11 On the Road Again: Louisiana – Florida

On the road again –diesmal tagelang, in Etappen, Richtung Miami. Vor drei Tagen haben wir uns von der swinging city verabschiedet, diesmal ist mir der Abschied verdammt schwer gefallen. Aber immerhin hatten wir noch einen richtig schönen letzten Tag. Noch einen kleinen Abschiedslauf mit etwas veränderter Route durch das morgendliche New Orleans, ein leckeres und reichliches Frühstück in Anita´s Grill, eine kleine Bummel- und Einkaufsrunde durch das French Quarter auf der Suche nach Gewürzen und als tröstlicher Abschluß Cajunpasta bei Coop´s. Als die Sonne über der Stadt untergegangen war, haben wir uns in unser großes weißes Auto gesetzt und nach Westen aufgemacht.

Noch einmal für ein paar Stunden links und rechts vorbeifliegende Sümpfe über zwei Staatsgrenzen hinweg: Mississippi und Alabama. Dabei auch die Fahrt durch das Pascagoula-Gebiet. Der Legende nach hört man hier immer noch das Weinen von tausenden Indianern des gleichnamigen Stammes. Sie wurden vom weißen Mann gejagt und besiegt, und um ihm nicht in die Hände zu fallen, hat sich der ganze Stamm in die Sümpfe gestürzt und ist ertrunken. Es ist ein großes, abfallendes Sumpfwaldgebiet, das man vom Highway aus sieht und irgendwie ist das eine ziemlich gruselige Vorstellung. Ansonsten erinnere ich mich von früheren Reisen, dass die Städte an der Strecke, Biloxi, Bay St. Louis und Mobile nicht wirklich viel Sehenswertes zu bieten haben. Bis auf so ein Kriegsschiff in Mobile – das reizt mich nun so gar nicht. Mag ja politisch nicht korrekt sein, aber bei mir kommen im Zusammenhang mit Mississippi und Alabama immer vorallem die Assoziationen Tom Sawyer und Ku Klux Klan…

Rund dreieinhalb Stunden später sind wir in Florida. An der Grenze ist inzwischen ein nagelneues, völlig überdimensioniertes Welcomecenter gebaut worden, allein die Anzahl der Toiletten wäre für mehrere Busladungen gleichzeitig geeignet, der weitäufige Parkplatz ist in Flutlicht getaucht, von bewaffneten Guards bewacht und über allem schwebt auf einer geschwungenen Konstruktion ein blauer „US-Navy“-Kampfjet, daneben die unvermeidliche Sternenflagge. Ich fühl mich eher unwohl bei dem Anblick als beeindruckt. Naja…gleich nebenan in Pensacola ist eine große Militärbasis. Proud to be american…Das völlig ungebrochene Verhältnis zum Militär und seinen heldenhaften Kampfeinsätzen werde ich wohl auch nie verstehen.

Wir übernachten in Pensacola in einem Motel 6, früher ziemlich clean, jetzt ein bisschen abgetakelt. Aber immerhin mit erhebendem Anblick als wir morgens die lichtundurchlässigen Vorhänge öffnen: GOD BLESS AMERICA ( plus Fahne) prangt da auf einer Werbe – Tafel in Größe eine Einfamilienhauses. Dann kann ja nichts mehr schiefgehen. Wir frühstücken im Seville Quarter wie die Altstadt hier heißt (alles relativ, so alt ist sie nun auch nicht). Das Auto darf man nur zwei Stunden parken und Miki überlegt, wie das gehen soll, da wir nirgends Parkscheiben oder-uhren sehen. Da der Sheriff grade neben uns parkt, fragt er nach, ob das ein Problem ist. Und wieder lernen wir was über Hightech-Kontroll-Land: No problem! Da fährt regelmäßig ein Kontrollfahrzeug ´rum und scannt per GPS alle parkenden Autos und weiß somit ganz genau, wer wann wielange wo steht.

Danach fahren wir über eine ca anderhalb Meilen lange Brücke auf die erste der beiden großen vorgelagerten Halbinseln: Gulf Breeze und schließlich über eine zweite Brücke nach Santa Rosa Island, unser Ziel. Das ist endlos lange Insel, die der Küste parrallel vorgelagert ist. Hier gibt es einen der weissesten Strände der Welt. Ganz feiner Sand, der so strahlt, wenn die Sonne scheint, dass es in den Augen blendet und das Kameraobjektiv immer zuzieht. Der östliche Teil der Insel ist Naturschutzgebiet, hier gibt es auch die Ruinen von Fort Pickens. Aber dahin kommen wir diesmal nicht, weil die Durchfahrt dahin plötzlich acht Dollar kostet. So bleiben wir außerhalb des Naturschutzgebietes und fläzen und das erste Mal in diesem Urlaub an den Strand. Schööön, besonders bei der Vorstellung von November in Deutschland! So richtig heiss ist es nicht mehr, es sind um die 23°C und der Wind ist kühl, aber wir genießen es sehr. Am Nachmittag wird es plötzlich schlagartig kühl, das liegt an der Jahreszeit, und so flüchten wir in ein Strand-Restaurant im Zentrum der Insel und lassen uns bei untergehender Sonne mit Blick auf den Golf von Mexiko ein paar frittierte Jumbo-Shrimp schmecken. Allerdings irritiert uns einigermaßen die Beschallung: I´m dreaming of a White Christmas.

