Ein mit fünfzehn Personen recht voll besetzter Van der Gesellschaft Vanzella bringt uns die 300 Kilometer nach Bonito. Nach brasilianischen Maßstäben also fast um die Ecke. Etwas teurer als der selten verkehrende öffentliche Bus, aber immerhin mit Klimaanlage und in vier statt sechs Stunden.
Endlose Weite, kaum Orte. Nur einmal auf einigen Kilometern, direkt zwischen Fahrbahn und Viehweide, die winzigen, windschiefen Hütten der Landlosen, noch schlimmer als die armseligen Häuser in den Favelas. Diese Menschen lebe auf ungenutztem Land in Verschlägen aus Pappe, Brettern und Plastikfolien, denn ihr Bleiben ist illegal und meistens werden sie irgendwann wieder vertrieben. Oft sind sie Wanderarbeiter, weil sie nirgends eine feste Bleibe haben. Das Problem ist so groß, dass daraus eine ganze politische Bewegung entstanden ist.
Allerdings beginnt nach einer halben Stunde ein Warnsignal bösartig zu piepen. Wir sitzen direkt neben dem Fahrer, der genervt versucht, die Sache in den Griff zu bekommen. Klappt nicht. Aber was soll´s: steifes Bein, nicht zu den Fahrgästen schauen und drei Stunden durchheizen bis zum Zwischenstopp in Maracajú. Viele andere Möglichkeiten gibt es auch nicht, die Alternative wäre auf der einspurigen Straße ein Notstopp. Aber was dann? Das Piepen ist extrem durchdringend, bald gesellt sich ein zweiter Warnton dazu. Ohren zuhalten und hoffen, dass der Alarm sich nicht auf den Kühler bezieht und die Kiste durchhält…. Tut sie.
Während unseres Stopps für den Lunch arbeiten der Fahrer und ein Kollege an der Sache: Mit einem Besenstiel fuhrwerken sie unter Einsatz aller Körperkräfte brachial im Motor herum – ein etwas beunruhigender Anblick. Aber der Erfolg entscheidet – wir setzten die Reise ohne Piepton oder Zwischenfälle fort.
In Bonito landen wir schließlich halb unfreiwillig am Busstopp in der Reise-Agentur Bonito Way, weil der Busfahrer nicht weiß, wo er uns absetzen soll, haben wir doch keine Adresse, wo er uns hinbringen kann. Eigentlich wollten wir uns zu Fuß umsehen und persönlich eine Unterkunft aussuchen, nach einer groben Vorauswahl im Internet. Schließlich aber scheint es doch eine bessere Lösung zu sein, mit dem freundlichen Burschen von der Agentur zu reden. Denn der weiß auf Anhieb, dass einige der auf den Fotos so nett aussehenden Pousadas und Hotels in der Realität keine sehr schönen Orte auf dieser Welt sind… Diese Erfahrung haben wir übrigens in Brasilien öfter als anderswo gemacht, dass Offerte und Realität weit auseinanderliegen.
In der kommenden halben Stunde wandelt sich unser Verhältnis von dem zwischen anstrengenden Kunden (da wählerisch in Preis und Leistung) und leicht gestresstem Angestellten in ein fast freundschaftliches. Außer einem gewissen gegenseitigen Symphatiefaktor liegt das aber an einer speziellen Gepflogenheit des Landes. Die Brasilianer lieben keine schnellen direkten Gespräche, auch nicht in geschäftlichen Angelegenheiten. Erst ein bisschen höfliches Geplauder, möglichst zwischendurch auch – und schon geht alles viel netter. Kurz und sachlich ist eher unhöflich und ….deutsch. So erfahren wir schnell die Familiengeschichten von unserem Berater.
