Der silberne Fluss und die Teletubbies

Mein Tag beginnt mit einem einsamen morgendlichen Bad im Pool um halb sieben. Beobachtet werde ich dabei von drei Hühnern und zwei Tukanen oben in einer Palme. Nach dem Frühstück steht wieder ein Auto samt Chauffeurin für uns vor der Tür: Schnorcheln im Rio Prata, beziehungsweise einem Nebenarm, da der Fluss zur Zeit starkes Hochwasser führt.

Diesmal dauert die Anfahrt etwas länger: gute 50 Kilometer über Lehmpisten. Die Fazenda San Francisco schmückt sich mit reichlich Auszeichnungen in Sachen Naturschutz und Aufforstung von abgeholzten Uferwäldern. Ein Teil des Landes ist Schutzgebiet, Recanto Ecologico de Rio Prata. Das Toilettenwasser wir recycelt, der Müll getrennt, es gibt kein Plastikgeschirr. Und man darf auch gesponserte Bäume pflanzen…

Auf der Nutzfläche wird ökologische Tierhaltung betrieben, wir sind gerade durch die ausgedehnten Weiden gefahren. Aber für die Landwirtschaft braucht man nur sechs Angestellte, für die verschiedenen Touristen-Touren per Pferd oder zum Fluß und See arbeiten 40 Menschen. Die Gewinne dienen in die Ökowirtschaft und Naturschutzmaßnahmen. Nicht, dass ich der Illusion erläge, dass die Besitzer der Fazenda nichts von all dem hätten – aber immerhin ist hier einiges ernstgemeint.

Leider hat sich heute unsere Kamera verabschiedet und wir haben nur noch die Handys, die mit dem Klima hier auch nur schlecht zurechtkommen und nicht eben zuverlässig sind. Und zur Tour können wir ohnehin nichts außer trockene Sachen mitnehmen.

So kann ich bedauerlicherweise nicht bildlich belegen, wie sich eine Touristengruppe mit einigen sehr beleibten Teilnehmern flugs in Teletubbies verwandelt – dank der kleidsamen Tauchanzüge, für die drei Kilometer Schnorcheltour . Bei zweieinhalb Stunden Aufenthalt im Wasser könnte es sonst doch etwas kühl werden. Außerdem sollen die langärmligen und kurzbeinigen Neoprenkondome gegen die Sonne schützen, die so gar nicht kooperativ mit dem Sonnenschutzmittel-Verbot umgeht und einfach gnadenlos auf die driftenden Körper herunterknallt. Unsere kuriose kleine Truppe könnte wirklich viel Freude auf Youtube oder in einem der alten Louis de Funes-Filme auslösen, so wie wir daherwatscheln. Und das lustigste ist, wir müssen, so angetan, erstmal drei Kilometer durch den Wald zum Fluss wandern.

Immerhin haben wenigstens die gefräßigen Moskitos nicht sehr viel Angriffsfläche auf die ungeschützte Haut. Aber der Herr mit dem wirklich gigantischen Bauch hinter mir erträgt das Prsswurstgefühl nicht und macht seinen Reißverschluss auf, so dass nun aus dem offenen Spalt das volle Leben heraushängt. Die Mosquitos haben ein All-You-Can-Eat Buffet. So ist also die Freude der Teilnehmer an der prallen tropischen Natur um uns herum sehr ungleich verteilt.

Am Fluss angekommen gibt’s erstmal in einem kleinen See, der sich hier gebildet hat, Schnorcheltraining für Anfänger. Einige sind recht verzweifelt angesichts der Aufgabe, unter der Taucherbrille nicht mit der Nase zu atmen, da sonst das Wasser eindringt. Andere paddeln hektisch und aufgeregt, als ob sie ertrinken müssten, obwohl es schon im Taucheranzug ohne Schwimmweste (die einige zusätzlich tragen) nicht möglich ist, auch nur einen halben Meter unterzutauchen. Aber irgendwann packen es dann alle halbwegs und es kann losgehen.

Auch hier wieder herrlich klares Wasser, neugierige Fische, wehende Wasserpflanzen und eine sanfte Strömung, bei der man eigentlich fast nichts tun muss, außer die Richtung etwas zu kontrollieren – sofern man/frau es eben schafft, dem Wasser zu vertrauen.

Aber es gibt sogar drei junge Menschen, denen es nicht in den Sinn kommt, dass man sich nicht in Trööt-Brrr-UUUUmpf-Dröhn-Sprache durch die Schnorchel unterhalten muss, sondern einfach den Kopf heben und das Ding aus dem Mund nehmen kann, wenn man etwas zu sagen hat. Tja, wir Menschlein sind schon manchmal komische Tierchen….

Aber all dieser Getratsche möge der Unterhaltung dienen. Fakt ist: diese Tour ist ein wunderbares Erlebnis und es bleibt viel Zeit, um sich einfach verträumt der vorbei schwebenden Unterwasserwelt hinzugeben.

Der Mann von der Reiseagentur hatte uns fröhlich viel Spaß mit der Anaconda gewünscht. Haha, du kleiner Scherzkeks…dachte ich. Allerdings wird mir im Nachhinein ganz anders als er uns am Abend nach dem Ausflug bei einem zufälligen Treffen seine Fotos von seiner tatsächlichen Begegnung mit einem 8 Meter-Exemplar (!) auf dieser Tour zeigt. Die Riesenschlangen belieben wohl mit ihren Beutetieren in den Fluss abzutauchen, damit sie schneller sterben. Und die Versicherung, dass die überhaupt nicht angreifen hätte mich im Ernstfalle kein bisschen beruhigt, ich hätte wahrscheinlich eine Panikattacke erlitten. Aber wie gesagt, das alles wusste ich während der Tour noch nicht und fand alles super entspannt.

Nach einem weiteren Spaziergang durch den Wald stoßen wir dann wieder auf den Jeep mit unsren Sachen. Umziehen – und ganz, ganz schnell das nun endlich erlaubte Mosquitospray auftragen! Aber die hungrigen Vampire sind schneller und jeder nimmt juckende Erinnerungen mit nach Hause. Zum Glück scheint keiner unter Zika-Panik zu leiden. Diese Region hat nämlich einige Fälle zu verzeichnen, aber wohl nur in den Städten.

Auf der Station erwartet uns ein weiteres ebenso reichliches wie gutes Mittagessen. An dieser Stelle ist es mir ein Bedürfnis, dies noch einmal zu sagen: brasilianisches Essen ist wirklich lecker. Und ich glaube fast, ich habe mich inzwischen so an die täglichen Feijao (Bohnen) als unverzichtbarer Beilage gewöhnt, dass ich sie in Deutschland vermissen werde. Danach ein Nickerchen in der Hängematte – herrlich.

