Weiße Gischt vor Dunkelgrün

Der Wetterbericht hat Übles angekündigt….umso größer die Freude beim Öffnen unseres Metallfensters (!!) als nur leichter Morgennebel wabert und dahinter blauer Himmel lauert. Wir haben einen Guide für heute engagiert ( wie ist eigentlich die weibliche Form? GuidIN?) . Das Programm ist offengelassen, wegen des Wetters entscheiden wir uns für die Wasserfalltour und verschieben die Höhlen auf morgen. Frühstück gibt’s ab sieben (theoretisch), wir wollen allerspätesstens halb acht los (theoretisch). Aideé, unser Guide wollte vorher anrufen, für welches Ziel wir uns entschieden haben (theoretisch). Halb acht im Frühstücksraum schaut mich die nette Köchin erschrocken an – sie ist gerade mit den Einkäufen eingetroffen…ok, tudo bom – alles gut, ich warte halt draußen auf den Anruf, der nicht kommt, trage Sonnencreme und Mückenprotektion auf (ätsch, Zika) und warte weiter. Schließlich gibt’s Frühstück, die Köchin ruft derweil um acht endlich die Guide an, die plötzlich feststellt, dass sie ja noch bei der Nationalparksverwaltung unsere Voucher kaufen muss. Pässe holen, Daten schicken, warten. Ein Stündchen. Hallo Brasil! Ich bin viertel nach sechs aufgestanden, damit um neun endlich was passiert. Immer noch zu deutsch. Aber immerhin – es regt mich in keiner Weise mehr auf und wundert mich auch nicht wirklich. Verabredungen sind lose Vorplanungen…

Aidée ist eine ziemlich schräge, drahtige 61jährige mit Panamahut und einem dreifachen Chaos- Gen, aber nett. Mit einem brasilianischen Paar brechen wir schließlich zu unserem Wasserfall-Abenteuer auf.

Im wieder geöffneten Nationalpark erfahren wir nun auch, warum gestern geschlossen war: die brasilianische Regierung kann die Angestellten nicht mehr bezahlen und wollte den Park schließen. 33.000 Hektar – einfach sperren. Doch die Guides der Gegend sind Amok gelaufen und dürfen sich nun um alles kümmern – ohne Geld, aber immerhin verlieren sie nicht ihre Touren und damit ihre Existenz. Hallo Angie – das sind doch mal Ideen, oder? Einfach keine Gehälter mehr zahlen, dann wird sich schon wer finden, der´s umsonst macht…!

Gleich als erstes bewundern wir von oben den berühmtesten Wasserfall der Chapada, Veu de Noiva, das circa 90 Meter hohe Postkartenmotiv, das schon fast ein Synonym für den Nationalpark geworden ist. Er krönt das Ende eine gigantischen Tals, das sich 35 Kilometer nach Westen erstreckt, fast bis Cuiabá. Seinetwegen muss man 70 km fahren, weil dieser tiefgrüne Super-Canyon unüberwindlich ist. Was für Dimensionen! Man fühlt sich ziemlich winzig dagegen. Verrückte Vorstellung, dass Tal und 100 Meter hohe Felsen mal der Meeresboden gewesen sein sollen.

Danach geht’s auf schmalen Pfaden weiter durch die Serra, die Wildnis hier oben auf dem Dach der Chapada (Hochebene). Für diese Art von Vegetation gibt es im Deutschen keine Bezeichnung, weil es diese Form so nicht gibt. Kein Wald, keine Heide, kein Urwald… eben Serra.

Eine offene Wildnis mit viel Grün, aber nur relativ wenigen Laubbäumen. Dichtes Gestrüpp, unendlich viele Pflanzen, deren Namen ich nicht mal ahne, Orchideen, Obstbäume, wilde Ananas, der komplette Heilpflanzengarten der Schamanen der Indios. Steiniger Boden, aber trotzdem fruchtbar. Hier sollen unglaublich viele Tierarten leben, von Schlangen bis zu Affen und sogar Jaguaren. Außer den Papageien und den Eidechsen halten die sich aber während der sieben Stunden Öffnungszeit des Parks von den trails fern. Und überhaupt gibt’s hier nur Ökotourismus, nur auf wenigen Wegen, nur in kleinen Gruppen, nur mit Guide. Das ist auch gut so, sonst wäre das bald ein Riesenmüllkippe.

Begeistert essen wir von den wilden Früchten, die uns Aideé offeriert: Mangaba und große, klebrige, aber extrem leckere Fruta do Conde. Die beiden jungen Brasilianer rühren nichts an – kommt ja nicht aus dem Supermarkt. Wie drei Altsemester stapfen munter durch Hitze und Geröll bergauf und -ab, das junge Paar jammert: heiß, weit, wann sind wir denn da….

Aber es lohnt die Mühen: Auf den sechs Kilometern gibt es insgesamt sechs Wasserfälle. Ganz kleine, ein paar mittlere, und einen großen – aber jeder auf seine Weise schön. Genüsslich baden wir in vier dieser paradiesischen kleinen Seen unter dem rauschenden Wasser. Einer der Wasserfälle hat sogar einen natürlichen kleinen Whirlpool. Verrückt. Alles inmitten von überhängenden Bäumen, Blumen und Felsen.

Wir haben Glück mit unserer Tour, wir erwischen fast alle Wasserfälle ganz allein und verschwinden, wenn andere, meist auch etwas größere und lautere Gruppen auftauchen. Am schönsten ist der letzte Wasserfall, Andorinha. Fünfzig Meter hoch. Man muss einen beschwerlichen Abstieg auf sich nehmen (mittlerweile ist es Mittag und die Hitze fühlt sich nach Backofen an), mit Aussicht, danach alles wieder hoch auf´s Plateau klettern zu müssen. Aber wir bedauern es keinen Moment: es ist einfach wunderschön. Wir toben ein bisschen im Wasserbecken unter der Wasserfall herum, faulenzen auf Steinen und Sandbänken und genießen den schönen Tag. Einfach ein MUSS für jeden, der in die Chapada de Guimarães kommt.

Hungrig, müde und medium gegrillt beschließen wir die Tour. Aidée lotst uns ein paar Kilometer weiter in ein Fischrestaurant mit See, das nur am Sonnabend geöffnet hat, das „Pesque&Pague“. Wir teilen uns ein Gericht – zum Glück, wie schaffen nicht mal zu zweit alles. Ein berühmter Fischteller der Region „Peixada cuiabana“. Zwei Sorten Fisch, gegrillt und gekocht mit Yucca, Reis, Tomaten-Vinagrete (Salat), eine Art Fisch-Soßen-Puree (Pirao) und Farofa com Banana – das ist gebratenes Maniokmehl mit Bacon und Kochbananenstückchen – eine Delikatesse! Puh – und das alles nach der anstrengenden Wanderung. Ich hätte mich am liebsten gleich unter dem Tisch schlafen gelegt! Aber: einfach großartig.

Als Zugabe bringt uns Aideé noch gratis zu einem berühmten Aussichtspunkt, der auf Privatgelände liegt, Morro dos Ventos. Noch einmal ein beeindruckender Ausblick über das grüne Tiefland und die Bergrücken auf dem Weg dorthin. An unserer Felswand stürzt ein Wasserfall bestimmt hundert Meter in die Tiefe. Durch das Fernglas kann man am Horizont sogar die Skyline von Cuiabá erkennen.

Nun reicht´s aber mit Eindrücken für heute – Speicher voll. Ich will nur noch Kaffee an der Praca von Chapada, statt Abendessen später eine Portion Acai und mit einem Bier ins Bett.

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