18 Vietnam: Zurück in Hanoi

Nett, mal so in einer Schiffskabine aufzuwachen, noch dazu mit Blick auf die Ha Long Bay! Da kann man das Getucker des Generators nebenan und die Tatsache, dass das Duschwasser beinahe in die Kabine läuft, weil das Schiff leider so liegt, dass das Wasser nicht in Richtung Ausfluss sondern Richtung Türschwelle läuft, durchaus verkraften. Aber mit fortwährenden Wischbewegungen der Beine ist das Schlimmste zu verhindern und Frühsport ist auch gleich erledigt.

Nach dem recht vietnamesischen Frühstück (Reis, Eier, Obst, etwas Weißbrot) werden wir noch mal ausgebootet, um eine  Perlenfarm zu besichtigen. Ganz interessant, wie die  verschiedenen Austern mit mehrjähriger Pflege und viel Handarbeit gezüchtet werden, bis man dann endlich das begehrte Schmuckstück bewundern kann. Nur 30 Prozent bilden eine Perle, nur zehn Prozent eine perfekte, die zu edlem Schmuck verarbeitet wird. Aus den restlichen 2o Prozent wird Modeschmuck, Kosmetik und Medizin. War durchaus eine Versuchung, ein dezentes, aber elegantes Schmuckstückchen zu kaufen – so eine kleine schwarze Perle etwa?!

Nach dem Abschiedslunch auf dem Schiff (die Frühlingsrollen haben wir unter Anleitung selbst gebastelt!), geht´s gemächlich wieder zurück zwischen den grünen Bergen Richtung Hafen. Das Wetter ist heute schlechter, die Sicht nimmt von Minute zu Minute ab. Wir hatten also noch Glück mit unserer Tour.

Auf den langen viereinhalb Stunden Heimfahrt durch endlose Reisfelder und triste Ortschaften habe ich das Glück neben unserer kleinen Orchidee (Lan) zu sitzen. Sie ist sehr neugierig und will viel über Europa und Deutschland wissen, was mir umgekehrt Gelegenheit gibt, endlich mal alles über Vietnam zu fragen, was in keinem Reiseführer steht.

Sehr spannend und erschreckend! Warum sich das Ganze hier „sozialistisch geprägte Marktwirtschaft“ nennt, bleibt mir ein absolutes Rätsel. Die hängen sich nicht mal mehr ein soziales Feigenblättchen um, geschweige denn irgendwas Sozialistisches – außer vielleicht die allmorgendliche und allabendliche Beschallung der öffentlichen Straßen und Plätze mit Revolutionsliedern und flammenden Appellen. Das hat sich nicht mal die DDR in wildesten Zeiten getraut.

Nicht mal mehr Bildung oder Gesundheitsversorgung ist hier umsonst – und das in diesem armen Land! Das heißt nichts anderes, als dass es Heerscharen von Analphabeten und ahnungslosem menschlichen Arbeitsmaterial gibt. Die Superreichen (und die sind wirklich SUPERreich) zahlen selten Steuern, und wenn dann fünf Prozent. Überall im Land hängen noch die Parolen und Revolutionshelden-Poster á la Arbeiter- und Bauernstaat 1960. Die Partei ist mächtig und allgegenwärtig und tut offensichtlich nicht mehr, als alle zu überwachen, sich selbst an der Macht zu halten und die Abzocker und ausländischen Investoren zu hofieren. Die jährliche Inflationsrate beträgt über 22 Prozent.

Ein Auto muss importiert werden und kostet zusätzlich 200 Prozent Importsteuer. Wohnen ist so teuer, dass sich Lan mit zwei Feundinnen ein Durchgangszimmer teilt. Kochen können die meisten so gar nicht zu Hause, was erklärt, warum alle auf den Straßen essen. Wer ein Visum nach Europa will, muss ein Deposit von 5000 US-Dollar, einen gut bezahlten Job, Ehegatten und Familie nachweisen. Bei den Einkommen hier fast ein Schönefeld-Projekt (zeit- und finanztechnisch gesehen). Gesetzlichen Urlaubsanspruch gibt es neben den gesetzlichen Feiertagen keinen.

Die Gesellschaft selbst ist immer noch extrem hierarchisch und patriachalisch. Männer tun außer zu arbeiten absolut nichts innerhalb der Familie und des Hauses, die Eltern bestimmen im Allgemeinen, was die Kinder zu studieren haben (wenn sie es sich denn leisten können), wen sie lieben dürfen usw. Lan kriegt ganz große, glänzende Augen und kichert ungläubig, als sie hört, dass Männer in Deutschland auch kochen, einkaufen, putzen und Kinder aus dem Kindergarten abholen. Gar nicht so einfach hier, schon gar nicht für die jungen Leute, die durch Touristen und Internet sehr wohl informiert sind, wie die Welt „da draußen“ aussieht.

Am Abend hat uns der Moloch Hanoi wieder und dreht uns durch die Lärm-Abgas-Überbevölkerungsmühle. Nicht, dass es nicht interessant wäre, aber es ist wirklich knallhart und extrem anstrengend.

Am folgenden und letzten Tag versuchen wir uns trotz tiefgrauem Dauernieselregen und Dreck noch mal in Sightseeing. Ins Oberheiligste, das Ho-Chi-Minh-Mausoleum lässt man uns morges um halb elf nicht mehr rein. Direkt gegenüber vom Taxi abgesetzt, werden wir erst rund ums Viertel geleitet, um dann 100 Meter vom Ausganspunkt entfernt durch die Eingangskontrolle gehen zu dürfen. Leider fünf Minuten zu spät, um uns in die lange Schlange aus Touristen, Veteranen und auch jungen Vietnamesen aus dem ganzen Land einreihen und den ausgestopften Helden bewundern zu dürfen. Der wollte das übrigens nicht. Sein letzter Wille war, einfach nur als Urne traditionell begraben zu werden. Heerscharen von Wachsoldaten geleiten uns immer wieder im Kreis, kein Schritt links oder rechts auf dem Bah-Dinh-Platz, auf dem Onkel Ho 1945 die Unabhängigkeit ausgerufen hat, rund ums Revolutionsmuseum und dem ganzen anderen Krams im Umkreis. Meine Laune wird von Minute zu Minute schlechter, eine Weile versuche ich es noch mit dummen Witzen und Zynismus, dann bin ich nur noch stinkig.

Als sich dann auch noch der benachbarte Botanische Garten als eingezäunte, langweilige Grünanlage entpuppt – das alles immer noch im Nieselregen mit nassen, völlig verdreckten Füssen – reicht´s. Ich bestehe auf Taxi und Altstadt.

Dort angekommen rettet mich die Entdeckung eines winzigen Cafés mit echtem Espresso und netten jungen Besitzern. Meine Laune steigt mit dem Koffein-Spiegel. Wir nehmen uns eine Rikscha und lassen uns für 100.000 Dong (gut drei Euro) eine Stunde durch das alte französiche Viertel – vorbei an der Oper und dem Hoan-Kiem-See – kutschen und genießen das träge Vorbeifließen der Stadt.