Theoretisch könnte man jetzt noch hoch zu Pferd eine Tour machen – nicht aber wir: wir sind im Stress, denn auf uns wartet noch ein wichtiger Termin in Bonito: Klettertraining.

Doch was es damit auf sich hat – das verrate ich im nächsten Blog. Cliffhanger nennt man das…..

Bonito-selbsternannte Hauptstadt des Ökotourismus

Ein mit fünfzehn Personen recht voll besetzter Van der Gesellschaft Vanzella bringt uns die 300 Kilometer nach Bonito. Nach brasilianischen Maßstäben also fast um die Ecke. Etwas teurer als der selten verkehrende öffentliche Bus, aber immerhin mit Klimaanlage und in vier statt sechs Stunden.

Endlose Weite, kaum Orte. Nur einmal auf einigen Kilometern, direkt zwischen Fahrbahn und Viehweide, die winzigen, windschiefen Hütten der Landlosen, noch schlimmer als die armseligen Häuser in den Favelas. Diese Menschen lebe auf ungenutztem Land in Verschlägen aus Pappe, Brettern und Plastikfolien, denn ihr Bleiben ist illegal und meistens werden sie irgendwann wieder vertrieben. Oft sind sie Wanderarbeiter, weil sie nirgends eine feste Bleibe haben. Das Problem ist so groß, dass daraus eine ganze politische Bewegung entstanden ist.

Allerdings beginnt nach einer halben Stunde ein Warnsignal bösartig zu piepen. Wir sitzen direkt neben dem Fahrer, der genervt versucht, die Sache in den Griff zu bekommen. Klappt nicht. Aber was soll´s: steifes Bein, nicht zu den Fahrgästen schauen und drei Stunden durchheizen bis zum Zwischenstopp in Maracajú. Viele andere Möglichkeiten gibt es auch nicht, die Alternative wäre auf der einspurigen Straße ein Notstopp. Aber was dann? Das Piepen ist extrem durchdringend, bald gesellt sich ein zweiter Warnton dazu. Ohren zuhalten und hoffen, dass der Alarm sich nicht auf den Kühler bezieht und die Kiste durchhält…. Tut sie.

Während unseres Stopps für den Lunch arbeiten der Fahrer und ein Kollege an der Sache: Mit einem Besenstiel fuhrwerken sie unter Einsatz aller Körperkräfte brachial im Motor herum – ein etwas beunruhigender Anblick. Aber der Erfolg entscheidet – wir setzten die Reise ohne Piepton oder Zwischenfälle fort.

In Bonito landen wir schließlich halb unfreiwillig am Busstopp in der Reise-Agentur Bonito Way, weil der Busfahrer nicht weiß, wo er uns absetzen soll, haben wir doch keine Adresse, wo er uns hinbringen kann. Eigentlich wollten wir uns zu Fuß umsehen und persönlich eine Unterkunft aussuchen, nach einer groben Vorauswahl im Internet. Schließlich aber scheint es doch eine bessere Lösung zu sein, mit dem freundlichen Burschen von der Agentur zu reden. Denn der weiß auf Anhieb, dass einige der auf den Fotos so nett aussehenden Pousadas und Hotels in der Realität keine sehr schönen Orte auf dieser Welt sind… Diese Erfahrung haben wir übrigens in Brasilien öfter als anderswo gemacht, dass Offerte und Realität weit auseinanderliegen.

In der kommenden halben Stunde wandelt sich unser Verhältnis von dem zwischen anstrengenden Kunden (da wählerisch in Preis und Leistung) und leicht gestresstem Angestellten in ein fast freundschaftliches. Außer einem gewissen gegenseitigen Symphatiefaktor liegt das aber an einer speziellen Gepflogenheit des Landes. Die Brasilianer lieben keine schnellen direkten Gespräche, auch nicht in geschäftlichen Angelegenheiten. Erst ein bisschen höfliches Geplauder, möglichst zwischendurch auch – und schon geht alles viel netter. Kurz und sachlich ist eher unhöflich und ….deutsch. So erfahren wir schnell die Familiengeschichten von unserem Berater.

Matias ist in Argentinien geboren , er hat einen deutschen Vater und eine kroatische Mutter. Er möchte gern mal nach Deutschland kommen und die Sprache lernen. Ein paar nützliche Tipps dazu und die Information, dass ich Deutsch unterrichte, sind der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Und schon hat er auch nebenbei ein Hotel herausgesucht, dass wirklich schön sein soll und einen ordentlichen Discount ausgehandelt. Dann erzählt er uns gleich noch, welche Touren wir hier unbedingt machen sollten und welche eher nicht. Zu guter Letzt bekommen wir noch eine kleine handgeschriebene Liste seiner persönlichen Lieblingsrestaurants. Der Mann wäre eine prima Quelle für die Lonely Planet Autoren!

Das Hotel Tapera liegt supernett auf einer Anhöhe mit Ausblick, Garten und Pool, selbstverständlich werden wir gratis hergefahren. Service ist in Bonito oberstes Gesetz. Und , genau wie der Lonely Planet verspricht, dies ist ein perfekter Ausgangsort für die verschiedenen Touren, wo es Besuchern leicht gemacht wird, alles Gewünschte zu organisieren.

In den folgenden Tagen verfestigt sich unser Eindruck, dass das hier eher der Großraum Wilder Westen/Texas/USA ist. Alles amerikanisch perfekt organisiert, zuverlässig, professionell und effektiv. Gelegentlich sieht man auch Cowboyhüte im Straßenbild.

Aus Gesprächen erfahre ich, dass unser Eindruck tatsächlich in mehr als äußerlicher Hinsicht stimmt: auch die Mentalität der Menschen hier entspricht eher der Cowboys, Pioniere und Goldsucher aus dem Wilden Westen: Die riesigen Fanzendas hat niemand erworben, hier wurden einfach die gewünschten Gebiete abgesteckt, zum Eigentum erklärt und mit Waffengewalt verteidigt. Und bis heute gibt es hier große Probleme mitKriminaltität besonderer Art. Dabei sind hier Touristen wesentlich sicherer als in anderen Bundestaaten. Gemeint sind Morde, Auftragsmorde, Famlienfehden, die tödlich enden. Eneso, wie man das aus den guten alten Western kennt.

Wie schon in Campo Grande ist darüber hinaus auch hier der unverkennbare Fingerabdruck einer florierenden Wirtschaft zu erkennen. Die Straßen sind überwiegend asphaltiert, schlaglochfrei, die Orte sind in ausgesprochen gutem Zustand. Sogar die übliche Favela fehlt.. Ein deutlicher Unterschied zu Mato Grosso, wo es deutlich ärmer aussieht und auch asphaltierte, schlaglochfreie Straßen kaum zu finden waren.