Als wir abfahren, haben sich plötzlich Bäume und Palmen in strahlend illuminierte Weihnachtsbäume verwandelt. Verrückt! 500 km liegen vor uns, wir wollen die langen Abende nutzen, um unserem Endziel Miami ein großes Stück näher zu kommen, damit wir an schönen Orten noch in Ruhe einen Stopp einlegen können. Die Universitätsstadt Gainsville im nördlichen Zentralflorida ist unser Ziel. Ich nutze die Zeit, um mit einer Stirnlampe ausgerüstet wie ein Grubenarbeiter, auf dem Beifahrersitz unsere Reisegeschichten aufzuschreiben. So vergehen die Stunden und eine kurz vor Mitternacht segeln wir in unser am selben Tage online gebuchtes Motel 6.

Hunger! Schnell setzen wir uns noch mal ins Auto, lange herumfahren wollen wir nicht, denn in Amerika kann die Suche nach dem, was man Innenstadt nennen könnte schon mal ziemlich schwierig werden. Und da Amerikaner früh essen, haben die vernünftigen Restaurants längst geschlossen, wie wir schnell feststellen. Das ist er also, der Abend ist gekommen, an dem auch wir mit einem Drivethru vorlieb nehmen müssen. Wir entscheiden uns für Checker´s, wegen der netten 50ies-Optik. Ein stirnackiger Manager nimmt unsere Bestellung auf, zwei genervte dicke schwarze Frauen bereiten unser Gourmetmahl zu: eine klatscht mit Gummibehandschuhten Händen Salat und Belag auf das Schwabbelbrot – mit Blick auf die über ihr hängende bildliche Anweisung, wie´s geht, die andere füllt ebenso nach der aufgemahlten Füllmenge Eis/Cola unsren Becker. Klatsch auf die Durchreiche, fertig. Ich erspare Euch unsere glücklich kauenden Gesichter. Zum Glück haben wir noch etwas Tequila im Gepäck, das verhindert schlechte Laune.

Am nächsten Morgen verbringen wir wieder etliche Zeit im Auto, wir wollten eigentlich bei einem wunderbaren Ort Pause machen: dort speisen Süsswasserquellen mitten im Sumpfwald knallig türkise Wasserlöcher, in denen man an einer Stelle sogar baden darf, wenn man Glück hat, schwimmt man neben einer netten, gemütlichen Seekuh. Bei letzten Mal allerdings bin ich dort ahnungslos neben einem großen Alligator geschwommen. Ein paar Typen haben es mir vom Ufer zugerufen, aber das habe ich für einen dämlichen Witz gehalten und bin seelenruhig weitergeschwommen. Am Ufer hat mich Miki dann gefragt, ob ich den fetten Gator gesehen habe… der Schock saß. Da wollen wir hin, weil es wunderschön dort ist. Irgendwo bei Crystal River.

Wir finden es nicht gleich, machen dafür aber erst einen Stopp in einem Schutzgebiet an einem traumhaften, aber gefährlichen See, in dem sich tatsächlich ein riesiger alter Alligator sonnt. Aus sicherer Entfernung beobachtet von einem blue heron, einem Reiher. Anschließend hängen wir noch einen sehr schönen, einsamen Spaziergang auf einem birding nature trail im state park dran. Gut drei Kilometer Wildnis, keine Menschenseele, dafür in ein paar kleine Gator in einem Sumpfloch und ein paar lustige Gürteltiere. Die giftige Cottonmouthschlange und ihre Freundin, die schwarze Klapperschlange, vor denen die Schilder warnen, bleiben uns erspart. Puh. Bis dahin ist es ein schöner Tag. Dann allerdings verlässt uns das Glück und wir verbringen den Rest des Nachmittags suchend nach den Quellen, die wir nicht mehr finden. Viele sinnlose Meilen, genervt brechen wir Stunden später die Suche ab, denn wir wollen Abends noch bis Clearwater an der SüdWest-Küste. Außerdem ist Thanksgiving und soviel Amerika muß sein, dass ich darauf bestehe, auch den traditionellen Turkey essen zu wollen. Das ist hier schließlich ein superwichtiger Feiertag. Und ich möchte ein nettes Restaurant.