Schließlich besuchen wir noch den Wahnsinn des städtischen Marktes, wo die Hanoier Handeltreibenden selbst einkaufen. Völlig erschlagen davon treiben wir noch eine Weile durch die Gassen, die früher von den einzelnen Handwerks-Gilden bevölkert wurden. Ein bisschen ist es auch heute noch so. In einer Straße gibt es alles aus Seide, in den nächsten werden Schlosser-, Tischler-, Leder- oder Bambusarbeiten angeboten. Und natürlich bergeweise lächerlich billige Markengarderobe, die überwiegend sogar echt ist, da sie hier hergestellt wird und Überproduktion oder Mängelprodukte hier verkauft werden dürfen.

Aber am Ende des Tages sind wir völlig geschafft von all dem und froh, als wir ins Taxi steigen dürfen zum Nachtzug, der uns in 18 Stunden nach Na Trang an die Küste bringen soll – jenseits der Wetterscheide zurück in den Sommer.

17 Vietnam: Naturerbe Ha Long Bay

Zu unserem Erstaunen bietet das kleine Frühstücksbuffet im Hotel Brot, Butter (!) und Marmelade, neben Obst, Pfannkuchen, Bacon, gebratenem Reis und Eiern nach Wunsch. Ist ja schon fast wie zu Hause.

Um Punkt acht Uhr  hetzt der Hotelboy an unseren Tisch und zerrt uns hektisch zur Tür: Der Tourbus wartet und der darf hier offiziell nirgends anhalten. Schwupp-di-wupp ist unser ganzes Gepäck verstaut und wir werden in einen kleinen Bus verfrachtet. Hier empfängt uns eine ebenso hübsche wie charmante Reiseleiterin, sie heißt Lan, was Orchidee bedeutet.

Der Bus dreht noch eine halbe Stunde Runden durch das Gewirr der großen Altstadt und sammelt unsere Mitreisenden für Ha Long in den verschiedenen Hotels ein, immer auf der Flucht vor der gefürchteten Polizei. Eine echt sportliche Übung: Lan springt schon jeweils eine Ecke vorher aus dem Bus. Während der sich noch durch das Chaos drängelt sprintet sie zum Hotel, flitzt mit den Touristen im Schlepptau und deren Gepäck Richtung Bus, damit der möglichst nur ein paar Sekunden halten muss. Wenn die Polizei sie erwischt, muss der Busfahrer sie aus eigener Tasche schmieren, um üblere Strafmaßnahmen abzuwenden. Ein täglich tausendfach gespieltes Spielchen hier. So bekommen wir quasi noch eine gratis Stadtrundfahrt.

Wir sind 20 Leute aus sechs Ländern, alle Altersklassen, aber irgendwie eine passende Zusammenstellung: keine party people, keine Schnösel, keine unerzogenen Kinder, nur ein süßes adopotiertes vietnamesisches Mädchen. Das ist ja schon mal was.

Auf der viereinhalbstündigen Fahrt gibt es eine Pause. Wir haben an einer schicken neuen Halle auf einem großen Gelände gehalten, vor der kunstvolle Steinstatuen stehen. Innen gibt es Kunst, Kunsthandwerk, Schmuck und handgenähte Kleidung von bester Qualität und mit viel Stil. Es sind wunderschöne Dinge dabei. Hergestellt wird alles vor Ort zum Zuschauen – von körperbehinderten jungen Menschen. Und jetzt kommt der gruselige Teil: Sie alle sind in dritten Generation Opfer von Agent Orange, mit dem die Amerikaner im Krieg die Wälder entlaubt haben, um die Vietnamesen besser aus der Luft orten und bombardieren zu können. Das Zeug hat das Erbgut geschädigt.

Endlich sind wir an der Ha Long Bay. Allzuviel sieht man vom Hafen noch nicht, es ist zu neblig für eine weite Sicht, aber wenigstens fällt kein Regen und es ist auch nicht tiefgrau. Immerhin können wir schon etwas weiter draußen einige der Karstberge sehen, die so ungewöhnlich aus dem Meer aufsteigen. Wir sind sehr gespannt, die Ha Long Bay war für uns einer der Orte, die wir unbedingt sehen wollten. Eine klapperige Barkasse bringt uns schließlich zu unserem Schiff: Alle aus unserer Gruppe gucken zunächst ziemlich entgeistert auf das scheußliche alte Schiff mit der blätternden Farbe, das sich unter den Dutzenden als unseres herausstellt. Mit dem strahlenden weißen Schiff aus dem Prospekt hat dieser alte Kahn überhaupt nichts zu tun. Aber es gibt noch üblere Kähne, auch wenn das nur ein kleiner Trost ist.

Unser Schock neutralisiert sich aber etwas als wir das Innere sehen, das sieht noch ganz passabel aus. Die junge Schiffscrew gibt sich wirklich alle Mühe, die Schiffsmängel durch Service, gutes Essen und Freundlichkeit wettzumachen. Unsere Kabine ist ganz kuschelig, abgesehen vom Geräusch des Schiffsgenerators, aber das ist auszuhalten.

Je tiefer wir in das Archipel der hohen grünen Felsinseln von Ha Long fahren, desto schöner wird es. Die Formen der so unvermittelt hoch aus dem Meer aufsteigenden Berge sind so ungewöhnlich, dass man sich nicht satt sehen kann. Zwischen den Inseln und auf ihren dicht bewaldeten Wipfeln wabern Nebelschwaden – wie eine japanische Tuschzeichnung.

Wir sind längst versöhnt mit der Tatsache, dass wir keinen strahlenden Sonnenschein und kein türkises Meer sehen werden. Das hier ist genauso schön, anders schön. Mysteriös und geheimnisvoll. Keine Frage, warum die Ha Long Bucht zum Weltnaturerbe gehört, sie ist wirklich einmalig. Viele der Berge sind haben große Höhlen, in denen teilweise Fischer gelebt haben – und es in einigen Fällen vielleicht noch tun.

Der Name der Bucht bedeutet auf vietnamesisch „Der landende Drache“. Der Legende nach wollten die Chinesen, die Vietnam ohnehin über 1000 Jahre lang beherrscht haben, wieder einmal die Küste überfallen. Der Drache, der hier lebte, war darüber sehr böse und ließ über tausend Juwelen vom Himmel ins Meer fallen, die sich unten in diese Inseln verwandelt haben. Mit diesem Schutzwall konnten sich die Vietnamesen dann besser gegen Angriffe verteidigen. Die geologische Erklärung vom Auf und Ab der Erdteile ist mir zu prosaisch, als dass ich sie hier weiter ausführe.

