19 Vietnam: Entspannter Zwischenstopp

Was haben wir doch für ein Glück! Hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, weil ich im Ausland mit Landsleuten ein Abteil teilen darf. Aber angesichts des Schocks, dass in den Nachtzügen hier in den teuersten Vierer-Schlafwagenabteilen auch oft mal eben fünfköpfigen Familien zwei der vier Betten belegen und man dann die Nacht unter unerträglichen Umständen verbringen darf, empfinden wir es als Geschenk, ein junges Paar aus Brandenburg in unserem Abteil zu treffen. Leicht panisch verriegeln wir schnell das Abteil, weil der Schaffner auf der Suche nach weiteren Plätzen ist.

Das Soft-sleeper-Bett erweist sich als knochenhart, aber immerhin gibt es sauber bezogenes Bettzeug – so weit alles gut. Bestens gelaunt durch unser Reiseglück zu viert tauschen eine Weile unsere Vietnam-Erlebnisse aus und fallen dann gegen Mitternacht in einen von lautem Ruckeln begleiteten Fakir-Schlaf, bis um kurz vor sechs über Bordfunk dröhnende Revolutionslieder und eine vermutlich flammende Rede alle möglicherweise noch Dösenden senkrecht stehen lassen.

Kurz darauf kommen ein paar Frauen mit Frühstücksangeboten suboptimaler Güte auf schmuddeligen alten Karren durch die Gänge. Zuerst beschränken wir uns auf Tee und Vietnam-Kaffee, aber dann macht mich der Hunger mutig und ich traue mich an einen mittelmäßig schmeckenden, mit Fleisch gefüllten Hefekloß, den ich auch überlebe.

Um kurz nach zehn hält der Zug in der alten Kaiserstadt Hue. Wir hatten uns entschlossen, sie auslassen Unsere netten Reisegenossen steigen aus. Draußen sieht es immer noch trübe aus, aber die Wetterscheide, der Wolkenpass, kommt erst noch. Im Gang toben inzwischen brüllende Kinder, niemand scheint hier was zu sagen. Gut, dass wir die nicht im Abteil haben. Inzwischen sitzen wir seit 15 Stunden im Zug. Miki findet solche Zugfahrten sehr spannend … mir tun langsam die Knochen weh. Aber die letzten zwei Stunden sollen landschaftlich sehr schön sein. Bisher gab´s vor allem Reisfelder, in denen eingestreut immer wieder gemauerte Grabstellen zu sehen sind, die manchmal wie Mini-Tempel geschmückt sind. Was es damit auf sich hat, konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen.

Ja, der letzte Streckenabschnitt ist wirklich schön. Rechts grüne Berge, links Dschungel und immer wieder tief unter uns das blaue Meer. Kleine und große Buchten, mal schroff und felsig, mal lange Sandstrände, verträumt und menschenleer, weil kaum erreichbar. Zwischendurch düsen wir durch Tunnel, wenn die Berge zu hoch werden. Im Wald über uns tauchen immer mal wieder Ruinen von Bunkern und Schießscharten auf. Der Reiseführer schreibt, große Gebiete dürfen immer noch nicht nicht betreten werden, weil hier immer noch alles voller Blindgänger-Bomben ist – fast 40 Jahre nach Kriegsende!

Endlich: Da Nang! Beim Aussteigen schlägt uns schwüle Wärme entgegen, das tut gut nach so viel Kühle und Regen!

Wir teilen uns mit einem australischen Paar ein Taxi nach Hoi An, das eine halbe Stunde entfernt ist. Da Nang selbst bietet im Vorbeifahren wieder ein ganz anderes Vietnambild: ganz modern, eine neue Stadt mit Skyscrapern in teilsweise futuristischer Architektur und einer schönen drachenförmigen Brücke. Boomtown – die Stadtränder fransen überall aus und bestehen nur aus Baustellen und Industrieansiedlungen. Auf der Strandseite die ersten nagelneuen Riesen-Ferienressorts, die überall auf der Welt stehen könnten, völlig gesichtslos. Scheusslich. Tschüss Vietnam, die Globalisierung ist angekommen.

Gut 30 Kilometer entfernt unser Ziel: Hoi An gilt als eine der schönsten Städte des Landes: eine gemütliche Küstenstadt mit einer malerischen, gepflegten (fast müllfreien!) Altstadt, die abends von hunderten Lampions erleuchtet wird. Es ist wirklich sehr hübsch und angenehm beschaulich nach all dem Hanoi-Stress. Allerdings ist die Altstadt selbst schon ein echtes Touristenmekka für In-und Ausländer, wobei aus dem Inland sichtlich nur Neureiche kommen – die ersten übergewichtigen Vietnamesen übrigens, die ich auf dieser Reise sehe. Doch obwohl sehr touristisch, sind die Straßen der Altstadt immer noch ursprünglich, mit alten Häuschen, die alle mit bunten Laternen geschmückt sind. Alle beherbergen inzwischen Geschäfte, Galerien und Restaurants. Sehenswürdigkeiten sind einige Versammlungshäuser und Tempel, sowie eine sehr hübsche japanische-chinesische Brücke.

