Nach einem kleinen Schläfchen in unserem wunderbar stillen Hinterhof-Zimmer bei den ECO-Suites Spaccanapoli sind wir wieder einigermaßen aufnahmefähig und lassen uns durch die sonntäglich überfüllten Gassen der Altstadt treiben. Obwohl die Saison eigentlich vorüber ist, ist normal schnelle Fortbewegung kaum möglich. Am entspanntesten ist es, sich einfach dem Rhythmus anzupassen und sich treiben zu lassen, kleine Löcher zum Überholen zu nutzen und dabei einfach mit großen Augen alles aufzunehmen. Lichterketten, wohin man auch sieht, die normale Straßenbeleuchtung, die bunten Schaufenster – es hat ein bisschen was von Weihnachten oder Rummel. Aber schön.
Es erstaunt mich, dass es hier nirgendwo hässliche Neu-oder Lückenbau gibt. Dafür sorgt wohl der strenge Denkmalschutz. Allerdings sind auch einige der ehrwürdigen alten Gebäude deutlich mitgenommen oder – wie in unserem Haus, zumindest im Innenhof eindeutig sanierungsbedürftig. Und das kann dauern, zu teuer…. Aber das Gute ist: Immobilienhaie und profitsüchtige Bauunternehmer haben hier kaum eine Chance – oder haben es zumindest schwer mit leichtem, fetten Profit. Wohl auch deshalb leben hier tatsächlich noch normale Napolitaner und nicht nur Neureiche.
Einen ersten Stopp legen wir schon nach 20 Minuten auf der Piazza Gerolomini, einem Platz an der Chiesa dei Girolamini ein. Hier locken viele nette Terrassen kleiner Restaurants mit Angeboten für einen leckeren Aperitif a la Apèrol, Campari oder einfach einem Wein. Um die Konkurrenz zu übertrumpfen, gibt es dazu noch eine reiche Gratisbeigabe an Antipasti von Wurst über Schinken, Käse, kleinen Bruschette und frittiertem Allerlei dazu. Lässt sich aushalten, so in der blauen Stunde mit dieser Kulisse….
Gestärkt bummeln wir weiter durch den Trubel bis zur Kathedrale der Heiligen Maria Assunta. Schon von außen ein beeindruckendes Bauwerk, wird es innen noch prächtiger. Gold, wohin man auch schaut. Das Kuriose und etwas Verwirrende ist: Die Kathedrale hat gleich drei Namen: Sie ist auch als Duomo di Napoli oder Cattedrale di San Gennaro bekannt. Gewidmet ist sie jedenfalls der Jungfrau Maria. Gebaut wurde sie im 13. Jahrhundert auf den Grundmauern eines Tempels, der Apollo gewidmet war. Im Laufe der Jahrhunderte wurde sie immer wieder um- und weitergebaut, so dass es auch eine Reise durch die verschiedenen Baustiele von Gotik bis Barock ist. Das üppige Ergebnis ist, besonders wenn der Innenraum beim Gottesdienst beleuchtet ist, einfach überwältigend anzuschauen.
Gerade wird eine gut besuchte abendliche Messe gefeiert. Wir schleichen am Rand bis nach vorn, um die prächtigen Seitengänge anzuschauen und näher an den riesigen, golden strahlenden Hauptaltar heranzukommen. Ganz vorn in einem Seitenaltar, der vom Mittelschiff aus gar nicht zu sehen ist, steht ein kleines Grüppchen Menschen, gemischt in Alter und Geschlecht, und singt unter Anleitung eines Kantors, sozusagen aus dem Off. Es sind nur wenige Menschen, aber ihr Gesang schallt erstaunlich stark. So schön, dass wir bleiben. Kurz darauf tritt ein junges Mädchen ans Mikrofon zu einem Solo: Wunderbar!!! Sie hat eine großartige Stimme und wir können nicht weggehen, bevor sie aufhört zu singen….
Durch das Gewusel in den engen Gassen trödeln wir zurück in unsere Straße und finden, zwei Ecken von unserem Haus entfernt, ein nettes kleines Lokal. Gesättigt und mit einem Amaro zum Abschluß kehren wir zufrieden nach diesem gelungenen Auftakt in unser temporäres Zuhause zurück. Morgen beginnt mein napolitanischer „Alltag“, der 4-stündige Italienisch-Intensivkurs. Buona notte, Napoli!
Um 7:45 Uhr klingelt der Wecker, erster Schultag, das heißt früher da sein, denn es gibt noch ein Einstufungsinterview. Bin gespannt, wieviel mein bisheriges Italienisch wert ist… Glücklicherweise ist die Sprachschule „Centro Italiano„, nicht nur im selben Viertel, sondern tatsächlich nur eine halben Kilometer entfernt.
Die Stadt ist noch im Aufwachmodus: Ganz anders als am gestrigen Sonntagabend sind die Straßen fast leer, bis auf ein paar Einheimische, vorzugsweise mit dem Hund bei Gassi gehend, Straßenkehrern und der Müllabfuhr. Ein großes Graffitti von Maradona begrüßt mich gegenüber der Haustür, unterwegs bringen immer wieder bunte Streetart-Werke Farbe an die alten Gebäude. Eine Sünde in Sachen Denkmalschutz, aber ich mag die bunten Bilder an den dunklen Wänden.
In kleinen Gemüseläden werden Zwiebeln, Kürbisse und Tomaten in die Regale sortiert, von der Decke hängen getrocknete Kräuter. Ein parrucchiere (Friseur) rasiert den ersten Kunden in seinem winzigen Laden. Ich komme an einer kleinen Erdgeschosswohnung mit offener Tür direkt zur Gasse vorbei: in der anschließenden kleinen Küche läuft der Fernseher und neben dem Herd ist das Motorrad geparkt. Die kleinen Bars haben natürlich schon geöffnet, die letzten Tresen werden mit großen, knusprigen Croissants (Cornettos) und anderem süssen Gebäck befüllt, Menschen auf dem Weg zur Arbeit gönnen sich Caffe e dolce, bevor der Tag richtig beginnt. Die Atmosphäre ist …100% napolitana. Ich finde es toll!
Die Schule befindet sich in einer super engen Gasse mit hohen, 6-stöckigen alten Häusern: Vico S. Maria dell’Aiuto. Auch hier steigt man durch ein winziges dickes Törchen im großen Tor, um auf den Hof zu kommen. Die Schule residiert im Quergebäude, die Treppe im zum Hof offenen Treppenhaus ist aus Marmor, aber teilweise sehr wackelig und glatt … Wie es sich für eine brave Deutsche gehört, bin ich pünktlich, d.h. pünktlich gekommen – nur sonst niemand. Aber schließlich trudeln alle ein, die Schülerzahl ist übersichtlich, die Saison ist vorüber. Zu meiner großen Zufriedenheit lande ich in einen B1-Kurs mit nur noch 3 weiteren Schülern. Es kann los gehen!