11. Auf in die Berge

Mein nächtliches Stopover in Chiang Mai war nicht die Freude, die ich bei der Fahrt vom Flughafen in die Altstadt empfunden habe, als ich meine Lieblingsstadt in Thailand  wiedergesehen habe. Hätte ich lieber in meinen Lonely Planet geschaut, der mich in Übernachtungsfragen meist gut beraten hat, als booking.com zu vertrauen. Das Hotel Top North Guesthouse in der Altstadt entpuppt sich als wahrer Fehlschlag.

Das Zimmer ist nicht nur schlicht und alt, sondern mit Sperrmüll möbliert, ranzig, schmutzig und überhaupt….Lediglich die Laken sind wenigstens sauber. Ich bin wirklich frustriert. Ich brauche keinen Luxus, aber das geht gar nicht. Aber es ist Mitternacht, das Zimmer ist bezahlt, was soll ich machen. Eine Nacht wirdś gehen. Denke ich.

Falsch gedacht. An der Rückfront des Hotels ist ein großer Parkplatz auf einer Brache und da feiert offenbar die illegale Partyszene eine spontane Sause. Mit Autos, lauter Musik und viel Alkohol. Der Lärm ist ohrenbetäubend, die Fenster von meinem Zimmer sind kaputt und lassen sich nicht schließen. Neben und über mir kommen noch Geräusche dazu, die man lieber nicht hören möchte. Immerhin schaffe ich ein Nickerchen von fünf bis halb sieben….

Einerseits denke ich nach dem Aufwachen gerädert: Bloß weg hier, andererseits muss ich erstmal meine schlechte Laune loswerden. Also mache ich einen ausgedehnten morgendlichen Spaziergang  durch die angrenzenden Straßen und Gassen, frühstücke in Ruhe und fühle mich gleich besser.

Ich versuche, an einer Rezeption ein Busticket nach Pai zu kaufen. Pai? Da ist gerade Hauptsaison, da fahren stündlich zwar mehrere Busse ab, aber bis zum Nachmittag ist nichts mehr zu machen, alles ausgebucht, sagt man der freundlichen Dame per Telefon am Busbahnhof. Sie rät mir, ich solle schnell für einen noch freien Nachmittagsbus buchen. Aber ich bin bockig. In Thailand, habe ich gelernt, ist eine Antwort nicht unbedingt eine Antwort.

Gegen alle Ratschläge hole ich mein Gepäck und suche mir ein Sammeltaxi zu einem vernünftigen Preis. Ich will es am Busbahnhof selbst hören, dass nichts geht! Und siehe da, eine halbe Stunde später habe ich einen Platz in einem der Minibusse, die als kleines Geschwader stündlich gen Pai schwirren.

Drei Stunden etwa soll die Fahrt dauern. Nach über einer halben Stunde sind wir immer noch in Chiang Mai, obwohl ich dachte, dass der Busbahnhof bereits am Stadtrand läge. Die Stadt ist viel größer, als ich dachte. Schöne Mittelklasse-Wohnviertel mit gemütlichen, baumbestandenen Straßen wechseln sich mit ärmlichen Hüttenvierteln und Gewerbegebieten ab. Dann plötzlich fahren wir an einem Gebiet vorbei, wo viele Schulen ihren Campus haben – so ein reines Schulviertel habe ich noch nie gesehen. Quasi auch eine Galerie für den Regenten, denn jede Schule hat natürlich ein eigenes, riesiges Königsbild mit dem goldgewandeten neuen König.

Dann endlich lassen wir die Stadt hinter uns. Die Straßen steigen an und winden sich in die Berge. Es ist wirklich schön  aus dem Fenster zu schauen – und empfehlenswert, denn es geht um sehr viele Kurven… Nach knapp zwei Stunden durch dichten Wald, vorbei an einigen an einigen Felder am Hang, wo vor allem Gemüse und Erdbeeren mitten im Urwald bestens gedeihen, macht unser Tross eine Pause an einer Raststätte.

Die leckersten Sachen lachen einen hier an, von kompletten Gerichten, über Gegrilltes von Schwein bis Banane, geschnittenenes oder getrocknetes Obst, Nüsse, Snacks – und es gibt sogar guten Kaffee. Irgendwie kann keiner widerstehen, ich sehe alle glücklich kauen. Ich probiere einen Hefekloß mit schwarzer Sesampaste gefüllt und zwei Grillfleischspieße. Zum Glück nicht mehr.

Denn jetzt geht der Spaß erst richtig los. Hatte ich eben noch gedacht, dass dies eine extrem kurvenreiche Strecke sei, dann lerne ich jetzt, dass es für alles eine Steigerung gibt. Eine einspurige Straße windet sich von steil bis sehr steil ins Gebirge und es gibt nicht mehr nur viele Kurven, sondern eine Kurve geht in die nächste über, viele in einem Winkel von bis zu 350 Grad, gerade Abschnitte gibt es nicht für fünfzig Meter. Das ist wie Kosmonautentraining! Die munteren jungen Engländer hinten haben sich ordentlich den Bauch vollgeschlagen und leiden jetzt still, konzentriert und leicht grün. Der Bus vor uns bremst plötzlich und gleich zwei Passagiere stürzen an die Böschung und übergeben sich. Zum Glück sitze ich ganz vorn, da lässt sich die Karrusselfahrt besser ertragen.