Überraschenderweise gibt es in diesem Bundesstaat, der sich 1962 von Mato Grosso abgespalten hat, und dessen Hauptwirtschaftszweig die Landwirtschaft, sogar genug Geld für kostenlose staatliche Bildungsangebote in ausreichender Menge: Berufsausbildung, Sprachschulen, Musikschulen und anderes. Obwohl hier angeblich das absurde Problem besteht, dass nur zu wenige Menschen diese Angebote nutzen. Lernen ist anstrengend. Verrückte Welt!

Am ersten Abend essen wir in einem Restaurant, dass für seine Fischgerichte bekannt ist. Groß, chick mit integriertem historischen Holzhaus und Souvenirshop. Die Kellner flitzen mit Headsets durch die Gegend, alles läuft wie am Schnürchen. Schon wieder ein Deja-Vu … Florida, Californien, Texas….Ist ja ganz nett – aber irgendwie so, als wachte man im falschen Traum auf. Es verwirrt mich in meinem Brasilienbild.

Noch am selben Abend buchen wir einige Touren, denn auch hier, wie schon in Mato Grosso, heißt die Überschrift Ökotourismus und das bedeutet fast immer: nichts geht ohne Guide, auf dass nur wenige kontrollierte Teile der Schutzgebiete von Besuchern heimgesucht und auf keinen Fall vermüllt werden. Die Besucherzahlen und -zeiten an den interessanten Naturattraktionen werden streng begrenzt. Ich bin beeindruckt, dass diese beiden Bundesstaaten die Idee des Ökotourismus so konsequent durchsetzen, in einem Land, dass sonst so chaotisch und anarchistisch ist.

Verhindern ließe sich Tourismus mit dieser hochspannenden Natur hier ohnehin nicht und es wäre auch sehr traurig. Aber auf diese Weise werden die Auswirkungen in Grenzen gehalten. Und es werden jede Menge Arbeitsplätze geschaffen, die sich durch die Eintrittsgelder und Umsätze selbst tragen.

Tag eins ist ganz entspannt. Wir besuchen die Grotte Gruta Lagoa Azul, die circa 40 Autominuten entfernt liegt. Wir werden zu unserem Erstaunen nicht nur im Hotel abgeholt, sondern das auch noch mit einem PKW, nicht etwa einem Bus. Es ist keine Hochsaison, da werden kaum Busse oder Vans gebraucht. Der Fahrer steht uns allein zur Verfügung. Nobel, nobel. Eben Bonito.

Die Landschaft erscheint so endlos, dass sie einen fast verschluckt, überwiegend flaches Land, die Wolken sind hier und da an den blauen Himmel getackert. Viele Wiesen, ein paar Bäume und kleinere Wälder, ansonsten Äcker und Weiden für Kühe und Pferdekoppeln. Aber auch hier wieder: Soja und Monokultur. Und natürlich viele Flüsse, denn dies ist schließlich das Vorland zum Patanal, dem größten Feuchtgebiet Brasiliens.

Ein paar lustige große Laufvögel mit auffallendem Irokesenhaarschnitt, die aussehen wie der Roadrunner, stehen immer wieder im Weg herum oder flitzen aufgeregt vor dem Auto her. Auch Rehe und Hirsche sind öfter zu sehen. Und natürlich Schwärme von kreischenden kleinen Papageien. Bremsen müssen wir aber auch für Kühe und Schafe, die sich nur zögerlich genötigt fühlen, beiseite zu gehen.

Die Grotte liegt auf einer privaten Fazenda. Hier haben wir allerdings nicht mehr den Luxus einer Privatführung, denn in Bonito gibt es viel mehr Tourismus als in den Orten zuvor. Und auch wenn gerade keine Saison ist, sind vergleichsweise viele Touristen hier, allerdings fast alle aus Brasilien. Die Führungen finden ausschließlich in Portugiesisch statt.

Wir gehören zu einer Gruppe mit fünfzehn weiteren Menschen. Mit den vorgeschriebenen Hygienehaarnetzen und Bauarbeiterhelmen sehen wir alle etwas dämlich aus. Aber Sicherheit wird hier überall groß geschrieben, schlechte Presse über verletzte Touristen will hier keiner. Irgendwie kommen wir uns heute aber ein bisschen vor wie in einer Rehagruppe, denn nicht nur die beleibten Rentner sind in mieser körperlicher Verfassung, auch jüngere Exemplare sind schwer gefordert von den 500 Metern Waldpfad und dem anschließenden Absteig. Nur klagend und stöhnend ertragen sie die körperliche Herausforderung und klettern dierund 280 Stufen 150 Meter in die Tiefe. Und Angst haben auch noch einige. Wovor eigentlich? Ich bewundere die stoische Freundlichkeit des Führers angesichts des Gejammers.

Am Ende des Abstiegs tut sich eine schöne, mit Stalaktiten und Stalakniten verzierte Grotte mit einem leuchtenden blauen See auf. Sie führt noch 150 Meter tief in den Berg, aber man kann sie leider nur von draußen bewundern, denn sie steht zu tief unter Wasser.

Den Rest des Nachmittags vertrödeln wir am Pool und mit einem Bummel durch den beschaulichen Ort Bonito auf der Suche nach einer Portion Acai, diesem unwiderstehlichen Palmfrucht-Pürees, und einem netten Lokal für den Tagesabschluss. Eins von den Tipps auf der Liste. Diesmal japanisch. Sushi und Miso-Suop – mal eine kleine Abwechslung nach der leckeren, aber immer sehr gehaltvollen regionalen Pantaneiro-Küche, die sich langsam aber sicher um meine Hüften schmiegt.

Ciao Mato Grosso – Hallo Mato Grosso do Sul

Bevor ich mich von dem zuerst so unwirtlich erschienenen Vila da Rota da Agua und Bom Jardin verabschiede, soll noch eine kleine Charme-Episode nachgetragen werden.

Am Abend unseres letzten Ausfluges waren wir noch keine halbe Stunde in unserer Pousada, als die Sekretärin mit einer Frau aus dem Dorf vor unserer Tür stand. Man wollte uns nur aufklären, dass Anna manchmal verschiedene Grillspieße und Beilagen vorbereite – für alle, die Lust darauf hätten. Wir könnten auch gern bei ihr, gleich in der Nachbarschaft, zu Abend essen, wenn wir denn Appetit hätten. Anna, die Freizeitwirtin, nahm dann auch gleich unsere Wünsche auf.

Eine halbe Stunde später saßen wir an einem wackeligen Plastiktisch vor der Schlosserei nebenan und tafelten vorzüglich unter den glücklichen Blicken der kompletten Großfamilie samt Anhang. Drei verschiedene Grillspieße, Maniok, Kartoffeln, Reis, Farofa und Vinagrete – besser sieht´s in keinem guten Restaurant aus! Zwischendurch hielt immer wieder mal ein Motorrad neben dem Grill, um etwas zum Mitnehmen zu ordern, so eine Art innerdörflicher Drive Thru.