Also fangen wir noch vor sechs an an zu suchen, da wir wissen, hier gibt´s ab acht kaum noch was zu essen. Aber das klingt so einfach: ein sechsspuriger Highway, immer geradeaus, immer dieselben Tankstellen, Ketten etc.pp. da muß man schon viel Glück und Adleraugen haben, um die wenigen versteckten anderen Restaurants zu entdecken. Einmal halten wir an, aber der Laden sieht so trostlos aus, das jede deutsche Kantine mithalten kann. Langsam wird es knapp: es ist halb acht. Viertel vor acht betreten wir in ein halbwegs erträgliches Familienrestaurant, gerade noch zur rechten Zeit. In verschiedensten Brauntönen gehalten, groß, ohne Tischdecken oder etwa Blumen. Die meisten Feiertagsgäste haben sich sogar chic gemacht, aber von festlich kann man wirklich nicht sprechen. Zumal die hier Versammelten fast alle unter Geschmacksverrenkung leiden. 60jährige Frauen in Leggings mit kurzem T-Shirt, die Golden Girls im Glitterlook, Papa im Anzug, der eigentlich mal ein Schlafanzug werden wollte, ein paar Westernhemden usw. Während der Boden des Nebentisches schon gestaubsaugt wird und auch sonst das große Putzen begonnen hat, bekommen unser Truthahn-Dinner…– immerhin es sättigt.

Irgendwie hatten wir uns das mit unserem Thanksgiving-Abend etwas anders vorgestellt. Nennen wir es halt eine weitere Milieustudie. Aber unsere Pechsträhne ist noch nicht beendet. Nach weiteren Stunden auf immer dem gleichen endlos geradeausführenden Highway mit exakt immer demselben ermüdenden Desfile von Kinoleinwandgroßen Reklametafeln für alles und jedes: Schmierig grinsende Anwälte, die gegen böse Chefs klagen wollen oder eine besonders aggressive Prozeßführung im Scheidungsfalle versprechen, Chirurgen, die alles ganz ohne Klinge und Nadel erledigen, Schlankheitsinstitute, bei denen man bei einem einmaligen 100-Dollarbesuch 5 kg abnimmt oder Waffenhändler, die darauf hinweisen, dass es zweierlei Menschen gibt: Opfer und Waffenbesitzer. So könnte ich das noch eine Weile weiter fortsetzen, manches klingt wie boshaft ausgedacht, aber leider habe ich all das und noch viel mehr gelesen. Neben den üblichen Produkt-und Unternehmenswerbungen, vor allem auf für Restaurants. Zu dem Thema ist mir in den letzten Tagen immer wieder durch den Kopf gegangen, dass sich hier inzwischen eine ganz andere gesellschaftliche Norm hinsichtlich der Ästhetik entwickelt haben muß, angesichts von Millionen extrem Übergewichtiger, die ungehemmt Berge verschlingen, obwohl sie ihre Beine nicht mal mehr tragen und die auf kleinen Wagen durch die Gegend fahren müssen. Wo sonst in der Welt könnte man Restaurantreklame machen für „Fat Boy´s Yummie Paradies“ oder „Fat Daddie´s Foodbowl“? Da läuft doch was falsch, oder? Damit will ich auf keinen Fall Menschen zu nahe treten, die von Natur aus Gewichtsprobleme haben, aber das hier, das geht einfach gar nicht. Wer noch nicht hier war, kann sich das einfach nicht vorstellen. All solche Gedanken kommen mir bei unserer ermüdenden stundenlagen Nachtfahrt.

Gegen 1 Uhr nachts sind wir dann endlich in Clearwater. Dei Stadt scheint endlos, nichts gibt einen Hinweis darauf, wo vielleicht ein Zentrum liegen könnte, oder die großen Straßen, an denen gewöhnlich die Motels und Hotels liegen. Alles sieht gleich aus – endlos, dunkel. Wir irren herum, entdecken endlich ein paar Motels, aber ein Blick in offenstehende Zimmertüren läßt uns mit Grausen weiterfahren. Dann endlich finden wir ein Budget Inn, von dem wir sogar einen Ermäßigungscoupon von 79 auf 59 Dollar haben. Der gilt aber an Feiertagen eigentlich nicht. Doch Miki diskutiert knallhart – mehr gibt unsre Reisekasse auf keinen Fall her. Wir kriegen das Zimmer. Muß mal ein netter Laden gewesen sein, sogar nachts erkennt man noch die rosa-grau gestrichenen Gebäude, die Grünanlagen, den Pool mit Palmen. Das Zimmer ist die Härteprobe: Schmierige Türen, ein nicht näher zu beschreibender uralt Teppich, kaputte, versiffte Möbel, kleine wilde Tiere und –zur Krönung schmutzige Laken. Gewaschen ja, aber mit ekelhaften Flecken. Alarm! Wir kriegen wenigstens ein Zimmer mit halbwegs sauberen Laken. Wir sind total fertig, weitersuchen schaffen wir nicht. Bloß nix anfassen oder berühren außer den Laken, mit diesem Gedanken schlafen wir ein. Der schwarze Tag dieser Reise. Jetzt kann´s nur wieder besser werden. Gute Nacht!

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