4:00 Uhr morgens. Der Wecker klingelt. Und das im Urlaub …
Um fünf werden wir abgeholt, diesmal mit einem Sammel-Van. Wir haben einen Trip ins Pantanal vor. Dahin ist die Anfahrt etwas länger. Es ist noch dunkel und wir fahren der Sonne entgegen.
Nach endloser, schnurgerader Straße rumpeln wir schließlich durch das Gatter der Fazenda San Francisco (kein Fehler, der Name scheint hier beliebt zu sein). Auch hier ist im Empfangsbereich alles perfekt organisiert. Es gibt noch eine andere Gruppe, die kurz nach uns eintrifft. Es ist heiß, über 30 Grad! Die Luft ist schwer und feucht, die Luftfeuchtigkeit beträgt fast 90 Prozent. Man kann sich kaum entscheiden, womit man sich zuerst einschmieren soll: fetter Sonnenschutz oder Moskito-Spray.
Auf einem riesigen Wasserbüffelhorn bläst einer der Fazenda-Guides dann zum Aufbruch. Zwei offene Safari-Mobile, jeweils mit rund fünfundzwanzig ansteigenden Plätzen unter einer Plane, die aber nur unvollständig gegen die sengende Sonne schützt. Wir rumpeln eine kurze Distanz zu einem Bootsanleger an einer Flusskreuzung. Auf einem zweistöckigen, offenen Pontonboot geht’s dann durch die nasse, grüne Wunderwelt.
Die Ufer sind von dichter Wildnis bewachsen, überall Teppiche von Wasserlilien und Wasserrosen, die allerdings um diese Jahreszeit leider nicht mehr blühen. Immer wieder gabeln sich neue Wasserarme. Viele Raubvögel sind unterwegs, Reiher und ein paar kleinere Papageien. Es ist brütend heiß und die vielen anderen Tiere, die hier leben, angeführt von den Jaguaren bis zu Tapiren, Wölfe, Ameisenbären und anderen Wildkatzen, haben sich irgendwo im Schatten versteckt. Dabei ist es erst halb neun!
Irgendwann gehen wir dann vor Anker und jeder, der möchte, bekommt eine einfache Bambus-Angel in die Hand. Fleischstückchen als Köder: Piranha-Angeln. Es gibt hier so viele davon, dass das keinerlei Frevel darstellt. Es gibt auch viele andere Fische, deren Namen ich nicht übersetzen kann. Schweigend stehen wir mit tapfer ausgeworfener Angel am erlahmenden Arm schweißtriefend an Bord. Und tatsächlich: die Biester beißen! Einigen gelingt es, einen der Flossenträger mit dem unfreundlichen Gebiss an Bord zu holen. Mir fast. Das Vieh sagt mir Guten Tag, klappert mit dem Gebiss und dann macht es einen eleganten Satz und ist wieder in seinen Jagdgründen. Auch gut.
Schließlich geht die Fahrt weiter, eine eher kontemplantive Reise durch die Wasserwelt des Pantanal. Wir legen an einem fast überwucherten Steg an, der zu einem Holzpfad führt, hinein ins Dickicht zu einer 200 Jahre alten Feige. Für mich sieht das gewaltige Teil mit den verzweigten, aus dem Wasser hochaufragenden Wurzeln wie aus einem russischen Märchenfilm aus. Ich hätte es zwar eher für eine Mangrove gehalten, aber es heißt Feige.
Beim Wiedereinstieg ins Boot taucht neben uns plötzlich der Kopf eines Jacaré aus dem Wasser: ein Kayman. Der Führer scheucht alle hinter eine Absperrleine auf dem Boot und wird richtig sauer, als einige vorher noch Fotos machen, denn das Biest springt wohl bis zu zwei Meter hoch. Er bindet einen der Piranhas fest an eine Angel und lockt das putzige Tierchen, dem man lieber nicht allein begegnen möchte, auf den Steg vor dem Boot. Das rund zwei Meter große Tier schiebt sich nach Echsenart theatralisch aus dem Wasser, die Stufen zum Steg hoch und versucht, den Piranha zu erwischen. Dabei knallen laut die Zähne aufeinander. Und es scheut auch keine Sprünge bei dem Versuch einen leckeren Lunch zu ergattern. Laut schmatzend verdrückt die Echse schließlich sein Mahl und wir fahren zurück.
Um halb zwölf sind wir wieder zurück und wundern uns kurz über die Ankündigung einer dreistündigen Mittagspause. Schnell wird aber klar, dass hier in der Mittagshitze gar nichts geht. Hitze, Mosquitos, Hitze. Es gibt einen Pool, viele schattige Plätzchen, Hängematten – und das übliche Mittagsbuffet, das den Bauch voll und die Menschen noch schläfriger macht.