Wir wurden neugierig ausgefragt, woher wir denn kämen. Anna strahlte: Dann könne sie ja jetzt sagen, sie habe sogar Gringos unter ihren Gästen bewirtet! Eigentlich ist Anna Friseurin, aber der Laden wirft wohl in diesem Dreiseelen-Dorf nicht so viel ab. So verdienst sie sich eben am Grill was dazu. Lizenz? Restaurant? Wen interessiert das hier. Das Leben kann so einfach funktionieren. Als wir ihren Mann fragen, was er arbeitet, antwortet er: Eu não! Ela fez. – Ich nicht. Sie macht. So oder so ähnlich habe ich das hier schon öfter erlebt. Die Männer leben vom ihren Frauen, die alle sehr erfinderisch und fleißig sind. Immerhin ist er unser Bier holen gegangen. Auch Arbeit. Wir posieren noch für´s Gringo -Foto und gehen mit vollem Bauch und einer schönen Erinnerung mehr ins Bett. Ciao, du Nest am Ende der Welt, es war schön.

In der Nach hat es zu schütten begonnen und wir haben schon ernste Bedenken, ob wir bei so viel Wasser noch aus dem Dorf kommen mit unserem Auto, das keinen Vierradantrieb hat. Wir fahren drei Stunden eher los als geplant, schließlich müssen wir in Cuiabá das Flugzeug erreichen. Es ist eine echte Zitterpartie durch tiefen Schlamm und kleine Seen, aber wir schaffen die elf Kilometer bis zur Asphaltstraße.

In Cuiabá bleibt uns noch Zeit für einen Abstecher in die quirlige Stadt. Wir waten im Regen durch knöcheltiefes Wasser. Dafür ist es nicht so heiß, wie wohl sonst meist hier – Cuiabá gilt als Grill von Mato Grosso. Im alten Teil des Zentrums essen wir noch etwas und dann wird es auch schon Zeit, von Mato Grosso Abschied zu nehmen – Mato Grosso do Sul wartet.

In Campo Grande erwarten uns Ceila und Cezár am Flughafen, unsere Gastgeber des AirBnB- Zimmer für diese Nacht. Ein betuchtes Lehrerpaar, das nur vermietet, um Leute kennenzulernen und etwas Unterhaltung in den wohl recht eintönigen Alltag zu bringen. Wohlsituiert, großes Haus, zwei weitere vermietete Häuser, Tochter als Anwältin in Europa verheiratet. Sie sind sehr kommunikativ und schon fast ein bisschen zu fürsorglich, aber für einen Abend ist das sehr nett.

Bei der abendlichen Stadtrundfahrt sind wir einigermaßen verblüfft: Campo Grande wirkt wie eine mittlere Stadt in den USA.

Breiter zentraler Highway, relativ große gepflegte Gebäude mit Läden und Restaurants. Alles pieksauber und ordentlich. Giga-Supermärkte und Shopping Malls. Dagegen wirkt São Paulo wie ein chaotischer, schmuddeliger Moloch. Ist das hier wirklich Brasilien?!

Im Überschwang ihrer Begeisterung beschließen unsere Gastgeber noch für ein spätes Churrasco zu Hause einzukaufen. Ich werde Guacamole beisteuern, das kennen sie nicht. Flugs werden noch Freunde eingeladen und um kurz vor Mitternacht wird im Garten gegrillt. Die Damen werfen sich dafür zu meiner Irritation noch in Schale. Gastgeber und Freunde sind standesbewußte, gehobene Mittelklasse, also lieber keine tiefgründigeren Gespräche, das wird schnell klar – spätestens nach ein paar entsprechenden Bemerkungen über faule Baianos und Einwanderer. Freund für´s Leben werden das sicher nicht, aber es war dennoch ein netter Abend. Und morgen früh geht’s weiter nach Bonito.

Traurige Wasser, lustige Viecher

Es ist doch nur Dienstag – wieso gibt es plötzlich sogar ein paar Scheiben Kochschinken zum Frühstück? Ganz einfach, der Chef war in der 60 Kilometer entfernten Stadt und da kann man solche Leckerbissen einkaufen….

Wenigstens etwas Trost für mich, nachdem ich um vier mein Bett geräumt und mich vor das Haus gesetzt habe. Ich habe den seit dem Abend durchbrüllenden Fernseher unseres Zimmernachbarn nicht mehr ertragen. Als er um halb acht mit schlechter Laune aus seinem Zimmer geschlurft kommt, durchbohre ich ihn mit bösen Hexenblicken – wenigstens das erlaube ich mir. Und – es wirkt! Als er eine halbe Stunde später abreisen will, ist sein Auto kaputt. Hallelujah!

Gabriel, auch heute wieder unser Führer, sitzt schon seit sieben mit einem Kaffee auf der Terrasse, denn wir wollen pünktlich aufbrechen. Noch einmal steht ein Wasserfall auf unserem Programm, später Schnorcheln im Rio Triste und zum Sonnenuntergang der Lagoa das Araras, an dem sich Abends Papageien zum Schlafen treffen.

Übrigens bin ich diesmal etwas verwirrt über die Informationen, die ich meinen Allzweckratgeber Lonely Planet zum Thema Bom Jardin entnehme. Diesmal sind die Angaben reichlich verwirrend und nicht wirklich geeignet, um sich einen Plan zu machen, weil sie wild durcheinandergewürfelt sind. Bin ich bisher nicht gewohnt von meinem schlauen Reisebegleiter.

Heute gilt es, 45 km als erste Etappe zum Wasserfall Chachoeira de Serra Azul zurückzulegen, davon ganze vier auf asphaltierter Straße…. Man muss sich die Schönheiten dieser Landschaft wirklich schwer verdienen. Die Fahrt ist der reine Horror, zumal es in der Nacht geregnet hat und der wellige und löchrige Lehmboden nun auch noch wie Schmierseife ist. Die riesigen Pfützen, die tiefen Löcher und die quer verlaufenden Spurrillen verlangen eine fahrerische Meisterleitung und viel Glück. Leichtes Schädel-Hirn-Trauma und gestauchte Wirbelsäule sind Kolateralschäden.

Kaum zu glauben, dass hier die Riesentrucks durchmüssen, die den Soja abtransportieren. Zumal die Brücken über die Flüsse nur aus morschen Brettern bestehen und erschreckend schmal sind.