Matias ist in Argentinien geboren , er hat einen deutschen Vater und eine kroatische Mutter. Er möchte gern mal nach Deutschland kommen und die Sprache lernen. Ein paar nützliche Tipps dazu und die Information, dass ich Deutsch unterrichte, sind der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Und schon hat er auch nebenbei ein Hotel herausgesucht, dass wirklich schön sein soll und einen ordentlichen Discount ausgehandelt. Dann erzählt er uns gleich noch, welche Touren wir hier unbedingt machen sollten und welche eher nicht. Zu guter Letzt bekommen wir noch eine kleine handgeschriebene Liste seiner persönlichen Lieblingsrestaurants. Der Mann wäre eine prima Quelle für die Lonely Planet Autoren!
Das Hotel Tapera liegt supernett auf einer Anhöhe mit Ausblick, Garten und Pool, selbstverständlich werden wir gratis hergefahren. Service ist in Bonito oberstes Gesetz. Und , genau wie der Lonely Planet verspricht, dies ist ein perfekter Ausgangsort für die verschiedenen Touren, wo es Besuchern leicht gemacht wird, alles Gewünschte zu organisieren.
In den folgenden Tagen verfestigt sich unser Eindruck, dass das hier eher der Großraum Wilder Westen/Texas/USA ist. Alles amerikanisch perfekt organisiert, zuverlässig, professionell und effektiv. Gelegentlich sieht man auch Cowboyhüte im Straßenbild.
Aus Gesprächen erfahre ich, dass unser Eindruck tatsächlich in mehr als äußerlicher Hinsicht stimmt: auch die Mentalität der Menschen hier entspricht eher der Cowboys, Pioniere und Goldsucher aus dem Wilden Westen: Die riesigen Fanzendas hat niemand erworben, hier wurden einfach die gewünschten Gebiete abgesteckt, zum Eigentum erklärt und mit Waffengewalt verteidigt. Und bis heute gibt es hier große Probleme mitKriminaltität besonderer Art. Dabei sind hier Touristen wesentlich sicherer als in anderen Bundestaaten. Gemeint sind Morde, Auftragsmorde, Famlienfehden, die tödlich enden. Eneso, wie man das aus den guten alten Western kennt.
Wie schon in Campo Grande ist darüber hinaus auch hier der unverkennbare Fingerabdruck einer florierenden Wirtschaft zu erkennen. Die Straßen sind überwiegend asphaltiert, schlaglochfrei, die Orte sind in ausgesprochen gutem Zustand. Sogar die übliche Favela fehlt.. Ein deutlicher Unterschied zu Mato Grosso, wo es deutlich ärmer aussieht und auch asphaltierte, schlaglochfreie Straßen kaum zu finden waren.
Überraschenderweise gibt es in diesem Bundesstaat, der sich 1962 von Mato Grosso abgespalten hat, und dessen Hauptwirtschaftszweig die Landwirtschaft, sogar genug Geld für kostenlose staatliche Bildungsangebote in ausreichender Menge: Berufsausbildung, Sprachschulen, Musikschulen und anderes. Obwohl hier angeblich das absurde Problem besteht, dass nur zu wenige Menschen diese Angebote nutzen. Lernen ist anstrengend. Verrückte Welt!
Am ersten Abend essen wir in einem Restaurant, dass für seine Fischgerichte bekannt ist. Groß, chick mit integriertem historischen Holzhaus und Souvenirshop. Die Kellner flitzen mit Headsets durch die Gegend, alles läuft wie am Schnürchen. Schon wieder ein Deja-Vu … Florida, Californien, Texas….Ist ja ganz nett – aber irgendwie so, als wachte man im falschen Traum auf. Es verwirrt mich in meinem Brasilienbild.
Noch am selben Abend buchen wir einige Touren, denn auch hier, wie schon in Mato Grosso, heißt die Überschrift Ökotourismus und das bedeutet fast immer: nichts geht ohne Guide, auf dass nur wenige kontrollierte Teile der Schutzgebiete von Besuchern heimgesucht und auf keinen Fall vermüllt werden. Die Besucherzahlen und -zeiten an den interessanten Naturattraktionen werden streng begrenzt. Ich bin beeindruckt, dass diese beiden Bundesstaaten die Idee des Ökotourismus so konsequent durchsetzen, in einem Land, dass sonst so chaotisch und anarchistisch ist.
