1 . Wiedersehen 2023 – anders als erwartet

Brasilien! Endlich wieder. Nach dem unschön abgebrochenen Urlaub mit Lockdown und gestrichenen Flügen vor 3 Jahren ….den Koffer in Vorfreude auf viele Wiedersehen voller Geschenke gepackt und 6(!) Brote auf Bestellung…


Doch die Freude wird schnell gebremst, als mich mitten über dem Atlantik Nachrichten von Freunden erreichen, dass der Küstenabschnitt Litoral do Norte de Sao Paulo in Regen und Überschwemmungschaos versinkt. Überschwemmungen sind im Sommer an der Tagesordnung, aber das, was ich jetzt lese, scheint um einiges schlimmer und steigert sich mit jeder message. Da ist von kaputten Straßen und Bergrutschen die Rede. Es seien die schlimmsten Regenfälle seit über 50 Jahren.


Ich bin froh, dass wir für die Nacht eine Pousada in Flughafennähe in Guarulhos gebucht haben, um morgens weiterzufahren. Bis dahin wird hoffentlich einiges klarer. Die Ankunft verläuft reibungslos, sogar das Gepäck ist da. Ein Taxi bringt und zur Pousada Casa do Manguinho.


Die Straßen der Satellitenstadt neben Sao Paulo wirken ziemlich düster und strotzen nur so vor gefährlichen Löchern, die Häuser sind größtenteils mehr oder weniger heruntergekommen… herumlaufen möchte ich hier gerade nicht – mir sitzt wohl die Erinnerung an den Überfall vor 3 Jahren in Salvador tiefer als ich zugeben wollte. Aber ich bin seit 24 Stunden wach und etwas angeschlagen.


Die kleine Pousada ist einfach, sauber und der Empfang freundlich. Wie sich nach etlichen Telefonaten und Chats bestätigt, ist das Ausmaß der Katastrophe an der Küste noch nicht absehbar, schon ist von 40 Toten und vielen Vermissten die Rede. Wir müssen wohl oder übel erstmal in Sao Paulo bleiben, zum Glück ist schnell klar, dass uns eine Freundin Obdach gewähren wird.


Am ersten Morgen stolpern wir durch die arg kaputten Straßen des Viertels auf der Suche nach Frühstück, aber es ist Karneval und bis auf ein paar Ausnahmen ist alles eher ausgestorben und geschlossen, das Frühstück fällt karg aus. Schließlich entdecken wir noch, dass unsere Pousada, die in einem schmalen, aber genial genutzen 3 stöckigen Haus untergebracht ist, eine phantastische verg laste Dachterrasse hat, mit Blick auf die tieferlegende Stadt und Landschaft und die startenden Flugzeuge . Tolles Bild.


Mit dem Taxi geht’s dann endlich nach Sao Paulo, auf der Fahrt über die Stadtautobahn kommen erste Wiedersehensgefühle auf, ich sauge die Skyline, ein paar hässliche Denkmäler und den Blick auf den scheusslichen großen Wasserauffangkanal neben der Autobahn auf, der die 800 m hoch gelegene Stadt vor den schlimmsten Auswirkungen der regelmäßigen Wolkenbrüche retten soll. Alles nicht wirklich schön, aber es erzeugt eine kleine Wiedersehensfreude nach den Jahren der Pandemie.


Die Adresse der Freundin (unserer Freundin an der Küste) liegt an dem wunderbaren Parque da Luz im Stadtteil Bom Retiro. Der Empfang ist herzlich, obwohl wir uns nur einmal vor Jahren begegnet sind und wir haben ein nettes kleines Schlafzimmermit Blick auf den Park, der, wie ein paar andere in der Steinwüste Sao Paulo ein echtes Stück Urwaldoase mit wunderschönen Bäumen ist. Gruselig nur, dass an den Mauern rundherum überall die Obdachlosen hausen, die meisten von ihnen auf Crack und somit nicht eben harmlos. An den Ecken des Parks ist ständig ein schwerbewaffnetes Polizeiaufgebot, zusätzlich schnüren noch mehrmals täglich Kolonnen berittener Poizei durch die Straßen. Viel mehr als früher, aber die Verhältnisse sind noch härter geworden und außerdem wird die Stadt und der dazugehörige Staat von einem straffen Bolsonaro- Anhänger regiert, der Militär und Muskelnzeigen liebt.


Ich will an dieser Stelle meine Erzählung ausnahmsweise auf fast foreward umstellen, um die folgenden zweieinhalb Tage im Schnelldurchlauf zusammenzufassen. Denn irgendwie ist das alles… statt Urlaubsbeginn eher ein Warten mit Stadtspaziergängen an einer ungewohnt stillen Stadt – fast alles ist geschlossen am Karneval, am Aschermittwoch alles müde – sogar unser bahianisches Lieblingsrestaurant Rota Do Acarajè, in das wir Barbara und ihren Sohn Christian als Dankeschön ausführen wollten, hat Katerpause.


Die Nachrichten im Fernsehen von der Küste sind erschütternd, abgerutschte Berge, zerstörte Häuser und Straßen, umgestürzte Bäume und verwüstete Strände, es ist von über 40 Toten die Rede, über 80 Menschen werden noch vermisst. Unseren Freunden in Camburi uns Boicucanga geht es allesamt gut, ein Glück .

Am schlimmsten hat es natürlich die Armen erwischt, in ihren Pappschachtel Häusern, die auch noch oft auf gefährlichem Schwemmland illegal gebaut haben, weil sie sich kein Land leisten können. Die Orte zwischen Bertioga und Sao Sebastiao sind abgeschnitten, die Straßen unbefahrbar oder nicht mehr existent. Die Orte seiesn nur noch mit Hubschrauber zu erreichen, alle Karnevalsurlauber, die es sich leisten können, zahlen horrende Preise, um ausgeflogen zu werden. Sonst sind die Orte nur noch per Boot zu erreichen.


Präsident Lula kommt, man mag über solche Besuche denken , was man will, aber die Leute hier empfinden es wirklich als Sorge und Trost. Das Militär und die Polizei aus weit entfernten Gebieten rückt mit schweren Räumfahrzeugen, Hubschraubern und Suchmannschaften an. Wir sind in ständigem Kontakt mit unseren Freunden, die uns auf dem Laufenden halten.

Nur unseren Freund André, einen Deutschen, hat es in der Form getroffen, dass sein im Urwald auf über 2 Meter hohen Stelzen gebautes Haus, das erste Mal im unteren Geschoss geflutet war. Schlimmer ist aber, dass der riesige, lebensnotwendige Wasserturm neben dem Haus kaputt ist. Aber deprimiert sind natürlich alle. Die Dramen sind das alles bestimmende Moment.


Das alles wirkt auf uns irgendwie irreal, wir sind ein bisschen aus der Zeit gefallen, gestrandet, und stellen auf Improvisation um