Wenn man bedenkt, dass man mich hier vor den herabfallenden Kokosnüssen auf der Straße gewarnt hat, lebe ich so kurz nach dem Unfall schon wieder ganz schön gefährlich: Ich liege den halben Tag in einer Hängematte, die ich zwischen zweien der Dutzenden riesigen Kokospalmen des Hotel-Strandgeländes aufgehängt habe. Es hat etwas Philosophisches, so dazuliegen, aus dem einen Auge, das nur halb zugeschwollen ist, auf die Kokosnüsse zu starren und zu überlegen, wie groß die Chance ist, dass eine davon jetzt auf meinen Kopf fällt.
Das Meer neben mir ist so unnatürlich hellblau und klar, dass ich aus der Ferne sogar noch Steine auf seinem Grund erkennen kann. Es ist so paradiesisch hier, dass es mir manchmal gar nicht mehr real erscheint. Aber es gibt auch Gründe, die mich mit dem Umstand versöhnen, dass ich wegen des ewigen Eisbeutels auf dem Gesicht oft nichts von dem um mich herum sehe. Zum Beipiel, wenn die hässlichen Sugar Daddies, die hier wohnen, mit ihren jungen Thaigespielinnen über den Strand schlurfen oder sich ihre Speckringe von den Mädels massieren lassen. Echt abstoßend. Diese Klientel gab es zum Glück im Eve nicht.
Aber das schöne Hotel am Strand hat, ehrlich gesagt , noch mehr Publikum, was mich … bestenfalls tödlich langweilt. Saturierte Mittelklassepaare, die schon beim Frühstück vor Langeweile Löcher in die Luft starren und den Anlass nutzen, sich notfalls am Toaster mit jemanden wegen einer Scheibe Brot zu zanken, damit wenigstens irgendjemand ihren Frust abkriegt.
Und so kommt es, dass ich nun zwar das Privileg eines wunderbaren Strohhüttchens am Traumstrand genieße, mich aber in meine alte Hütte fernab des besseren Lebens ein paar Kilometer weiter zurücksehne, wo es lebendige Menschen gab, und man sich gern mal mit dem einen oder anderen unterhalten hat, weil er einen interessiert oder angelächelt hat. Tja Geld allein macht eben doch nicht glücklich – Quot era demonstrandum.
Um nicht ganz beim Nichtstun unter m Eisbeutel Gehirnfrost zu kriegen, spaziere ich am Nachmittag immer einen Kilometer nordwärts die Landstraße entlang zum Ort meines Rodeoversuches und schlürfe genüsslich einen Eiskaffee im Restaurant meiner Retterin. Hier gibt es wie fast überall auch ein paar nette Katzen, natürlich wie die meisten mit Halsband, denn Thailänder lieben diese Tiere.
Auch die Tauchschule ist zu erwandern, da trifft man am späten Nachmittag die Crew beim Feierabend -Bier oder Wasser. Angesichts meiner Lädierungen fangen alle an, ihre Unfallgeschichten auf der Insel zu erzählen, denn Roller muss ja hier jeder fahren. Es sind eine Menge Geschichten, darunter einige, die böser ausgegangen sind als meine. Hunde spielen darin eine Rolle oder andere vertrottelte Fahrer. Und habe ich mich anfangs noch ein bisschen für meinen Fehler geschämt, sehe ich mich jetzt eher als Marginalie im Kreise der Verunfallten.
Am Abend mag ich nicht mit den langweiligen Leuten im a-na-lay essen. Aber in der Nähe gibt es eins DER angesagten Restaurants mit lokaler Küche, das Chayo. Man hat mir dringend geraten, früh hinzugehen, weil man sonst mindestens anderthalb Stunden auf einen der wenigen Tische warten muss, denn der Andrang ist immer groß und auch die Zubereitungszeiten sind sehr lang. Also spaziere ich frühzeitig zum Nachtmahl und bin erstmal irritiert, weil das Lokal aussieht wie eine Wellblechhütte im Slum. Scheint den Betreibern völlig egal zu sein, das Lokal ist rott und so gar nicht gemütlich – aber das Essen ist göttlich!
Am nächsten Tag erfahre ich von den Hotelangestellten, dass gerade das dreitägige Tempelfest auf der Insel begonnenen hat – das einzige Fest im Jahr. Da muss man hin. Fragt sich nur wie. Mit nur einem Auge nachts Roller über die steilen Straßen an den Hunden vorbei zu fahren, ist keine Variante…
Schließlich habe ich dann oft genug an der Rezeption gefragt und es findet sich ein Angestellter, der mal eben seine Schicht abkürzt oder umdeutet und mich auf den Rücksitz lädt. Wir sausen durch die Inselnacht, immer vorsichtig auf Schneckengang abbremsend, wenn Hunde auftauchen.
