8. Hoch in den Wolken

Wunderbar ausgeruht in absoluter Stille wollen wir noch frühstücken bevor es losgeht. Nur leider verschätzt man sich immer wieder mit afrikanischer Langsamkeit. Obwohl wir fast die einzigen Gäste im Restaurant sind und ansagen, dass wir es eilig haben, dauert es ewig. Unser Guide und zwei weitere Deutsche, die mitfahren, müssen fast eine halbe Stunde warten, bis wir mit dem Toast im Mund ins Auto hetzen. Es ist wirklich schwer nachzuvollziehen für Europäer, wie lange man allein auf einen Kaffee warten muss.

Egal, alle sehen es gelassen – this is Africa – und los geht es. Zweiter Anlauf zum Sani Pass. Der Regen hat aufgehört, es sind kühle 16 Grad. Die Straße ist nicht ganz so übel wie am Tag zuvor, aber immer noch eine echte Herausforderung, selbst für diesen starken Jeep und seinen erfahrenen Fahrer. Übrigens der einzige Führer der Gegend, der aus Lesotho kommt. Es ist der Traum aller Leute dort, einen Job in Südafrika zu bekommen, denn Lesotho ist noch viel ärmer.

Wir werden trotz gehobenen Schritttempos von einer Seite auf die andere geschüttelt, aber der Ausblick links und rechts ist einfach großartig. Die Straße zum Pass führt, wie schon erwähnt, in einem endlos ansteigenden Tal hoch, in dem sich ein Fluss tief in die Bergzüge beiderseits eingeschnitten hat. Es ist Sommer und somit Regenzeit. Alles ist grün und die Wiesen sind voller Blumen, von allen Seiten stürzen kleine Wasserfälle ins Tal. Im Winter bleibt davon nur einer übrig, die Landschaft ist braun und sieht aus wie aus wie tot und verbrannt. Wir haben die beste Zeit erwischt, auch wenn es ziemlich feucht ist und die Wolken sehr tief hängen, so dass wir weiter oben, in diese eingehüllt, leider nicht die weite Sicht ins Tal haben.

Jenseits der 2000er Grenze sind nur noch wenige Bäume zu sehen, dafür aber sehr schöne: Der Sugar Bush, ein relativ kleiner Baum mit ledrigen grünen Blättern und herrlichen roten oder orangen Blüten, die an fleischfressende Pflanzen erinnern. Der ist heute mein absoluter Favorit! Toll! Und Bergantilopen dürfen wir aus der Ferne bewundern. Paviane gibt es auch, aber anders als am Capepoint bei Kapstadt, flitzen die schnell in die Botanik, wenn sie Menschen sehen.

Schließlich wird die Landschaft noch karger, überall Gesteinsbrocken, die Serpentinen werden eng und sehr steil. Der Jeep kämpft und rutscht. Noch zwölf Kurven trennen uns vom Gipfel in 2885 Metern Höhe. Mitten in dieser einsamen Wildniss kommt uns plötzlich ein Mann entgegen, dessen Alter unschätzbar ist, er sieht so verwittert aus wie die Landschaft. Er schleppt dicke Holzäste auf dem Rücken nach oben. Sicher gute Handelsware, denn oben in den Dörfern gibt es kein Holz. Unser Führer erzählt, dass der Mann das seit Jahren jeden Tag macht.

Und dann sind wir auch schon oben. Eingehüllt in Wolken und kühle Feuchtigkeit stehen wir an der Grenze zum Königreich Lesotho. Schon zehn Kilometer zuvor haben wir die südafrikanische Grenzkontrolle am Eingang zum Niemandsland passiert. Ordentlich Stempel im Pass, am Ende werden es vier für zwei Stunden Lesotho sein. Auf der Ebene direkt hinter der Grenze sieht man im unwirklichen Nebel nur ein paar dunkle, runde Hütten und einen Blechkiosk im Nebel. Außerdem ein paar Kinder mit dicken Mützen, die in eine Art Decken gehüllt herumlaufen, genau wie die wenigen Erwachsenen. Ein Mann sitzt, total eingemummelt, im Nebel neben einer seltsam kleinen gemauerten Hütte. (Dass hier die Gemeinschaftsklos so aussehen, begreife ich erst etwas später.) Ich frage ihn, ob ich ein Foto machen darf. Er will es sehen und sagt: “OK, ich sehe gut aus.“

Unsere Pässe sind gecheckt, es geht weiter in das Dorf hinter der Grenze. Vorher fahren wir durch weite grüngraue Steppe auf dem Hochplateau, plötzlich bricht die Sonne durch. Strahlend blauer Himmel über einem XXL-Panorama. Ein wunderschöner Anblick. Die Drachenberge am Horizont, davor die Weite mit ein paar hundert Kühen und Ziegen, die so viel Platz haben, wie in Europa eine ganze Stadt. Ein paar Hirten galoppieren auf ihren Pferden dazwischen und erinnern mich ein bisschen an Dshingis Khan.

Das Dorf besteht aus einigen Rundhäusern. 42 Menschen leben hier. Wir halten an einem etwas abseits gelegenen Haus, das auf fremden Besuch vorbereitet ist, obwohl es das ganz normale Zuhause einer siebenköpfigen Familie ist. Die Kinder sind nicht da, es ist Sonntag, sie sind in der Kirche. Neben dem Haus dient ein altes PickUp-Führerhaus als Küken-Aufzuchtstation, es weht schließlich ein kräftiger Wind und nachts ist es empfindlich kalt.