Nach einem Lunch an Bord fahren wir noch etwas tiefer in die Bucht, dann bringt uns die mitgeschleppte Barkasse ans Ufer einer der Inseln. Von unten sehen wir durch einige freie Stellen im dichten Grün am Berg, dass ein Weg bzw. Treppe nach oben führt. Er endet am Eingang zur Höhle „Amazing Cave“, denn auch dieser Berg ist hohl. Sie ist riesig und erinnert an eine Tropfsteinhöhle, obwohl sie damit nichts zu tun hat. Das Wasser hat diese Formen in die Kreidefelsen gespült. Eine bizarre Schönheit! Früher haben die Fischer auch hier gelebt. Dann wurden diese Höhlen für die Öffentlichkeit freigegeben und seither leben sie in ziemlich ärmlichen schwimmenden Häusern in der Bucht zwischen den Inseln.

Nach dem Höhlenbesuch können die, die wollen mit Kayaks die Stunde bis zur anbrechenden Dunkelheit zwischen den Inseln herumpaddeln. Ein feuchtes Vergnügen, vor allem angesichts des wenig sommerlichen Wetters. Aber die meisten nutzen die Chance – wie wir auch.

Die Barkasse bringt und an Bord unserer Imperial Junk zurück, die inzwischen mitten in einer der „Schlafbuchten“ geankert hat, wo wir, wie Dutzende anderer Schiffe, übernachten werden. Wir hatten uns das einigermaßen schrecklich vorgestellt, wegen der vielen Schiffe und des Massenbetriebs. Aber es gibt viel Platz und so ist es doch sehr friedlich und in der Dunkelheit sogar richtig idyllisch und richtig stimmungsvoll mit all den erleuchteten Schiffen zwischen den nächtlichen Inseln. Ganz ohne Motorradgeknatter! Ein sehr leckeres, mehrgängiges Dinner und nette Gespräche auf und unter Deck beschließen unseren Tag an Bord. Von unserem Bett in der Kabine am Oberdeck können wir auf Ha Long Bay blicken, bevor uns die Augen zufallen.

15 Vietnam: Moloch Hanoi

Adieu Whale Island! Alle Pläne geändert, statt häppchenweise nach Norden, fliegen wir direkt nach Hanoi. Das erscheint schlau und einfach, zumal Flüge hier sehr billig sind. Truong, der smarte Junge an der Rezeption, hat es hinbekommen, dass wir kurzfristig einen Flug von Tuy Hoa, einer kleinen Stadt eine Stunde entfernt, bekommen haben. Alles bestens organisiert: Das Boot wartet um 7.30 Uhr auf uns, auf dem Festland ein Taxi mit instruiertem Taxifahrer. Wir erreichen überpünktlich den ziemlich neu wirkenden Flughafen und checken ein, das Gepäck und uns. Dann die Sicherheitkontrolle – und dann ist Schluss mit lustig. Ich werde aufgehalten, der junge Typ liest zum x-ten Mal mit zusammengekniffenen Augen Ticket und Pass und winkt den Vorgesetzten herbei, selbes Spiel. Es stellt sich schließlich heraus, dass sie über meinen Namen stolpern, weil zwar ganz korrekt Name, Geburtsname und Vorname im Ticket eingetragen sind, aber der Zusatz „geb.“ fehlt. Naja, kein Problem, denke ich und versuche zu erklären.

Das Problem ist nur, niemand versteht mich und alle zeigen alle immer wieder auf die Abkürzung und erklären: no full name ticket!!! Der Vorgesetzte gackert mich immer fröhlich an, wie ein Haifisch die Flunder, das soll wohl freundlich und beruhigend wirken. Jedenfalls kommen alle möglichen Menschen und mein Pass wandert von einem zum andern, immer wieder erkläre ich: vergebens. Gacker, gacker, grins, grins. Ich versuche mich auf jede erdenkliche Weise bis hin zur Pantomine zu erklären: former name, daddy´s name, now married – alles zwecklos. Langsam fange ich an zu schwitzen. Nun wird ein uniformierter Vorgesetzter mit vielen Sternen auf der Schulter gerufen, der guckt ganz streng in den Pass und mustert mich immer wieder wie etwas, was man unter seiner Stuhlkante kleben hat.

Endlich hält man mir Rechnung hin: Ich soll für über 3,4 Millionen Dong ein anderes Ticket kaufen: „Full Name“. Jetzt ist bei mir Ende mit der Gelassenheit, ich springe im Kreis. Kein Schwein spricht auf diesem Flughafen Englisch. Man bedeutet mir (grins grins) ich solle mich beruhigen, man wolle das Hotel anrufen. Wieder passiert ewig nix, mein Pass verschwindet, Grinsbacke kichert mich wieder an, ich gifte zurück. Der Uniformierte spricht angeregt über Funk, sein Atlatus telefoniert mehrfach. Langsam nähert sich die boarding time. Eine Stunde geht das Spielchen jetzt. Als wir schon langsam die Nerven verlieren, entschließt man sich dann wohl, doch lieber keine internationalen Probleme heraufzubeschwören, lichtet meinen Pass ab und winkt mich durch. Mit der strengen Ermahnung: „Next time nickname too!“. Neiiin! Das ist kein nickname!!!! (Kosename) Gacker gacker, „Yes yes, Nickname too!“ Nass geschwitzt und entnervt besteigen wir die kleine Propellermaschine nach Hanoi.

In Hanoi der Klimaschock. Nach 30 Grad und Sonnenschein nun 13°C, dunkelgrau, regennasse Straßen. Schon im Taxi sind meine nackten Füße Eis. Wir erreichen die klaustrophobisch enge, verwinkelte und nasse, schmutzstarrende Altstadt und das in der Nacht noch gebuchte Hotel – hier sitzen alle in Daunenanoracks im Haus! Ich fühle mich krank, mein Magen revoltiert wieder, es ist kalt, draußen regnet es und der Duschvorhang in unserem Zimmer sieht aus wie eine Pilz-Zuchtanlage. Ich habe mein ganz persönliches Reisetief. Ich will nur noch im – zum Glück sauberen – Bett liegen und schlafen, um mich hier wegzuträumen.

Später, die Klimaanlage ist auf 30 Grad gestellt, fange ich mich wieder ein bisschen und wir gehen auf einen ersten Spaziergang, um eine Apotheke und ein passables Abendessen zu suchen.

Unser Hotel ist eins von den hier ganz typischen Tunnel-Häusern: zimmerbreit, aber circa 80 Meter tief. Da reihen sich an die Rezeption hintereinander noch ein Reisebüro, ein Friseur, ein Brückchen mit Miniwasserfall, ein Treppenhaus, ein leeres Restaurant, ein Fahrstuhlflur, der Frühstücksraum und die Küche. Alles ziemlich alt und ziemlich abgeranzt. Aber die Hotelcrew ist super freundlich, das Zimmer relativ groß und das Bett sauber bezogen.

