Die brasilianischen Frauen

Brasilianische Frauen sind eine ganz eigene Spezies – und das nicht nur, weil viele von ihnen sehr schön sind! Ohne sie würde hier noch viel weniger funktionieren. Sie sind das wirklich starke Geschlecht, sind die, die meist das Leben der Familie schmeissen – die Leistungsträger, die das mit dem Organisieren, Arbeiten und Zusammenhalten von Allem hinkriegen. Brasilianische Männer dagegen sind ewige Kinder, die eigentlich immer eine Mutti brauchen, die verwöhnt und hilflos ohne die Frauen sind. Das gilt selbst für die Mehrheit derjenigen, die im Beruf erfolgreich und durchsetzungsfähig sind.

Und während wir emanzipierten Europäerinnen uns mit den Männern streiten, auseinandersetzen und diskutieren, lächelt die Brasilianerin zuckersüss oder nachsichtig, sagt zu allem „Ja“ und macht, was sie für richtig hält. Allerdings ist sie auch höllisch eifersüchtig (oft aus gutem Grund und schlechter Erfahrung, aber imZweifelsfalle auch ohne). Außerdem legt sie exrem viel Wert auf ihr Äusseres und dabei vorallem auf die Betonung ihrer weiblichen Reize. Ein Kleid oder T-Shirt sollte immer einen supertiefen Ausschnitt haben, wenn es als schick gelten will. Und ein großer Teil der Damen kauft grundsätzlich mindestens eine Nummer zu klein, damit auch jede Rundung zur Geltung kommt. Oft auch die, die man lieber nicht sehen möchte.

Der Körperkult treibt allerdings tatsächlich beängstigende Blüten: Schönheitschirurgie gehört zu den wichtigsten und normalsten Dingen im Leben der überwiegenden Mehrheit der Frauen. Es gibt kaum etwas, das man nicht verschönern könnte. Vorallem aber die Brustgröße muss stimmen: Ich stelle die kühne Behauptung auf, dass der überwiegende Teil der weiblichen Bevölkerung, gefühlte 90 Prozent, tatsächlich wahrscheinlich 89 Prozent, Silikon-Busen trägt. Selbst gesundheitsfanatische Vegetarierinnen/Veganerinnen, die möglichst nicht mal Alkohol trinken wegen der Gifte, sehen aber keinerlei Problem im Silikonimplantat oder Botox an den entscheidenden Stellen im Körper – irgendwie seltsam, oder?

Aber es sei nochmal gesagt: Die Frauen sind hier das starke Geschlecht!

Sweet Brazil

Noch ein süßer Tipp zum Schluss: „Ich backe einen Kuchen für meine Freunde oder bringe zur Einladung einen deutschen/italienischen Nachtisch mit.“ Super Idee! Finden hier auch alle – vorausgesetzt man verdoppelt die Zuckermenge und stellt möglichst noch ein Schälchen mit Extra-Zucker daneben. Ich durfte das gerade wieder studieren. Im Restaurant meiner Freunde in Sao Sebastiao habe ich mich erboten, zum Tagesmenü den Überraschungsnachtisch zu machen, weil sie gern mal was Neues anbieten wollten. Ich habe mich für gute altmodische deutsche Eierkuchen (Pfannkuchen) entschieden, mal mit Apfelstücken wie daheim, mal mit Bananenstücken, weil sich das anbietet. Nach meiner Testprobe zum Kosten wurde beschlossen, dass ich die Zuckermenge verdopple, zusätzlich sollte noch Zucker und Zimt daraufgestreut werden. Ich war sicher, dass das keinem mehr schmecken würde, weil man davon schon fast Zahnschmerzen bekommen hat. Die Gäste waren begeistert!!!

So sollte man auch beim Bestellen der wunderbaren frischen Fruchtsäfte immer dazusagen „bitte wenig oder kein Zucker“, denn hier wird oft sogar der Orangensaft gesüßt. Das kann man dann zur Not selbst tun, ansonsten ist das edle Getränk leider oft sirupähnlich. Bei Einladungen sollte man – natürlich höflich – den Nachtisch erstmal in mikrobengroßer Menge probieren. Nicht alles ist für unsereins da genießbar. Merke: Der durchschnittliche Brasilianer ist extrem zuckersüchtig!

Fettnäpfe

An dieser Stelle ein beliebter Fettnapf für Deutsche: Wer einmal in Brasilien am Strand war und die Bikinis gesehen hat, die teilweise nur noch symbolischen Charakter haben und irgendwie anzüglicher aussehen als ein einfach nur nackter Mensch, mag glauben, dass die Brasilianier ein natürliches und unverkrampftes Verhältnis zum menschlichen Körper haben. Nein!!! Schon ein Mensch in Unterwäsche ist super peinlich! Und sich einfach so umziehen am Strand wie in Deutschland geht gar nicht! Ein Brasilianer würde sich nie am Strand umziehen, eher zieht man Shorts oder Kleid über die nassen Sachen und sieht dann im Restaurant aus, als ob man sich in die Hose gemacht hat. Bei Frauen klebt dann teilweise noch ein klitschnasses T-Shirt so am Körper, dass man mehr von der Brust sieht, als im Bikini selbst. Das ist aber völlig ok. Selbst das Umziehen unter Tschador-ähnlich, garantiert blicksicher umgebundenen Strandtüchern o.ä. kann man sich auch nur unter dem Motto „Ich bin ein doofer Ausländer“ erlauben. Verstehen werde ich das nie.

Noch eine Chance für einen Faux Pax: Geburtstag. Auch das ein Quell der Verwirrung, ich habe es im Eigenversuch erfahren. Im vergangenen Jahr habe ich meinen Geburtstag hier gefeiert. Als große Überraschung hatte mir eine Freundin zwei riesige, buntverzierte Torten gebacken. Ich war wirklich gerührt – habe mich wortreich bedankt, um dann schnurstracks die Kunstwerke anzuschneiden und anzubieten, auf dass die Feier beginnen kann. Doch die Gäste haben irgendwie irritiert, wenn auch freundlich-nachsichtig reagiert, was ich mir nicht recht erklären konnte. Erst viel später habe ich erfahren, dass man in Brasilien mit dem Anschneiden des Geburstagskuchens das Aufbruchssignal zum Gehen gibt – am Ende des Festes.

Offenheit vs Höflichkeit

Bekanntlich kann man als Ausländer immer wunderbar ins Fettnäpfchen treten. Da ist Brasilien keine Ausnahme. Hier also ein paar meiner erlernten, manchmal auch peinlich erfahrenen Erkenntnisse zur Sache.