Heute ist ein besonderer Tag: Vollmond. An diesem Tagen wird immer eine Art Lichterfest gefeiert, bei dem die Menschen schwimmende Lampions mit kleinen Kerzen darin auf den Fluss gleiten lassen, der die Stadt teilt. Sie schwimmen dann flackernd auf dem nächtlichen Wasser, zusätzlich zu all den anderen Lichtlein, die die Häuser und Straßen rundum beleuchten. Wir schlendern gemütlich ein bisschen herum – überall werden Glücks-und Geschicklichkeitsspiele gespielt, die Vietnamesen sind ganz aus dem Häuschen, wie kleine Kinder. Das ist überhaupt sehr süß: Die Menschen in Vietnam lachen allgemein unheimlich gern, überall wird geneckt und gekichert, selbst Kellner jagen sich schon mal durch die Tischreihen oder zwicken sich. Fröhliche Menschen, die einen Sinn für´s Kindliche erhalten haben.

Wir schaffen es, abseits der vielen, zum Teil schon etwas überkanditelten Restaurants einen billigen einfachen Foodcourt zu finden, wo winzige Restaurantzwerge nebeneinander aufgereiht sind, alle haben nur einen langen Tisch. Billig, authentisch, gut! Wir landen bei zwei Schwestern, die sehr charming sind und uns auch an den folgenden Abenden wieder strahlend mit sanfter Gewalt in ihre Tischreihe bugsieren, zum Ärger der Nachbarwirte. Aber es ist lecker, auch wenn man gelegentlich etwas anderes bekommt als bestellt. Das mit dem Englisch ist hier so eine Sache und viele Vietnamesen sagen immer yes, auch wenn sie partout nichts verstanden haben. So sitze ich an einem Abend vor mehreren frischen Säften, obwohl ich einen Ananassaft und einen Mangosalat bestellt habe. Bekommen habe ich Melonensaft und Mangosaft. Als die beiden das kapieren, lachen sie sich halb tot und klopfen mir immer wieder kräftig auf die Schulter vor Vergnügen.

Am nächsten Morgen leihen wir uns für zwei Tage jeder ein Fahrrad (80 Cent pro Tag ) und los geht´s, quer durch die alte und „normale“ Stadt Richtung Strand, der etwas drei Kilometer entfernt ist. Das sehr gemäßigte Motorradaufkommen ist hier für uns nach fast drei Wochen Übung gut händelbar. Alles ist hier für vietnamesische Verhältnisse sehr licht und übersichtlich, mit erstaunlich breiten Straßen. Zumindest erscheinen sie uns nach der klaustrophobischen Enge von Hanoi so.

Der Tourismus explodiert hier gerade, überall außerhalb der Stadt sind schon die neuen Baugelände abgesteckt. Alte Fischerhütten werden plattgemacht, man kann nur hoffen, dass nicht nur gesichtslose Hotelklötze gebaut werden. Aber sicher ist: In fünf Jahren wird es hier zwischen der Stadt und dem kilometerlangen Strand kein unbebautes Land  mehr geben. Die Frage ist nur: Ballermann oder Biarritz?!

Aber bei allem westlichen Bedauern über den Verlust der Unschuld muss man einfach sagen: Den Menschen hier in Hoi An tut es sichtlich gut. Es ist die erste Stadt in Vietnam, wo die Menschen überwiegend in vernünftigen Häusern unter meist einfachen, aber menschenwürdigen Bedingungen leben. Und: Es ist die bisher sauberste Stadt. Kaum noch Müll auf den Straßen und in den Gärten. Das alles natürlich in einem anderen Bezugsrahmen als dem europäischen, aber sehr auffällig für vietnamesische Verhältnisse. Alle arbeiten hart, jeder versucht auf seine Weise ein Stück vom Kuchen abzubekommen, als Verkäufer, Restaurantbesitzer oder Anbieter irgendwelcher Dienstleistungen.

Wir verbringen mal wieder zwei ruhige und beschauliche Tage in dieser heimeligen Stadt mit Strand. Neben leckerem vietnamesischen Essen endlich auch mal wieder echter Cappuccino und Baguette. Als Highlight gibt es eine blind body massage. Blinde, professionell ausgebildete Masseure bearbeiten uns eine Stunde lang für fünf  US-Dollar nach allen Regeln der Kunst. Nichts für Weicheier oder Liebhaber westlicher Wellness-ChiChi! Die packen richtig zu und turnen sitzend und stehend auf den alten Liegen über und auf einem herum. Sie kneten, strecken und dehnen einen, dass die Schwarte knarrt und kracht. Herrlich, aber sehr anstrengend. Miki hat am Folgetag einen schrecklichen Muskelkater, mir tut endlich mal nichts weh!

Wir sind wirklich froh, dass wir dem Rat gefolgt sind, Hoi An in unseren Tourplan aufnehmen. Eine schöne und entspannte Erfahrung – sehr zu empfehlen.

Und morgen geht es dann weiter mit dem Flugzeug in den tiefen Süden, auf die Insel Phu Quoc!

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