Nach einer letzten Bicycle-Abschiedsrunde durch die nächtliche Altstadt, einem Abschiedsessen bei den Schwestern und einer sehr kurzen Nacht bringt uns ein Taxi um Viertel vor Sechs nach Da Nang. Irre, so früh am Morgen , aber hier tobt seit Sonnenaufgang offensichtlich der Bär, vorallem in Strandnähe: Die Straßen und der Strand sind bevölkert von Vietnamesen, die alle irgendeiner sportlichen Betätigung nachgehen – von Tai Chi bis Laufen. Alte, Junge – viele sind offenbar schon plaudernd auf dem Heimweg.
Die Vietnamesen sind wie die Lerchen: Wenn die Sonne untergeht, dauert es nicht mehr lange bis sie ganz still werden und sich zur Ruhe begeben (einfache Restaurants außerhalb der Superstädte Saigon und Hanoi schließen oft um Neun, um Zehn sind die Bürgersteige hochgezogen), aber sobald sich die Nacht auch nur in ein lichteres Grau verwandelt, sind sie auf den Beinen.
Am Flughafen geht diesmal alles gut. Da Nang ist eben doch deutlich internationaler und man ist ausländische Pässe gewöhnt. Bei der Ankunft in Saigon, wo wir einen Umsteige-Stopp haben, trifft uns die Hitze wie ein Keulenschlag, und das, obwohl wir aus dem sommerlichen Hoi An kommen – 37°C. Mit etwas Verspätung geht es dann weiter nach Phu Quoc, 365 km südlich: Die Insel, wo der Pfeffer wächst. Von Hanoi trennen uns schon jetzt fast 1900 Kilometer.
Heiß! Staubig! Das sind die ersten Eindrücke. Hier geht gerade die Trockenzeit dem Ende entgegen. Die Insel ist 28 Kilometer breit und 48 Kilometer lang und hat 70.000 Einwohner. Hier wird angeblich die beste Fischsoße Vietnams hergestellt und wie gesagt Pfeffer angebaut. Aber es gab auch ein düsteres Kapitel in der Geschichte der Insel: Phu Quoc war in der Zeit des Vietnamkriegs Gefängnis-Insel, wie auch schon zu Zeiten der französischen Kolonialverwaltung. Jetzt beschreiben sie Reiseführer als paradiesisch, was ich doch für etwas übertrieben halte. Dennoch ist es eine schöne Insel, mit langen Stränden und mäßig hohen, bewaldeten Bergen im Nordosten.
Wir haben nichts vorgebucht. Wie sich herausstellt hatten wir in diesem Falle kein rechtes Vertrauen zu Reiseführer und Internet, die die abgelegenen Strände im Norwesten und Südosten preisen. Irgendwie zu weit weg, um dann auf ein oder zwei Ressorts angewiesen zu sein. Wir haben uns entschieden, doch lieber in der Hauptstadt Duong Dong zu bleiben und uns per Scooter an einsamere Orte zu bewegen. Wir lassen uns am abgelegenen Flughafen auf einen Hotelschlepper ein, der sich später als Besitzer entpuppt. Er bietet uns einen freien Transfer nach Duong Dong an, ohne Verpflichtung bei Nichtgefallen bleiben zu müssen.
Ich will die Sache nicht ausdehnen. Das mit dem kostenlosen Zubringer war ok, die Verhandlungen über einen Aufenthalt letztlich eher ärgerlich. Viele der schöneren am nördlichen Ende der endlosen Long Beach gelegenen Ressorts kommen für unser Budget nicht in Frage. Wir wandern eine Weile am Strand entlang zum volkstümlicheren Ende, dann entschließen wir uns zu einer sehr pragmatischen Lösung: billig und passabel. Wir mieten einen Bungalow in einem einfachen Familien geführten Strandressort für 12 Euro: klein, ein sauberes Bett, Moskitonetz, Tisch, Stuhl, alter kleiner Kühlschrank, Ventilator, Dusch-Klo mit Kaltwasser und sauberem Fliesenboden (Blick an Wände und Decke vermeiden), Miniterrasse. Die Kategorie schön kommt nicht vor, aber zweckmäßig. Es gibt ein eigenes nettes Restaurant am Strand sowie hübsche Bäume, flitzende Geckos, zwitschernde Vögel und nächtliche Fledermäuse zwischen den Bungalows. Hoang, die stattliche Stubenschabe im Bungalow, möchte anonym bleiben.