Die Brasilianer sind extrem höflich und verbindlich. So sollte man im Zweifelsfalle immer explizit jeden grüßen, auch wenn man nur einen Laden betritt oder das Zimmermädchen in der Pousada vorbeigeht. Und ein freundliches Lächeln dazu ist selbstverständlich. Ernste Minen verunsichern die Leute hier ziemlich – vor allem im Norden des Landes. Wer hier nicht lachen lernt, steht auf verlorenem Posten. Sollte es für uns auf Krankenshein geben, so eine Runde Brasilien gegen Griesgrämigkeit! Ausserdem kommt man selten gleich zur Sache. Selbst wenn man nur eine Kleinigkeit fragen möchte, gehört es dazu, mindestens zu fragen, wie es heute geht. Bei größeren Anliegen lieber noch etwas mehr Konversation und erst nach einer angemessenen Plauderei über Gott und die Welt zur Sache kommen– wie gesagt, alles hier braucht seine Zeit.

Diese relaxte Höflichkeit finde ich sehr angenehm, aber das freundliche Weglächeln von Problemen hat auch seine problematischen Seiten. Denn manches verhält sich anders als es klingt: so wird manche Bitte nicht abgelehnt, sondern freundlich lächelnd Ja gesagt – nur, dass das Zugesagte dann niemals passiert. Aber es fällt den Leuten leichter einfach freundlich zuzustimmen und das Ganze dann zu vergessen.

Ebenso ist es sehr schwierig, eine ehrliche Meinung zu bekommen, selbst unter Freunden oder teilweise sogar innerhalb der Familie: kritische Äusserungen behält man lieber für sich – das gilt auch umgekehrt, denn die Leute sind hier ganz schnell sauer über kritische Äußerungen, manchmal auch nur die ehrliche Meinung dazu, ob´s schmeckt… Aber auch das bekommt man nicht mit, denn erstmal wird wieder freundlich gelächelt, bevor der Gekränkte in der Folgezeit anhaltend sauer ist…Unsere deutsche Direktheit und Offenheit kommt hier wirklich nicht so gut an- es sei denn, man hat wirklich ein vertrautes Verhältnis, dann klappt´s vielleicht mit dem Exotenbonus…

Zeit und Verabredungen

Bis jetzt habe ich die wichtigsten Geschichten und Orte dieser Reise immer in einzelne Kapitel unterteilt. Aber irgendwie ist dabei eine Menge übriggeblieben, was ich nicht erzählt habe. Bevor ich nun zum letzten Kapitel komme, werde ich einfach mal eine Runde „Schnipsel“ einlegen, die irgendwie auch zu meinen brasilianischen Reminiszenzen gehören.

Zuerst eins der großen Rätsel: Die Zeit. Warum schafft man hier eigentlich nie annähernd das, was man machen wollte? Und das nicht nur, weil man Urlaub hat und keine Eile…Eines der Geheimnisse, was mir dieses Land aufgibt. Dass mitteleuropäische Planung und Effizienz hier auf verlorenen Posten ist, das ist klar und irgendwie auch gut so, wie ein bekannter Berliner so sagt…Aber das ist noch keine Erklärung dafür, warum man selbst bei anderer Sozialisation und gelegentlicher (schon auch mal deutlicher) Genervtheit ob der landesüblichen Planungsunmöglichkeit nicht in der Lage ist, seine eigenen Aktivitäten irgendwie zu strukturieren und auch nur halbwegs das zu machen, was man sich vorgenommen hat. Und ich spreche hier nicht etwa von der sporadischen, chaotischen Art, meinen Blog zu schreiben. Nein, diese Lebensart saugt einen irgendwie mit ein.

Selbst meine Freundin Corrin, Amerikanerin, die seit 30 Jahren hier lebt, aber trotzdem immer noch etwas „anders“ tickt und die bei aller Symphatie für Brasilien regelmässig im Kreis springt, ob der sich endlos hinziehenden Dinge des Alltags, der Langsamkeit, der chaotischen Gangart – selbst die ist überhaupt nur noch selten in der Lage, irgendwas schnell und wie geplant zu machen. So hat sie bei unserer gemeinsame Abreise nach Paraty, beim Frühstück noch darauf gedrungen, möglichst schnell loszufahren. Gegen Mittag waren WIR zumindest abfahrbereit ( undbitte fragt nicht, was wir so lange gemacht haben!). Aber nichts da, auf einmal fielen Corrin noch tausend Sachen ein, die in ihrem Restaurant usw zu erledigen waren – obwohl sie den ganzen Vormittag nichts groß zu tun hatte! Letztendlich sind wir dann schon ein Stück vorgefahren und haben uns an einem schönen Strand 20km weiter die Zeit vertrieben, bis sie endlich nachkam. Abgefahren sind wir alle dann halb fünf…Und das ist nur eins der Beispiele.

Es wird ständig geredet, geplant, verworfen, vergessen, vertrödelt…das klingt sicher völlig schrecklich für den deutschen Durchschnittsleser, aber hier ist das einfach so, und man hört ziemlich schnell auf, sich darüber aufzuregen.

Corrins Kühlschrank klingt seit unserer Ankunft phasenweise wie ein Flugzeugtriebwerk – irgendwas ist da so gar nicht in Ordnung. Der Monteur wohnt 10 Minuten entfernt und sagt ständig, dass er kommt –unser Monat ist um, und der Kühlschrank fliegt immer noch durch´s Haus.

Anderes Beispiel: Ich habe mich mit einem der engagierten Mitstreiter eines superinteressanten sozialen Projektes für Kinder aus den armen Familien, einem bekannten brasilianischen Chefkoch, für ein Interview verabredet. Ich bin ihm den halben Tag lang geduldig gefolgt, weil immer etwas dazwischen kam. In der 2stündigen Mittagspause sollte es nun so weit sein. Er wolle nur noch duschen, ich soll doch eben das Interview mit dem Initiator den Projektes vorziehen…tja, dann war der Typ plötzlich weg! Nach Sao Sebastiao gefahren, was erledigen. Ohne auch nur was zu sagen. Aber das ist kein Grund zum sauer sein, er fühlte sich auch gar nicht schuldig, als er mir drei Stunden später fröhlich lachend sagte, dass er doch noch schnell weg musste. Alles ganz normal. Das Interview fand schließlich weitere zweieinhalb Stunden später statt. Hat doch geklappt – irgendwie. So what?…

Eine Bekannte hat ihr Auto im Dezember zur Reparatur gebracht es sollte zwei bis drei Wochen dauern. Jetzt ist Anfang April– die Kiste steht immer noch in der Werkstatt.   Usw usf.

