05 Verspätet: An die Küste

Uups, da ist wohl was durcheinandergegangen. Der böse Computer hat nicht gmacht, was die zugegebenermaßen etwas chaotische Autorin wollte…So habe ich gerade diesen Artikel entdeckt, der nur als Entwurf gespeichert war, aber irgendwie nicht veröffentlicht wurde, Dabei sollte er doch schon nach dem Kapitel Sao Paulo zu lesen sein! Sorry, nehmt´s mir  und dem Computer nicht übel. Also, einfach weiter im Text…Ao litoral do Sao Paulo! Auf ans Meer, an die Küste des Staates Sao Paulo! Ein komfortabler Überlandbus – das verbreitetste Verkehrsmittel innerhalb von Brasilien, oft sogar mit 1. und 2. Klasse – bringt einen vom Busbahnhof Tietê, der so groß ist wie ein ganzes Stadtviertel und mit Restaurants, Läden und den Schaltern der verschiedenen Busunternehmen ausgestattet ist, in alle Teile des Landes.

Das Kaufen eines Bustickets ist übrigens ein langwieriger, sehr bürokratischer Vorgang. Entsprechend lange steht man an den Kassen an. Fragt mich nicht, was da alles in die Computer eingegeben werden muß und warum jedes Ticket in dreifacher Ausführung ausgestellt und abgestempelt werden oder wieso vor dem Einsteigen Name und Ausweisnummer eingetragen werden muss, bevor der Fahrer alles gewissenhaft kontrolliert, ehe man einsteigen und den gebuchten Sessel in Beschlag nehmen darf. Wenn auch sonst alles chaotisch ist, das Busfahren ist in diesem Land eine höchst durchorganisierte, ernste Sache. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Busfahrer picobello-schnieke Uniformen tragen, Kellner vornehmer Restaurants dagegen durchaus in bunten Shorts und Badelatschen antreten…

Noch ein Tipp: wer in der üblichen sommerlichen Bekleidung einen Bus besteigt, sollte mindestens ein langärmliges Shirt greifbar haben, denn oft verwandeln die Klimanalagen den Bus in eine fahrende Kühltruhe, und wenn die nicht angestellt ist, werden die Fenster aufgerissen und man sitzt stundenlang im Zug. Aber darüber hinaus ist eine Fahrt im Überlandbus hier äußerst bequem und darüber hinaus lassen einen die Fahrer, wenn man schweres Gepäck hat, auch an einem x-beliebigen Punkt aussteigen und bestehen nicht auf offizielle Haltestellen. Zwischendurch gibt´s übrigens regelmäßige Kaffee- und Snackpausen an entsprechenden Restaurants.

Um der Chronistenpflicht aber Rechnung zu tragen sei gesagt, dass wir dieses Mal von einem Freund abgeholt wurden, was wir sehr zu schätzen wissen, denn wir sind nach 16 Reisestunden erst am Abend angekommen und hätten Probleme gehabt, noch einen Bus zu erreichen. Außerdem war die Aussicht auf 3 Stunden Fahrt in Romarios Klapperkiste bei halsbrecherischem Tempo und netten Gesprächen wesentlich angenehmer als die teure Busfahrt vom Flughafen nach Tietê, das Anstehen an der Kasse, Warten auf den nächsten Bus und anschließende 4,5 Fahrstunden.

Kurz vor Mitternacht erreichen wir Camburi, hier ist sowas wie unser Hauptquartier, auch wenn wir dieses Mal im Nachbardorf bei unsrer Freundin Corrin wohnen. Sie hat ihr Rrestaurant Cantinetta an der Strandstrasse von Camburizinho, dem teuersten Ortsteil dieses zum gefragten Badeort aufgestiegenen Dorfes.

In Camburi gibt es zwei Strände: eine kleinere, sehr pitoreske Bucht, Camburiszinho und durch eine Flußmündung und eine kleine, palmenbewachsene Felsinsel davon abgetrennt, der ca einen Kilometer langen Strand von Camburi. Den Strand von Camburizinho begrenzen ausschließlich superteure, gutbewachte Residenzen der Superreichen, Multimillionäre eingeschlossen. Einige haben auch Häuser oder Conduminums-Appartments in Camburi, aber die meisten eben in Camburizinho.

