Parati stand schon lange auf meiner Wunschliste. Diesmal also hat es geklappt. Circa drei Autostunden südlich von Rio de Janeiro liegt diese hübsche alte Stadt am Meer. Schon allein das Bergpanorama, das die Stadte einrahmt, ist beeindruckend: Gleich mehrere Bergzüge türmen sich voreinander auf, es erinnert an eine japanische Tuschzeichnung. Auf der Meerseite sind mehrere kleine Inseln malerisch im Ozean verteilt, alle dicht bewachsen (manche gehören einzelnen Privatleuten!). Wenn die Sonne scheint, sehen sie mit ihren Palmen aus wie knallgrüne Puschel im smaragdfarbenen Meer mit weißen Schaumkrönchen– einfach nur schön.
Die Stadt selbst ist etwas besonderes, denn seit sie im 16. Jahrhundert gegründet würde und nach einem ganz klaren Plan aufgebaut, hat sich die Struktur nicht geändert, zumindest, was den historischen Teil betrifft. Die Straßen sind mit großen Steinen gepflastert, die das Laufen hier zur extrem sportlichen Übung machen, ganz zu schweigen vom Autofahren. Das ist nur im Schritttempo möglich, und nach hundert Metern hat man das Gefühl, sämtliche Organe sind locker und völlig deformiert. Als Marathonläuferin habe ich ständig gedacht: Ein Glück, dass ich keinen Marathon vor mir habe, jeder Schritt wäre dann ein Risiko. Aber es sieht toll aus und hat auch einen Sinn. Hier haben die portugiesischen Baumeister nämlich mal nicht gegen die Natur, sondern mit der Natur geplant: Alle 12 Stunden ist die Stadt nämlich geflutet: die meisten Straßen stehen dann unter Wasser und das würde kein anderer Straßenbelag überstehen, schon gar nicht jahrhundertelang.
Die kleinen ein- und zweistöckigen Häuser sind fröhlich bunt gestrichen, überall üppig blühende Sträucher und Ranken neben den Hauseingängen und an den Mauern. Das gibt dem Strassenbild eine besondere Note. Jede Straße eine Postkarte. Herz der Altstadt ist der historische Kirchplatz – hier hat alles angefangen.
Die Stadt blühte auf, als im Inland, in Minas Gerais, Gold und Edelsteine gefunden wurden und die Portugiesen diese Schätze auf kürzestem Weg in die Heimat bringen wollten. So nutzten sie die von den Goaiania- Indianern gebauten Wege in die Berge. Einer davon wurde ausgebaut – aber auch nur dieser eine, damit alles unter Kontrolle und portugiesischem Monopol blieb: der Caminho de Oro (der Gold-Weg). Von Paraty wurde die Beute nach Rio verschifft und von dort aus nach Europa. Außerdem hatte der Hafen von Paraty große Bedeutung, weil hier die neuen Sklaven aus Afrika angelandet wurden… Später waren es vor allem Kaffee und Gewürze, die hier umgeschlagen wurden, bevor die Stadt dann lange Zeit in der Bedeutungslosigkeit versank.
In den 50erJahren wurde Paraty für den Tourismus entdeckt und wirklich schön und originalgetreu restauriert. Hier wohnen heute viele Künstler, europäische und amerikanische Zuwanderer – eine sehr interessante Mischung.
Am ersten Tag sind wir schwerfällig, aber begeistert durch die Gassen gestolpert – das Thermometer war auf ca 40 Grad geklettert. Man konnte kaum denken. Am Pier haben wir unter einem Baum Schatten gesucht und uns die eisgekühlten Kokosnüsse ans Dekolleté gedrückt, die wir ausgeschlürft haben, unfähig zu entscheiden, wie wir den Tag weiter gestalten wollten. Vor uns schaukelten buntgestrichene ehemalige Fischerboote am Kai, die man mieten konnte. Wir dachten, dass das viel zu teuer sei, aber es stellte sich heraus, dass es es durchaus bezahlbar war – schon ganz und gar mit der Aussicht, dem Brutofen zu entkommen und stattdessen kühlen Fahrtwind und Meer geniessen zu können.