Mit allen vorhanden dicken Sachen eingemummelt machen wir uns auf in den Wahnsinn der Hanoier Altstadt. Es fällt mir schwer, den zu beschreiben! Ein Gewirr von engen Straßen, ehemals schöne, nun meist schimmelschwarze, alte Häuser drängeln sich neben halben Ruinen und dazwischengebauten schmalen Hotels aller Preislagen. Manche Häuser haben nur ein Stockwerk, andere bis zu zehn oder sogar mehr. Das ganze ist überspannt von einem Wust an Elektrokabeln, dass man sich wundert, dass hier noch nicht alles abgebrannt ist. In jedem Haus sind Läden, vollgestopft bis in den letzten Winkel, Werkstätten, Restaurants, Garküchen, Reiseagenturen. So viel, dass man kaum noch etwas einzeln wahrnimmt – es ist einfach zu viel, es gibt alles!

Auf den Straßen herrscht der totale Wahnsinn. Noch mehr Motorräder und –roller als in Saigon, Taxis, ein paar Privatautos, Radfahrer, Rikschas, Fußgänger und Straßenverkäufer. Die meist handtuchbreiten Straßen sind überwiegend in miserablem Zustand, bei dem Wetter dreckverschmiert, die Bürgersteige unbenutzbar, da völlig zugeparkt oder mit Waren zugestellt, wenn nicht gerade Menschen auf winzigen Stühlchen dort um eine Garküche sitzen und essen. Das Essen wird teilweise auf Tabletts auf dem Boden zubereitet, nur Millimeter vom Straßendreck entfernt. Als Fußgänger schlängelt man sich mitten durch den Verkehr auf der Fahrbahn. Es wird ununterbrochen gehupt, die Luft ist Abgas pur, das Geräusch der Motorräder bildet den permanenten Grundton unter allem anderen. Nach einer Weile hat einen der normale Wahnsinn absorbiert und man schwimmt fast unbewusst zwischen all den Motorrädern, Taxen und Menschenmassen herum – oder wird einfach geschoben.

Läden, Läden, Läden – ohne Ende! Hier und da am Straßenrand, in jedem Hotel und Geschäft, manchmal sogar auf den knorrigen Straßenbäumen mit bunten Lämpchen beleuchtete Buddha-Schreine mit Räucherstäbchen, frischem Obst, Blumen, Schokoladenkeksen, Coca Cola und Geldscheinen. Und dazwischen: Abfälle, günstigstenfalls in Plastiktüten verpackt.

Es gelingt uns nach einigen vergeblichen Versuchen eine Apothekerin zu finden, die versteht, was ich will. Wir besuchen verschiedene kleine Reisebüros, weil wir morgen in berühmte Ha Long Bucht fahren möchten und Preise vergleichen wollen. Die Angebote unterscheiden sich minimal, wir buchen schließlich einen Zweitagesausflug. Da das Wetter so mies ist, wollen wir lieber doch nicht drei Tage riskieren, wie zuerst geplant. Wir entscheiden uns für ein mittelgroßes, sehr geplegt aussehendes Schiff, auf dem wir schließlich ja auch schlafen müssen. Die Fotos sehen toll aus, die Kabine super, genau wie das Restaurant, in dem alle Mahlzeiten serviert werden. Wir handeln noch 30 Dollar Preisrabatt aus und sehen der Reise gespannt entgegen. Wir haben schon begeisterte Menschen getroffen wie auch alptraumhafte Geschichten gehört …

Dann die Suche nach einem passablen Restaurant, das ich meinem armen Bauch zumutem kann. Das von der Reiseagentin empfohlene Suppenrestaurant sieht suboptimal, aber passabel aus. Ich warte, Miki geht eine Etage höher auf die Toilette. Drei Minuten später zerrt er mich aus dem Restaurant. Direkt neben dem Klo lagen die Lebensmittel offen auf dem schmutzigen Fußboden im Dreck, Miki ist darin ausgerutscht …

Aber zum Glück herrscht ja hier kein Mangel an Restaurants. Keine Ahnung, ob ihre Zahl in die Hunderte oder Tausende geht. Wir finden eine Ecke weiter ein etwas Vertrauen erweckenderes, leicht europäisch anmutendes. Nach einer leckeren Hühnersuppe mit Reisnudeln geht es mir besser. Wir Kaufen noch ein paar Mangos und finden nach einigem Suchen sogar zurück ins Hotel Indochina Queen II und lassen uns erschöpft in die Kissen sinken. New York ist ein ruhiges Plätzchen und Berlin ein Öko-Dorf.

14 Vietnam: Zwangspause im Paradies

Ja, es gibt ein Leben nach dem Tauchen! Schließlich sind wir immer noch auf Entdeckerreise in Vietnam!

Aber falls ich nun gedacht haben sollte, jetzt kann ich erstmal ordentlich feiern und dann wieder den Rucksack aufschnallen und weiterziehen: Daraus wird nichts. Am Nachmittag nach dem großen Sieg fühle ich mich plötzlich nicht mehr recht wohl und am Abend geht´s mir so schlecht, dass ich glaube, mein letztes Stündlein hat geschlagen: Magen und sonstige Innereien im Krieg! Ich habe mich ernsthaft schon in einem vietnamesischen Krankenhaus gesehen. Nur die Inselnacht und Abgeschiedenheit hat auch Miki erstmal von derartigen Schritten abgehalten. Nach der ersten Nacht geht es mir zwar wieder besser, aber reisefähig bin ich die nächsten zweieinhalb Tage noch nicht, schon gar nicht für zehn Stunden Nachtbus. Aber wir machen das Beste daraus und bleiben einfach länger auf dieser Paradiesinsel, wo ich mich im Schatten langsam wieder erhole. Es gibt wirklich viele schlechtere Orte, an denen man auf Genesung wartet. Ich kann mir zuerst überhaupt nicht erklären, was passiert ist, denn das Essen ist hier so gut und gepflegt, wie sonst kaum in Vietnam.

Erst Tage später bringt mich eine Frau auf den vermutlichen Grund: Sie hat einen Freund, der auf Bali getaucht ist und dabei viel Wasser geschluckt hat, in dem Bakterien waren, von denen er eine schlimme Vergiftung bekommen hat. Klar – die Schnorchelübungen und das viele Salzwasser … und hier in der Nähe sind Hummer- und Fischfarmen und die kippen jede Menge Medikamente etc. ins Wasser!

Wir lassen also unser Busticket sausen (was zum Glück hier nicht viel kostet) und machen es uns nett. Ganz nebenbei gibt es noch einen kleinen Workshop über Seepferdchen! Eine chinesische Wissenschaftlerin aus Boston ist mit Kollegen aus Haiphong dafür in der Welt unterwegs, weil sie an einem weltweiten Info-Netz über die putzigen Tierchen arbeiten, für das Mitbeobachter gesucht werden. Ich glaube zwar nicht wirklich, dass ich in Spree und Schlachtensee allzu viele entdecken werde, aber spannend war´s trotzdem. Und außerdem – wenn es schon mal Kerle sind, die die Babys austragen und gebären müssen, ist es die Aufmerksamkeit doch wohl wert!

Ich weine fast, als in dem Zusammenhang noch zwei Tauchgänge für fast kein Geld angeboten werden, ich aber als verantwortungsvolle Jungtaucherin aus gesundheitlichen Gründen abwinken muss. Ich glaube, mich hat wahrhaftig eine neue Liebe gepackt.