Da flitzen auf Handzeichen der Herrschaften schon mal die Angestellten mit den gekühlten Getränken oder kleinen Erfrischungen über den Strand, um die Herrschaften in ihrem Sonnenzelt am Strand zu bedienen. Weißgekleidete Nannis betreuen die kleinen Erben derweil 24 Stunden am Tag, damit Mutti und Vati nicht gestört werden. Gelegentlich darf man zusehen, wie mit einem kleinen Traktor mal eben ein Wassermotorrad im Wert eines Mittelklassewagens für eine kleine Runde um die Bucht angekarrt wird…Nicht selten werden die Herrschaften auch per Hubschrauber aus Sao Paulo ein- und ausgeflogen. Reich sein in Brasilien bedeutet meistens superreich, Geld spielt überhaupt keine Rolle mehr.

Nichtsdestotrotz sind die Strände hier aber auch für arme Schlucker oder schmalbudgetierte reisende Europäer offen und einfach traumhaft: weißer Sand, ein meist recht bewegtes Meer (die Wellen können an manchen Tagen schon mal bis zu 3m hoch werden), das je nach Tageszeit mal dunkelblau, mal helltürkis strahlt. Den Strand säumen tropische Bäume und Sträucher mit herrlichen Blüten. Rollende Imbisskarren, Barracas genannt, versorgen die Strandbesucher mit kostenlosen Stühlen und Sonnenschirmen im Gegenzug für mindestens eine Bestellung: frische Fruchtsäfte, Bier, Caipirinha, grüne Kokosnüsse und Snacks. Wir haben seit Jahren unseren persönlichen „Saftfranz“, der uns notfalls auch Kredit gibt oder und gelegentlich einen Schlag aus seinem Leben erzählt. Allerdings sind die Preise in den vergangenen 10 Jahren explodiert, wie überall in Brasilien: kostete anfangs ein frischer Saft noch 2 Real, so muss man heute dafür 7 Real hinlegen.

Circa drei Kilometer vom Strand entfernt erheben sich majestätische Berge mit dem atlantischen Regenwald, die mata atlântica. In den Sommermonaten ist es meistens tagsüber heiß und sonnig, am Nachmittag schieben sie dann regelmäßig mal weiße, mal bedrohlich dunkle Wolkenberge über die Bergkuppen. Manchmal bleiben sie dort hängen und verpassen den Bergen flauschige Zipfelmützen. Oft aber kriechen sie die Berghänge hinab und bescheren der Küste heftige Regenschauer, die sich schnell zu Überschwemmungen auswachsen können, das ist hier Alltag und interessiert erst ab sintflutartigen Zuständen. (Siehe Sintflut; die Ereignisse haben sich überstürz, bevor ich dieses Kapitel veröffentlichen konnte). Unsereins flüchtet sich meist rechtzeitig ins nahe Cantinetta zum nachmittäglichen Cappuccino, der sich schon mal zur abendlichen Caipiroska ausweiten kann….

Die geneigte Leserschaft möge mir diese vorgezogenen Einlassungen zum Strandleben von Camburi verzeihen, aber da wir schon oft hier waren und einige meiner Leser manches bereits aus nichtöffentlichen Reisemails der letzten Jahre kennen, wollte ich die Gelegenheit nutzen, hier glech noch einmal Wesentliches zu unserem Zielort und „Hauptquartier“ zu erzählen für all die, die neu dazugekommen sind. Dafür werde ich dieses Mal nicht jeden hier verbrachten Tag kolportieren.

Dieses Mal jedenfalls wohnen wir im Nachbarort Boicucanga, 3 km und einen Berg      rücken dazwischen entfernt. Corrin hat hier ein Häuschen in einem Condominium gemietet. Das sind geschlossene, oft bewachte Wohnanlagen, wie sie inzwischen auch in Südeuropa verbreitet sind. Das, in dem Corrin wohnt, ist allerdings eher eine eingezäunt Nachbarschaft ohne Wache mit ewig kaputtem Tor. Trotzdem achtet man etwas aufeinander und es gibt einen Hausmeister, der sich um das Anwesen kümmern soll.