Manchmal frage ich mich ehrlich, wie das alles trotzallem noch funktionieren kann und irgendwie ja nicht mal schlecht, denn Brasilien ist ein echtes Wirtschaftsboomland auf der Schwelle zur Ersten Welt. Aber im Alltag herrscht einfach ein riesiges, alles aufsaugenden Chaos. Uff, das klingt wahrscheinlich jetzt furchtbar deutsch und arrogant, aber es ist wirklich so! Und die Brasilianer selbst sehen das so und sagen es auch,machen Witze über sich selbst, klagen, aber es ändert sich nichts daran. Und ein Stück weit ist das wirklich eine heilsame Kur für den effizienzgeschädigten Deutschen. Motto: es geht auch anders und man muss sich wirklich nicht immer über jeden Kleinkram aufregen. Aber andererseits ist diese Unangestrengtheit wirklich manchmal sehr anstrengend!

Verabredungen sind eine Wissenschaft für sich. Da gibt es etliche Geheimcodes, die es zu deuten gilt und selbst dann ist nichts sicher. Ein „Vielleicht“ ist ein ganz klares „Nein“. Ein „tá bom!“ (ok) oder „Claro“ könnte als vielleicht gedeutet werden. „Wir müssen uns mal treffen“ ist eine blanke Floskel, wenn es nicht mit einer konkreten Verabredung verbunden ist. Und so kann man auch bei Leuten, die man nicht wirklich treffen möchte, ruhig freundlich zustimmen – eben solange es nicht konkret terminiert wird, meint das eh keiner. Ein „certo“ (sicher) oder „combinado“ (abgemacht) hat echte Chancen auf Umsetzung. Allerdings nur, wenn dazu ein fester Tag und eine feste Zeit verabredet sind. Diese allerdings werden unter keinen Umständen genau eingehalten – Verspätungen bis zu mehreren Stunden sind normal, da zuckt hier keiner. Allzu pünktlich, genauer gesagt auf die Minute oder gar zu früh, kommt man besser nicht, damit rechnet niemand. Wenn man allerdings jemanden zum Essen nach Hause einlädt, sollte man immer ein paar Portionen mehr kochen, denn es ist absolut verbreitet, dass noch Leute mitgebracht werden.

14 Das Projecto Buscapé

Bildung ist in Brasilien immer noch das große Problem. Zumindest, wenn man keine reiche Eltern hat, die Privatschulen und Universitäten bezahlen können. Die öffentlichen Schulen haben nicht mal Platz für alle, obwohl sie hier im Staat Sao Paulo z.b., der einer der wohlhabendsten ist, im Zweischichtsystem unterrichten: Vormittags und Nachmittags. Und das jeweils nur vier Stunden, egal, ob erste oder sechste Klasse., mehr Unterricht gibt es nicht.

Viele der Kinder aus den Favelas, wie die Armenviertel hier heissen, haben wirklich kaum eine Chance. Zumal die Familien selbst meist das grösste Problem sind: Alkohol, Drogen, über Generationen Lethargie und womöglich noch Gewalt. Sie lernen die einfachsten Dinge nicht wie normales Sozialverhalten, geschweige denn, dass sie irgendwie motiviert werden, zu lernen oder etwas vom Leben zu erwarten. Es ist wirklich ein sehr, sehr großes Problem.

Umso beeindruckter war ich, als mich Corrin zu einem Projekt mitgenommen hat, an dem sie einmal wöchentlich mitarbeitet, natürlich ehrenamtlich und sogar mehr – sie bringt jedesmal das Material mit. Es heißt Projecto Buscapé und wurde von einem Militärpolizisten auf die Beine gestellt, der selbst aus solchen Verhältnissen kommt. Er will so die Kinder von der Strasse holen und vor der üblichen kleinkriminellen Karriere abbringen, im besten Falle auf eine Ausbildung vorbereiten. Er konnte die Militärpolizei als Schirmherrn und Ausrichter gewinnen, so dass er einen überdachten Raum hinter dem Reviergebäude und einen weiteren kleinen Raum sowie die Sporthalle der Militärpolizei nutzen darf – und einen Teil seiner Arbeitszeit. Das Projekt findet an fünf Tagen die Woche statt – ebenfalls in zwei Schichten – eben wenn die Kids zwischen 7 und 14 Jahren nicht Schule haben.

Insgesamt können immer 140 Kinder aufgenommen werden, viel weniger als Bewerber. Sie müssen sich verpflichten, immer zu erscheinen und auch in der Schule ordentliche Noten zu schaffen (oder zumindest es versuchen) – beim 3. unentschuldigten Fehlen fliegen sie raus. Das klingt hart, aber anders geht das nicht. Jeden Tag findet etwas anderes statt: einmal die Woche wird gekocht. Diesen Kurs betreut ein inzwischen landesweit berühmter Koch, der selbst hier mit 13 Geschwistern, ohne Strom und in purer Armut aufgewachsen ist. Er kommt extra aus Sao Paulo und opfert seinen freien Tag. Ich habe mir das zweimal angeschaut: beeindruckend. Es geht weniger um die Kochrezepte als um das Öfnen der Tür in eine andere Welt, die sie gar nicht kennen: Man kann auch anderes als Reis und Bohnen essen, wie spricht man mit anderen, wie benimmt man sich, wie behandelt man Gäste, wie stellt man sich vor usw.

An den anderen Tagen ginbt es Musikunterricht, Theater, Kunst, viel Sport und Aufklärung über Drogen.

Anfang und Ende der täglichen Kurse und eine Art Fahnenappell in militärischer Form. Mit Singen der Hymne usw. Das wirkt erst etwas befremdlich, macht aber Sinn, weil die Kids so eine Ahnung von Disziplin und Zugehörigkeitsgefühl bekommen. Sie werden respektiert und sind Mitglieder der brasilianischen Gesellschaft. Aber ausser so wichtigen Dingen wie Disziplin, Respekt voreinander, Verantwortungsgefühl, Zusammenarbeit und Anerkennung erfahren sie auch ganz viel Zuwendung: alle Kinder werden immer mit einer Umarmung verabschiedet und dürfen auch die Gäste (bzw eine Art Gastprofessoren), die immer mal einen Kurs übernehmen, umarmen. Ihr glaubt nicht, was da los geht! Ich war an drei Tagen zu Besuch – am dritten Tag sind etliche schon auf mich zugestürzt, bevor ich richtig da war, sind an mir hochgesprungen, haben mich gedrückt, geküsst und angestrahlt!