Immerhin geht es mir am letzten Nachmittag wieder gut genug für einen ausgedehnten Schnorchelausflug entlang der Küste. Wunderschön! So viele Korallen und Fischchen! Habe ich übrigens schon erzählt, dass man hier fliegende Fische sehen kann? Unglaublich! Man schaut auf das Wasser und plötzlich erhebt sich kurz eine silberne Welle aus hunderten kleiner Fische daraus, die in perfekter Choreografie wie ein glitzernder Regenbogen über der Wasseroberfläche auf- und wieder abtauchen.

Eine unschöne Fußnote muss ich allerdings doch noch anhängen, trotz all der Schönheit hier auf dieser Insel, das Müllproblem. Hier im Ressort wird peinlich auf vorbildliche Entsorgung geachtet. Aber mehrmals täglich muss ein Angestellter das komplette Ufer abgehen, um angeschwemmte Plastiktüten, Medikamentenverpackungen und anderen angeschwemmten Mist herauszufischen, den die Fischer und die Touristenschiffe hineinwerfen. Und leider findet sich der Dreck auch immer wieder auf dem Meeresboden. Ganz zu schweigen von der Rückseite der Insel, die unbewohnt und unbewirtschaftet ist, und wo niemand aufpasst. Es ist so traurig, das man abwechselnd weinen möchte oder einen die Wut packt. Vietnam ist eins der schönsten Länder, das ich gesehen habe, aber das ganze Land erstickt im Müll. Es ist einfach überhaupt kein Empfinden dafür da – null.

13 Vietnam: Abgetaucht 4

Heute ist es also so weit! Wir werden ja sehen, wer hier Hasenherz oder die Inkarnation des tropischen Korallenfischchens ist. Mein Magen grummelt etwas nervös, aber sonst freue ich mich auf das Abenteuer. Allzu konkrete Phantasien vermeide ich mit Plaudereien an Bord unserer „Rainbow Divers“ Barkasse und der Konzentration auf Abläufe und Technik. Der starke Mann an meiner Seite ist irgendwie ein bisschen mehr nervös. Er hat sich in der vergangenen Nacht alles ein bisschen zu genau überlegt. Naja, zugegeben, ich habe es einfach vermieden, mir vorzustellen, dass ich mit diesen ganzen Gewichten  behangen (sprich:Tank + Ausrüstung + Bleigürtel) einfach in die Tiefe springen soll. Frauen sind eben doch mutiger!

Vivi wird natürlich mit uns in die Tiefe gehen, Dive Master an Bord ist ein lustiger Vietnamese der Nghi heißt. Außerdem gibt´s noch den Bootsfüher, der gemütlich in einer Hängematte am Steuer sitzt. Noch ein paar Trockenübungen mit dem Kompass und die Ansage, welche letzten Aufgaben wir tief unten noch absolvieren müssen, dann ist es soweit: Wir sind in Tron Bay angekommen, der Countdown läuft.

Ausrüstung zusammenbauen, anlegen (inzwischen ganz profimäßig natürlich), Buddy Check (B.W.R.A.F) und schon stehen wir zentnerschwer am Bootsende, einen Meter über dem tiefen Blau. Maske, Mundstück und Bleigürtel festhalten und einfach einen großen Schritt ins Nichts. Jetzt nur nicht mehr nachdenken! Ich hab´s nicht anders gewollt! Also nicht beschweren. Noch einmal einen Blick in die freundliche sonnige Welt und PLATSCH!

Die ersten sechs Meter sind seltsamerweise tatsächlich die schwierigsten, der Widerstand ist am größten. Bei jedem Meter muss man für das equalizing sorgen, den Druckausgleich (mit Hilfe der eigenen Nase), sonst platzt das Trommelfell. Aber das haben wir inzwischen drauf. Alles easy. Gemächlich geht´s in die Tiefe, in diese wunderbare neue Welt, die so unwirklich erscheint, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt und die Zeit wie im Fluge vergeht. Fische in allen Farben und Größen, große und kleine Korallen in allen möglichen Formen, monsterartig wirkende Sehgurken, bunte bizarre Schwämme, verschiedene Meeresschnecken – einfach großartig. Inzwischen habe ich richtig gut gelernt, über dem Meeresboden nur mit Hilfe der Atmung auf und ab zu navigieren, es ist wie Schweben. Antrieb kommt nur von gemächlichen Flossenbewegungen, die Hände werden verschränkt, wenn man nicht gerade mit den Gerätschaften zu tun hat. Auch mein Buddy ist richtig gut drauf jetzt.

Zwar müssen wir noch mal ein paar doofe kleine Übungen machen, wie Brille abnehmen und wieder aufsetzen, Atemregulator raus und weiter ausatmen, bis er wieder korrekt angelegt ist, Kompassschwimmen und 45 Sekunden bewegungslos schweben, aber darüber können wir inzwischen fast lachen. Alles Pipi-Kram, angesichts des Privilegs, das hier erleben zu dürfen! All der Stress verschwindet aus dem Kopf, man wird ganz gelassen und fühlt sich als Teil vom großen Ganzen. Spät drauf gekommen – kurz vorm Altersheim, aber was sagt das schon. Es ist passiert und es ist einfach toll!!!!!!

Spaß beiseite: Tauchen zu lernen ist in jeder Hinsicht eine großartige Erfahrung. Man lernt nochmal völlig andere Dinge über sich und seinen Körper: andere Bewegungsformen und Gesetze als die auf Land. Da werden einem Kapazitäten des eigenen Körpers klar, von denen man gar nicht geahnt hat, das es sie gibt. Ich wäre jedenfalls nicht auf die Idee gekommen, dass ich mich allein per Atmung auf und abbewegen kann, ohne einen einzigen Finger zu bewegen. Und schließlich darf man dann als Krönung nach soviel Selbsterkenntnis praktischer Art diese andere, blaue, faszinierende Unterwasserwelt erleben. Einfach perfekt. Danke, Yemanja, Göttin des Meeres, dass du uns dabei beschützt hast!

We are OPEN DIVERS now!!!

12 Vietnam: Abgetaucht 3

6.15 Uhr – mein einsames Verwöhnbad in „unserer“ Bucht. Diesmal ist sogar meine alte Schnarchbacke dabei, obwohl der nichts vom allmorgendlichen Defilee der Tuckerbote mitbekommt – heute hat es um 4:45 Uhr begonnen. Miki ist so in Trance, dass er gleich wieder Kontakt zu seinen Freunden, den Seeigeln aufnimmt – langsam sieht er selbst wie ein Igel aus, denn die Stacheln gehen erst nach Tagen gutwillig wieder aus dem Körper.

Hopp hopp zum Frühstück. Miki hat langsam seinen Sättigungsgrad an Instant-Nudelsuppe mit wechselnden Frischfleischeinlagen erreicht. Aber da er Eier in keiner Form essen mag, mangelt es an Alternativen. Immerhin gibt es aber immer frischen Kuchen und ein Schälchen Obst. Und Kalorien müssen ´rein, bei drei Stunden Wasser am Stück.