Um halb drei holt uns das Horn wieder aus dem Mittagskoma. Abfahrt zur Safari. Es ist so heiß auf dem Wagen, dass ich mich zusätzlich unter meinem Regenschirm verstecke, in der Hoffnung noch ein paar Sonnenstrahlen weniger abzubekommen. Zweieinhalb Stunden lang fahren wir durch die nichtendenwollende Fazenda. 45 Prozent der 185.000 Hektar großen Fläche sind Schutzgebiet, der Rest wird landwirtschaftlich genutzt. Auch hier ist man stolz auf die Natur-und Artenschutzerfolge.
Einerseits – muss man dazu sagen. Andererseits nämlich erstrecken sich neben riesigen Weidegebieten und Reisfeldern auch hier – Soja und Eukalyptus auf gigantischen Flächen. Nicht zu fassen. Gerade ist die Regenzeit zuende und alle Flüsse haben Hochwasser, aber auf diesen Flächen ist der Boden bereits jetzt staubtrocken. Was für ein Wahnsinn. Jeder Eukalyptusbaum holt sich seinen riesigen täglichen Wasserbedarf aus bis zu dreißig Meter tief aus dem Boden. Da wächst nichts mehr. Wüste. Und der hochtechnologisiert angebaute Soja geht vor allem nach Europa und Japan für Öl und Tofu.
Aber immerhin lassen sich viele Vögel nicht vertreiben, ausgenommen die, die Früchte fressen, denen fehlen die wilden Obstbäume. Wir sehen sogar einen Tiururu, den größten Vogel Brasiliens. Er sieht eigenartig aus: ein bisschen wie ein Riesenstorch, hinten weißes Gefieder, aber mit einem dicken roten Hals und einem schwarzen Kopf mit einem relativ breiten Schnabel.
Das lustigste Geflügel aber sind einige kleine, am Boden lebende Eulen, Coruxas. Sie halten sich im Schatten eines Mauerüberrestes auf und gucken uns misstrauisch an. Sie sind wirklich lustig anzusehen.
Meine Favoriten aber sind Vierbeiner, die hier zu tausenden leben: die Capivari. Wasserschweine. Das knuffige Borstenvieh badet überall an den Kanälen und Flüssen entlang unserer Route und sonnt sich genüsslich auf dem Sandweg, wo es nur widerwillig das Feld für das Auto räumt. Einmal lagert eine komplette Familie mit winzigen Jungschweinchen auf der Straße. Zu süß!
Aber felltragende Räuber mit scharfen Zähnen wie Wölfe oder Jaguare halten sich bis zum Abend versteckt, nur ein Gürteltier huscht geschwind ins Dickicht.
Einmal noch halten wir an einem Naturpfad an, der allerdings an einer Seite von einem großen umgestürzten Baum versperrt wird. Wir schleichen noch ein bisschen durchs üppige Grün, aber ehrlich gesagt, bin ich wirklich kurz vor dem Hitzeschock und bekomme nur noch die Hälfte mit.
Auf dem Rückweg kommen wir noch an ein paar kleinen Häusern vorbei: Hier wohnen die Farmarbeiterfamilien und die der Guides, viele schon in der drittem Generation. Die nächste Stadt ist weit weg. Eine geschlossene Welt für sich.
Zurück auf der Fazenda warten als Abschiedssnack noch hausgebackener Kuchen, selbstangebauter Matetee und frischer, eisgekühlter Cajú-Saft (Cashew) – und Piranha-Suppe. Ich habe erst so gar keine Lust auf heiße Suppe. Aber die Guides sind so stolz auf die Kochkünste ihrer Frauen und Mütter, dass wir doch kosten: lecker! Richtig gut und gar nicht fischig.
Es war ein interessanter Ausflug, und eine erste Ahnung vom Pantanal, das weiter drinnen sicher noch viel spannender ist. Aber irgendwie fühle ich mich nach der vielen körperlichen Betätigung in der Zeit davor heute völlig unterfordert vom vielen Sitzen auf Booten und Autos. Mein Körper macht dringenden Bewegungsdrang geltend. Und wir stellen einmal mehr fest, dass Gruppen eben doch nichts für uns sind.
Auf der langen Fahrt in den Sonnenuntergang fallen alle in Tiefschlaf, Tribut an einen heißen Tag. Noch eine Nacht in Bonito und ein Vormittag am Pool bleibt uns. Zeit, alles noch einmal Revue passieren zu lassen, und dann geht es zurück in unser bekanntes, verrücktes, chaotisches Brasilien, so, wie wir es bisher kannten, an der Küste von Sao Paulo. Da wo es noch den letzten faszinierenden Atlantischen Regenwald gibt. Und das Meer!
Chao Mato Grosso, chao Mato Grosso do Sul, es war eine aufregende Reise!