12 Florida Westcoast

Clearwater, Florida, Westcoast. Welthauptquartier der Scientology-Sekte. Und ansonsten eine von vielen größeren amerikanischen Städten – will sagen, nichts besonderes. Das Stadtgebiet geht nahtlos über in das südlich gelegene Saint Petersburg und Tampa, auf der anderen Seite der Bucht. So gesehen eine Stadt ohne Ende oder ohne Grenzen, wie man lieber will. Jede der drei Städte hat eine downtown mit ein paar obligatorischen Wolkenkratzern und endlose Wohn-und Gewerbegebiete. Und wenn ich hier schreibe „endlos“, dann wissen wieder nur Menschen mit Amerikaerfahrung, die über New York hinausgeht, von welchen Dimensionen ich da rede.

Ok, Amerika ist ein großes Land und man kann sich leisten, großzügig und großräumig zu bauen. Aber so weitäufig, dass letztendlich große Bereiche des Landes völlig zersiedelt sind und man Stunden braucht, um in einer Durchschnittsgroßstadt von A nach B zu kommen, das ist irgendwie absurd und macht in meinen Augen wenig Sinn. Es lässt nirgends das europäische Gefühl von Ortschaft oder Stadt aufkommen. Beim ersten und zweiten Mal hier fand ich das ja zumindest noch kurios und „boah eh“, aber inzwischen finde ich es nur noch anstrengend und totlangweilig, Weil es da auch einfach nichts zu sehen gibt ausser weitläufigen Gebäuden, Parkplätzen und wieder Gebäuden. Dazwischen – nichts. Bei vielen dieser Städte gibt es nicht mal ein Stadtzentrum. Alles wirkt so isoliert, bezugslos.

Clearwater vorgelagert ist eine lange Halbinsel: Clearwater Beach. Eine lange Straße führt von einem Ende zu anderen, hier sind überwiegend kleinere Häuser, oft sogar Einfamilienhäuser, aber auch ein paar große Hotels und Appartmenthäuser. Das sieht schon alles etwas netter aus. Und hier gibt es auch endlich mal mehr als ein kleineres Restaurant, man kann sogar draußen sitzen, sehr erfreut. Nach unserer Nacht im Gruselkabinett genießen wir ein üppiges Frühstück in einem solchen Restaurantgarten und fühlen uns gleich besser. Wir fahren ein bisschen weiter und genehmigen uns zwei entspannte Stunden am Strand. Das Wetter ist herrlich, 24 Grad und ein frisches Windchen. Aber einige hier tun so, als ob gleich der Winter ausbricht und sitzen mit Anoraks und Wolldecken in der Sonne. Wir in Badesachen. Ich mache einen schönen Strandspaziergang, Miki lieber ein Nickerchen in den Mini-Dünen. Es gibt so tolle Muscheln hier! Auch weiße und schwarze Korallenstücke liegen im Sand. Das Wasser des Golfs ist ziemlich herbstlich frisch, aber wir sind uns natürlich unserer Verantwortung gegenüber unseren im nebligen Berlin frierenden Landsleuten bewußt, und gehen –als Einzige- baden, auch wenn´s erstmal eine kleine Überwindung ist. Aber einmal im Wasser, ist es richtig schön und gar nicht so kalt. Das Wasser ist helltürkis und wunderbar klar. Über uns kreisen Möwen und hin und wieder Pelikane. Mit ihrem eingezogenen Hals und dem langen, hohen, aber spitzen Schnabel sehen sie aus wie kleine Kampfjets. Plötzlich saust so ein Kampfflieger schnurstracks auf mich zu. Ich dachte schon, der hält mich für sein Riesen-Sushi, aber letztendlich stürzt er sich ein paar Meter weiter kopfüber in die Fluten und kommt mit einem anderen zappelnden Fisch wieder heraus. Ganz schön groß, diese Pelikane. Und wenn die so dasitzen und einen giftig anstarren, flößt das durchaus Respekt ein.

In einem netten kleinen Café verdrücken wir noch ein reichlich belegtes, gegrilltes Cuban Sandwich und ab geht´s, über die lange imposante Brücke quer über die große Tampa Bay mit Ziel Tampa. Heute ist der Tag nach Thanksgiving, das heißt, das wichtigste Einkaufswochende vor Weihnachten beginnt und zwar mit dem Black Friday. Alle Shopping Malls geben an diesem Tag Superrabatte. Und da wir immer noch heftig unterversorgt mit Hosen und Shirts für die kühlen Abende sind und Miki sowieso nur im Urlaub zum Einkaufen bereit ist, wollen wir noch eben in die International Mall in Tampa. Allerdings stellen wir bald fest, dass die eigentlich nicht so unser Umfeld ist: Gucci, Armani – Guess gehört noch zu den Billigläden. Und wir sehen mit unseren labberigen uralt Klamotten aus wie Penner in diesen Läden. Da aber einige 50-60 Prozent Rabatt geben und wir dringend etwas brauchen, bleiben wir doch und finden sogar ein paar Jeans. Inzwischen ist es 21.30 Uhr. Oh, oh, ich sehe schwarz für ein nettes Abendessen.