Die Bungalow-Anlage Lien Hiep Than ist eine von vielen hier am Strand, im „mittleren Westen“ der Insel, aber wir haben uns entschlossen, kein Risiko einzugehen und uns per Taxi an einen der einsameren Strände bringen zu lassen, denn wenn die Anlage da schlecht ist, dann ist man weit weg von allen Alternativen. Und das, was die Internetportale als Beschreibung und Fotos bieten, ist in 80 Prozent der Fälle Phantasie plus viel Photoshop hier in Vietnam.
Drei Kilometer von hier ist das das Zentrum der Inselhauptstadt Duong Dong. Die City sozusagen, auch wenn das stark übertrieben ist. Allerdings ist die kleine Stadt wieder viel geschäftiger und quirliger als manche zehnmal so große deutsche Stadt. Die Attraktionen sind ein großer Cai Dai Tempel, ein paar kleine buddistische Tempel, ein Tagesmarkt und – der Nachtmarkt. Eine in Vietnam sehr beliebte Einrichtung: Shoppen und Essen als Volksvergnügen auf der Straße am Abend (Nacht ist hier ein relativer Begriff, siehe oben).
Am Ankunftsabend sind wir faul nach all dem Stress, lassen uns mit einer Massage zwei Meter neben den Wellen im Sonnenuntergang verwöhnen und nehmen anschließend einen Platz am noch mal fünf Meter entfernten Restauranttisch unsreres Hotels ein. Es gibt hier jeden Abend Barbecue am Strand: ein Fleischmenue oder ein Fischmenue. Wir entscheiden uns für je eins: ein kleiner Schweinefleischspieß mit Zwiebeln und Chilischoten und ein Hühnchenspieß mit Ananas, dazu gegrillte Auberginen, Okra und Kartoffeln plus Knoblauchbrot, das andere Menue unterscheidet sich durch in Folie gegrillten Barracuda. Lecker! Und die ganze Zeit das Meer daneben – das ist Luxus!
Kurz nach Sonnenaufgang nehme ich mein Bad im Meer, allerdings laufe ich dazu ein ganzes Stück den Strand entlang, aus gutem Grund: Ich habe Rohre entdeckt, die hier bei einigen Ressorts ins Meer gehen: Beharrliches Nachfragen ergibt, dass da das vorgereinigte Abwasser ins Meer geht. Uups … remember: You are in Vietnam! Zwar kann es nicht wirklich übel sein, denn dann wären hier alle Touristen krank, aber ich finde es trotzdem eklig und wandere lieber ein bisschen.
Frühstück am Strand und dann auf zur Entdeckertour. Gleich nebenan mieten wir für drei Tage einen Automatik-Motorroller für ingesamt 13 Euro und machen uns auf, den Norden Phu Quocs zu entdecken. Nachdem wir uns erstmal in den Nebenstraßen am nördlichen Stadtrand von Duong Dong verfranst haben und uns ein paar clevere Rotzlöffel für strikt eingefordertes Honorar auf den rechten Weg gebracht haben, passieren wir zunächst eine stadtteilgroße, planierte Baustellen-Mondlandschaft, wo offenbar ein ganzes neues Viertel?/Ressort? entstehen soll. Das prachtvolle Eingangstor steht schon – als Einziges. Danach folgt die vor sich hin qualmende städtische Müllkippe (die 15 Sekunden Fotostopp füllen unsere Lungen mit reichlich Dioxin).
Aber dann kommt immerhin Landschaft. Bald endet die asphaltierte Straße, weiter gehts über rotstaubige Schotterpisten. Links immer wieder das strahlend türkisblaue Meer, sonst staubiger undurchdringlicher Wald, im nächsten Monat beginnt endlich die Regenzeit. Wie bereits erwähnt gibt es in Südvietnam nur zwei Jahreszeiten: die trockene und die nasse.
Die wenigen menschlichen Ansiedlungen sind ziemlich ärmlich. Vorwiegend Blechhütten, manche der Bewohner sitzen vor den Häusern, dösen in Hängematten, spielen Brettspiele. Oft sitzen die Frauen auf der Erde und hacken mit Messern irgendwelche Lebensmittel auf alten Blechen oder Brettern. Gelegentlich habe ich beobachtet, wie sich jemand wäscht, indem er sich samt Kleidung vor eine Wassertonne hockt, sich mit einem Kochtopf Wasser überschüttet, die Bluse oder Hose ein wenig lüpft, mit der Hand darunterfährt und rubbelt – fertig. Ein Bad ist ein ungekannter Luxus.
Man wird angeschaut, aber nie unfreundlich, manchmal winken Frauen und Kinder sogar. So richtig wohl fühle ich mich dabei aber nicht, zumal man meistens in die ärmlichen Behausungen direkt hineinschaut. Und immer wieder überall diese Unmengen von Müll.