Hier stehen noch einige alte kleine Holzbungalows und immer mehr neue kleine zweistöckige Steinhäuser um einen parkähnlichen Innenraum verteilt. Insgesamt etwa 20 Häuschen, in denen ganz normale Leute wohnen. Gemütlich, nett. Und mit vielen herrlichen Obstbäumen von denen man sich bedienen kann wie z.b. bei den Limonen, Bananen und Carambolas. Da lacht das Herz des wintergebeutelten europäischen Flüchtling, der sich sonst auf wenig aromatische Supermarktfrüchte beschränken muss.

Das Häuschen und die Umgebung in all ihrer Schönheit können wir allerdings erst am nächsten Morgen in Augenschein nehmen, denn bei unserer Ankunft ist das ganze Viertel stockfinster: Stromausfall für mehrere Stunden. Kofferausladen bei Kerzenschein. Mal was anderes als die kniehohen Überschwemmungen in den vergangenen zwei Jahren…Willkommen in Brasilien!

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04 Klimaschock

Nach den breaking news von der Wetterfront werde ich nun wieder etwas weitererzählen wie geplant.

Bereits der erste Morgen umhüllt uns mit drückender Hitze – und das im März! Eigentlich beginnt jetzt der Herbst. Was nicht heißt, das es kalt, nass und grau wie in good old Germany ist, sondern nur angenehm warm zwischen 20 und 25 Grad, auch mal heiss, aber immer auch mal ein Regentag. Aber in diesem Jahr, so klagen unsere Freunde hier, hat es im Hochsommer, also im Januar, extrem viel geregnet. Und die Temperatur-Rekorde der ersten Tage  – so sei vorausgeschickt – sind erst der Beginn eines ganz ungewöhnlich heissen März (wie ich jetzt nach fast drei Wochen weiss). Jeden Tag scheint es noch ein bisschen heisser zu werden, die Luftfeuchtigkeit ist hier an der Regenwaldküste immer extrem hoch, oft um die 90 Prozent. Nicht, dass ich mich ungebührlich beklagen würde angesichts der Neuschnee-Berichte aus Berlin, aber es ist schon…verdammt heiss. Zu heiss jedenfalls, um sich viel oder schnell zu bewegen oder irgendwas auf die Reihe zu kriegen.

Die Temperaturen schaffen es an einigen Tagen auf 40 Grad, das Hirn kocht, man schafft´s gerade noch vom Frühstückstisch in die Hängematte, später auf die Couch, gegen Abend dann vielleicht zum Strand…

Die wenigen Aktivitäten, die darüber hinausgehen, sind an den Fingern einer Hand abzuzählen. Nicht mal zum Schreiben meiner Blogtexte reicht mein träger Wille. Faul sein, quatschen, Saft trinken, träge durch Gegend schlurfen…gerade mal das Zubereiten eines guten Frühstücks, das ich Corrin für die Zeit unseres Aufenthaltes versprochen habe, kriege ich noch geregelt. Lustig ist die fast stereotype Eröffnung aller Gespräche, egal ob unter Freunden, im Geschäft, mit dem Vordermann an der Supermarktkasse oder wo auch immer:
„Nossa, que calor hoje, né?“ -„Mein Gott, was für eine Hitze heute, nicht wahr?“ Und schon schwitzt man nicht mehr allein , alle tun das und schon geht´s einem besser.

Man kann gar nicht so oft duschen, wie man schwitzt. Schlafen ohne Ventilator geht nicht – und das obwohl ich Zugluft wie die Pest hasse. Im Getränkeladen sind die 10l-Wasser-Behälter alle, die hier jeder kauft, weil man das Wasser aus der Leitung auf keinen Fall konsumieren kann. Aber Caipirinha aus frischen Früchten am Abend schmeckt immer und braucht nur gaaaanz wenig Wasser…Aber dafür wachsen uns die Früchte rund ums Haus in den Mund, alles blüht, das Meer ist traumhaft und das Leben – schön!