Es ist ein sehr beeindruckendes Projekt, das inzwischen drei Nachahmerprojekte in den Nachbarorten hat. Es läuft seit 5 Jahren und es haben bereits 1000 Kinder durchlaufen. Vom Staat bekommen sie ganz kleine finanzielle Unterstützungen zwischen 25 und 50 Euro im Monat für das ganze Projekt (!), der Rest sind Spenden und ehrenamtliche Arbeit. Nicht zu vergessen die Preisgelder, die sie manchmal in sportliche Wettkämpfen von Judo bis Fussball heimbringen. Vor Ostern haben alle Kinder ein Schokoladenosterei und einen großen Bonbon bekommen – die waren völlig aus dem Häuschen! So eine Freude!

Außerdem geht die Arbeit noch über das Projekt selbst hinaus: da Cabo William, der Initiator, der täglich mitarbeitet, alle Kinder einzeln kennt und auch die Familien, bei Problemen hingeht usw, ist ein Vertrauensverhältnis entstanden und die Familien wenden sich auch mit anderen Problemen an ihn. Er hilft ihnen weiter – mit anderen Behörden usw. Leute, die sonst niemals „Offizielle“ um Hilfe bitten würden, haben so plötzlich einen Ansprechpartner.

Ich war jedenfalls so beeindruckt, dass mein inzwischen etwas ermüdetetes Journalistenblut förmlich gekocht hat – deshalb bin ich auch wieder hingegangen, habe zugeschaut, Interviews und Fotos gemacht. Mal sehen, ob ich das in Deutschland unterbringen kann. Ich hoffe, ich kann etwas tun – und wenn´s nur anerkennende Aufmerksamkeit ist. Am liebsten würde ich eine Dokumentation drehen, wenn ich Geldgeber finde.

Zur Bildergalerie Projecto Buscapé

13 Nach Norden IV

Parati stand schon lange auf meiner Wunschliste. Diesmal also hat es geklappt. Circa drei Autostunden südlich von Rio de Janeiro liegt diese hübsche alte Stadt am Meer. Schon allein das Bergpanorama,  das die Stadte einrahmt, ist beeindruckend: Gleich mehrere Bergzüge türmen sich voreinander auf, es erinnert an eine japanische Tuschzeichnung. Auf der Meerseite sind mehrere kleine Inseln malerisch im Ozean verteilt, alle dicht bewachsen (manche gehören einzelnen Privatleuten!). Wenn die Sonne scheint, sehen sie mit ihren Palmen aus wie knallgrüne Puschel im smaragdfarbenen Meer mit weißen Schaumkrönchen– einfach nur schön.

Die Stadt selbst ist etwas besonderes, denn seit sie im 16. Jahrhundert gegründet würde und nach einem ganz klaren Plan aufgebaut, hat sich die Struktur nicht geändert, zumindest, was den historischen Teil betrifft. Die Straßen sind mit großen Steinen gepflastert, die das Laufen hier zur extrem sportlichen Übung machen, ganz zu schweigen vom Autofahren. Das ist nur im Schritttempo möglich, und nach hundert Metern hat man das Gefühl, sämtliche Organe sind locker und völlig deformiert. Als Marathonläuferin habe ich ständig gedacht: Ein Glück, dass ich keinen Marathon vor mir habe, jeder Schritt wäre dann ein Risiko. Aber es sieht toll aus und hat auch einen Sinn. Hier haben die portugiesischen Baumeister nämlich mal nicht gegen die Natur, sondern mit der Natur geplant: Alle 12 Stunden ist die Stadt nämlich geflutet: die meisten Straßen stehen dann unter Wasser und das würde kein anderer Straßenbelag überstehen, schon gar nicht jahrhundertelang.

Die kleinen ein- und zweistöckigen Häuser sind fröhlich bunt gestrichen, überall üppig blühende Sträucher und Ranken neben den Hauseingängen und an den Mauern. Das gibt dem Strassenbild eine besondere Note. Jede Straße eine Postkarte. Herz der Altstadt ist der historische Kirchplatz – hier hat alles angefangen.

Die Stadt blühte auf, als im Inland, in Minas Gerais, Gold und Edelsteine gefunden wurden und die Portugiesen diese Schätze auf kürzestem Weg in die Heimat bringen wollten. So nutzten sie die von den Goaiania- Indianern gebauten Wege in die Berge. Einer davon wurde ausgebaut – aber auch nur dieser eine, damit alles unter Kontrolle und portugiesischem Monopol blieb: der Caminho de Oro (der Gold-Weg). Von Paraty wurde die Beute nach Rio verschifft und von dort aus nach Europa. Außerdem hatte der Hafen von Paraty große Bedeutung, weil hier die neuen Sklaven aus Afrika angelandet wurden… Später waren es vor allem Kaffee und Gewürze, die hier umgeschlagen wurden, bevor die Stadt dann lange Zeit in der Bedeutungslosigkeit versank.

In den 50erJahren wurde Paraty für den Tourismus entdeckt und wirklich schön und originalgetreu restauriert. Hier wohnen heute viele Künstler, europäische und amerikanische Zuwanderer – eine sehr interessante Mischung.

Am ersten Tag sind wir schwerfällig, aber begeistert durch die Gassen gestolpert – das Thermometer war auf ca 40 Grad geklettert. Man konnte kaum denken. Am Pier haben wir unter einem Baum Schatten gesucht und uns die eisgekühlten Kokosnüsse ans Dekolleté gedrückt, die wir ausgeschlürft haben, unfähig zu entscheiden, wie wir den Tag weiter gestalten wollten. Vor uns schaukelten buntgestrichene ehemalige Fischerboote am Kai, die man mieten konnte. Wir dachten, dass das viel zu teuer sei, aber es stellte sich heraus, dass es es durchaus bezahlbar war – schon ganz und gar mit der Aussicht, dem Brutofen zu entkommen und stattdessen kühlen Fahrtwind und Meer geniessen zu können.

So kam es, dass wir kurz darauf mit Käpt´n Mero und seiner lila-grünen Priscilla abgelegt haben und glücklich unter der Sonnenplane auf dem Dach liegend in die Wolken geträumt haben…bis sich eine schwarze Wolkenwand über die Berge auf das Meer zuschob.