Dann ein paar versprengte Ressorts, allerdings ziemlich gammelig, ebenso wie der zwar schöne , aber ungesäuberte Strand. Uns ist rätselhaft, wie Reiseführer das alles loben können. Gut, das wir hier keine Unterkunft gebucht haben. Wir treffen ein paar Schweizer, die ähnlich reisen wie wir. Sie kennen noch mehr von Asien und Vietnam. Angenehm sauber und müllfrei hätten sie es nur in den Bergen abseits der Touristenrouten erlebt, erzählen sie. Schade, die Bergregionen haben wir dieses Mal nicht geschafft, wir mussten uns entscheiden, wie haben so schon über 4000 km zurückgelegt.
Ganz im fast unbewohnten Norden der Insel passieren wir eine gigantische Baustelle, hier entsteht ein Las Vegas ebenbürtiges Riesenressort. Gerade ist Schichtwechsel und es marschieren ganze Heerscharen junger Menschen zur Arbeit: Wir tippen auf staatlich verordneten Arbeitseinsatz der Studenten. Wie sie untergabracht sind, sehen wir wenig später: Offene Holzhütten mit Hängematten und einem abgehangenen Kabuff – vermutlich zum Umziehen. Erinnert irgendwie an China.
Das Rollerfahren wird langsam zur Super-BMX-Rallye, nur Sand, Kies und Schotter. Dann kommen noch ein paar schöne Blicke aufs Meer, aber die Strände sind ziemlich gammelig und weitgehend verlassen. Schließlich fahren wir noch zu einem Nobelressort, Peppercorn Beach. So nobel, dass wir nicht in Sicht der zahlenden Gäste baden dürfen! Aber das Wasser ist toll hier, eigentlich schon zu warm und ganz klar! Und man kann Kambodscha sehen! Übrigens, nobel heißt hier: Am Strand vor den Bungalows und dem Restaurant tritt man auch schon mal in Hundescheisse oder Glas – und das für deutlich mehr als hundert Dollar …
Unser weiteter Weg führt uns noch zu einem etwas langweiligen Urwaldtrail und irrtümlich in das elendste Dorf, was wir überhaupt gesehen haben. Man kann gar nicht glauben, unter welchen Umständen Menschen leben können. Und dazu der ganze Abfall, sie leben darin, ohne sich daran zu stören. Es ist wirklich erschreckend, wie wenig Sinn für Schönes und Kultur dem Menschen wirklich eigen ist, wenn er nicht so sozialisiert wird. Es ist einfach kein Bedürfnis nach einer anderen Umgebung da, wenn man immer so gelebt hat. Denn sicher, diese Menschen sind superarm, aber so müssten sie nicht leben. Sie tun nichts dagagen. Sie spannen ihre Hängematte über dem Müll, die Babys spielen daneben und das war´s. Ich urteile hier nicht darüber, ich konstatiere nur die totale Agonie und Abwesenheit jeglichen Bedürfnisses nach Veränderung. Es ist schrecklich anzusehen.
Nach gefühlten 500 Kilometern über Schotterpisten (tatsächlich vielleicht 50) erreichen wir dann wieder die „Zivilisation“ der Insel in Form einer leeren, völlig überdimensionalen vierspurigen Autobahn. Es gibt drei Nutzergruppen: ein paar Zweiräder, ein paar weniger LKW und Taxis und – Kühe, die hier allein herumspazieren.
Wir fahren jetzt vorallem an Pefferfarmen vorbei, denn schließlich ist Phu Quoc die vielzitierte Insel, wo der Pfeffer wächst. Er wächst auf großen Rankenpflanzen. Die Bauern trocknen ihn meist auf Folien auf der ebenfalls überdimensionierten Kriechspur der Autobahn – die braucht hier sowieso keiner. Es sieht sehr lustig aus.
Schließlich erreichen wir wieder Duong Dong und der Kreis schließt sich nach einer aberwitzigen Kamikaze-Fahrt durch die Straßengroßbaustelle ín der Stadtmitte, durch die sich Motorräder, Fußgänger mehr oder weniger mittendurch oder an den Bauzäunen entlangdrängeln – alle gleichzeitig.
Eine Massage am Strand und ein Bad belohnen unsere Hoppelpisten gestressten Wirbelsäulen und Weichteile. Es war eine spannende Entdeckungsfahrt, aber keine, die nur Schönes und Erbauliches gezeigt hat. Keine Ahnung, welcher Marketing-Selbstläufer alle Reiseführer zu der Behauptung verleitet, Phu Quoc sei ein fast noch unberührtes Paradies. Ein paar sehr schöne Strände allein reichen dafür doch nicht so ganz.