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03 Sintflut I

An dieser Stelle unterbreche ich meine geordneten Berichte für eine Extrameldung in Sachen Wetter, auf dass Ihr nicht glaubt, dass Schnee im März die Krönung aller Wetter-Kapriolen ist.

Eigentlich waren wir vorgestern auf dem Weg „nach Hause“ nach Boicucanga/Camburi, auf dem Rückweg von einer kleinen Reise nordwärts, über die ich noch erzählen werde. Da wir uns das Auto von unseren Freunden Belen und Euro geliehen hatten, die rund 40 km entfernt in der Stadt Sao Sebastiao leben, wollten wir eine Nacht bei Ihnen verbringen und am nächsten Abend per Bus zu unserer Basis zurückkehren. Doch dann kam alles anders…

In der Nacht hat es zu regnen begonnen, besser gesagt aus Eimern zu schütten, was es hier meistens tut. Es hat 24 Stunden nicht mehr aufgehört. Und nun sitzen wir hier fest, denn die allesverbindende Küstenstrasse, die von Rio de Janeiro bis Santos geht, ist blockiert: Die aus den Bergen herabstürzenden Wassermassen haben die Randbefestigung an einer Stelle vor Boicucanga einfach weggespült und nun geht nichts mehr. Dasselbe ist jenseits von Camburi passiert und nun sind die beiden Ortschaften abgeschnitten – und unter Wasser.

600 Menschen haben ihr Heim verloren, der Rest ist ziemliches Chaos, obwohl man hier an Überschwemmungen durchaus gewöhnt ist, wenn auch nicht in diesem Maße. Unsere Freundin Corrin hat nur geschrieben: Bleibt, wo Ihr seid, hier steht alles unter Wasser, was für ein verdammter Alptraum! Dabei sollte man meinen, dass eine Region, in der derartige Regenfälle keine Seltenheit sind, besser darauf vorbereitet ist – nix da. Geld für bessere Strassenbesfestigungen verschwindet, die Korruption blüht und die Menschen bauen ihre Häuser nach wie vor flach, statt erhöht, ist ja billiger…Lernfähigkeit gehört so gar nicht zu den Stärken der Menschen hier, leider.

So leben wir nun weiterhin bei Euro und Belen, helfen im Restaurant, essen phantastisch, und warten, wann die Strasse wieder befahrbar ist. Und laut Nachrichten ist das vielleicht ab Mittwoch Nachmittag. Rein theoretisch…

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02 Ankunft in Sao Paulo

Wer Brasilien liebt, hat Mut zum Chaos. Aber es lohnt sich, gibt es doch nicht nur ein aufregendes Land, so groß wie ein Kontinent, mit unendlich vielen verschiedenen Facetten zu entdecken, sondern auch eine Lebensart, die einen die eigene zumindest überdenken läßt. Die Regel Nummer 1 sollte für jeden Brasilienreisenden sein: spätestens beim Verlassen des Flugzeugs alle Kabel ziehen, alle europäischen Maßstäbe vergessen, und gaaanz locker bleiben!

