Nett, mal so in einer Schiffskabine aufzuwachen, noch dazu mit Blick auf die Ha Long Bay! Da kann man das Getucker des Generators nebenan und die Tatsache, dass das Duschwasser beinahe in die Kabine läuft, weil das Schiff leider so liegt, dass das Wasser nicht in Richtung Ausfluss sondern Richtung Türschwelle läuft, durchaus verkraften. Aber mit fortwährenden Wischbewegungen der Beine ist das Schlimmste zu verhindern und Frühsport ist auch gleich erledigt.
Nach dem recht vietnamesischen Frühstück (Reis, Eier, Obst, etwas Weißbrot) werden wir noch mal ausgebootet, um eine Perlenfarm zu besichtigen. Ganz interessant, wie die verschiedenen Austern mit mehrjähriger Pflege und viel Handarbeit gezüchtet werden, bis man dann endlich das begehrte Schmuckstück bewundern kann. Nur 30 Prozent bilden eine Perle, nur zehn Prozent eine perfekte, die zu edlem Schmuck verarbeitet wird. Aus den restlichen 2o Prozent wird Modeschmuck, Kosmetik und Medizin. War durchaus eine Versuchung, ein dezentes, aber elegantes Schmuckstückchen zu kaufen – so eine kleine schwarze Perle etwa?!
Nach dem Abschiedslunch auf dem Schiff (die Frühlingsrollen haben wir unter Anleitung selbst gebastelt!), geht´s gemächlich wieder zurück zwischen den grünen Bergen Richtung Hafen. Das Wetter ist heute schlechter, die Sicht nimmt von Minute zu Minute ab. Wir hatten also noch Glück mit unserer Tour.
Auf den langen viereinhalb Stunden Heimfahrt durch endlose Reisfelder und triste Ortschaften habe ich das Glück neben unserer kleinen Orchidee (Lan) zu sitzen. Sie ist sehr neugierig und will viel über Europa und Deutschland wissen, was mir umgekehrt Gelegenheit gibt, endlich mal alles über Vietnam zu fragen, was in keinem Reiseführer steht.
Sehr spannend und erschreckend! Warum sich das Ganze hier „sozialistisch geprägte Marktwirtschaft“ nennt, bleibt mir ein absolutes Rätsel. Die hängen sich nicht mal mehr ein soziales Feigenblättchen um, geschweige denn irgendwas Sozialistisches – außer vielleicht die allmorgendliche und allabendliche Beschallung der öffentlichen Straßen und Plätze mit Revolutionsliedern und flammenden Appellen. Das hat sich nicht mal die DDR in wildesten Zeiten getraut.
Nicht mal mehr Bildung oder Gesundheitsversorgung ist hier umsonst – und das in diesem armen Land! Das heißt nichts anderes, als dass es Heerscharen von Analphabeten und ahnungslosem menschlichen Arbeitsmaterial gibt. Die Superreichen (und die sind wirklich SUPERreich) zahlen selten Steuern, und wenn dann fünf Prozent. Überall im Land hängen noch die Parolen und Revolutionshelden-Poster á la Arbeiter- und Bauernstaat 1960. Die Partei ist mächtig und allgegenwärtig und tut offensichtlich nicht mehr, als alle zu überwachen, sich selbst an der Macht zu halten und die Abzocker und ausländischen Investoren zu hofieren. Die jährliche Inflationsrate beträgt über 22 Prozent.
Ein Auto muss importiert werden und kostet zusätzlich 200 Prozent Importsteuer. Wohnen ist so teuer, dass sich Lan mit zwei Feundinnen ein Durchgangszimmer teilt. Kochen können die meisten so gar nicht zu Hause, was erklärt, warum alle auf den Straßen essen. Wer ein Visum nach Europa will, muss ein Deposit von 5000 US-Dollar, einen gut bezahlten Job, Ehegatten und Familie nachweisen. Bei den Einkommen hier fast ein Schönefeld-Projekt (zeit- und finanztechnisch gesehen). Gesetzlichen Urlaubsanspruch gibt es neben den gesetzlichen Feiertagen keinen.