Die Hausherrin Alina begrüßt uns, ihr Mann und der älteste Sohn sitzen draußen und flechten hübsche und stabile Körbe aus Gras zum Verkaufen. Wir werden ins Haus gebeten. Es ist kreisrund, schlicht, sauber, einziges Möbel außer den Bänken an der Wand ist eine Art Mini-Küchenschrank. Sofort steigt uns ein seltsamer, ziemlich stechender Geruch in die Nase. Wir vermuten, dass das von der offenen Feuerstelle kommt.

Unser Führer erzählt ein bisschen über das Land und das Leben, so lernen wir, dass das Land Lesotho, die Sprache Isutu und die Menschen Basotho heißen. Das Leben ist sehr traditionell und einfach, um etwas zu kaufen, muss man 50 km ins Tal fahren. Gegessen wird ein Brot aus Weizenmehl, das wir kosten dürfen. Es wird in einem eisernen Topf im Feuer in der Mitte des Hauses gebacken. Außerdem isst man viel Fleisch, manchmal ein bisschen Reis und wilden Spinat, den mir unser Führer schon auf dem Weg gezeigt hat.

Und nun erfahren wir auch, was es mit dem Geruch auf sich hat. Ein solches Rundhaus zu bauen, dauert zwischen drei Monaten und einem Jahr, je nachdem, wie lange man braucht, um das Baumaterial zusammenzutragen. Die Holzbalken in der Wand sind das Einzige, was gekauft werden muss, denn das gibt es hier oben nicht. Das Dach besteht aus dem Steppengras und die Wände aus einem Gemisch aus Lehm und Kuhdung….Und mit Kuhdung wird auch Feuer gemacht. Alles klar. Den Geruch haben wir bis zum Schlafengehen in der Nase.

Zum Abschluss gibt es einen Lunch in der höchsten Kneipe Afrikas. Außen sehr schlicht, innen sieht sie aus wie eine Mischung aus England und Schwarzwald, mit ansehnlichem Weinsortiment. Die südafrikanischen Weine sind übrigens wirklich sehr gut! Das Essen ist erstaunlich billig und lecker, wir haben uns Lamm-Stew ausgesucht.

Danach schuckeln wir wieder über die Straße ins Tal, die es erst seit einigen Jahrzehnten ermöglicht, in zweieinhalb Stunden zum Pass zu fahren. Vorher waren es 14 Stunden. Die Sonne beglückt uns zum Abschied mit einer herrlich beleuchteten Ebene und leuchtenden Bergkämmen, die mit ihren kahlen und schroffen Basalt- und Sandsteinschichten ohnehin beeindruckend aussehen. Es war ein unvergessliches Erlebnis, dass jedem, der in die Nähe der Drakensberge kommt, dringend zu empfehlen ist. Mit Vierradantrieb…!

Den Rest des Nachmittags verbringen wir im Auto auf der Fahrt nach Norden, Richtung Kamberg. Es gibt so viel zu sehen in den Drakensbergen, dass man ohnehin vieles auslassen muss und so wollen wir ein ordentliches Stück bis zum Champagne-Valley schaffen. Allerdings wussten wir nicht, dass fast der ganze Weg aus unbefestigten Straßen besteht. So hat die Fahrt dann doch einiges länger gedauert als geplant. Aber die großartigen Panoramen der Drakensberge haben uns die Zeit nicht lang werden lassen, man kommt aus dem Staunen nicht heraus.

Allerdings hatten wir nicht damit gerechnet, in eine relativ einsame Gegend zu kommen. Hier gibt’s ein paar Naturparks, aber die schließen abends. Und so fahren wir bei Sonnenuntergang durch die Stadt Kamberg, die sich als langgzogenes einfaches Dorf ohne alles entpuppt, und können nirgends ein Hotel oder eine andere Bleibe entdecken. Auch unsere schlauen Smartphones finden in der Nähe nichts. Also fahren wir noch einmal Parade durch den Ort, beäugt von immer denselben, die an der Straße stehen oder hocken und uns anstarren. Autos kommen nur gelegentlich hier vorbei und fallen auf. Am Dorfende steigt gerade ein Mann aus einem Auto.

„Können Sie uns vielleicht helfen, einen Platz zum Schlafen zu finden?“ „Ja, kein Problem, ich bringe sie hin, wenn sie keine Probleme mit meinem Gewehr haben. Nur ein Schreckschuss-Gewehr.“ Aha. Was für ein Glück, abends auf der Landstraße. Er steigt ein und lotst uns, während er mit seiner Schwester telefoniert, um etwas zu organisieren, wie er sagt. Anschließend redet er noch wortreich noch mit dem Hotelmanager und sonst wem. Ein umtriebiger Typ offensichtlich. Er heißt Richard und soll heute Abend unser Retter werden.

Bei vielen Unterkünften hier in im Schutzgebiet muss man vorher reservieren, und nach sieben Uhr abends ist hier auf dem Land sowieso alles zu Ende. Er lotst uns aus dem Ort heraus – hier hätten wir nie gesucht. Die Lodge sieht gut, aber teuer aus, die Rezeption ist geschlossen. Eine nette Lady, die Richard aus einem Häuschen holt,  zeigt uns ein edles Bungalow für zwei Leute. Ein bisschen teurer als bisher, dafür haben wir vorher in den Backpackerzimmern gespart. Alles in Ordnung also, zumal wir sie überreden können, noch eine zusätzliche Matraze auf den Boden legen zu dürfen.

Das nächste Problem ist Essen. Hier ist Selbstversorger, das nächste Restaurant und der nächste Supermarkt sind 50 km entfernt. Aber unser neuer Freund klärt auch das mit ein paar Anrufen und der geschlossene Souvenir-Shop mit ein paar Lebensmitteln öffnet sich uns. Wir ergattern die letzte Packung Pasta, Corned Beef, Tomatensoße und Schokoriegel. Wieder gut hingekriegt!

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