So kam es, dass wir kurz darauf mit Käpt´n Mero und seiner lila-grünen Priscilla abgelegt haben und glücklich unter der Sonnenplane auf dem Dach liegend in die Wolken geträumt haben…bis sich eine schwarze Wolkenwand über die Berge auf das Meer zuschob.
Ein fantastisches Schauspiel! Aber auch ein bisschen beänstigend. Die Sturm- und Regenwand kam schneller auf uns zu als gedacht – umkehren hatte keinen Sinn mehr– dem Sturm entgegen. Also, schnell runter vom Dach und da flogen auch schon die schweren Kissen über Bord und es schüttete wie aus Eimern. Unser kleines Bootchen hat nicht schlecht geschaukelt… Wir haben trotzdem noch versucht, ein paar von den über Bord gegangenen Kissen wieder einzusammeln. Volle Kraft voraus hat uns unser Kapitän um die nächste Landzunge gebracht und an einem kleinen Strand angesetzt, der nur per Boot zu erreichen ist: Praia Vermelha.
Ein kleines Bambushütten-Restaurant ohne Wände, aber mit Dach zum unterschlüpfen war genau das, was wir brauchten. Wir haben ein leckeres Mittagessen aus gebratenem Fisch, Reis, schwarzen Bohnen und Salat genossen, dazu frischen Caju-Saft –so ließ sich das Schauspiel auf der Bucht gut abwarten! Bald war das Unwetter vorbei und wir sind wieder in See gestochen. Eine halbe Stunde entfernt, sind wir dann vor einer anderen kleinen Insel vor Anker gegangen und haben ausgiebig geschnorchelt.
Was für eine magische Welt. Ich übertreibe nicht – aber es waren tausende Fische! Riesige Schwärme kleiner silberner Fische, die mich an das Weltmeisterschaftskonfetti erinnert haben, sind um uns herumgeschwommen, Schwärme gelb-blau gestreifter Sergeantenfische, Zebrafische, rote, schwarze, blaue…keine Ahnung, wie die hießen. Man konnte über ein Korallenriff schimmen und einfach still schweben bleiben, so konnte man das geheime Leben auf dem Riff beobachten: Seeanemonen, seltsame scheue höhlenbewohnende Fische, blaue Krabben. Ich bin bewegungslos auf dem Wasser liegengeblieben und kurze Zeit später kamen ein paar neugierige Kerlchen und bauten sich direkt vor meiner Brille auf und glotzten so rein wie ich ´raus. Ein paar ganz freche Kerlchen fingen an, an meinen Fingerspitzen zu lutschen. Ich hatte zwischenzeitlich das Gefühl, völlig mit alldem zu verschmelzen.
Doch irgendwann wurde mir trotz des warmen Wassers kalt und meine Haut war verschrumpelt wie eine Backpflaume. Nur sehr ungern habe ich Yemanjas Welt verlassen (die Schutzheilige des Meeres in der Candomblé-Religion), um wieder in die Welt oberhalb des Wasserspiegels zurückzukehren. Im Sonnenuntergang hat uns Kapitän Mero, ein wirklich netter und smarter Typ, wieder sicher nach Paraty zurückgebracht. Ein leckeres Abendessen in den alten Gassen und die unverzichtbare Caipirinha haben den Tag perfekt abgerundet.
Tag Zwei war total verregnet und wir haben eine neue Bleibe gesucht und sind dabei auch ein Stück landeinwärts in die Berge gefahren, gern wäre ich weiter dem Caminho de Oro gefolgt.
Wenn ich den Tag auf/im Meer als einen der Höhepunkte dieser Reise empfunden hatte, sollte der folgende der zweite Höhepunkt werden: Wir sind flussaufwärts zu den Wasserfällen gefahren. Die Cachoeira da Pedra Branca liegt eine reichliche halbe Autostunde oberhalb von Paraty. Überflüssig zu sagen, wie der Weg dorthin durch den Urwald aussah. Und das mit einem unversicherten Auto… das letzte Stück muss man laufen, aber das ist ein Vergnügen: ein Winzling in der grünen Welt des Regenwaldes! Worte wie gigantisch sind hier wirklich angebracht. Riesige alte Bäume, deren oberirdische Wurzelteile dreimal so hoch sind, wie ein Menschlein, Blätter in jeder nur erdenklichen Form, trotz Herbst die herrlichsten Blüten überall – und dann der Fluss: der Wasserfall ist nicht besonders hoch, aber er hat mehrere Abschnitte, terrassengleich und immer wieder kleine Naturpools, in denen man baden kann. Kalt! Aber schööön. Allerdings muss man aufpassen, dass man auf den glitschigen Steinen nicht wegrutscht, zumal die Strömung ziemlich stark ist. Die meisten Besucher, an diesem Tag waren es nicht viele, wagen sich bloß bis zum ersten Absatz, bis dahin führt ein Weg mit einem Halteseil.
