21 Vietnam: Da, wo der Pfeffer wächst 2

Der Tag beginnt mit Fremdschämen für die eigenen Landsleute. Unser frühmorgendliches Bad machen wir ein Viertelstündchen später als gestern – ein fataler Fehler. Im feineren Resort 500 Meter nördlich, wo das Wasser sauberer ist, herrscht nicht mehr Ruhe, sondern wie auf Kommendo kommen schlaftrunkene Menschen deutscher Herkunft aus allen Ecken im Dauerlauf, sich gegenseitig überholend, Richtung Strand gerannt, bewaffnet mit Handtüchern, Autobild und Superillu, um Liegen zu blockieren und dann wieder ins Hotel zu taumeln. Oh, Gott, niemand tut das außer den Deutschen! Wir sind völlig geplättet von dem peinlichen Schauspiel und hoffen, dass uns niemand diesen Menschen zuordnet.

Heute schwingen wir uns auf den Roller und düsen Richtung Süden. Einen ersten Stopp legen wir bei einem Park außerhalb der Stadt ein, wo – in der Regenzeit – ein Wasserfall zelebriert wird. Schön angelegt, mit seltsamen, aber ziemlich skurrilen Betonskulpturen und Wegen zum flanieren. Zur Zeit allerdings ist alles ausgestorben, da der Fluss trocken ist.

Die Fahrt geht weiter über die große Nord-Süd-Straße, die ein Erlebnis für sich ist. Oder besser ein absurdes Geheimnis, das sich uns nicht erschließen will: Ein paar Kilometer (oder auch nur einige hundert Meter) präsentiert sich diese Hauptverkehrsader als vierspurige Autobahn mit breiten Standstreifen, dann plötzlich wieder ist sie nur Sandpiste, dann mal Riesenbaustelle ohne Arbeiter, dann Kiesaufschüttung, schmaler Weg – das alles immer im Wechsel, so dass kein einziger längerer Abschnitt durchgehend befahrbar ist. Man kann es sich nicht vorstellen, wenn man es nicht gesehen hat. Ist aber typisch für Vietnam, nur in dieser Konsequenz Spitze.

Auf unserer Touristenkarte ist etwas abseits der Hauptstraße ein weiterer großer Tempel eingezeichnet. Da es sonst nicht eben viele Sehenswürdigkeiten gibt, wagen wir uns dafür auf eine weitere Buckelpiste. Wir passieren eine wunderschöne kleine Strandbucht, deren Sand allerdings unter all dem Plastikmüll an keiner Stelle zu sehen ist. Es folgen etliche Kilometer Schotterpiste durch rotstaubigen Urwald.

Dann plötzlich gut 500 Meter frisch aufgeschütteter Kies, auf dem dekorativ, aber untätig eine museumsreife, verrostete Dampfwalze seht. Wieder so ein Straßenbau, bei dem keine Arbeiter zu sehen sind, der irgendwo in der Mitte einer Straße beginnt und willkürlich irgendwo endet. Aufgeben? Wir doch nicht. Mein Kamikazepilot kämpft den Roller und mich auf dem Rücksitz mit ganzem Körpereinsatz und mehrfach ausbrechendem Hinterrad auf die andere Seite. Schließlich landen wir auf einem Berg über der Küste vor einem Riesentempel, dessen Außenanlagen allerdings zum Teil noch im Bau und somit betongrau sind.

Ein Cao Dai Tempel, der ganz ungeniert mit seinen Spendern wie der Fluggesellschaft Vietjet, Banken usw. wirbt – seltsam. Die Nonnen und Mönche sehen hier ganz anders aus als in Tay Ninh: kahle Köpfe, einheitliches braun. Wir gehen zum Haupttempel, der bereits fertig ist. Kaum haben wir diesen betreten, erleben wir eine völlig absurde Vorstellung.

Ein lächelnder Mönch eilt uns entgegen, winkt uns hinein, nimmt uns die Kamera aus der Hand. Nun folgt ein schweigender, aber resoluter Marathon durch Haupt- und Nebentempel sowie den Hof. Wir werden von dem eifrigen Diener Gottes über 20(!) mal in fast dergleichen Pose vor so ziemlich jedem Buddha, Altar, schließlich sogar der linken und rechten Tee-Ecke (ohne Tee!) etc. aufgebaut und abgelichtet. Hintereinander weg, unterbrochen nur von einer unmissverständlichen Aufforderung zu Spenden an verschiedenen Stellen, bei denen der eifrige Fundraiser einfach in unser Portemonaie greift und sich herausnimmt, was ihm angemessen erscheint. Dann geht es immer weiter mit der absurden Fotosession, die darin gipfelt, dass wir vor einem heiligen Stein einen umgekippten alten Baum, auf dem mit Draht gelbe Plastikblüten befestigt sind, für´s Foto festhalten müssen um ihn verzückt anzuschauen. Nach dem Foto fällt das Ding zurück in den Dreck. Die Krönung: Der Mann ist offensichtlich schwul und fingert ständig an Miki herum, tätschelt seinen Arm und himmelt ihn an. Als wir zehn Minuten später wieder allein vor der Tür stehen, können wir gar nicht glauben, was wir gerade erlebt haben. Wir verbuchen die nicht eben freiwilligen Spenden als Vergnügungssteuer für das schräge Entertainmentprogramm an diesem Ort fernab im Nirgendwo.