Auf einem besonders üblen Straßenabschnitt sehen wir dann auch gleich einen solchen Riesenbrummer schräg abgesackt stehen, der Hänger ist seitlich weggerutscht und die Vorderräder haben sich hoffnungslos festgefahren. Schicksalsergeben hockt der Fahrer im Schatten des Trucks und hofft, dass irgendwann in den nächsten Stunden ein Traktor zum Anschleppen kommt. Wir sollen den armen Mann auf unserem Rückweg in ein paar Stunden noch genauso wiedersehen…

Dann endlich passieren wir die Einfahrt zur riesigen staatseigenen Fazenda, auf der Kühe und Pferde gezüchtet werden, auf der sich aber auch ein ziemlich spektakulärer Wasserfall befindet. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Rinderzucht hier in Mato Grosso eher ökologischer Schwachsinn ist: riesige Flächen wurden dafür gerodet, auf denen aber nur auffallend kleine Herden grasen, weil das Gras nichts taugt. Dünne Kühe, endlose Flächen.

Aber zurück zum Wasserfall. Das Auto bleibt bei der Basisstation, wo wir wieder mit Tauchermasken, Schnorcheln und Gummischuhen ausgerüstet werden, bevor ein schweißtreibender Anstieg durch den Wald beginnt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass auf dem steilsten Abschnitt 250 Holzstufen zur Bequemlichkeit der Besucher an den Hang getackert wurden. Von oben könnte man auch nach besonderer Voranmeldung 1200 Meter mit dem Gleitroller ins Tal rasen.

Wir sind mittlerweile echte Wasserfall-Routiniers und somit nur gedämpft aufgeregt. Aber Mutter Natur schafft es dennoch immer wieder uns zu überraschen, auch diesmal hat sich die Strapaze der Anfahrt gelohnt. Das Wasser stürzt von der Bergspitze vierzig Meter in die Tiefe in einen hellblauen See, der sich dann über Stromschnellen und kleine Wasserfälle ins Tal ergießt. Oben auf der Bergkuppe bewegt sich in den Baumwipfeln kein Blatt, es herrscht absolute Windstille. Aber unten am Ufer des Sees ist es von den herabstürzenden Wassermassen regelrecht stürmisch und die Gischt liegt wie dichter Nebel über dem See.

Gar nicht so einfach, bei der starken Strömung zu schnorcheln und überhaupt zu schwimmen. Und direkt unter dem Wasserfall würde man vom Wasser erschlagen. Keine Ahnung, wie die Fische es schaffen, sich hier von A nach B zu bewegen. Irgendwann ist man geschafft und müde, aber ein Nickerchen auf einem trockenen Felsen inmitten der Stromschnellen entspannt ungemein. Außer uns sind noch zwei Leute da. Wir haben wirklich die beste Reisezeit erwischt: noch vor dem offiziellen Ende der Regenzeit, außerhalb aller Ferien, am Beginn des Herbstes. Ich werde mich im November in Deutschland wehmütig an diese Herbstvariante erinnern…

Mittagszeit. Wieder ist ein Mittagessen in nächstgelegenen Restaurant eingeplant. Dummerweise heißt das heute: Dreißig Kilometer Buckelpiste zurück, um dann anderthalb Stunden später wiederum zehn Kilometer auf der selben Strecke zurückzufahren, um zur nächsten, weiterführenden Straß derselben Qualität zu gelangen. Was für ein Irrsinn. Aber in diesem Land sind die Begriffe Entfernung und Straßenqualität nun mal in einem anderen Koordinatensystem verankert.

Als wir mit vollen Bäuchen vom leckeren Mittagsbuffet, von dem man hier prinzipiell zu viel isst, zu unserem Auto wanken – erwartet uns eine affige Vorstellung. Eine Bande Kapuziner-Affen tobt sich in den Baumkronen über unseren Autos aus. Und es lohnt sich für die Trapezkünstler: flugs werden Bananen aus den Rucksäcken geholt und Louis&Co machen sogar Männchen dafür und hopsen auf unserem Autodach herum und futtern sie filmreif. Danach hängen sie mit faulen Bäuchen auf den Ästen und wir sind entlassen.

Eine Stunde später liegen wir auf türkisen Felsplatten (!) am Ufer des Rio Triste (Trauriger Fluss) und halten nun unsererseits eine kleine Mittagsruhe unter den Uferbäumen.

Daniel erzählt uns eine traurige Liebesgeschichte mit doppeltem Selbstmord, die dem Fluss den Namen gegeben haben soll. Und dann stürzen wir uns noch mal kopfunter für 1200 Meter in den Fluss. Auf die Gefahr hin, inzwischen in meiner Begeisterung unglaubhaft zu werden – ich muss es trotzdem sagen: diese Schnorcheltour hat dem bisher erlebten noch mal eine Krone aufgesetzt, was selbst wir nicht erwartet hatten. Weißer Sand, türkise Felsen, hellgrüne Wasserpflanzenbüschel, fast schwarze alte Baumstämme und silber-orange Fische – beleuchtet von glitzernden Sonnenkringeln. Eine Farborgie!

Ich schwebe gerade so vor mich hin und betrachte eine verrückte Wurzel, die vom Grund nach oben wächst, als plötzlich Daniel neben mir ausflippt und an mir herumzerrt. Komisch, der war doch bisher so ruhig und diskret….Aber in dem Moment fällt mein Blick auf meine Füße, die knappe dreißig Zentimeter über einem Stachelrochen schweben. Vor Schreck hätte ich fast versucht, mich am Boden abzustoßen…. Gerade noch mal gut gegangen. Der giftige Schwanz hat mich nicht erwischt.

Auf dem Weg zum Auto knabbern wir noch an Pequi-Früchten von einer Palme herum – ein ganz eigener Geschmack. Wird auch gern mit Reis gekocht. Hat kaum Fleisch, aber einen sehr würzigen Geschmack.

Eigentlich bin ich erschlagen von so viel Schnorcheln und so vielen Eindrücken. Aber an ein Schläfchen auf dem langen Rückweg ist natürlich bei dem Geruckel nicht zu denken.

Rechtzeitig eine knappe Stunde vor Sonnenuntergang kommen wir beim Lagoa das Araras an.

Vor uns breitet sich ein Sumpfsee aus,wie ich ihn noch nie gesehen habe: Im Wasser stehen überall lebende und abgestorbene Palmen. Ein verrückter Anblick, zumal sich die Palmen im schrägen letzten, goldenen Sonnenlicht des Tages perfekt auf dem stillen Wasser spiegeln. Man muss am Ufer bleiben, erstens weil dies wieder ein geschütztes Gebiet ist und außerdem wegen der Wasserbewohner: Krokodile.

Es gibt zwei Holzstege, wo man sich aufhalten kann. Und da fängt das Gekreische auch schon an: Alle möglichen Papageien kommen hier her, um sich einen Schlafplatz zu suchen. Aber so schön sie auch anzusehen sind: sie sind nur zweite Garde. Die Könige des Sumpfes sind die riesigen blau-gelben Aras. Paarweise überfliegen sie ihr Königreich und lassen sich laut lärmend auf ihren Schlafbäumen nieder, zibbeln sich gegenseitig am Gefieder und machen überhaupt viel Aufhebens. Irgendwie erscheint mir das Alles fast wie eine dieser famosen Naturdokus, wären da nicht die Mosquitos, die für die Echtheit der Szene sorgen. Sendeschluss mit Sonnenuntergang.

