01 San Antonio/Texas I

Texas  „The Lone Star State“ – klingt nach Cowboys, Deep South, George W. Bush und Mexico um die Ecke, oder nicht? Für mich jedenfalls war das so, bevor wir herkamen.  Aber –  ehrlich gesagt – war das auch schon fast alles, was ich mir dazu einfiel als ich auf der Suche nach einem Marathon, der nicht elf Monate vorher ausgebucht ist wie Berlin, San Antonio entdeckte. Rock ´n ´Roll Marathon bei den Prairiehunden, das klang lustig – also los.  So fing alles an.

Nun sitze ich hier, Tag 3 nach der Ankunft, downtown im Eckcafé auf der Houston Street, einem der wenigen Orte, die einen passablen Espresso anbieten, und versuche meinen anhaltenden Jetlag zu ignorieren. Und wer mich kennt, weiß, das will was heißen, dass ich erst heute anfange zu schreiben. Aber die Nächte enden für mich hier irgendwann zwischen vier und halb fünf. Ich bin wohl doch keine unkaputtbare Partymaus mehr … Aber schließlich ist die Lust am Erzählen und die Angst, viel von meinen ersten Eindrücken zu vergessen, doch zu groß. Also frisch ans Werk.

Wie so oft lösen die USA, und in diesem Falle San Antonio, bei mir extrem widersprüchliche Gefühle aus, auch nach acht Jahren US-Pause. Als wir in Houston gelandet sind und totmüde eine gute Stunde in der Endlos-Schlange an der Passkontrolle stehen mussten, nur um dann Abdrücke von allen zehn Fingern und ein biometrisches Gesichtserkennungsfoto zu hinterlassen – we don´t want more terrorists –, da ist es wieder passiert: Ich habe mich gefragt, was ich eigentlich hier mache. Muss ich das haben? Nein, und doch tue ich es immer wieder mal. Wohl wissend, dass ich auf den Reisen hier einige der schönsten und beeindruckendsten Landschaften gesehen habe, mein erstes und unvergessliches Marathon-Erlebnis vor neun Jahren in New York hatte – und vorallem, weil hier meine Herzensstadt New Orleans gibt. Nicht zu vergessen: drei besondere Freunde. New Orleans, die Stadt, die so anders, so fremd, so hart, so magisch ist, die Stadt, in der wohl ein Stück meiner Seele zu Hause ist. Und genau dahin wollen wir nach dem Marathon fahren.

Nach 25 Stunden ohne Schlaf sind wir schließlich in San Antonio angekommen – zu guterletzt in einem  dicken Auto: einem weisßen Chevy Impala. Gemietet und bezahlt haben wir eine kleine Schüssel. Der Typ vom Autoverleih am Airport hat uns penetrant bedrängt, ein Upgrade zu buchen, offenbar wohlwissend, dass kein kleines Auto mehr da war und wir sowieso einen großen Wagen bekommen würden und er ein Sternchen für den Employee des Monats. Aber wir waren stur und blieben bei unserem Billigvetrag und so fahren wir jetzt ein dickes Auto für kleines Geld.

Zurück nach San Antonio: Wir wohnen in einem Motel in der Houston Street, kaum 50 Meter von einem doppelstöckigen achtspurigen Highway entfernt. Die Geräuschkulisse ist entsprechend (in der Nacht ist es zum Glück erträglich). Der Romantikeffekt: null – aber: Laufnähe nach Downtown, wo Parken ein Vermögen kostet und wo Start und Ziel des Marathons sind.