Die erste Übung muss der geneigte Fremde bereits am Flughafen Guarulhos bestehen: Diesmal war es die vermasselte Freude auf´s Aussteigen nach dem langen Eingequetschtsein im Flieger. Denn nach der Landung hieß es Warten auf einen Parkplatz auf dem überfüllten Flughafen, sprich: Eine weitere halbe Stunde mit Gurt im Sitz. Dann endlose Wege, drei riesige Terminals. Wenn mehrere Flugzeuge gleichzeitig ankommen, kann man schon mal anderthalb Stunden in der Schlange zur Passkontrolle stehen. Was nicht heißt, dass nicht trotzdem an einigen Schaltern in aller Gemütsruhe Anfänger eingearbeitet werden, die dreimal so lange brauchen wie die geduldig und gelangweilt danebensitzenden erfahrenen Kollegen, die keinerlei Veranlassung zum Eingreifen sehen. In der Vorhalle empfängt einen dann ein riesiges Gewimmel von Ankommenden, Abreisenden, Abholern, Kofferträgern und allen möglichen anderen Wimmel-Gestalten. Wer ein Taxi will, ist erstaunlich gut dran, denn es gibt zwei Schalter, die die Gebühren im Voraus nach Liste berechnen, man ist also geschützt vor Betrug, nicht aber davor, dass der Taxifahrer die Gegend nicht kennt, wo man hin will, sich hoffnungslos im Moloch Sao Paulo verfährt und mühsam durchfragen muss. Und das kann bei dem verrückten Einbahnstrassensystem der Stadt ein böses Verhängnis sein. Ein sehr zeitaufwändiges… Und nichts schützt einen vor dem täglichen Verkehrskollaps, in dem gar nichts mehr geht. Verläßt man die klimatisierten Hallen, schlägt einem eine Welle aus Hitze und Abgasen entgegen und man sollte aufpassen, nicht von einheimischen Reisenden mit hochbeladenen Gepäckkarren brutal angefahren zu werden. Und natürlich niemals das Gepäck auch nur eine Minute aus den Augen lassen! Umgeben sind die Flughafen-Gebäude von mehreren gigantischen Parkplätzen, die nicht zu unterscheiden sind. Ich erinnere mich, dass uns einmal ein Freund abgeholt hat, wir aber gemeinsam samt Gepäck-Karren eine dreiviertel Stunde auf den verschiedenen Parkplätzen herumgeirrt sind, auf der Suche nach dem Auto.

In vielem ist Brasilien das Land der Extreme, nicht nur wegen seiner Größe und der damit verbundenen Entfernungen. Hier ist es so gar nichts besonderes, wenn ein Student täglich 3 Stunden mit dem Bus über Land zur Uni fährt und dann auch wieder zurück, das ist fast noch „dichte bei“. Bereits der Landeanflug über Sao Paulo, läßt mich jedes Mal wieder in Ungläubigkeit staunen: Die Super-Metropole, deren Einwohnerzahl nicht mehr wirklich zu zählen ist, die aber wohl tatsächlich um die 20 Millionen liegen dürfte, scheint bei Überflug einfach kein Ende zu nehmen. Aus der Luft erkennt man noch die ursprüngliche Regenwald-Landschaft mit Bergen und Flußtälern, doch nur hier und da hat es die Natur geschafft, der menschlichen Siedlungswut zu widerstehen und ragt trotzig in Form von Felsen oder grünen Bergkuppen aus dem Steinkoloss Sao Paulo auf. Vor allem im Sommer rächt sich Mutter Natur auf ihre Weise an dieser Vergewaltigung: Nachdem tagsüber sengende Hitze in den Straßen herrscht, brauen sich fast täglich am Nachmittag gigantische Wolkenberge zusammen und laden ihre Fracht in sturzflugartigen Regengüssen über der Stadt ab, die es versäumt hat entsprechende Abflussmöglichkeiten für die Wassermassen zu schaffen und Beton saugt bekanntlich schlecht auf…So sind Überschwemmungen an der Tagesordnung, die in Europa Schlagzeilen machen würden. Ich habe schon tonnenschwere Schleusendeckel auf Wasserfontänen hochsteigen sehen.

Darüberhinaus aber ist Sao Paulo eine faszinierende Stadt. Nicht im Sinne von schön, aber aufregend. Nirgends auf der Welt habe ich soviele Wolkenkratzer gesehen wie hier. Gigantische Bauwerke, deren Architekten sich in Sachen Phantasie mehr ausgetobt haben, als alle europäischen Architekturstudenten sich zu träumen trauen (einheitliche Stadtplanung – was ist das? ), will sagen, ist längst nicht alles schön, aber spannend und phantasievoll. Hier ein Hhochhaus im Barockstil, da futuristische Gebilde in Stahl uns Glas, dort ein zweites Haus auf dem Hochhaus mit Palmendach und immer so weiter. Aber anders als in good old Europe oder Nordamerika gibt es eben keine reinen Hochhausviertel, überall stehen dazwischen kleine Häuser bis hin zum kuscheligen Einfamilienhaus oder einer halbverschimmelten Kate. Verrückte Anblicke!