Wie ein Fisch im Wasser

Neuer Tag, neues Glück? Das Frühstück ist nicht nur brasilianisch bescheiden, eher noch ein bisschen magerer: Brot, Minas-Käse, Melone, Papaya. Was, wie sich später herausstellen soll, daran liegt, dass es hier fast nichts zu kaufen gibt, nicht einmal den ewigen Kochschinken oder vernünftiges Obst. Was soll´s…

Die einzige Angestellte des Hotels, Sekretärin und Buchhalterin, setzt sich zu uns, und präsentiert uns einen kompletten Fahrplan für die nächsten beiden Tage, Preise und Rechnung schon inklusive – bis hin zum Mittagessen auf den Ausflügen und Vouchern für die Eintritte. Zuerst fühlen wir uns etwas überrumpelt, bei näherem Hinsehen und Reden aber wird uns klar, dass man den Plan gar nicht besser machen kann. Und ein individueller Führer für ein winziges Entgelt gehört dazu.

Und außerdem steht bereits Daniel, ein smarter junger Guide, schüchtern lächelnd neben uns. Denn wenn wir die Vorschläge annehmen, ist es schlau, möglichst früh aufzubrechen, bevor die Tourbusse aus Cuiabá am Mittag eintreffen. Na, wenn man so charmant angetrieben wird…

Mit ihm als Motorrad-Eskorte machen wir uns mit unserem leise weinenden Mitwagen wieder auf die Schotterpiste – andere Straßen gibt’s hier nicht.

Ein kleines Schütteltrauma später biegen wir in die Fazenda zum „Aquario Encantado“ ein, eingepflegtes Gelände mit offenem Restaurant, Ruheplätzen und dem Lager für die Ausrüstung, die wir gleich erhalten: Schwimmweste (obligatorisch), Taucherbrille, Schnorchel und Gummischuhe. Alles andere bleibt zurück. Ein Traktor mit Hänger bringt uns drei zu einem Pfad, der in einen kleinen Regenwald führt. Es folgt ein knapper Kilometer Fußweg auf Holzplanken – hier soll nichts zertrampelt werden, in Mato Grosso nimmt man es sehr ernst mit dem Ökotourismus; auch hier wieder strenges Verbot für Sonnencreme und Mückenspray.

Warum unser erster Stopp „Aquario“ heißt, wird sofort klar, als wir ankommen. Mitten im saftigen Grün tut sich ein kleiner, strahlend hellblauer See auf, in dem man schon von Weitem Scharen von Fischen sehen kann. Ein fast künstlich und kitschig wirkendes Szenario – aber alles Natur. Das Wasser strömt aus einer tiefen Grotte in den See, der nach zwei Seiten als kleiner Fluss weiterläuft.

Wir dürfen uns schnorchelnd unter die Fische begeben, aber den See nicht verlassen und uns nirgends im See auf den Grund stellen. Toll!

Plötzlich bekomme ich eine Sekunde Panik, als die relativ großen Fische um mich herum ausflippen und mir auf den Rücken und den Kopf springen. Ich schieße mit dem Kopf aus dem Wasser, nur um einen lachenden Daniel zu sehen, der sich diebisch freut, weil ich nicht bemerkt habe, dass er Futter in meine Richtung geworfen hat, um das sich die Flossenträger dann auf mir gestritten haben. Kleiner Schelm!

Auch hier gibt es wieder die kleinen Knabberfische, die für Mani-und Pediküre sorgen, als wir uns auf einen Baumstamm im See setzen, um uns den Fischreigen noch mal von außen anzuschauen.

Als wir genug haben, machen wir uns noch mal auf den Weg etwas weiter durch´s Grün. An einer kleinen Flussbiegung angelangt, machen wir uns wieder schnorchelfertig und dürfen uns nun einen Kilometer weit den Fluß Rio Salobra hinuntertreiben lassen.

Die beiden ca. 30-40 Zentimeter großen Fischsorten, von denen die eine gestreift, die andere gepunktet und gut bezahnt ist, und den vielen Mini-Fischchen gibt es hier noch einige Exemplare von einer streng unter Schutz stehenden Douraden-Art zu bewundern. Besonders schön sieht diese Wasserwelt durch das einfallende Sonnenlicht und die Schatten der Baumkronen aus.

Eine nette Anwechslung ist es auch, sich auf den Rücken zu drehen, dann gleitet man unter den Wipfeln der Palmen und Laubbäume vor dem knallblauen Himmel dahin.

Ein Kilometer kann so kurz sein!

Zurück in der Basisstation erwartet uns ein leckeres Mittagsbuffet. Und das schmeckt noch dreimal besser, als nun zwei Riesenbusse aus Cuiabá eintreffen, einer voll mit aufgeregten , der andere mit brasilianischem Mix, der nun laut schnatternd und Selfies schießend in die Schwimmwesten klettert und grüppchenweise abgekarrt wird, da immer nur eine streng begrenzte Zahl von Menschen zum Fluß darf. Was hatten wir für eine luxuriöse Einsamkeit um uns!! Wir haben nur einmal zwei sich eilig trollende schwarze Affen getroffen. Echte, oben im Baum.

Nach einer ausgedehnten Siesta erklärt uns die Sekretärin, dass wir auf der Estancia da Mata, der Fazenda und dem Wohnsitz unsres Pousada-Besitzers erwartet werden. Das sei übrigens gratis.

Fünf Kilometer Hoppelweg weiter in die andere Richtung finden wir die idyllische Estancia da Mata – wie der Name schon sagt, mitten im Wald. Ein ausgedehntes Anwesen mit organisch angebautem Obst und Gemüse von Maniok, Okra, Avocados bis Papaya und allen möglichen Bananen. Außerdem eine überdachte Terrasse, die offensichtlich für Besucher gedacht ist.

Was ich nicht verstanden hatte, war dass auch hier noch eine Aktivität auf uns wartete: eine Runde Tubing in alten Autoreifen auf dem nahegelegenen Fluß, begleitet vom 18 jährigen Sohn der Familie, Evander.

Nette Überraschung! Das hatte was von Abenteuer für große Kinder, wenn man sich aber nur still auf den Reifen gelegt hat, dann war´s eher eine kontemplative Reise. Nach einem Schwätzchen und einem Bauch voll kleiner reifer Bananen wurden wir zurück begleitet, denn völlig unsichtbar im grünen Dickicht am Wegesrand versteckte sich noch eine kleine Attraktion: eine Grotte.