San Antonio ist viel größer, als ich es mir vorgestellt hatte: die siebtgrößte Stadt der USA, mit knapp 1.330.000. Einwohnern. Und das alles bei US-Größenverhältnissen – sprich:  in der Ausdehnung gefühlt so groß wie Berlin Brandenburg. Verglichen mit anderen Städten hier ist San Antonio eine schöne Stadt: Eine Innenstadt mit den üblichen aberwitzigen Hochhäusern, aber davon vergleichsweise wenig, dafür aber tatsächlich etliche alte Gebäude. Die Straßen haben Bürgersteige, was durchaus in den USA nicht überall in diesem Umfang zu erwarten ist. Und das Beste: Die ganze Stadt ist durchzogen vom San Antonio River und seinen künstlich angelegten Kanälen. Die haben sich die spanischen Missionare in der ersten Hälte des 18. Jahrhunderts von den Indianern bauen lassen, um ihre Mission Alamo mit Wasser und Lebensmitteln zu versorgen. Und diese Kanäle sind tatsächlich erhalten. Und das Allerbeste: Etliche Kilometer davon haben inzwischen wunderbare Uferwege, den berühmten Riverwalk. Bald werden es 20 Kilometer sein. Die Wasserläufe von Fluss und Kanälen liegen rund fünf Meter unter Straßenniveau, und so wandert man quasi durch eine vom Verkehr ungestörte, mit wunderschönen Steinmäuerchen, Blumenrabatten und Bäumen bewachsene Flusslandschaft – mitten in der Stadt. Ich bin schwer beeindruckt, wie schön und gepflegt das alles ist – nirgends Müll, immer wieder anders gestaltet. Geradezu aberwitzig ist die Flora: von tropischen Bananenstauden, Papayabäumen, Magnolien und Hibiskus bis zu den uns so gut bekannten Stiefmütterchen und sogar Alpenveilchen! Auf rund einem Kilometer des Riverwalks reihen sich Restaurants dicht aneinander und dutzende umherziehende mexikanische Musiker tröten und schluchzen den Essenden ihre Herz-Schmerz-Lieder ins Ohr: die Ausgehmeile. Aber selbst das ist nett anzusehen – und immer rappelvoll vom Mittag bis in die Nacht. Die Qualität des Essens ist sehr unterschiedlich, ums mal vorsichtig zu formulieren, aber das stört die meisten nicht – Hauptsache viel und am Fluss dabeisein. Abends ist alles glitzernd beleuchtet, von den alten Bäumen hängen bunte Lichterketten und spiegeln sich im Wasser. Außerhalb der Amüsiermeile kann man aber wunderbar spazieren gehen (oder laufen!), ohne viele Menschen zu treffen – der Durchschnittsamerikaner fährt bekanntlich lieber Auto oder auf einem der kleinen Touristen-Kähne, die als Krönung der Rundfahrt mitten in die gigantische Riversidemall fahren.  Praktischerweise verläuft der Riverwalk in Windungen durch die Innenstadt, sodass man oft prima von A nach B gelangen kann, ohne ewig durch die Autostraßen laufen zu müssen. Der Fluss verleiht dieser Stadt eine echte Lebensqualität! Volle Punktzahl!

San Antonio hat viele Gesichter: downtown Großstadtflair mit einignen Parks, außerhalb kuschelige und hügelige Wohnviertel mit viel Grün und Gärten, aber auch hässliche Schlafstädte. Sogar Romantik im Stil der Südstaaten kann man in der Nähe des Flusses entdecken. „Vom Winde verweht“ lässt grüßen.

Aber noch etwas anderes springt einen förmlich an: die Namen der Orte, der Straßen, der Menschen. Zumindest auf den ersten Blick scheint es nur mexikanische und deutsche zu geben. New Braunfels, Minden und Las Palmas; Familie Stampenheimer, Guenther oder Gonzales. Die Bevölkerung scheint vorallem aus irgendwann eingewanderten Deutschen oder Mexikanern zu bestehen – ein Blick auf die Geschichte der Stadt bestätigt es. Übrigens gilt eins der alten Viertel als besonders deutsch: das King-William-Viertel. Wie war das noch mit dem alten Kaiser Wilhelm?

Übrigens befindet sich hier auch das texanische Heiligtum oder, wie es hier heißt, die „Wiege der texanischen Unabhängigkeit“: eben jene alte Mission Alamo. Gegründet von den Spaniern, dann 1838 von Mexikanern und Texanern heiß umkämpft – ein blutiges Kapitel. Die Texaner haben trotz Unterzahl gesiegt und die unabhängige Republik Texas wurde ausgerufen. Die Heldenverehrung kennt kaum Grenzen. Ich frage mich ehrlich gesagt nur, wie sie die mexikanischstämmige Bevölkerung dazu gebracht haben, das Gemetzel an den eigenen Landsleuten so hinzunehmen und genauso stolze Texaner zu sein. Der Patriotismus gehört zu den Dingen, die hier ziemlich schwer auszuhalten sind – puh. Diese Revolver-und-Messer-Mentalität ist für mich wirklich gruselig! Eins der beliebtesten Souvenir-T-Shirts hier hat zwei gekreuzte Pistolen aufgedruckt und den Schriftzug : „Don´t mess Texas – we don´t call 911!“ Will sagen: Legt euch nicht mit Texas an – wir rufen keine Polizei (wir erledigen das selbst). Auch die vorherrschende politische Grundstimmung ist fast selbstredend erzkonservativ: Über Obamas Wiederwahl herrscht tiefe Verbitterung. Die Zeitung von San Antonio hetzt seit Tagen ohne Unterlass und die Leserbriefe haben alle denselben Tenor. Unerträglich, wie ich finde.

Genug für heute, sonst vergraule ich die geneigte Leserschaft gleich im ersten Kapitel. Und außerdem: Morgen haben wir bei 28°C eine Kleinigkeit von 42,2 km oder 26,1 Meilen zu erledigen. Also ab ins Bett!

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