Zu den schönsten Überraschungen des Molochs gehören die wunderbaren Parks, die nicht nur erstaunlich gepflegt sind (was angesichts des teilweise fast verfallenen, rotten Zustandes der Straßen und Häuser einigermaßen irritierend ist), sondern sie sind einmalig, weil sie oft ein Stück echter Dschungel sind : wunderschöne, kühle Oasen inmitten dieser Superzivilisation. Mitten im Häusermeer steht man plötzlich in einem völlig entrückten Stück Natur unter mehrere hundert Jahre alten Bäumen mit Lianen, tropischen Blüten und Früchten und Vogelgesang!

Doch der eigentliche Wahnsinn sind die Menschen, die krassen Unterschiede, der gelebte Wahnsinn: unvorstellbare Armut neben unvorstellbarem Reichtum. Die Oberschicht, die aus Angst vor Überfällen und Entführungen vom Dach ihres Hochhauses mit dem Helikopter zum Shoppen oder Arbeiten fliegt und die Menschen, die seit Generationen in den endlosen Favelas oder unter den Autobahnbrücken leben, wo sie sich teilweise sogar richtige Zimmer aus Sperrmüll eingerichtethaben, und die inzwischen in einer solchen Agonie leben, das die einfachsten Dinge nicht mehr möglich sind – dazu gehört auch ein normaler Tagesablauf oder etwa regelmäßige, sinnvolle Tätigkeit. Menschen, die sich und ihre Wäsche nach den Regengüssen neben dem fließenden Verkehr im Rinnstein waschen. Es wäre ein extra Kapitel nötig, wollte ich das hier weiterausführen. Nicht dass es in Europa nicht auch traurige Zustände und Obdachlose gibt, aber gegen das Ausmaß der Armut hier, ist das nichts.

Wer das Gewimmel in den Strassen mit europäischen Augen sieht, wird fast schwindlig: Tausende irgedwohineilender Menschen, Strassenhändler, Musiker, Künstler, Bettler, immer wieder Polizei, spielende Kinder und eben die Obdachlosen. Dagegen sind Berlin, London, Rom gemütliche Orte. Aber dennoch ist es so spannend all das zu beobachten, dass ich Tage damit verbringen könnte, einfach nur zu schauen, ohne irgend etwas anderes zu tun. Man setze sich zum Beispiel auf die wunderschöne alte Praza da Sé (den historischen, palmenbestandenen, mosaikgepflasterten Platz mit der St. Peterskatedrale), den wuseligen Platz República oder den zentralen Platz im japanisch dominierten Viertel Liberdade, bestelle sich einen der phantastischen frischen Fruchtsäfte aus Maracujá, Ananas, Mango oder anderen Früchten, die man bis dahin nicht mal dem Namen nach kannte, (man vergesse bei der Bestellung nicht, ausdrücklich wenig Zucker zu bestellen, alles andere ähnelt Sirup), futtere dazu eine Coxinha (frittierter Kartoffelteig mit Huhn gefüllt), ein Pao de Qeixo (ein Käsegebäck) oder ein Pastel (eine knusprige gefüllte, frittierte Teigtasche) und halte einfach nur die Augen offen.

Nach Einbruch der Dunkelheit sollte man allerdings besser im Restaurant, Hotel oder anderswo abtauchen und sich bei Entfernungen über mehr als 500 Meter nur noch im Taxi durch die Stadt bewegen, denn ja, Sao Paulo ist eine sehr gefährliche Stadt. Teile davon, in erster Linie die riesigen Favelas, die Armenviertel, sind für Fremde absolute No-Go-Areas. Daran sollte man sich halten. Aber andereseits haben wir die Erfahrung gemacht, dass „unauffällig angepasst“ am besten fährt, will sagen, wenn man sich schlicht kleidet, sich selbstverständlich, ohne Fotos zu machen oder staunend um sich zu blicken durch die Stadt bewegt, ist man relativ sicher und kann vieles machen. Je selbstsicherer, desto besser. Des öfteren allerdings sieht man Touristen, die sich ebenso gut gleich ein Schild mit der Aufschrift „Bitte Ausrauben!“ umhängen könnten: im schicken „Wir fahren in die Tropen“ -Marken-Outfit, mit der Kamera um den Hals, dicken Armbanduhren usw. Sie blicken mit Zooblick auf alles, weichen ängstlich jedem ärmeren Einheimischen aus, schüttelnd entsetzt oder gutmenschenhaft ob der Umstände den Kopf. Das mag nicht nett formuliert sein, trifft aber leider auf einen Teil der Touristen hier zu.