Wir kämpfen uns wieder zurück auf die Hauptstraße und fahren weiter Richtung Südküste. Ich bin mittlerweile sicher: Bei unserer Abreise von Whale Island hatten wir das Zertifikat „Open Diver“ in der Tasche. Bei der Abreise hier steht uns nach gut 200 Kilometern Inselpisten auf dem Scooter das Zertifikat „Iron Ass“ zu …

An Thoi heißt das Städtchen am Südzipfel der Insel. Quirlig, staubig, ohne nennenswerte Sehenswürdigkeiten bis auf zwei Häfen: einen für Fischerboote und den für die Fähre auf´s Festland. Wir sind halbverhungert und suchen etwas zu essen, die Auswahl ist mäßig außerhalb der Hauptessenzeit. Ohne ins Detail zu gehen: Selbst der große Hunger bewirkt nicht, dass wir mehr als ein paar Nudeln aus der servierten Suppe fischen, die noch das ungefährlichste Gericht der Karte war. Der Rest in der Brühe besteht aus zerknackten Schweineknochen, harten Fleisch- und Fettstücken samt Schwarte mit Borsten. So nimmt man wenigstens nicht zu.

Doch das wirkliche Highlight des Tages kommt, nachdem wir schon aufgeben wollen. Die Zufahrt zu einem der beiden ausgewiesenen Strände auf dem Rückweg wird uns von einem Kalaschnikoff bewaffneten, freundlich grinsenden Soldaten eindringlich verwehrt – Sperrgebiet. Sag dass doch mal einer den Tourismuswerbern der Insel. Doch mit grimmiger Entschlossenheit versucht es Miki wenig später beim letzten, vor Duong Dong noch verbleibenden Strand wieder, obwohl ich und mein Hintern längst keine Lust mehr auf noch mehr staubige Kilometer zu einer weiteren möglichen Müllkippe haben.

Viktoria! Da ist er, der Traumstrand! Sao Beach ist einer der schönsten Strände, den wir je gesehen haben: Weißer Sand, Palmen, Hügel und ein helltürkises kristallklares Meer, auf dessen Grund sich die Sonnenkringel spiegeln. So schön! Und als Sahnehäubchen dürfen wir hier auch noch mal fliegende Fische bei ihrer silbernen Regenbogendarstellung beobachten. Der Tag ist gerettet. Wir verbringen hier drei entspannte, man möchte fast sagen entrückte Stunden und sind mit der Welt und Phu Quoc wieder im Reinen.

Vorbei am Museum des berüchtigten Coconut Prison der Amerikaner, wo wieder im Stile von Madame Tussaud das Leiden der Inhaftierten dargestellt wird, begeben wir uns auf den Rückweg Richtung Hotel, die Sonne geht bald unter.

Noch eine kleine Abenteuereinlage: Auf den letzten Wegkilometern, von denen wir sicher wissen, dass der Asphalt durchgängig ist, setzt sich Motorbiene persönlich hinter den Lenker und Miki todesmutig aus den Rücksitz. Ziemlich genau 40 Jahre, nachdem ich auf einem niedlichen DDR-Moped meine Fahrprüfung gemacht habe, steure ich hochkonzentriert dieses Teil, das im Vergleich dazu eine schwere Maschine ist, ohne jede Fahrpraxis Richtung Hotel. Ich, der Roller und der Beifahrer haben es überlebt. Ist halt Abenteuerurlaub!

Aber ein Drink am Strand beruhigt die Nerven und das anschließende Barbecue daselbst verleihen uns die nötige Bettschwere.

Eines habe ich übrigens noch nicht erzählt: Angefixt von unserer neuen Passion und dem nagelneuen Zertifikat haben wir bei der örtlichen Rainbow Divers Filiale noch zwei Tauchgänge für morgen gebucht! Aufregend, das erste Mal ganz ohne Tauchmama Vivis schützende Eskorte. Wie war das alles nochmal? Ausrüstung zusammenbauen, Buddycheck, s.o.r.t.e.d … oh Mann! Mal sehen, ob wir die Realität bestehen. Mit einem Kribbeln im Bauch kriechen wir unter unser Moskitonetz.

Der nächste Morgen beginnt früh: Um sieben werden wir von einem Kleinbus eingesammelt, in dem schon andere verschlafene Diver und Divemaster sitzen. Über die hoppeligen Straßen geht es zum Südhafen und von dort per Schiff zum Archipel aus Inseln und Riffen südlich von Phu Quoc.