An der Zufahrtstraße zum Tempel stehen schwerbewaffnete Militärs, die auch später überall auf dem Fest patrouillieren. Auch in Thailand gibt es Anschläge.
Pa, mein Chauffeur gibt mir eine Stunde. Der reich rot-gold-weiß verzierte Tempel ist angestrahlt und sieht sehr schön aus. Ein Stück weiter gibt es eine Art offener Kapelle, in der gleich drei Gottheiten nebeneinander stehen. Sie alle werden von schlangestehenden Besuchern geehrt, mit Blumen, Früchten und Räucherstäbchen unter der Aufsicht einiger Mönche, die an einem langen Tisch draussen sitzen und Geschenke entgegennehmen. Die Präsentkörbe, die vor allem Essen enthalten, kann man an einem Extrastand erweben. Die Mönche hier leben von Spenden, dürfen aber kein Geld anfassen.
Neben und hinter dem Tempel ist alles hell erleuchtet von hunderten Ständen und Lichterketten in alle Farben. Hier werden alle möglichen Dinge angeboten, von Hausrat bis Kleidung. Aber die allermeisten Stände bieten Essen an. Alles, was man sich vorstellen kann bzw. in meinem Falle eigentlich auch nicht. Vieles kenne oder erkenne ich, aber bei manchen Speisen kann ich mir nicht mal vorstellen, was es ein könnte und -bei ganz wenigen- möchte ich es mir auch nicht vorstellen. Die Auswahl ist so gigantisch und meine Neugier soviel größer als mein Magen, dass ich erst zweimal alles ablaufe, bevor ich mir verschiedene kleinere Leckereien kaufe, weil mit einer ordentlichen Portion das wunderbare Probieren zu schnell vorbei wäre. Teilweise scheinen hier ganze Familien zu kochen. Und darüber, wie viel die Thai essen können, habe ich mich ja schon bei meiner letzten Reise gewundert.
Leider ist meine Zeit schon am verrinnen und so flitze ich eben noch zu zwei Wiesen mit Bühnen. Auf der einen läuft ein Showtanzwettbewerb von Laientanzgruppen, das ist ziemlich lustig. Da hüpfen etwas ungelenke Bauernmädels in etwas lächerlichen Taftkleidchen mit angestrengten Blick über die Bühne und unten sitzt die Jury mit strengem Blick. Alles eine ernste Angelegenheit !!
Aber richtig schräg wird es auf dem zweiten, abgetrennten, großen Gelände, hier steht eine Profiebühne mit Riesenlichtshow, denn ein mir natürlich völlig unbekannter junger Popstar schmettert hier mit heißem Hüftschwung in knallroterm Seidenbluson und enger Glänzhose ins Mikro, wild umtanzt von strassgeschmückten leichtbekleideten Gogos. Und das Publikum ist hingerissen. Schon sind die ersten aufgesprungen und tanzen vor der Bühne. Stimmung! Einmal im Jahr richtig feiern und Party machen! Wie ich später gehört habe, wurde hier jede Nacht noch lange getanzt und auch getrunken. Immer gut bewacht von den omnipräsenten Militärs.
Doch leider ist meine Zeit abgelaufen, mein Begleiter erwartet mich schon auf dem Parkplatz und schon fliegen wir wieder durch die Nacht. Wieder angekommen, drücke ich ihm natürlich einen kleinen Fahrerlohn in die Hand. Um meine ehrliche Dankbarkeit auszudrücken nicht ohne die übliche Thaigeste mit zusammengelegten Händen vor dem Gesicht und tiefer Vorbeugung und dem schön lang gesungenen „Kop kuun Kah!“ (je länger das Finale A, desto herzlicher der Dank). Woraufhin er sich wieder vor mir verbeugt und dankt. Als wir damit fertig sind, müssen wir uns natürlich zum Gute-Nacht-Sagen wieder genug verbeugen. War sicher ein lustiger Anblick für eher höflich unterkühlte Durchschnittsdeutsche. Aber ich gestehe, auch wenn es ein bisschen seltsam ist, der Respekt im gegenseitigen Umgang miteinander im Alltag beeindruckt mich immer wieder.