10 Update Sintflut

Vor zweieinhalb Tagen sind wir aus unserem Flut-Exil bei Belen in Sao Sebastiao „nach Hause“, nach Boicuganga, zurückgekommen. Wir sind etwas länger geblieben als unbedingt nötig, weil erstens immer noch Regenwetter war und zweitens unsere jungen Freunde uns gebeten haben, noch zu bleiben, weil sie es gerade nicht so leicht haben.  Sie haben ein Restaurant – Il Forno – und damit jede Menge Probleme; auch diese Geschichte ist ein echtes Stück Brasil, aber davon später.

Die Küstenstrasse ist seit Mittwoch vergangener Woche wieder freigeben, mußte aber zwischenzeitlich immer wieder zeitweilig gesperrt werden, weil Teile der aufgeweichten Berghänge abrutschen und zudem auf der Strecke immer noch schwere Baumaschinen damit beschäftigt sind, die Schäden in den Griff zu bekommen und die lockeren Erdmassen, Felsbrocken und Bäume zu sichern oder gleich vorsorglich abzutragen. So gestalten sich dieser Tage die Fahrten noch etwas stotternd – die Strecke ist immer noch teilweise einspurig wegen Bauarbeiten.

Zu sehen sind hier vor Ort überall noch Haufen von angeschwemmtem Müll, Baumresten, Plastikzeugs und in den direkt betroffenen Gebieten kaputte Brücken und Häuser. Einige Leute könnnen einfach noch gar nichtnzu ihren Häusern kommen. Die Flüsse, die ins Meer münden, bringen den ganzen Dreck jetzt mit. Deshalb gab es gestern auch schon wieder eine kleine Überschwemmung, obwohl es nur vorgestern Nacht ca 1 Stunde geschüttet hat: die Flussläufe sind noch blockiert, die Wassermassen können nicht abfließen und so „schwappt“ alles etwas verspätet über. Schon wieder fünf Häuser weniger. Wir haben hier echt Glück gehabt. Genau gegenüber unsrem Haus, am anderen Flussufer, wurden von einem großen Grundstück mit Hotel und einer kleinen Marina 1200qm Land einfach vom Fluss gefressen.

Hier in Boicucanga und Camburi, wo die Schäden mit am Schlimmesten waren, erscheint das Leben wieder erstaunlich normal, angesichts der Tatsache, dass hier soviel Menschen alles verloren haben. Das ist eine der Besonderheiten der brasilianischen Mentalität: Es geschehen die schlimmsten Dinge und kurz darauf geht man zur Normalität über, hat sich abgefunden, lacht wieder und das Leben ist schön. Es ist einerseits bewundernswert und ich wünschte, wir, die ewig Probleme wälzenden, leidenden, klagenden Deutschen könnten alle eine ordentlich Portion davon lernen. Andererseits ist es auch erschreckend und fatal, ist doch genau diese Eigenschaft verantwortlich dafür, dass hier soviele Dinge im Argen liegen und sich nichts ändert. Man vergisst und geht einfach zum Alltag über, egal wie groß die Probleme sind.

Die social media wie facebook haben hier eine wichtige Funktion, so zwiespältig ich ihnen auch in Europa gegenüberstehe: Hier wird unter anderem in solchen Situationen über facebook zur Mithilfe, zu Benefizaktionen, zu Spenden u.a. aufrufen, über den Stand der Dinge und auch über politische Vorgänge informiert. Auch für mich war das jetzt eine wichtige Informationsquelle. Z.B. dass Spenden gesammelt werden –  ich werde zwei Kisten mit Sommersachen, die ich hier geparkt habe, spenden. Gebraucht wird alles…Ich wollte gerade einen ollen Rucksack wegwerfen, der nicht nur grauenhaft aussah, sondern völlig ausgerissen ist – Belen hat ihn mir weggenommen, denn der ist sogar ohne Flut für viele hier wertvoll.

Vor zwei Tagen war der Gouverneur von Sao Paulo höchstpersönlich hier, um sich ein Bild zu machen (und gutes Wetter für die nächsten Wahlen). Er hat versprochen, dass es ausser 1,5 Millionen Real für die Schadensbehebung in den nächsten drei Jahren noch das Geld für 300 Häuser für die Armen fließen sollen – in überflutungssicheren Territorien, die kommunales Eigentum sind. Abgesehen davon, dass die meisten hier schwer daran zweifeln, dass am Ende viel von dem versprochenen Geld hier ankommt und nicht in den tiefen Kanälen der Korruption verschwindet, trifft das eins der Probleme, die Schuld an diesen katastrophalen Zustände sind.

Die Natur hier ist mächtig, sie lässt sich von den Menschen nicht beherrschen. Aber man könnte mit ihr leben. Aber genau das passiert nicht – vorallem aus Ignoranz, Unwissenheit und Armut. So wird hier ohne Sinn und Verstand wild gebaut und gesiedelt. Es gibt zwar mittlerweile einige Gesetze, die z.B. untersagen, an den Flussufern zu bauen oder in bestimmten von Überschwemmungen gefährdeten Gebieten zu bauen, aber niemand hält sich daran und es verhindert auch niemand. Bis vor Kurzem (und ich glaube, z.T. bis jetzt) galt, dass illegal besetzte Grundstücke nach zwei Jahren in den Besitz der Besetzer übergehen, wenn keiner Einspruch erhebt, so ist auch bis jetzt das Bauen ohne die nötigen Baugenehmigungen, die mit einer absurden, unendlich langwierigen Bürokratie verbunden sind, durchaus üblich. Notfalls werden die Bauten mit den üblichen Bestechungen legalisiert Dazu kommt, dass hier die Immobilienpreise sehr hoch sind und viele Menschen nur wenig bezahlen können. Billiges Bauland oder etwa öffentliche Siedlungsprojekte gibt es nicht – also wird gebaut, wo immer sich Platz findet. Und das ist eben genau in den Überschwemmungsgebieten. Leider muss man der Wahrheit halber auch sagen, dass dazu noch eine gehörige Portion Ignoranz und mangelnde Lernfähigkeit kommt. So ist den Leuten hier einfach nicht zu vermitteln, dass viele regelmässige Überschwemmungen der Häuser zu verhindern wären, wenn sie ihre Häuser einfach etwas höher bauen würden. Nö, haben das immer so gemacht, da wird nichts geändert….Ich weiss, dass klingt wieder rassistisch, ist es aber überhaupt nicht, es entspricht einfach der Realität. Und wir fahren schon so lange hier her und lieben vieles an diesem Land, aber wir haben eben inzwischen auch in seinen dunklen Seiten kennengelernt.

Für die nächsten Tage sind noch mögliche stärkere Regenfälle angesagt – hoffen wir, dass sie ausbleiben und sich alles wieder beruhigt.

Zur Bildergalerie Sintflut

Schreibe einen Kommentar