Yemanja hat für einen strahlenden Tag und ein ruhiges Meer gesorgt. Nur die riesigen Exemplare der blauen Quallen neben unserem Schiff versetzen mich in Panik. Aber die freundlichen Divemaster beruhigen mich: Die sind nur oben … Hoffentlich wissen die Quallen das auch. Trotzdem weicht meine leichte Nervosität fröhlicher Vorfreude, Miki geht es genauso.

Wir werden einem lustigen vietnamesischen Divemaster zugeteilt, der Huang heißt, aber Cooler genannt wird. Er ist ein alter Hase und erklärt uns, dass wir alles ganz easy nehmen sollen, er wäre ein lazy & slow swimmer, wie es sich für coole Taucher gehört. Die anderen Divemaster und Instruktoren sind übrigens ein wild und multinational zusammengewürfeltes Völkchen: USA, Russland, Frankreich, alles vertreten.

45 Minuten später wird es ernst. Nix mit Ausrüstung zusammenbauen – alles vorbereitet, full service, boah! Und nicht mal den Buddy Check müssen wir allein machen, Cooler macht das. Miki ist jetzt echt enttäuscht, er wollte mich damit überraschen, dass er sich inzwischen alles gemerkt hat. Vier Tauchergruppen à zwei bis vier Taucher und zwei „Lehrlinge in Ausbildung“ gehen an den Start. Erster Stopp: „Maritim Protected Area“, hier soll es auf 18 Meter gehen. Die Wassertemperatur beträgt 29 Grad.

Noch ein kurzes Flattermännchen an der Bootskante, Brille, Maske und Gewichtsgürtel festhalten und dann rein ins tiefe Blau. Ja, es funktioniert! Alles ganz locker, auch der Abstieg und alles weitere ist pures Vergnügen. Die Korallen präsentieren sich in voller Pracht, Fischschwärme lassen uns mitschwimmen, andere Flossengenossen starren uns misstrauisch an. Die Quallen halten sich an die Regeln … Wir bewegen uns ganz ohne Anfängerprobleme, keine Zappeleien wegen ungewollten Auf- oder Abstiegs – einfach nur genießen.

Dasselbe gilt auch für unserem zweiten Tauchgang an einem alten Riff, zwei Stunden später, nachdem wir zwischendurch noch eine Runde geschnorchelt haben. Diesmal begegnen wir in 15 Meter Tiefe unter anderem einem dicken Pufferfisch, der uns verdrossen aus seinem Versteck in einer alten Koralle anglotzt. Zum Abschied spielen wir noch mit ein paar lustigen Clownsfischen (Nemo) und verlassen die so lieb gewonnene Unterwasserwelt – bis zum nächsten Mal. Wir nehmen das tolle Gefühl mit, jetzt wirklich Taucher zu sein (bzw. immer mehr zu werden), nicht nur Tauch-Oldies, die irgendwie ihre Prüfung bestanden haben.

Nun gibt es den von der vietnamesischen Männer-Crew liebevoll in stundenlanger Arbeit zubereiteten Lunch. Zuvor haben die Jungs unterwegs bei einem schwimmenden Fischladen eingekauft, sehr kurios. Ihr ganzer Stolz (und Extraverdienst): frische Seeigel. Gekocht mit Erdnüssen und Kräutern oder roh mit Wasabi. Sie haben stundenlang an dem Viehzeug geputzt und wir fühlen uns verpflichtet, nun auch davon zu kosten. Mir graust es – aber es schmeckt gar nicht schlecht. Zumindest mal nicht zäh, wie sonst fast alles Fleisch in Vietnam. Keine Ahnung, warum man das hier nie weichkocht.

Bei Gesprächen mit Cooler über Vietnam und Europa bekommen wir übrigens noch mal ganz klar gesagt, was wir auch so schon begriffen haben: Kein (oder sagen wir: kaum ein) Vietnamese will sein Land verlassen. Und wenn, dann nur, um Geld zu verdienen, was hier nun mal wirklich sehr schwer ist. „Die Menschen da in Europa und Amerika – die verstehen uns sowieso nicht. Sie begreifen nicht, wie wir sind – innendrin.“

Was für ein schöner Abschluss unseres Inselaufenthaltes ist dieser Tag an und unter Bord vor der Küste von Phu Quoc im Golf von Thailand. Nun bleibt noch ein Ausflug zum Nachtmarkt von Duong Dong mit maritimem Nachtmahl, ein letzter Drink am Strand. Dann trennen uns uns nur noch acht Nachtstunden vom Inselabschied. Phu Quoc – die Insel wo der Pfeffer wächst – kein wirkliches Paradies, unberührt schon gar nicht, aber spannend allemal.

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