Schon wieder ein kleines Extra, damit eine Reise-Perle nicht verloren geht… Fast per Zufall sind wir nach Ouro Preto im Staat Minas Gerais gekommen. Und obwohl es nur ein Zwei-Tages-Trip war, war´s einer, der nicht unerzählt bleiben sollte.
Ouro Preto („Schwarzes Gold“) hat eine glänzende Geschichte: im 18 Jahrhundert wurden hier 80 Prozent der Gold-Weltproduktion gefördert! Und auch wenn die Zeitn längst vorbei sind, ist die vergleichsweise kleine Stadt in Minas Gerais, beziehungsweise die Altstadt, noch immer ein Schmuckstück und Unesco-Weltkulturerbe.
In 1200 Meter Höhe windet sie sich in einer Talsenke steil an den Hängern der Berge auf und ab, so steil, dass es unsportlichen oder älteren Reisenden wohl kaum gelingt, zu Fuss mehr als den großen Praça de Tirantes, dem zentralen Platz, und ein paar Nebenstraßen zu erkunden…
Aber der Reihe nach. Nach einer sehr langen und größtenteils kurvigen Fahrt von der Küste São Paulos hierher, waren wir froh, ein nettes kleines Zimmer an einer steilen Straße der Altstadt, der Rúa Carlos Tomás, zu beziehen. Das Zimmer war klein, aber: mit einem phantastischen Blick auf die Stadt und einige ihrer vielen Kirchen und Kapellen, die in der Nacht hübsch angestrahlt sind und am Tage strahlend weiß und gelb in der Sonne leuchten.
Am Morgen haben wir uns auf den Weg gemacht auf der Suche nach Frühstück und Kaffee, zuerst steil bergauf, dann steil bergab, vorbei an der Ingreja de São Francisco de Assis, durch ein Tal, in Richtung der auf einem Berg thronenden Ingreja Santa Efigenia dos Pretos. Seltsamer Weise haben wir kein einziges vernünftiges Café, und auch keinen Imbiß gefunden, obwohl dies eine echte Touristenstadt ist. Falsche Richtung, Pech.
Aber bereits nach einer guten halben Stunde haben die Knöchel, Schienbeine und Knie laut protestiert. Nicht nur wegen des ewigen, steilen bergauf und -ab, sondern, weil die Straßen nicht nur aus klobigem, ausgewaschenem Kopfsteinpflaster bestehen, sondern hier die abenteuerlichsten Steine und Steinplatten als Straßenbelag verbaut wurden. Mal schmal und scharf, mal große, unebene und extrem rutschige Felsplatten, auf denen man sich selbst bei trockenem Wetter kaum halten kann, mal runde, dicke Kopfsteine, zwischen denen tiefe Spalten auf den nächsten Knöchel lauern. Es ist wirklich…ein Herausforderung hier längere Zeit die Stadt zu durchstreifen. Wie können ältere Menschen hier zurechtkommen??? Und noch beängstigender als die Sorge um die eigenen Knöchel fand ich den motorisierten Verkehr in diesen steilen Straßen. Schon die Autos haben mich oft erschreckt , wenn sie die Gassen herunterschießen. Richtig in innere Panik versetzt haben mich aber vor allem die Motorräder und –roller! Oh mein Gott, das grenzt an Kamikaze!
Erschwert wird die Tour de Force der gestressten Füße noch dadurch, dass man nicht immer nur auf den Weg schauen möchte, denn dazu ist Ouro Preto viel zu schön! Irgendwie scheint die ganz Altstadt aus Postkartenmotiven zu bestehen. Weiße Häuser im Kolonialstil mit farbigem Stuck in den mäandernden Straßenschluchten, blühende Bäume und über allem die grünen Bergzüge am Horizont rund um die Stadt.. Über allem am Horizont der Fels Itacolomi, der immer so aussieht als müsste er jeden Moment umstürzen.
Das alles atmet im wahrsten Sinne des Wortes die Geschichte des Goldrausches. Zuerst hieß die Stadt Vila Rica – die Reiche Stadt, Hauptstadt von Minas Gerais bis 1897. Aber wie überall, wo es Reichtum gibt – und hier war es sogar Gold – ist die Historie geprägt von Verteilungskämpfen, Revolten, Banden, Hinrichtungen und Korruption. Die portugiesische Krone hat das Gold aus den Bergen von Minas Gerais reich gemacht. Der Name Ouro Preto, schwarzes Gold kommt daher, dass das Gold hier durch Eisenerzverunreinigungen schwarz gefärbt ist.
Vorallem auch die Kirchen erzählen in ihrer Pracht von dem vergangenen Reichtum. Sta. Efigenia ist geradezu überladen von Figuren, Ornamenten – ein Fest der Kirchenkunst. Verspielter, weniger Leid darstellend als in Europa. Auch hat man von ihrem Platz auf einer Bergkuppe einen besonders schönen Blick über die Stadt.