Keine erschlossene für Touristen, einfach eine Grotte, wo man sich auf eigene Gefahr beim Klettern den Kopf anschlagen konnte (selbst ausprobiert), und seine Kletterkünste auf eigene Gefahr testen konnte. Eine spannende Höhle, auch wenn wir nicht allzu weit hinein konnten: Stalaktiten, Skulpturen, Ausblicke auf die Landschaft.

Ein Abendspaziergang durch das Dorf, dass noch so aussieht, wie es, abgesehen von den Satellitenantennen auf den schäbigen Häusern, sicher schon vor dreißig Jahren ausgesehen hat, beschließt diesen Tag. Nix los, verstreute Häuser, Schuppen und chaotische Motorradwerstätten, auf der breiten Dorfstraße schlafen die Hunde, vor den Häusern sitzen die Bewohner auf alten Sofas oder alten Plastikstühlen und registrieren dankbar jedes noch so kleine Ereignis. Ab und zu jagen ein paar Jungspunds aus Motorrädern durchs Dorf und damit hat sich´s dann auch.

Ein erstauntes altes Ehepaar, das einen Plastiktisch und eine Eismaschine draußen stehen hat, bietet auf einer Tafel Tapioka an – herzhaft oder süß gefüllte Tapiokamehlfladen. Immmerhin eine Alternative zur Lanchonete von gestern. Sie sind ganz aufgeregt, Gäste zu haben, noch dazu welche von irgendwo der Welt da draußen, weit weg. Ihr Angebot im Laden ist schwer einzuordnen: Sie Eine leere Thekenvitrine, eine fast leere Gefriertruhe mit ein paar Getränkedosen, scharfes selbstgemachtes Öl, selbst eingelegte Chillischoten mit Knoblauch, selbstgehäkelte Serviettenhalter und 10 Paar Flipflops in verschiedenen Größen. Der Rest ist leer und Gerümpel. Mit vier Tapiokas, vier Dosen Bier und einmal Mini- Gummilatschen für unsre Enkelin haben sie wohl mit uns das Geschäft des Monats gemacht. Sie sind glücklich, wir auch.

Nett hier. Der Ort wir immer netter, und wir stellen fest – irgendwie passt er zu uns. Besser als ein schicker Touristenort.

Not amused…

170 Kilometer Nord-Nordwest liegt unser nächstes Ziel: Bom Jardin. Zum Glück ist die Überlandstraße seit zwei oder drei Jahren asphaltiert, sonst wäre dies ein sehr anstrengender Trip geworden. Wir fahren am Spätnachmittag los, in der Hoffnung, am frühen Abend anzukommen. Aber 15 km weiter bemerke ich, dass mein Handy noch an der Rezeption liegt und wir dafür den Zimmerschlüssel noch haben. Also im Sturzflug all die Serpentinen zurück und dann das Ganze auf Anfang. Aber als wir endlich in Bom Jardin sind, ist es bereits stockfinster. Keine Ahnung, wo die Pousada liegt, die wir reserviert haben.

Die Militärpolizei, die in Brasilien auch für den Verkehr zuständig ist, erklärt uns, dass wir gar nicht hier wohnen, sondern ein Dorf weiter, so circa 8 km entfernt. Klingt ja harmlos…ist es aber nicht, denn nach etwas fünf Kilometern hört die asphaltierte Strecke auf und es geht über eine unbeleuchtete Buckel-Lehm-Schotterpiste irgendwo ins Dunkle. Und das ohne Ende. Das Auto war fast neu. Das dürfte sich nun dank Steinschlag und ewig aufschlagendem Unterboden erledigt haben. Als wir nach einer gefühlten Ewigkeit schon nicht mehr daran glauben, dass dieser Weg irgendwohin führt, tauchen ein paar fahle Lichtlein auf.

Ein Dorf, ein Dorf! Naja, so was ähnliches jedenfalls. Immerhin ein paar bewohnte eher schäbige, kleine Häuser und ein Ortsschild mit dem blumigen Namen: Vila da Rota da Agua – Dorf an der Route des Wassers. Der Beschreibung nach sollten wir jetzt eine idyllisch gelegene, kuschelige Pousada finden. Als das Funzeln einer der wenigen Straßenlaternen auf ein kleines Gebäude mit dem Namen „Estancia da Mata“ ( Waldfarm) auf einem total chaotischen, nach Großbaustelle aussehenden Grundstück fällt, sind wir erstmal stumm und geschockt. Nach DER Fahrt DAS…

Von Idylle keine Spur. Wie kommen bloß die guten Bewertungen ins Internet?! Aber immerhin kommt sofort ein strahlender Mann nebst lächelndem Teenager heraus und freut sich, dass wir nicht verloren gegangen sind. Herzliches Händeschütteln, trotz unserer immer noch finsteren Minen. Das Zimmer ist pieksauber – Bett, Minitisch, Fernseher an der Decke und Dusche.

Aber draußen halt eine Baustelle. Der Regen, der viele Regen sei Schuld, dass die Neugestaltung des Grundstücks nicht fertig sei, die Baumaschinen kommen nicht durch. Tröstet uns immer noch nicht.

Der Sohn des Hauses erbietet sich sofort, uns per Motorrad Wasser und eine Kleinigkeit zu essen zu holen. Nett, aber bessert die Laune auch nicht so recht, lässt es doch auf die Abwesenheit von Restaurants schließen. Danke nein, wir gehen ein bisschen spazieren. Skeptische Blicke. Der Chef erscheint und kündigt an, uns zu begleiten, weil es so dunkel ist. Er hat eine Taschenlampe.

Was soll´s – wir lassen wir uns darauf ein, vom ihm nebst Tochter durch diesen Vorposten der Zivilisation zur einzigen Lanchonete des Dorfes gebracht zu werden, die noch etwas zu essen hat. Lanchonete – das ist mehr als ein Imbiss und weniger als ein Restaurant. Wir entscheiden uns für Pastel, mit Fleisch, Huhn, Käse oder Gemüse gefüllte, frittierte Teigtaschen. Und Bier.

Der Mann, der sich als Senhor Anselmo entpuppt, ist ein so symphatischer Mensch, dass sich unser Schock langsam etwas abkühlt. Er hat auch schon gleich ein paar Ideen für Unternehmungen, die sich in etwa mit dem decken, was uns der Lonely Planet empfiehlt. Und er hat auch gleich Führer an der Hand, ohne die nichts geht hier, das haben wir schon gelesen. Vielleicht ist es hier ja doch nicht so schrecklich…

Kultstätten und Klapperschlangen

Ein Tag noch bleibt uns in der Chapada de Guimarães. Also auf zur letzten Erkundungstour. Diesmal, begleitet uns Elenice, eine symphatische junge Frau, die ihren Guide Job offenbar sehr ernst nimmt, will sagen, sie hat sich über das übliche Maß schlau gemacht. Schon auf den 42 Kilometern Fahrt zu den Grotten östlich von Chapada (Caverna Aroe-Jari e Gruta da Lagoa Azul ) erfahren wir viel Spannendes über die Geschichte der Stadt und der Indigenes, der Indios vom Stamm der Bororo, die hier ursprünglich lebten. Es gibt sie immer noch, aber meist vermischt mit den schwarzen Sklaven der englischen Kolonialherrn, die des Goldes wegen gekommen waren. Elenice selbst ist eine solche Mischung.