Ein fantastisches Schauspiel! Aber auch ein bisschen beänstigend. Die Sturm- und Regenwand kam schneller auf uns zu als gedacht – umkehren hatte keinen Sinn mehr– dem Sturm entgegen. Also, schnell runter vom Dach und da flogen auch schon die schweren Kissen über Bord und es schüttete wie aus Eimern. Unser kleines Bootchen hat nicht schlecht geschaukelt… Wir haben trotzdem noch versucht, ein paar von den über Bord gegangenen Kissen wieder einzusammeln. Volle Kraft voraus hat uns unser Kapitän um die nächste Landzunge gebracht und an einem kleinen Strand angesetzt, der nur per Boot zu erreichen ist: Praia Vermelha.

Ein kleines Bambushütten-Restaurant ohne Wände, aber mit Dach zum unterschlüpfen war genau das, was wir brauchten. Wir haben ein leckeres Mittagessen aus gebratenem Fisch, Reis, schwarzen Bohnen und Salat genossen, dazu frischen Caju-Saft –so ließ sich das Schauspiel auf der Bucht gut abwarten! Bald war das Unwetter vorbei und wir sind wieder in See gestochen. Eine halbe Stunde entfernt, sind wir dann vor einer anderen kleinen Insel vor Anker gegangen und haben ausgiebig geschnorchelt.

Was für eine magische Welt. Ich übertreibe nicht – aber es waren tausende Fische! Riesige Schwärme kleiner silberner Fische, die mich an das Weltmeisterschaftskonfetti erinnert haben, sind um uns herumgeschwommen, Schwärme gelb-blau gestreifter Sergeantenfische, Zebrafische, rote, schwarze, blaue…keine Ahnung, wie die hießen. Man konnte über ein Korallenriff schimmen und einfach still schweben bleiben, so konnte man das geheime Leben auf dem Riff beobachten: Seeanemonen, seltsame scheue höhlenbewohnende Fische, blaue Krabben. Ich bin bewegungslos auf dem Wasser liegengeblieben und kurze Zeit später kamen ein paar neugierige Kerlchen und bauten sich direkt vor meiner Brille auf und glotzten so rein wie ich ´raus. Ein paar ganz freche Kerlchen fingen an, an meinen Fingerspitzen zu lutschen. Ich hatte zwischenzeitlich das Gefühl, völlig mit alldem zu verschmelzen.

Doch irgendwann wurde mir trotz des warmen Wassers kalt und meine Haut war verschrumpelt wie eine Backpflaume. Nur sehr ungern habe ich Yemanjas Welt verlassen (die Schutzheilige des Meeres in der Candomblé-Religion), um wieder in die Welt oberhalb des Wasserspiegels zurückzukehren. Im Sonnenuntergang hat uns Kapitän Mero, ein wirklich netter und smarter Typ, wieder sicher nach Paraty zurückgebracht. Ein leckeres Abendessen in den alten Gassen und die unverzichtbare Caipirinha haben den Tag perfekt abgerundet.

Tag Zwei war total verregnet und wir haben eine neue Bleibe gesucht und sind dabei auch ein Stück landeinwärts in die Berge gefahren, gern wäre ich weiter dem Caminho de Oro gefolgt.

Wenn ich den Tag auf/im Meer als einen der Höhepunkte dieser Reise empfunden hatte, sollte der folgende der zweite Höhepunkt werden: Wir sind flussaufwärts zu den Wasserfällen gefahren. Die Cachoeira da Pedra Branca liegt eine reichliche halbe Autostunde oberhalb von Paraty. Überflüssig zu sagen, wie der Weg dorthin durch den Urwald aussah. Und das mit einem unversicherten Auto… das letzte Stück muss man laufen, aber das ist ein Vergnügen: ein Winzling in der grünen Welt des Regenwaldes! Worte wie gigantisch sind hier wirklich angebracht. Riesige alte Bäume, deren oberirdische Wurzelteile dreimal so hoch sind, wie ein Menschlein, Blätter in jeder nur erdenklichen Form, trotz Herbst die herrlichsten Blüten überall – und dann der Fluss: der Wasserfall ist nicht besonders hoch, aber er hat mehrere Abschnitte, terrassengleich und immer wieder kleine Naturpools, in denen man baden kann. Kalt! Aber schööön. Allerdings muss man aufpassen, dass man auf den glitschigen Steinen nicht wegrutscht, zumal die Strömung ziemlich stark ist. Die meisten Besucher, an diesem Tag waren es nicht viele, wagen sich bloß bis zum ersten Absatz, bis dahin führt ein Weg mit einem Halteseil.

Doch wir wären nicht wir, wenn wir hier geblieben wären. Wir sind noch ein Stück den Fluss hochgeklettert – jetzt weiss ich auch, wozu der liebe Gott den Urwald mit Lianen ausgestattet hat: damit wir unvollkommenen Wesen beim Klettern Halt finden und nicht abstürzen!

Bald schon hatten wir einen großen runden Felsen mitten im tosenden Fluss erklommen. Hier waren wir ganz allein! Das sind die Momente, in denen ich wieder ganz genau weiss, warum ich dieses Land so liebe! Es erzeugt ein solches Glücksgefühl in mir, dass ich es kaum beschreiben kann. Alles andere fällt ab. Nur noch ich und die Natur! Der Dschungel macht mir in keiner Weise Angst, ich liebe ihn einfach. All die Schmetterlinge, Vögel, Blüten….

Wir sind ziemlich lange geblieben und haben einfach nur genossen. Vom Rande des Felsens konnten wir die Ausflügler unten beobachten, von denen sich maximal 20 Prozent auch nur zu einem Bad überwinden konnten…die Mutigste von allen war eine Frau, die bis fast auf unsere Höhe geklettert ist, ihr Gatte unten war not amused. Seltsamerweise macht zuviel Natur den meisten Brasilianern Angst.

Später sind wir noch weiter zum Wasserfall do Toboga am Caminho de Oro gefahren. Unterwegs haben wir in einem einfachen, aber netten Restaurant am Flussufer mitten im Wald, auf einem Holzdeck, ein sehr spätes Mittagessen zu uns genommen. Comida caicara, „regionale Küche“. Lecker!

Auch der zweite Wasserfall war sehr schön, aber für mich gab es da schon wieder zu viele Leute. Der untere Teil besteht aus einem riesigen glatten Felsen, den man als natürliche Rutschbahn benutzen kann. Und das taten ärgerlicherweise fast ausschliesslich sehr dicke, unsportliche Männer, was das Panorama beträchtlich verschandelt hat. Es hatte sowas von Ballermannvergnügen…Ein Stück weiter oben gab´s noch eine Hängebrücke über den Fluss (Mutprobe für mich Höhengeängstigte) und eine Bar mitten im Wald. Hier muss man einfach ein Acai na Tigêla essen: ein dunkelrotes Palmfruchtmuß mit Bananenstückchen – ein echtes Powerfutter – und suchterregend lecker!