Doch wir wären nicht wir, wenn wir hier geblieben wären. Wir sind noch ein Stück den Fluss hochgeklettert – jetzt weiss ich auch, wozu der liebe Gott den Urwald mit Lianen ausgestattet hat: damit wir unvollkommenen Wesen beim Klettern Halt finden und nicht abstürzen!
Bald schon hatten wir einen großen runden Felsen mitten im tosenden Fluss erklommen. Hier waren wir ganz allein! Das sind die Momente, in denen ich wieder ganz genau weiss, warum ich dieses Land so liebe! Es erzeugt ein solches Glücksgefühl in mir, dass ich es kaum beschreiben kann. Alles andere fällt ab. Nur noch ich und die Natur! Der Dschungel macht mir in keiner Weise Angst, ich liebe ihn einfach. All die Schmetterlinge, Vögel, Blüten….
Wir sind ziemlich lange geblieben und haben einfach nur genossen. Vom Rande des Felsens konnten wir die Ausflügler unten beobachten, von denen sich maximal 20 Prozent auch nur zu einem Bad überwinden konnten…die Mutigste von allen war eine Frau, die bis fast auf unsere Höhe geklettert ist, ihr Gatte unten war not amused. Seltsamerweise macht zuviel Natur den meisten Brasilianern Angst.
Später sind wir noch weiter zum Wasserfall do Toboga am Caminho de Oro gefahren. Unterwegs haben wir in einem einfachen, aber netten Restaurant am Flussufer mitten im Wald, auf einem Holzdeck, ein sehr spätes Mittagessen zu uns genommen. Comida caicara, „regionale Küche“. Lecker!
Auch der zweite Wasserfall war sehr schön, aber für mich gab es da schon wieder zu viele Leute. Der untere Teil besteht aus einem riesigen glatten Felsen, den man als natürliche Rutschbahn benutzen kann. Und das taten ärgerlicherweise fast ausschliesslich sehr dicke, unsportliche Männer, was das Panorama beträchtlich verschandelt hat. Es hatte sowas von Ballermannvergnügen…Ein Stück weiter oben gab´s noch eine Hängebrücke über den Fluss (Mutprobe für mich Höhengeängstigte) und eine Bar mitten im Wald. Hier muss man einfach ein Acai na Tigêla essen: ein dunkelrotes Palmfruchtmuß mit Bananenstückchen – ein echtes Powerfutter – und suchterregend lecker!
Der letzte Tag hat uns nach Trindade geführt – einen der bekanntesten Strandorte gleich neben Paraty. Auch hier wieder reichen die steilen Urwaldhänge bis hinunter ans Meer, Platz machen sie nur für ein paar großartige Strandbuchten. Wenn man sich die Mühe macht, ca 25 Minuten über einen der Pfade durch den Dschungel zu gehen oder sich mit einem kleinen Fischerboot übersetzten lässt, gibt es noch eine kleine Zugabe von Mutter Natur zu bewundern: ein natürlicher, hellblauer Meerespool inmitten großer Felsen, „Dekobepflanzung“ mit bis ins Meer hängenden Ranken und Blüten inklusive.
Allerdings haben wir uns schnell wieder entfernt, da leider Sonnabend war und Massen von ziemlich nervenden Wochendausflüglern den schönen Pool verstopften, mit und ohne Bierdosen in der Hand…Aber abgesehen davon sind es wirklich Traumstrände.
Mit diesem Strandtag endete unsere kleine Reise nach Norden. Allerdings konnten wir nur bis Sao Sebastiao zurückfahren, nicht bis Boicucanga, da uns dort die schon beschriebene Sintflut überraschte und für Tage von der „Heimat“ abschnitt.
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