Verhindern ließe sich Tourismus mit dieser hochspannenden Natur hier ohnehin nicht und es wäre auch sehr traurig. Aber auf diese Weise werden die Auswirkungen in Grenzen gehalten. Und es werden jede Menge Arbeitsplätze geschaffen, die sich durch die Eintrittsgelder und Umsätze selbst tragen.
Tag eins ist ganz entspannt. Wir besuchen die Grotte Gruta Lagoa Azul, die circa 40 Autominuten entfernt liegt. Wir werden zu unserem Erstaunen nicht nur im Hotel abgeholt, sondern das auch noch mit einem PKW, nicht etwa einem Bus. Es ist keine Hochsaison, da werden kaum Busse oder Vans gebraucht. Der Fahrer steht uns allein zur Verfügung. Nobel, nobel. Eben Bonito.
Die Landschaft erscheint so endlos, dass sie einen fast verschluckt, überwiegend flaches Land, die Wolken sind hier und da an den blauen Himmel getackert. Viele Wiesen, ein paar Bäume und kleinere Wälder, ansonsten Äcker und Weiden für Kühe und Pferdekoppeln. Aber auch hier wieder: Soja und Monokultur. Und natürlich viele Flüsse, denn dies ist schließlich das Vorland zum Patanal, dem größten Feuchtgebiet Brasiliens.
Ein paar lustige große Laufvögel mit auffallendem Irokesenhaarschnitt, die aussehen wie der Roadrunner, stehen immer wieder im Weg herum oder flitzen aufgeregt vor dem Auto her. Auch Rehe und Hirsche sind öfter zu sehen. Und natürlich Schwärme von kreischenden kleinen Papageien. Bremsen müssen wir aber auch für Kühe und Schafe, die sich nur zögerlich genötigt fühlen, beiseite zu gehen.
Die Grotte liegt auf einer privaten Fazenda. Hier haben wir allerdings nicht mehr den Luxus einer Privatführung, denn in Bonito gibt es viel mehr Tourismus als in den Orten zuvor. Und auch wenn gerade keine Saison ist, sind vergleichsweise viele Touristen hier, allerdings fast alle aus Brasilien. Die Führungen finden ausschließlich in Portugiesisch statt.
Wir gehören zu einer Gruppe mit fünfzehn weiteren Menschen. Mit den vorgeschriebenen Hygienehaarnetzen und Bauarbeiterhelmen sehen wir alle etwas dämlich aus. Aber Sicherheit wird hier überall groß geschrieben, schlechte Presse über verletzte Touristen will hier keiner. Irgendwie kommen wir uns heute aber ein bisschen vor wie in einer Rehagruppe, denn nicht nur die beleibten Rentner sind in mieser körperlicher Verfassung, auch jüngere Exemplare sind schwer gefordert von den 500 Metern Waldpfad und dem anschließenden Absteig. Nur klagend und stöhnend ertragen sie die körperliche Herausforderung und klettern dierund 280 Stufen 150 Meter in die Tiefe. Und Angst haben auch noch einige. Wovor eigentlich? Ich bewundere die stoische Freundlichkeit des Führers angesichts des Gejammers.
Am Ende des Abstiegs tut sich eine schöne, mit Stalaktiten und Stalakniten verzierte Grotte mit einem leuchtenden blauen See auf. Sie führt noch 150 Meter tief in den Berg, aber man kann sie leider nur von draußen bewundern, denn sie steht zu tief unter Wasser.
Den Rest des Nachmittags vertrödeln wir am Pool und mit einem Bummel durch den beschaulichen Ort Bonito auf der Suche nach einer Portion Acai, diesem unwiderstehlichen Palmfrucht-Pürees, und einem netten Lokal für den Tagesabschluss. Eins von den Tipps auf der Liste. Diesmal japanisch. Sushi und Miso-Suop – mal eine kleine Abwechslung nach der leckeren, aber immer sehr gehaltvollen regionalen Pantaneiro-Küche, die sich langsam aber sicher um meine Hüften schmiegt.