Die Straße führt durch endlose Sojafelder, alles hochindustrialisiert. Grüne Öde bis zum Horizont, zwischendurch immer wieder riesige Sprühfahrzeuge, die Wolken von Insektiziden hinter sich herziehen. Da wo vorher Serra und Wald war herrscht nun Monokultur für Öl und Tofu… Immerhin gibt es hier wenigstens ein paar Minimalregeln: Waldstücke um die Flüsse dürfen nicht gerodet werden.

Nach 30 km verlassen wir die Asphaltstraße und holpern über 12 Kilometer Lehm, Schotter und Steine unsrem Ziel entgegen. Von einer Art Station aus geht’s dann in Richtung Höhlen über die Höhen des Plateaus. Doch vorher gibt’s für alle eine Art gefütterte Ledergamaschen als Schutz vor den Giftschlangen, die hier leben: Klapperschlangen und Jararacas. Es ist zwar noch keiner gebissen worden, aber das Problem wäre die Zeit bis zum Gegengift: Cuiabá ist über 100 km entfernt – zu lange…. Die Gamaschen mögen sinnvoll sein und lassen uns ein bisschen wie Trapper aussehen, aber bei den Temperaturen sind sie wie kratzende Heizdecken.

Für den Hinweg nehmen wir einen Traktoranhänger, denn es ist verdammt heiß und der Rückweg inklusive des Waldweges zu den Höhlen ist schon rund neun Kilometer lang, und das sollte bei der Hitze genügen. Es gibt noch andere Grüppchen, aber die gehen separat und wir lassen ihnen mit viel Abstand den Vortritt, um Natur und Höhlen allein in Stille und Vogelgezwitscher genießen zu können. Und außerdem fahren die sowieso fast alle mit dem Traktor zurück, denn die meisten Brasilianer laufen nicht gern viel.

Zum Glück führt ein großer Teil des Weges durch schattigen Urwald mit vielen kleinen klaren Quellen, an denen man sich erfrischen und trinken kann.Die Tiere halten sich in den Tagstunden auch hier fern im Unterholz versteckt, so dass nur wenige zu sehen sind. Dabei reicht der Artenreichtum hier für einen Zoo: Raubtiere wie Jaguare, Pumas, Wildkatzen, Wölfe, außerdem jede Menge Wild, Nagetiere, Echsen, Tapire, Ameisenbären, Gürteltiere, Salamander – und natürlich alle möglichen Arten von Papageien. Die Papageien sind in dieser Region wie die Spatzen in Berlin.

Die Höhlen, unser Ziel, liegen mitten im Urwald. Ein typisches Merkmal der Landschaft dieser Hochebene hier ist es, dass plötzlich immer, wie aus dem Boden geschossen, riesige Felsbrocken vor einem auftauchen. Oft überragen diese aus vielen dünnen Schichten bestehenden Felsen sogar auf aberwitzige Weise den Weg, oder ein solcher Koloss steht gar auf dünnen Säulen, dass man sich fragt, wie das weiche Gestein so lange bestehen kann, ohne in sich zusammenzubrechen.

Zwei der Höhlen, die wir erreichen, darf man nicht betreten. Aber schon einfach nur hineinzuschauen, lohnt den Weg, Sie stehen unter Wasser und das erstrahlt in leuchtendem Türkis und blassgrün. Braunes und kupferfarbenes Gestein, tiefe Dunkelheit und trotzdem diese leuchtenden Farben! Wunderschön! Früher war das Baden noch erlaubt, aber Sonnenschutzmittel haben das Wasser vergiftet und die Algen sterben lassen, deshalb ist das jetzt verboten.

Allerdings an der zweiten Höhle treten Elenice und ich in eine Armeisenstraße und die Mistviecher klettern in unsere Cowboygamaschen und pieken genüsslich. So was fieses! Ehe man die Dinger abgeschnallt hat, fühlen sich die Beine wie nach einem Brennesselsturz an. Zum Glück gibt’s gerade einen Bach, indem wir die Stiche etwas kühlen können.

Die letzte Höhle ist die Größte, aber auch kann man nur einen Teil besichtigen, eine zweite anschließende Höhle,, die Goldene, steht leider im Moment zu hoch unter Wasser. Und ganz tief in den Berg dürfen nur Höhlenforscher. Trotzdem beeindruckend. Man kommt durch einen kleinen Eingang in eine bestimmt 800 Quadratmeter große Grotte, die wie eine Kathedrale wirkt. In der Mitte schießt Wasser aus der Decke. Wir haben Taschenlampen, denn es ist stockfinster.

Die Höhle heißt Kyogo Brado, was in der Sprache der Bororo soviel wie Ruheplatz der Seele bedeutet. Es war ein heiliger Kultort, wo zum Teil mehrmonatige Rituale beim Tod eines Häuptlings abgehalten wurden. Außerhalb der Höhle wachsen Pflanzen mit knallblauen Beeren, aus denen starke Halluzinogene für die Zeremonien gewonnen wurden. Die Schamanen der Bororo veranstalten bis heute bestimmte Zeremonien – unter Ausschluss Stammesfremder. Auf dem sechs Kilometer langen Rückweg knallt die Sonne unbarmherzig, aber nur ein Teil müssen wir durch die brütende Serra. Aber immerhin weiß ich jetzt, nach welchen Bäumen ich Ausschau halten muss, wenn ich am verdursten bin (Buriti), welche Stengel mich von Nieren- und Gallensteinen befreien, welche Früchte ich wild essen kann und dass der Samen des Sucupira Baums einen Tropfen Antibiotikum enthält, wenn´s mal nötig ist. Was gelernt!

Ein bisschen Nervosität kommt noch mal kurz auf, als ein entgegenkommendes Wandertrio vor einer Klapperschlange auf dem Weg warnt. Aber die ist längst wieder auf und davon und so kommen wir ungebissen zurück. Als Belohnung für den herausfordernden Marsch gibt’s noch das hier schon fast zur Gewohnheit gewordene Bad im nahegelegenen Wasserfall, dieser hier heißt Cachoeira do Relogio, – und schon geht der letzte Tag in der Chapada de Guimarães zu Ende.

Nächstes Ziel: Bom Jardin.