Die Gesellschaft selbst ist immer noch extrem hierarchisch und patriachalisch. Männer tun außer zu arbeiten absolut nichts innerhalb der Familie und des Hauses, die Eltern bestimmen im Allgemeinen, was die Kinder zu studieren haben (wenn sie es sich denn leisten können), wen sie lieben dürfen usw. Lan kriegt ganz große, glänzende Augen und kichert ungläubig, als sie hört, dass Männer in Deutschland auch kochen, einkaufen, putzen und Kinder aus dem Kindergarten abholen. Gar nicht so einfach hier, schon gar nicht für die jungen Leute, die durch Touristen und Internet sehr wohl informiert sind, wie die Welt „da draußen“ aussieht.
Am Abend hat uns der Moloch Hanoi wieder und dreht uns durch die Lärm-Abgas-Überbevölkerungsmühle. Nicht, dass es nicht interessant wäre, aber es ist wirklich knallhart und extrem anstrengend.
Am folgenden und letzten Tag versuchen wir uns trotz tiefgrauem Dauernieselregen und Dreck noch mal in Sightseeing. Ins Oberheiligste, das Ho-Chi-Minh-Mausoleum lässt man uns morges um halb elf nicht mehr rein. Direkt gegenüber vom Taxi abgesetzt, werden wir erst rund ums Viertel geleitet, um dann 100 Meter vom Ausganspunkt entfernt durch die Eingangskontrolle gehen zu dürfen. Leider fünf Minuten zu spät, um uns in die lange Schlange aus Touristen, Veteranen und auch jungen Vietnamesen aus dem ganzen Land einreihen und den ausgestopften Helden bewundern zu dürfen. Der wollte das übrigens nicht. Sein letzter Wille war, einfach nur als Urne traditionell begraben zu werden. Heerscharen von Wachsoldaten geleiten uns immer wieder im Kreis, kein Schritt links oder rechts auf dem Bah-Dinh-Platz, auf dem Onkel Ho 1945 die Unabhängigkeit ausgerufen hat, rund ums Revolutionsmuseum und dem ganzen anderen Krams im Umkreis. Meine Laune wird von Minute zu Minute schlechter, eine Weile versuche ich es noch mit dummen Witzen und Zynismus, dann bin ich nur noch stinkig.
Als sich dann auch noch der benachbarte Botanische Garten als eingezäunte, langweilige Grünanlage entpuppt – das alles immer noch im Nieselregen mit nassen, völlig verdreckten Füssen – reicht´s. Ich bestehe auf Taxi und Altstadt.
Dort angekommen rettet mich die Entdeckung eines winzigen Cafés mit echtem Espresso und netten jungen Besitzern. Meine Laune steigt mit dem Koffein-Spiegel. Wir nehmen uns eine Rikscha und lassen uns für 100.000 Dong (gut drei Euro) eine Stunde durch das alte französiche Viertel – vorbei an der Oper und dem Hoan-Kiem-See – kutschen und genießen das träge Vorbeifließen der Stadt.
Schließlich besuchen wir noch den Wahnsinn des städtischen Marktes, wo die Hanoier Handeltreibenden selbst einkaufen. Völlig erschlagen davon treiben wir noch eine Weile durch die Gassen, die früher von den einzelnen Handwerks-Gilden bevölkert wurden. Ein bisschen ist es auch heute noch so. In einer Straße gibt es alles aus Seide, in den nächsten werden Schlosser-, Tischler-, Leder- oder Bambusarbeiten angeboten. Und natürlich bergeweise lächerlich billige Markengarderobe, die überwiegend sogar echt ist, da sie hier hergestellt wird und Überproduktion oder Mängelprodukte hier verkauft werden dürfen.
Aber am Ende des Tages sind wir völlig geschafft von all dem und froh, als wir ins Taxi steigen dürfen zum Nachtzug, der uns in 18 Stunden nach Na Trang an die Küste bringen soll – jenseits der Wetterscheide zurück in den Sommer.