Wir hatten vor, ein einfaches, aber supergutes Sushi-Lokal im Norden der Stadt zu suchen, das ich mit meiner Freundin vor…17 Jahren entdeckt habe und wo wir ein paar Jahre später noch einmal, auf Reisen mit unseren Kindern, sehr lecker gegessen haben. Wir düsen quer durch die Stadt – hier kennen wir uns wenigstens noch ein bisschen aus und Miki macht das super. Um zehn nach zehn sind wir da – und es ist tatsächlich noch offen. Es sind aber keine Gäste mehr da und alles ist schon weggeräumt, aber: ein Wunder! Man erinnert sich tatsächlich noch an uns (allzu viele Deutsche hat´s offensichtlich noch nicht hierher verschlagen) und wir dürfen Platz nehmen und bekommen alles, was wir wollen. Es entsteht ein sehr lustiges Gespräch über alte und neue Zeiten mit allen, die hier arbeiten. Wir essen phantastisch und kaufen noch jeder ein witziges T-Shirt, das auch die Staff vom „Ichiban“ trägt: auf dem Rücken steht: Sushiholic. Das passt. Wir sollen es sofort anziehen und alle klatschen und lachen sich halbtot. „Welcome to the club!“ Es ist wirklich ein fröhlicher Tagesabschluss!

Allerdings haben wir noch gute zwei Stunden Fahrt vor uns, denn unser nächstes Ziel und Motel ist Fort Meyers. Um viertel nach eins nachts erreichen wir die Stadt und nach einer angespannten halben Stunde haben wir es sogar (schon!) geschafft, unser Days Inn zu finden. Ein ordentliches sauberes Zimmer!!!! Man sollte nicht glauben, wie glücklich das uns macht, nach drei schmuddeligen Nächten inklusive des letzten Drecklochs! Als wir endlich zur Ruhe kommen ist es halb vier.

Am nächsten Tag steht ein Ausflug nach Sanibel Island auf dem Programm. Diese Insel ist zwar eine von vielen vor der Westküste, aber insofern etwas besonderes, weil sie und die anschließende Nachbarinsel Captiva in Ost-West-Richtung verläuft, während alle anderen von Norden nach Süden ausgerichtet sind. Das hat zur Folge, dass es hier unglaublich viele, und zum Teil seltene Muscheln gibt, angeblich sind nur noch zwei Inseln in Afrika und Asien ähnlich ergiebig. Der größte Teil der Insel ist Naturschutzgebiet, der Rest mit feinen, teuren Villen bebaut, die an der Hauptstrasse stehen, aber größtenteils den Blicken Fremder durch die dichte Vegetation verborgen sind. Hauptsächlich wachsen hier Palmen und Mangroven. Die Strände sind wunderschön und da sie so lang sind, findet man immer auch einsame Plätze. Wir entscheiden uns für Bowmen´s Beach. Am Strandzugang selbst ist es ziemlich voll, aber schon 500m weiter sind kaum noch Leute. Wir haben ein Strandstück ganz für uns allein, nur gelegentlich kommt ein muschelsammelndes Exemplar Mensch vorbei. Es liegen wirklich Millionen von Muscheln am Strand, ein wunderschöner Anblick. Um allerdings besondere Exemplare zu finden, muss man wohl ganz früh kommen, bevor die Heerschaaren von Sammlern alles abgrasen.

Am späteren Nachmittag wird es wie immer zu kühl und wir sehen uns aus dem Auto noch die Nachbarinsel an und trinken einen Kaffee. Aber hier sind die Reichen unter sich, alles ist völlig überteuert (zwei große Espresso kosten 8,60 Dollar).

Da man mit den langen Abenden in Orten wie Fort Myers eigentlich nichts anfangen kann, wollen wir nochmal in eine Outlet-Mall, für die hier geworben wird, wie gesag,t vorallem Mikis Garderobe bedarf dringend einer Verjüngungskur. Wir sehen wohl auf dem mickrigen Stadtplan, dass es eine ganze Ecke zu fahren ist und haben ja auch so unsere Erfahrungen, was Entfernung hier heißt. Aber was wir dannn erleben, ist unglaublich. Alles ist so weitäufig und auswechselbar, dass wir uns völlig verirren, auch fragen hilf nichts, hier kann keiner was erklären. Wir sind letztendlich gut und gern 80km durchs nächtliche Fort Myers gefahren – alles sah gleich aus. Immer dieselben sechsspurigen Straßen ohne Fußwege, keine Fußgänger, ein paarmal dachten wir, die Stadt sei längst zu Ende, weil zwischendurch einfach nur Pampa war. Eine Alptraumstadt! Hier möchte ich niemals wohnen. Man ist völlig isoliert, jeder Restaurantbesuch wird zur Reise. Soziale Begegnungen muß man ausdrücklcih arrangieren, denn Gegenden, wo man sich trifft oder einfach nur herumläuft, gibt es nicht. Die Menschen haben ein Haus, wo sie wohnen, einen Arbeitsplatz und ansonsten sitzen sie im Auto.

Wir wollen eigentlich überhaupt nicht mehr in die Mall, aber wenigstens noch ein passables Restaurant irgendwo finden, bitte, bitte. Aber plötzlich sehen wir die Mall neben dem Highway. Aber was sage ich – es ist keine Mall wie ich sie kenne – ein großer Gebäudekomplex, der ein paar Kaufhäuser und viele Geschäfte beherrbergt- sondern eine ganze Shopping-Stadt! Wir haben sowas noch nie gesehen!! Die untereinander verbundenen Outlet-Tempel inklusive Restaurants und unendliche Parkplätze erstrecken sich auf dem Areal einer deutschen Kleinstadt. Der totale Irrsinn! Eine ganze Stadt nur zum Einkaufen! Das ist der Gipfel einer pervertierten Konsumgesellschaft. Millionen leben in Slums, kaum jemand hat eine Krankenversicherung, Bildung ist Luxus und dann das hier! Für diese Ansicht lasse ich mich gern auch Moralist nennen, ich kann nicht anders. Die Lust am Shopping ist uns eigentlich vergangen. Aber immerhin finden wir ein mexikanisches Restaurant und essen richtig leckere Fajitas! Das rettet den Abend. Danach schaffen wir die knappen 40km Heimweg tatsächlich ohne uns zu verirren. Es soll wirklich keiner sagen, dass wir hier nichts erleben!

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