Schwangerschaftsabbruck Mord an Gottes Geschenken ist. Naja, wir sind ja bald in New Orleans! Aber immerhin essen wir in einem echten Fleischerladen (kein Supermarkt!!!) in einem Nest die beste Boudain, die ich je gegessen habe. Das ist eine ziemlich scharfe Wurst, die klassisch aus Reis, Gemüse Kräutern und Schweinefleisch besteht. Hier gibt es sogar noch eine Extravariante mit Crawfisch, Flußkrebsen. Sie wird heiß gegessen, gleich aus dem Papier – es schmeckt einfach phantastisch!!!!! Damit könnte man halb Berlin süchtig machen – zumindest das nicht-vegetarische.
Am Mississippi angekommen passieren wir von Zeit zu Zeit noch ein paar von den berühmten alten Plantations (die alten Baumwollplantagen), auch die Oak Alley, wo „Vom Winde verweht“ gedreht wurde. Majestätische weiße Südstaatenvillen mit einer wenig ruhmreichen Geschichte, in der bekanntlich viel Sklavenblut geflossen ist. Aber darüber wird nicht so viel geredet, man schaut sich lieber den übriggebliebenen schönen Rest an. Und der ist wirklich schön.
Dann endlich: Über eine tolle alte Eisenbrücke (die allerdings wohl Ärger mit dem deutschen TÜV bekäme) auf die andere Seite des Flusses. Am Horizont eine Skyline: New Orleans. Mein Herz schlägt höher. Aber davon morgen mehr.