Ein unbedingtes Muss für Entdecker dieser Stadt, nicht aber für Ängstliche, ist die berühmteste Einkaufsstrasse von Sao Paulo, die „25 do Marzo“ – sprich: „Vientschi-sinco“. Hier kaufen vorallem kleine Gewerbetreibende aber auch Privatleute ein, hier werden in den oberen Stockwerken der 2- bis zehnstöckigen Häuser auch größere diskrete Geschäfte abgewickelt. Hier gibts alles vom Stoffen, Kleidung, Elektronikartikeln bis zu Küchenutensilien, Schmuck oder feiner Unterwäsche – nicht zu vergessen: ganze Passagen, die ausschliesslich gefälschte Markenartikel anbieten, das ist hier offenbar salonfähig. Vor einigen Jahren war diese circa einen Kilometer lange Strasse noch irrsinniger, als auf der Strasse selbst, zwischen den tausenden sich hin- und herschiebenden Käufern noch hunderte fliegender Händler ungestört ihre Waren verkauft haben. Die Zustände waren allerdings nicht mehr haltbar und in Sachen Kriminalität extrem gefährlich, so dass diese Händler jetzt verboten sind und an jeder Strassenecke feste Polizeiposten gebaut wurden. Trotzdem geht der Handel –etwas eingeschränkt- weiter, allerdings gibt es ungefähr alle Stunde Razzien: rennende Schwarzhändler und in Garnisonsstärke auflaufende schwerbewaffnete Polizisten in kugelsicheren Westen. Kaum sind die 50m weg, sind die ersten Händler wieder da. Das gelebte Chaos.

Nicht versäumen sollte man einen Besuch der alten Markthalle in einer der Nebenstraßen. Hierher kommen vorallem Besucher der Stadt, aber es lohnt sich: Der Mercado Municipal Paulista ist traditionell ein Zentrum für Gourmets: Stände mit farbenfrohen Pyramiden der unglaublichsten Früchte aus ganz Brasilien. Fleisch und Wurstwaren, Käse, Gewürze. Und Ess-Stände mit leckeren Spezialitäten. Einfach ein Fest für die Augen und den Magen.

Geschichten und Eindrücke aus Sao Paulo könnten ein ganzes Buch füllen, dies sind nur Kostproben. Es gibt unglaublich viel zu entdecken von Kunst bis Sport und Kommerz; wir waren schon einige Male dort und haben nur an der Oberfläche gekratzt. Eeune Stadt, die einen auf den ersten Blick erschlägt, die mir Angst gemacht hat, und von der ich inzwischen nicht lassen kann. Allerdings ist diese Stadt so anstrengend, dass sich nach einigen Tagen doch eine Art Fluchteffekt einstellt. Die Sehnsucht nach Ruhe und Durchatmen – zwei Dinge, die es hier nicht gibt.

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01 Kurze Vorbermerkung zu Brasilien 2013

Liebe Leser! Das Thema Brasilien stellt sich etwas anders dar als das vorangegangene – für mich und meine Leser. Ich war schon recht oft hier und die Leser meiner früheren Reisebriefe haben schon einiges über bestimmte Orte erfahren, die ich auch auf dieser Reise besucht habe. Deshalb werde ich diesmal nicht – wie gehabt – jeden Tag der Reise beschreiben, sondern die einige Dinge oder Orte eher blockweise zusammenfassen, so dass es für meine Stammleser nicht langweilig wird und für meine neuen Leser trotzdem interessant und informativ ist. Ich hoffe, es gelingt mir, weiter Euer Interesse  zu wecken und würde mich freuen, wenn Ihr mir weiter auf meinen Reisen folgt.

Übrigens – einige haben geklagt, sie wüssten nie, wann es etwas Neues gäbe – es gibt den Button „Follow“, der eine Benachrichtigungsfunktion aktiviert – per @-mail. Viel Spaß, bleibt mir treu!