Der letzte Tag hat uns nach Trindade geführt – einen der bekanntesten Strandorte gleich neben Paraty. Auch hier wieder reichen die steilen Urwaldhänge bis hinunter ans Meer, Platz machen sie nur für ein paar großartige Strandbuchten. Wenn man sich die Mühe macht, ca 25 Minuten über einen der Pfade durch den Dschungel zu gehen oder sich mit einem kleinen Fischerboot übersetzten lässt, gibt es noch eine kleine Zugabe von Mutter Natur zu bewundern: ein natürlicher, hellblauer Meerespool inmitten großer Felsen, „Dekobepflanzung“ mit bis ins Meer hängenden Ranken und Blüten inklusive.

Allerdings haben wir uns schnell wieder entfernt, da leider Sonnabend war und Massen von ziemlich nervenden Wochendausflüglern den schönen Pool verstopften, mit und ohne Bierdosen in der Hand…Aber abgesehen davon sind es wirklich Traumstrände.

Mit diesem Strandtag endete unsere kleine Reise nach Norden. Allerdings konnten wir nur bis Sao Sebastiao zurückfahren, nicht bis Boicucanga, da uns dort die schon beschriebene Sintflut überraschte und für Tage von der „Heimat“ abschnitt.

Zur Bildergalerie Parati

12 Nach Norden III

Nu aber…endlich muss ich doch mal unseren Trip nach Norden zu einem Ende bringen …

Unsere diesjährige Endstation: Parati.

Doch unser Aufenthalt in dieser schönen alten Stadt sollte ein wenig schräg beginnen. Unsere Freundin Corrin war für zwei bis drei Tage mitgekommen, weil sie Parati liebt und mal ausspannen wollte. Da wir im Moment alle nicht allzu üppige Budget haben, hatte sie eine Super-Einfall. Die reiche Verwandtschaft von ihrem Ex-Mann…ein Cousin, der in Argentinien lebt, hat in einem Yachthafen bei Paraty seine Segelyacht liegen. Also hatte sie ihn angerufen und gefragt, ob wir vielleicht auf dem Boot schlafen dürften. Ja, kein Problem! Wir haben Luftsprünge gemacht und fanden alles cool und sehr fancy. Und zu dem noch – geldfrei!

Es war immer noch brutheiss und stockfinster als wir angekommen sind und über eine abenteuerliche Piste den Berg steil `runter zum Meer gefahren sind, bis wir endlich die Marina gefunden haben. Aber alles war vorbereitet, es war ein Schlüssel hinterlegt und uns wurde gesagt, dass schon Betten bezogen sind für uns. Ich hab mich schon wie ein echtes uptown girl gefühlt! Dutzende Yachten schaukelten auf dem glitzernden nächtlichen Ozean. Wie abgefahren!

Ein langer Steg führte an Dutzenden Yachten vorbei, bis wir an unserer ankamen. Keine der größten, aber – sah gut aus. Nachdem wir es geschafft hatten, die Luke aufzukriegen, begann der Abstieg in die Kajüte. Und schlugen bestimmt 60 Grad entgegen und es war stockfinster. Mit Feuerzeugen haben wir die Lichtschalter gesucht – nix ging. Ok, dann wohl eine Hauptsicherung. Nichts. Schweissüberströmt haben wir im Licht einer mini-Batterielampe und unserer Kopflampe aus Dschungelhaustagen fieberhaft daran gearbeitet, alles zu öffnen, was nach Luke aussah. Luft, bitte!!!!

Dann ein Anruf nach Argentinien: Ja, die Batterie ist wohl leer – tja, kein Strom. Und auch kein Wasser…Aber das gibt´s ja auf dem Festland, da ist eine Dusche und Toilette.

Unsere Laune stürzte in noch tiefere Tiefen als sie bei dem Hitzeschock schon gestürzt war. Aber so richtig zugeben wollte das noch keiner, wir haben noch gewitzelt und nur etwas gemurrt. Aber nachdem wir die Klaustrophie auslösende flache Schlafkabine gesehen hatten, ohne Luken, mit einer kaputten uralten Klimaanlage, wurde es langsam kritisch. Ich habe verkündet, ich schlafe an Deck.

Tja, aber wo? Das Schiff war nicht so groß wie gedacht, zumindest hatte es auf Deck nicht wirklich viel Platz. Ausser zwei 1,50 langen Sitzbänken sah´s schlecht aus. Wir saßen wie drei klitschnasse Häufchen Unglück da oben und haben uns angestarrt, bis das Ganze dann eher bin einem hysterischen Lachanfall endete und dem Beschluss des grossen, damendominierten Kriegsrates: Luken dicht, wir bleiben hier keine Minute länger! Pff, wer will schon auf einem Boot schlafen?!

Und so haben wir die nächste Stunde damit zugebracht, eine passable Pousada in der Nähe des historischen Zentrums zu finden. Ich hatte vorher im Internet in diesen Buchungsportalen etwas nachgeschaut und mir ein paar Sachen gemerkt. Die Frage ist nur, wie die die Fotos hingekriegt haben und wer die tollen Beurteilungen geschrieben hat…echte Löcher. Und alles andere teuer. Aber schliesslich haben wir eine bezahlbare Bleibe gefunden, die einen gewissen Charme zu haben schien, mit ein paar schönen alten Möbeln und Kunst an den Wänden: Casa Colônia. Generell sollte ich wohl bemerken, dass die Pousadas hier nur selten europäischen Maßstäben entsprechen. Das ist schon alles einen ganzen Zacken simpler und so bieten die meist kleinen Zimmer oft nur aus Bett, Nachttisch, Haken an der Wand. Und natürlich Propeller an der Decke oder (teurer) Klimaanlage. Ich hasse beides zum Schlafen, aber ohne geht es in der meisten Zeit des Jahres einfach nicht.