Vivi wartet schon, wieder vollziehen wir unser Ritual und verwandeln uns in die Teletubbies in Neopren. Dann das ganze Procedere von vorn: Ausrüstung zusammenbauen, Merksätze und Abläufe wiederholen. Miki wird noch Alpträume davon bekommen, die Tauchlehrerin aber auch. Ich bin zwar schneller, aber dafür manchmal chaotischer. Nun noch ein paar neue Erklärungen, damit das Lernen nicht zu langweilig wird und die tägliche Vergatterung, bei der wir erfahren, welche Heldentaten wir heute schaffen müssen: z.B. Druck und Tiefenkontrolle auf Aufforderung, „Ansagen“ der Füllstände, Safety-Stopp auf der angezeigten Meter-Zahl und lauter lustige Sachen, die eigentlich nicht schwierig sind, wäre da nur nicht die Masse an Zeichen, Ge- und Verboten. Bevor das nicht sitzt, geht´s nicht auf das Boot bzw. dann von da runter. Was für ein Glück haben wir doch mit unserem Exclusiv-Unterricht, der mal locker einen Tag verlängert wurde! Tja, der Altersbonus hat eben auch mal sein Gutes, Vivi bewundert unsere Courage, genau wie der Ressort-Manager, der sich täglich nach unseren Fortschritten erkundigt. Wir sind jetzt halt Inselprominenz!

Übrigens ist das Tauchenlernen zwar als großartiges Abenteuer und ganz neue Selbsterfahrung ausgesprochen geeignet, reziprok dazu verhält es sich allerdings mit dem gegenseitigen Attraktivitäts-Faktor. Denn merke: Unter Wasser sieht alles VIEL größer aus. Hat eigentlich irgendjemand da draußen eine Ahnung, welchen Schock der lupenartig vergrößerte Anblick der geliebten Runzeln und Tränensäcke in dem durch die Taucherbrille verzerrten und vom riesigen Mundstück entstellten Gesicht des langjährigen Liebsten verursacht? Kein Wunder, dass sich kein Fisch traut, uns anzugreifen – ich hätte auch Angst vor diesen Monstern.

Unser Tauchvormittag endet wieder mit einer kleinen Spaßrunde auf zwölf Metern zum Fische-Erschrecken. Danach ist mein Ego endlich mal im Aufwind. Als wir aus dem Wasser steigen, meint Vivi (erleichtert)  zu mir: „Ok, I can see, that it made click in your had. Now I think, you will do it.“ Mit Miki soll ich noch atmen üben, er hat ewig Probleme mit Wasser in der Brille, weil er nicht zwischen Mund- und Nasenatmung switchen kann. Und das wiederum ist ganz schlecht für die buoyancy-control (wir haben auch eine Weile gebraucht, um herauszubekommen, dass das die Auftriebskontrolle ist … so ganz nebenbei). Deshalb schwebt er immer mal wieder als putziger See-Elefant über unseren Köpfen herum, statt Seite an Seite mit uns Nixen auf Groundcontrol zu gehen.

Aber dann plötzlich, als er grad so schön am Meeresboden Inventur macht, zweifle ich an meinem Verstand. Ich müßte mal ein bisschen Luft ablassen, nur leider ist plötzlich mein deflator verschwunden, der aber gar nicht weg sein kann, weil er gleich doppelt mit dem Tank verkoppelt ist und außerdem an der Schulter mit meiner Weste verclipt ist. Immer schön ruhig bleiben, das ist lächerlich. Ich drehe und wende mich und mache einen auf Ringelwurm, um meine Schulter und Seite abzusuchen – das Ding bleibt verschwunden. Quatsch, gibt´s doch gar nicht. Aber plötzlich fällt mir ein – ohne das Ding darf ich nicht nach oben, das wäre sehr wenig gesund … Uahh! Ich werde nun doch etwas hektisch, die beiden sind vor mir und haben noch nichts von meinem Ballett bemerkt. Ich hechte hinter meinem Buddy her, wie sich das PADI bei Problemen so vorstellt und erwische ihn an der Flosse. Und es klappt, er versteht sogar, was mein Problem ist. Und wie steht´s in den Regeln: Der Buddy, der kein Problem hat, beruhigt den anderen und agiert ganz überlegt und ruhig. Klar, genauso machte er es: Er lässt sich überhaupt nicht von meinem hektischen Gewedel anstecken! Nur warum reißt er mir fast die Maske vom Kopfe als er das gesuchte Teil hinter meinem Ohr ortet, wo es sich im Schnorchel verfangen hat? Natürlich nur aus Liebe und Sorge! PADI ist doof und Miki liebt mich! Dafür hätte ich locker auf´s Atmen verzichtet! Und Vivi sieht, wie sehr uns alles schon in Fleisch und Blut übergegangen ist …

Nach dem Mittagessen müssen wir ein paar Schwimmtests ohne große Ausrüstung absolvieren (= skin swimming). Alles erst ganz einfach für einigermaßen gute Schwimmer. Und zehn Minuten bewegungslos auf dem Wasser liegen ist ja mein liebstes Steckenpferd. Aber es kommt natürlich sogar hier wieder ein Pferdefuß am Schluss: Tauchübungen mit Schnorchel! Die treiben mich noch an den Rand der Verzweiflung. Dive-Duck-Abtauchen bis zum Grund, auftauchen und Weiterschwimmen ohne den Kopf aus dem Wasser zu nehmen, sprich den vollgelaufenen Schnorchel per Atemstoß leeren. Wieder zwei Liter Salzwasser geschluckt, bevor meine Leistung akzeptiert wird. Und das mit dem Entendingsda soll ich weiter üben. Klar, alle Badegäste lachen gern! Miki hat den besseren Entenarsch. Er packts ohne Probleme.

Dann raus aus dem Wasser, wir haben noch zwei weitere Kapitel Theorie zu absolvieren. Den Stoff für die erste Zwölf-Meter-Tauchlizenz haben wir schon inhaliert, aber nun werden wir den Teufel tun und uns mit dem Grundkurs zufrieden geben – nach all der Schinderei: Wir wollen Open Divers werden, die dürfen auf auf 18 Meter tauchen. Und dazu muss man eben noch mehr Theoriekram lernen.

Mein Waterloo naht: der „Recreational Diving Planner“! Hätte ich gewusst, was ich da alles für gruselige, schwer nach Statistik und Mathematik aussehende Tabellen lesen und danach Berechnungen anstellen muss, wäre ich womöglich schreiend davongerannt, anstatt immer nur zu glauben, 18 Meter Wasser über mir seien die Mutprobe … Jetzt hat Miki seinen großen Auftritt! Und zugegeben, darin ist er wirklich besser als ich. Er blüht förmlich auf! Angeber! Pah, ich hab dafür sonst mehr Fragen in der Abschlussprüfung richtig …

Mit mehr Glück als … haben wir es gepackt und das 50 Aufgaben umfassende Final Exam geschafft! Neptun, wir kommen! Stell schon mal den Schampus kalt! Morgen sind die beiden großen Boat-Dives angesagt. Da kann man sich heute nicht mal ordentlich ein Gläschen auf die bestandene Theorie genehmigen. Wir müssen früh raus und sehr fit sein!