Die zweite Kirche, die wir uns von innen angesehen haben, ist die Ingreja Matriz Nossa Senhora do Pilar, eine wunderschöne oppulente Barockkirche, die auch ein Museum beherrbergt. Acht Kirchen und etliche kleine Kapellen könnte man besichtigen, wir belassen es bei zweien, schon, weil unser Aufenthalt sehr kurz ist.
Vom zentralen Praça de Tirantes gehen nach allen Seiten steil abfallende Straßen ab, die oft auf kleineren Plätzen enden. Viele Restaurants, Mode- und Souvenirläden warten auf Touristen, denn vorallem davon lebt die Stadt. Außerdem ist eine der bekanntesten Universitäten des Staates hier ansässig mit einem riesigen Campus auf einem Berg über der Altstadt.
Übrigens, der mehr oder weniger lateinfeste Europäer wird vermutlich irritiert sein, über die völlig unverständliche Kleinstaaterei innerhalb dieser Stadt: an vielen Häusern kündet ein Schild vom Sitze einer Republik mit anderem Namen. Nun sind das mitnichten obskure Freistaaten, sondern „república“ bedeutet auf brasilianisch: Wohngemeinschaft. Und in der Stadt der Studenten ist dies die übliche Wohnform. Und da die komplette Innenstadt unter Denkmalschutz steht, sind die Häuserfassaden von außen irreführend, denn oft sind die Gebäude dahinter entkernt und zusammengelegt, so dass große Gemeinschaftsunterkünfte für acht bis 20 Studenten entstanden sind.
Am Nachmittag müssen wir eine Pause einlegen, nicht nur wegen der für die Jahreszeit eher ungewöhnlichen Hitze, sondern, weil unsere Beine und Füße nicht mehr mitspielen. Es ist so unglaublich anstrengend, hier herumzulaufen! Nach einem Nickerchen kraxeln wir wieder brav Richtung Praça, weil wir und überlegt haben, dass wir für den zweiten Tag gern die offenbar auch sehr spannende Umgebung der Stadt zumindest etwas erkunden wollen. Überall hier in Minas gibt es Canyons, Seen und Wasserfälle. Nur knapp 10 Kilometer von der Stadt entfernt liegt der Naturpark Andorinhas, die am nächsten gelegene Möglichkeit, ein paar von den unzähligen schönen Wasserfällen von Minas Gerais zu sehen.
Erste Idee: eine Agentur, die die Fahrt dorthin organisiert. Aber der übergewichtige Chef des Ladens scheint und mit „doofe Ausländer“ zu verwechseln und nennt uns einen geradezu absurden Preis. Abgehakt, das kriegen wir anders hin. Auf der Praza de Tirantes steht eine Riesenschlange Taxis. Wir pirschen die Reihe ab und entscheiden uns für den letzten Taxifahrer, etwas älter und irgendwie knuffig. Schnell werden wir uns über einen Pauschalpreis für Hinbringen und nach drei Stunden wieder abholen einig – 90 Real. „Nennt mich einfach Passarinho („Vögelchen“)“… Der andere Kerl wollte 300. Wir verabreden uns für den nächsten Morgen.
Zum Abendessen müssen wir wieder steil nach unten – auf der anderen Seite des Platzes, auf der wir gerade mühsam hochgeklettert sind. Unser Weg führt uns über eine steinerne Brücke, von der aus man den (leider nicht zugänglichen) wunderschönen Stadtpark samt Flüsschen sehen kann, vorbei am Grand Hotel, das der weltberühmte Oskar Niemeyer gebaut hat. Es ist ein so hässlicher Betonklotz, dass man seinen Augen nicht traut…
Die Küche von Minas, das Comida Mineira, ist legendär lecker. Zweimal haben wir das schon erfolgreich probiert! Diesmal fällt die Wahl auf ein Restaurant, das am Abend „Festival de pizza, tapioca e caldo“ anbietet. Das heißt, es gibt endlos Suppen, Pizzen und Tapioca (Rollen aus Maniokmehlfladen) – beides mit 34 verschiedenen Füllungen. Auf dem Buffet stehen fünf verschiedene Eintöpfe und Suppen und an Pizza und Tapioca wird immer frisch gemacht, was man sich aussucht, so lange bis man kurz vor dem Kollaps abwinkt. Das Ganze kostet pro Person zehn Euro.
Mit hängenden Bäuchen schleppen wir uns wieder über den Berg in unsere Unterkunft in der Rua Carlos Tomás. Unsere Vermieter Anna und Francisco, ein junges Paar, sitzen noch mit Besuch in der Küche und laden auf ein Bier ein. Wir schwatzen noch ein Stündchen über Brasilien, staatliche Universitäten contra private, die brasilianische Sucht nach Schönheitschirurgie und Kaiserschnitten und andere Dinge, die in keinem Reiseführer stehen. Immer wieder spannend, gut, dass mein Portugiesisch inzwischen gut genug dafür ist, sonst würde ich viel Spannendes verpassen.