Wir waren´s also ganz zufrieden – für´s erste. Unsere Meinung hat sich dann in den kommenden zwei Tagen geändert, weil wir festellen mussten, dass der Laden einfach sehr schlecht und lieblos geführt wurde: Das Frühstück in einem langen, schmalen, mit alten Kolonial-Möbeln bestückten Raum war grässlich mit vergammelten Früchten und einer Zuckerdose voller Ameisen als Krönung. Dazu Beschallung aus dem Kofferradio mit einem verzerrten Radiosender, den sich das Zimmermädchen für sich selbst eingestellt hatte, bis Miki aufgestanden ist und den Stecker gezogen hat. Kein freundliches Gesicht, kein „Bom Dia“ – und das in einem Land, in dem die Menschen ausnehmend freundlich sind! Es gab zwar kein Essen für die Gäste, aber ab Mittag stank das ganze Haus nach frittiertem Fisch und Bohnen – dem Essen, das sich die Angestellten gekocht haben.

Die absolute Krönung dann war am zweiten Morgen der Auftritt des Besitzers. Ungewaschen, mit fettigen Haaren durchschlurfte er übellaunig in Pyjamahose den Frühstücksraum ohne einen Blick für seine Gäste. Es flätzte sich auf das Sofa in der Lobby, las die Zeitung und massierte sich ungeniert sein Gehänge, was ohnehin schon halb aus der kurzen Hose fiel.

Genug ist genug. Wir haben ausgecheckt und uns in den kommenden Stunden was Besseres gesucht. Nur wenige Euro teurer, aber in Strandnähe, fünf Minuten von der Altstadt entfernt: ein nettes, sauberes und helles Familienunternehmen mit freundlichen Menschen, einem leckeren Frühstück mit frischen Früchten und Säften – was will man mehr. Geht doch.

So, damit ich Eure Ausdauer nicht überfordere, schließe ich für heute und das eigentliche Thema Parati kommt als nächstes.

Zur Bildergalerie Parati

11 Räubergeschichte

Oha! Irgendwie wird das wohl diesmal gar nichts mit einer auch nur halbwegs chronologischen Berichterstattung. Nicht nur, dass ich selbst so chaotisch organisiert und verlangsamt bin wie meine derzeitige Umgebung, nein – es kommen auch noch dauernd unvorhergesehene Ereignisse wie Überschwemmungskatastrophen und Raubgeschichten dazu.

Aber ich habe es aufgegeben, mich über das Durcheinander in meinem einst so geordneten Blog aufzuregen, Ihr solltet es auch tun. Vielleicht vermittelt das ja sogar ein wenig mehr brasilianisches Lebensgefühl als die Texte allein…

Zur Sache: Ich habe hier in Boicucanga gleich zu Anfang unseres Aufenthaltes von einem Projekt erfahren, das mich sehr beeindruckt. Meine Freundin Corrin beteiligt sich tatkräftig und mit Sachspenden daran: Projeto Buscapé. Das geht auf die Initiative eines Militärpolizisten hier zurück. Seit 5 Jahren arbeiten sie mit Kindern aus den Favelas (den Armenvierteln), aus armen und problematischen Familien. Jeweils 140 Kids zwischen 7 und 14 Jahren. In zwei Schichten an jedem Wochentag erscheinen sie täglich und nehmen an Kursen teil: Kochen, Musik, Theater, Kunst, viel Sport, Drogenprävention etc pp. Und fast noch wichtiger als das ist, dass sie ein normales Sozialverhalten lernen: Ich bin ein respektabler Mensch, ich respektiere andere, Disziplin, Zusammenarbeit, Zuneigung, Umgangsformen, Selbstbewußtsein etc pp. Supersache!

Und da in mir wohl doch eine Menge Journalisten-Blut fließt, konnte ich nicht anders, als Material zu sammeln, Interviews und Fotos zu machen usw. Ich habe vorgestern den ganzen Tag dort verbracht und mangels anderen Handwerkszeugs die Interviews per Fotoapparat gemacht. Es war der wöchentliche Gastro-Tag mit zwei ziemlich bekannten Chefköchen aus Sao Paulo. Am Ende hat mich einer von ihnen, der immer im Projekt mitarbeitet, Eudes Assis, ein bisschen genervt, weil er mein ganzes Material auch auf seinen Rechner laden wollte. EigentIich wollte ich längst los, aber gut…

Endlich Feierabend! Es wurde fast schon dunkel. Miki hat mich abgeholt, verschwitzt und geschafft wie ich war. Ich wollte unbedingt noch mal ins Meer springen. Wir hatten das Auto von Corrin geliehen und sind nach Camburizinho gefahren, haben das Auto abgestellt und ca 10 Minuten schwimmen gegangen. Als wir zurückkamen: Überraschung! Die Beifahrertür stand auf, das Handschuhfach war ausgewühlt – und die Kamera weg! Zum Glück hatten die Diebe wohl keine Zeit, den Kofferraum zu durchwühlen, da lagen mein Computer und Mikis Brieftasche.

Ich war …ich weiß nicht was: sauer, wütend, resigniert – just pissed. Die ganze Arbeit! Unsere persönlichen Fotos der letzten Woche – alles weg, ganz abgesehen von der Kamera. Aber was soll´s, die hat gerade mal 150 Euro gekostet und wir während zehn Brasilien-Reisen noch nie beklaut worden. Es musste ja mal passieren, dachte ich. Später haben wir rekapituliert, dass Miki einen Fehler gemacht hat: er hatte per Schlüssel die Fahrertür geschlossen, in der Annahme, dass das ganze Auto verriegelt ist, wie bei den meisten Modellen…war aber nicht.

Aber der Verlust des Materials hat mich echt gewurmt: Wir also ins Auto gesprungen und in ein Hotel in Boicucanga gefahren, wo es immer Essen und freie Logie für die Buscapé-Gäste aus Sao Paulo gibt. Dir Chefin kennt mich und hat gleich die Militärpolizei angerufen und alles genau weitergegeben, wo wann wie usw. Aber ich wollte keine sinnlose Anzeige machen, ich wollte nur das Material. Eudes, der Koch, war meine letzte Hoffung, hatte er doch einiges heruntergeladen, aber er war nicht mehr da. Die Hotelchefin hat aber herausgefunden, dass er noch vor Ort in einem Internetcafé war. Wir sind also nass und klebrig wieder ins Auto und haben ihn tatsächlich gefunden! Er hatte aber seinen eigenen Computer bei Verwandten in Camburi gelassen, mitten in der tiefgrünen Pampa, wo´s weder Telefon noch Internet gibt. Zusammen sind wir dahin – und –Jaaaa! Das Material, selbst das bereits gelöschte, war noch zu retten. Es hat eine lange Stunde gedauert, es auf einen Stick zu speichern. Auf diese Weise sind wir Eudes und seiner superhübschen smarten Nichte Nicoli bei Bier und Kuchen nähergekommen – vielleicht wieder der Beginn einer echten Freundschaft. Ich war zufrieden. Sch…auf die Kamera!