11 Vietnam: Abgetaucht 2

Ich beginne den Tag um kurz nach sechs mit einem meditativen Bad im ersten Sonnenlicht am menschenleeren Strand. Ich konnte ab fünf Uhrnicht mehr schlafen, wegen des unaufhörlichen Getuckers der gefühlten 10.000 Fischerboote, die von nächtlichen Fang auf dem Weg nach Hause sind. Ich bin sicher, die fahren ALLE an dieser Insel vorbei! Aber so kann ich mich immerhin nochmal im kristallklaren Wasser schwebend auf einen neuen Tauch-Tag vorbereiten – mit dem Kopf über dem Wasser.

Nach dem Frühstück dann antreten zum Tauchtraining. Zum Glück brauchen wir unsere Übungen hier nicht in einem Pool mit Chlorwasser zu machen, wie sonst üblich, sondern dürfen gleich ins Meer. Frischen Mutes und bestens gelaunt erscheinen die Tauchlehrlinge an der Rainbow-Basis. Die Taucheranzüge schaukeln schon erwartungsvoll auf ihren Bügeln vor dem Haus …

Und schon geht´s wieder von vorn los. Ganz einfach, wir sollen nur alles genauso machen wie gelernt und dazwischen noch Fragen beantworten. Klingt super. Aber wie war das alles noch mal: Zuerst diesen Hahn und dann jene Schnalle oder doch erst jenen Schnappverschluss am Schlauch? Wann darf ich noch mal den Sauerstofftank öffnen, ohne dass uns alles um die Ohren fliegt? Heute gibt´s keine Hilfestellungen mehr, nur noch Argusaugen und ein gelegentlich eingeworfenes „Are you really sure, that you wanna do THIS?!“

Die nächsten Merksätze sind ebenso einfach wie alles andere: Ohne S.O.R.T.E.D. darf man nicht abtauchen. Ah ja … Müssen wir uns nur noch schnell alles merken, samt der Handzeichen dazu: Signal-Orientate-Regulator-Time-Elevate-Deflate&Descent. Alles klar. Vor allem die Pantomime dazu liegt Miki besonders! Dann noch mal schnell die anderen Zeichen abfragen – fällt mir nicht schwer.

Aber der Pferdefuß folgt sogleich: Wir üben mit dem Kopf unter Wasser schwimmend ständig zwischen Schnorchel und Regulator zu wechseln ohne Aufzutauchen. Ich HASSE Schnorchel! Wie soll ich denn mit meiner armen schwachen Lunge beim Schwimmen noch ständig so da reinblasen, dass das verdammte Wasser raus und Luft reinkommt?! Ich saufe mindstens einen Liter Salzwasser, aber Vivi kennt da nix: Da muss ich durch. Da tauche ich lieber ganz unter und nehme den Regulator aus dem Mund und kriege ihn fehlerfrei wieder ´rein – ohne Wasser.

Ach ja, hatte ich Regel Nr. 1 eigentlich schon gesagt? Man darf niemals aufhören zu atmen, auch nicht ganz kurz, das ist lebensgefährlich. Also auch nicht ohne Mundstück oder wenn man gerade konzentriert was macht  – oder die Oberfläche schon über sich sieht und den Regulator aus dem Mund nehmen muss. Gar nicht so einfach, daran zu denken, denn wie oft hält man mal kurz die Luft an! Es ist sozusagen ein Fehler mit Todesstrafe, weil gerade beim Aufsteigen oder in großer Tiefe sonst der Druck im Körper bzw. der Lunge zu groß wird.

Lustig wurde es, als wir unsere Schwebfähigkeit (heißt das so auf Deutsch?) am Grund trainieren mussten. Man muss es erstmal als Angfängertrottel schaffen sich gemütlich kurz über dem Grund  auf den Bauch zu legen und dann nur per Atmung auf und ab zu bewegen. Statt gemütlich und Algengleich da zu schwingen wie Vivi purzeln wir mal runter, mal mit den Beinen nach oben, schießen plötzlich nach oben, kommen nicht wieder runter, drehen uns unkontrolliert wie ein Rollmops um die eigene Achse und andere lustige Veitstänze. Man hat seinen verdammt Erdgravitations-gewohnten Körper einfach nicht unter Kontrolle. Jetzt weiß ich ungefähr wie es für Kinder sein muss, laufen zu lernen. Man stellt sich sooooo doof an. Aber es ist lustig!

Eine Übung heute soll neben unerwähnten hier noch gewürdigt werden: Auf dem Grund vierzig Sekunden ohne Regulator ununterbrochen ausatmen, dann das gleiche, wenn man dabei noch neun Meter horizontal und sechs Meter vertikal schwimmen muss. Verrückterweise war es viel schlimmer nach oben zu schwimmen, weil es anstrengender ist und man andererseits trotz Luftnot nicht schneller als 18m/min sein darf, wegen des Druckausgleichs. Ihr findet das alles langweilig? Für uns war´s eine echte Herausforderung. Ebenso wie der Notfallaufstieg allein oder zu zweit wegen out of air. Da wird einem bei allem Spaß klar, dass man gerade einen ziemlich gefährlichen Sport lernt!

Aber zum Schluß gibt´s dann noch ein Leckerli, was alles vergoldet! Wir tauchen auf neun Meter und dürfen einfach nur Korallen und Fischchen anschauen. Willkommen in Neptuns Welt!

Miki hat sich so darin verliebt, dass er gleich mit den hier sehr großen Seeigeln knutscht und einige Stacheln unter die Haut bekommt. Tja – true love hurts!.

Nach dem Nachmittagtraining dürfen wir dann die Zwischenprüfungen eins bis drei schreiben.

Und wieder ist ein langer Tauchtag zu Ende. Eigentlich sollte der erste Kurs (Tauchen bis zwöf Meter) heute zu Ende sein, wir genießen das Privileg, einen Tag geschenkt zu bekommen. Aufregend war´s und soo schön! Danke Vivi, für deine Geduld mit uns. Uns tröstet in unserer Scham nur die Tatsache, dass es wohl nur sehr selten Menschen unseres Alters gibt, die sich noch an diesen Sport wagen. Das stellt das Ego der Bummel-Letzten wieder her, oder?

Heute schmeckt das leckere Abendessen gleich nochmal so gut und dann winkt auchschon wieder der Bettzipfel im Bambushüttchen, begleitet vom exotischen Nachtgesang nie gehörter Vögel.

10 Vietnam: Abgetaucht 1

Diesmal erzähle ich weniger über Land und Leute, sondern ganz uneitel mehr über uns. Und das auch noch mit einiger Verspätung, weil wir so beschäftigt waren, dass ich gerade mal noch abends die noch offenen Kapitel zu Ende schreiben konnte. Aber diese Erinnerungen müssen konserviert werden und außerdem sitzen die werten Sponsoren vor den Computern und erwarten aus verständlichen Gründen genaue Berichterstattung. Also – in medias res!