Die Fahrt, die übrigens auf den 150 Kilometern über 1000 Kurven haben soll, ist zwar ein echtes Härtetraining, aber dafür belohnt sie die Starken unter uns mit wirklich atemberaubenden Bergpanoramen, die weit, sanft und gewaltig zugleich sind! Wunderschön! Immer wieder blickt man durch die vorbeirauschenden hohen Bäume, die sich mit Bananenstauden den Platz im Urwald teilen, auf neue sonnenbeschienene Bergzüge.

Pai gehört zur Provinz Mae Hong Son und liegt im Nationalpark Huai Nam Dang an der burmesischen Grenze. Wir müssen eine fest installierte Militärkontrolle über uns ergehen lassen, wo zwar keine Pässe kontrolliert werden, wohl aber ein Soldat streng jeden Einzelnen mustert. Keine Ahnung, was das soll.

Nach gefühlten sieben Stunden Kettenkarussell sind wir endlich da.  Ich bin geschafft und nehme erstmal gar nicht allzuviel war, als eine lange, geschäftige Straße mit niedrigen Häusern und unendlich vielen Geschäften und Restaurants. Am winzigen Busbahnhof ist Gewusel und ich schnappe mir nach kurzen Verhandlungen ein Taxi – ich will nur noch ankommen. Hoffentlich nicht wieder ein Reinfall…

Aber diesmal habe ich es gut getroffen. Mein Guesthouse Pai Propeang liegt zwar ca 2 km außerhalb, ist aber dafür sehr schön ruhig mit viel Natur drumherum. Grün, Bäume, blühende Büsche, leuchtend pinkfarbene Bougainvillea, ein  überdachtes hölzernes Sonnendeck am Flüsschen und kuschelige Holzbungalows, jeder mit einer kleinen Terrasse. Und eine sehr nette Besitzerin. Und durch Bäume, an Bnanenstauden vorbei – geht der Blick wieder auf das grandiose Panorama. Ein Platz zum Wohlfühlen. Ich bin jetzt schon sicher, es war eine gute Entscheidung hier herzukommen. Aber das werde ich natürlich nach einem Päuschen noch genauer untersuchen.

Eine Stunde vor Sonnenuntergang mache ich mich auf den Weg Eine Landstraße mit einigen angelagerten Guesthouses und Restaurants, aber noch viel Natur dazwischen führt nach Pai. Sogar Kühe stehen hier noch auf einem Feld. Eine Brücke über den Fluß, nachdem Pai benannt ist, bildet die Stadtgrenze. Je näher man ihr kommt, desto größer die Hotel- und Backpacker-Hostel-Dichte.

Pai ist flach. Nicht weil der Ort selbst hier oben auf dem Bergrücken auch flach ist, sondern von Eindruck her: ein Haus mit zwei Stockwerken ist hoch. Der Tourismus hat das wohl ehemals verschlafene Bergdorf überrollt. Der Lonely Planet, der bezüglich Koh Kood etwas sparsam informiert hat, hat Pai dafür umso genauer getroffen: Ein Partybeach ohne Meer. Hier drängeln sich alte und junge Hippies, Partypeople, Yoga- und Weizengras-Anhänger aus aller Welt und: Thaituristen. Pai soll einer der liebsten Ferienorte der Thais sein. Und das merkt man auch.

Mitten durch den Ort führt die Walking Street. Theoretisch eine Art Marktstraße für Fußgänger, was aber nicht bedeutet, das sich nicht trotzdem immer wieder Autos und Roller durch die Fußgänger drängeln. Seltsamerweise passiert aber nichts dabei.

Am Tage relativ ruhig, erwacht die Straße am späten Nachmittag zu Leben, unzählige Stände werden aufgebaut, Grills angezündet – selbst in den Eingängen vor Klamottenläden, der Rauch zieht dann so richtig schön in die Kleiderständer. Und dann wird gekocht, gebrutzelt, geschnippelt, und was sonst noch alles getan werden kann, um jede erdenkliche Art von Essen und Getränken herzustellen. Es ist sowas von….animierend. Eine solche frische, oft raffiniert präsentierte Vielfalt von Leckereien, dass ich – ich nehmś vorweg – mich jeden Abend überfressen habe.

Diese Straße erinnert mich – auf eine gehobene Weise – an die Bourbonstreet in New Orleans. Jede Menge Bars und Restaurants mit live-Musik (die nicht immer nur schön ist!) werben um feierwütiges Publikum, die meisten Menschen ziehen aufgedreht und auf der Suche nach Abenteuer durch die Straßen. Wie gesagt, dies hier ist nicht Amerika, aber es hat ein bisschen was davon. Während ich aber die Bourbonstreet immer gemieden habe, macht die Walking Street noch Spaß, auch wenn es am Abend wirklich etwas zu voll ist. Aber das, was angeboten wird, kann man wirklich als „The Art of Streetfood“ beschreiben.

Vollgestopft mache ich mich auf den nächtlichen Weg in mein Domizil, inzwischen ist die Temperatur merklich gefallen, ich ziehe sogar eine Strickjacke über, die ich hier erst einmal in der kalten Inselnacht gebraucht habe. Über Nacht stürzen die Grade dann sogar noch auf mickrige zehn Grad ab, und das mit dichtem Nebel. Das ist aber hier ganz typisch. Alle haben dicke Jacken dabei, die Einheimischen tragen sogar Pudelmützen.

Ich verkrieche mich in meine Extradecke eingerollt unter das doppelt gefaltete Deckbett und finde es immer noch frisch. Und das in Thailand ! Aber ich will nicht meckern…ich wundere mich nur.

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