Am ersten Morgen versetzt uns der Anblick der von der Morgensonne beschienenen Buch in Hochstimmung. Denn schließlich soll es nun losgehen mit dem Projekt „Wir erobern die Unterwasserwelt“. Unsere nette französische Tauchlehrerin erwartet uns schon. Und schon das allein ist ein Privileg: Kein weiter Weg, keine abfahrenden Busse, keine große Gruppe – nur wir zwei, ganz exclusiv. Unterricht 50 Meter neben unserem Bungalow. Diese glückliche Situation haben wir dem Zufall zu verdanken, dass sich keine anderen Anwärter gemeldet haben, was u.a. daran liegt, dass man hier auf der Insel eben etwas teurer wohnen muss als in Nha Trang für sieben bis zehn Dollar pro Doppelzimmer. Gerade für viele junge Menschen ein echtes Argument.

Der Unterreicht findet in Englisch statt, die deutschsprechende Trainerin ist gerade weitergezogen nach Honduras. Obwohl wir flüssig Englisch sprechen, stellt sich heraus, dass das ganz schön hart ist. All die Fachausdrücke und Erklärungen. Und statt Konzentration auf die völlig neue Materie das ewige Übersetzen im Kopf.

Nachden wir uns in die äußerst kleidsamen Neoprenanzüge gequetscht haben, lernen wir, die Ausrüstung in einer ganz bestimmten Reihenfolge zusammenzubauen. Denn erstens ist das wegen der Sauerstofftanks nicht ganz ungefährlich und zweitens kann jeder Fehler schlimmstenfalls lebensgefährlich sein. Ich habe mich selten so konzentriert … Soviel Handgriffe, soviele Begriffe! Dann gibt´s eine erste Unterweisung in Zeichensprache unter Wasser. Noch eine geballte Ladung Infos. Und außerdem jede Menge Erklärungen über Druck, Sauerstoff, Unterwasserphysik, gesundheitliche Risiken, wenn man dies, das und jenes nicht beachtet usw.

Gar nicht so einfach, sich die ganze sperrige Rüstung im Wasser schwimmend anzulegen. Man stakst mit der Last des Gewichtsgürtels, ich habe 7 kg verpasst bekommen, ins Wasser, zerrt die Ausrüstung hinter sich her und soll das dann auch noch auf dem Rücken schwimmend richtig fest angelegen. Und immer sind da die ganzen Schläuche,  die Maske und der Schnorchel im Wege! Das Schwimmen selbst ist zwar kein Akt, da die Weste schon aufgepumpt ist, aber dafür ist sie jetzt super sperrig und geht kaum zu. Auch hier müssen wieder alle möglichen Regeln beachtet werden. Wir bewegen uns grazil wie Seepferdchen, vorallem wenn wir mit den Bleigürteln behangen, rückwärts mit den riesigen Flossen ins Wasser tapsend den ganzen Ballast hinter uns herschleifen. Ich versuche, die  belustigten Blicke zu ignorieren als ein Boot neben uns anlegt und wir Zuschauer haben.

Die Padi-Tauch-Philosophie, ergo auch alle Regeln, gehen davon aus, dass man zu zweit taucht. Und so muss der Tauchpartner vor dem Tauchgang als letztes den anderen noch einmal kontrollieren – nach einer weiteren Checkliste, alles ganz einfach! Aber wie war nun wieder die Formel für den Ablauf um festzustellen, ob der andere auch alles richtig verclipt, verschraubt, angezogen, geprüft hat?? Nichts einfacher als das: Man braucht sich nur BWRAF merken. Dann ist doch alles ganz klar! Oder? Aber was versteckt sich noch mal hinter all den Abkürzungen? Ach ja: BCD, Weight, Releases, Air, Final Check. Alles ganz easy, oder? Mir schwirrt nur so der Kopf und Miki wirkt mittlerweile leicht desorientiert. Ob der wohl schon vor dem Tauchen ein bisschen zu viel Kohlenmonoxyd abbekommen hat? Soll ja Verwirrung hervorrufen …

Gott sei Dank sind wir allein und Vivi, die Tauchlehrerin, ist ist fröhlich und geduldig. So bleibt trotzdem alles locker und wir haben Spaß dabei.

Ich will die Nachwelt nicht weiter mit diesen simplen Schritten langweilen, nur so viel sei gesagt: Der aufregendste Moment war der, als wir dann tatsächlich zum ersten Mal mit dem Kopf unter Wasser abgetaucht sind. Eigentlich kein großes Ding – ich habe schließlich meine Atemmaske gecheckt, alles super! Aber ob die Maske das auch weiß? Oder das Wasser sich nicht doch in meine Lungen ergießt? So richtig traue ich dem Braten nicht und kriege einen Moment Herzrasen und Fluchtreflexe, als die Luft aus meiner Weste entweicht und mich all das Gewicht unter Wasser zieht. Will ich das wirklich??? Ja, ja, ja. Also Luft ´rein, Luft ´raus, immer schön ruhig. Es funktioniert! Call me fishy!! Noch ein paar erste Übungen im flachen Wasser, dann ist die erste Runde schon vorbei.

Bereits zum Mittagessen sind wir fast im gedächtnistechnischen OVERLOAD- Zustand. Mittagspause? Pustekuchen. Oma und Opa haben ihr Programm nicht geschafft, irgendwie waren wir wohl nicht die allerschnellsten … Aber es hilft nix, wir müssen im Wasser nachsitzen und Abläufe üben. Lauter so lustige Sachen unter Wasser wie: Ich verliere meine Maske (Brille) und muss sie nun unter wiederfinden und auch noch das Wasser per Atemluft wieder rauskriegen, oder die Tauchlehrerein dreht mal eben die Luftzufuhr ab, damit man weiß, wie es sich anfühlt. Oder ich erzähle meinem Partner unter Wasser, dass ich keine Luft mehr habe und bitte ihn, mich an seiner Reservestrippe nuckeln zu lassen. Einer rettet den anderen usw. usw.

Feierabend? Denkste. Theorieunterricht. Wir werden vor einen Monitor verfrachtet und kriegen ein drei Stunden Video verpasst sowie endlose Formulare, wo man alles Gelernte dann sofort abfragen und die Fragen richtig beantworten soll. Nichts leichter als dass, wenn man fitter in Englisch wäre und die nicht dauernd in Abkürzungen reden würden. Aber selbst Vivi sieht ein, dass das zu viel ist. Also erst gucken, dann noch mal alles mit ihr ein zweites Mal durchgehen und zum Schluss die Aufgabenbögen ausfüllen. Gerade so schaffen wir es noch, das Abendessen nicht zu verpassen.

Wir liegen um zehn im Bett und fallen ins Koma. Morgen müssen wir wieder früh ´raus …