Gestern nun hatten wir Besuch von Euro und Belen aus Sao Sebastiao. Gemeinerweise hat es den ganzen Tag geregnet. Nicht schlimm und schön warm dabei, aber eben kein Strandtag. Wir haben uns von Café zu Café geschleppt und wollten noch mal kurz schwimmen, bevor ich noch ein letztes Foto bei Judotraining der Buscapé-Kinder machen wollte – mit geliehener Kamera. Damit die nicht auch noch verschwindet, sind wir diesmal zu dem erwähnten Hotel gefahren, um dort zu baden ohne das Auto auf der Strasse zu lassen.

Wir haben unseren Augen nicht getraut, als wir ausstiegen, und Hotelchefin, Cabo William und ein Kollege fröhlich lachend unsere Kamera entgegenschwenkten!!!

Ich konnte es nicht glauben. Aber die Jungs haben das persönlich genommen: eine Journalistin, die über ihr Projekt schreiben will und der man die Fotos und Interviews klaut! Die haben sich echt ´reingehängt und die Überwachungs-Kameras der gut bewachten Condominiums in Camburizinho gecheckt. Tatsächlich waren vier räuberische Kids drauf, einer hat das Zeug aus dem Auto geklaut. Per Foto haben sie jetzt ihre Patroullien suchen lassen – und den vierzehnjährigen Delinquenten gefunden! Unglaublich!

Sie haben ihn in die Mangel genommen, er hat die Kamera rausgerückt (er war ohnehin gefrustet, weil das blöde Ding nur deutsch versteht…) und ihm mächtig Angst gemacht. Er hat wohl wirklich hart arbeitende Eltern, die bisher keine Ahnung von seinen kriminellen Neigungen haben. Sie haben ihm gesagt, dass es sein könnte, dass sie vor Schreck an einem Herzinfarkt sterben, wenn sie das erfahren – und im Wiederholungsfalle würden sie seine Eltern informieren. Er hat sich fast in die Hosen gemacht vor Angst. Ausserdem haben sie ihm erzählt, dass er leicht mal auf der Flucht erschossen werden könnte, wenn er bei sowas erwischt wird (was übrigens nicht ganz abwegig ist). Diese Vorgehensweise mag in europäischen Ohren seltsam klingen, erscheint mir aber unter den hiesigen Bedingungen durchaus angemessen.

So habe ich nun meine Kamera zurück, wenn auch alle Bilder gelöscht sind, ein neues brasilianisches Abenteuer erlebt, neue Freunde gefunden – und das Leben ist schön!

Zur Bildergalerie Projecto Buscapé

10 Update Sintflut

Vor zweieinhalb Tagen sind wir aus unserem Flut-Exil bei Belen in Sao Sebastiao „nach Hause“, nach Boicuganga, zurückgekommen. Wir sind etwas länger geblieben als unbedingt nötig, weil erstens immer noch Regenwetter war und zweitens unsere jungen Freunde uns gebeten haben, noch zu bleiben, weil sie es gerade nicht so leicht haben.  Sie haben ein Restaurant – Il Forno – und damit jede Menge Probleme; auch diese Geschichte ist ein echtes Stück Brasil, aber davon später.

Die Küstenstrasse ist seit Mittwoch vergangener Woche wieder freigeben, mußte aber zwischenzeitlich immer wieder zeitweilig gesperrt werden, weil Teile der aufgeweichten Berghänge abrutschen und zudem auf der Strecke immer noch schwere Baumaschinen damit beschäftigt sind, die Schäden in den Griff zu bekommen und die lockeren Erdmassen, Felsbrocken und Bäume zu sichern oder gleich vorsorglich abzutragen. So gestalten sich dieser Tage die Fahrten noch etwas stotternd – die Strecke ist immer noch teilweise einspurig wegen Bauarbeiten.

Zu sehen sind hier vor Ort überall noch Haufen von angeschwemmtem Müll, Baumresten, Plastikzeugs und in den direkt betroffenen Gebieten kaputte Brücken und Häuser. Einige Leute könnnen einfach noch gar nichtnzu ihren Häusern kommen. Die Flüsse, die ins Meer münden, bringen den ganzen Dreck jetzt mit. Deshalb gab es gestern auch schon wieder eine kleine Überschwemmung, obwohl es nur vorgestern Nacht ca 1 Stunde geschüttet hat: die Flussläufe sind noch blockiert, die Wassermassen können nicht abfließen und so „schwappt“ alles etwas verspätet über. Schon wieder fünf Häuser weniger. Wir haben hier echt Glück gehabt. Genau gegenüber unsrem Haus, am anderen Flussufer, wurden von einem großen Grundstück mit Hotel und einer kleinen Marina 1200qm Land einfach vom Fluss gefressen.

Hier in Boicucanga und Camburi, wo die Schäden mit am Schlimmesten waren, erscheint das Leben wieder erstaunlich normal, angesichts der Tatsache, dass hier soviel Menschen alles verloren haben. Das ist eine der Besonderheiten der brasilianischen Mentalität: Es geschehen die schlimmsten Dinge und kurz darauf geht man zur Normalität über, hat sich abgefunden, lacht wieder und das Leben ist schön. Es ist einerseits bewundernswert und ich wünschte, wir, die ewig Probleme wälzenden, leidenden, klagenden Deutschen könnten alle eine ordentlich Portion davon lernen. Andererseits ist es auch erschreckend und fatal, ist doch genau diese Eigenschaft verantwortlich dafür, dass hier soviele Dinge im Argen liegen und sich nichts ändert. Man vergisst und geht einfach zum Alltag über, egal wie groß die Probleme sind.

Die social media wie facebook haben hier eine wichtige Funktion, so zwiespältig ich ihnen auch in Europa gegenüberstehe: Hier wird unter anderem in solchen Situationen über facebook zur Mithilfe, zu Benefizaktionen, zu Spenden u.a. aufrufen, über den Stand der Dinge und auch über politische Vorgänge informiert. Auch für mich war das jetzt eine wichtige Informationsquelle. Z.B. dass Spenden gesammelt werden –  ich werde zwei Kisten mit Sommersachen, die ich hier geparkt habe, spenden. Gebraucht wird alles…Ich wollte gerade einen ollen Rucksack wegwerfen, der nicht nur grauenhaft aussah, sondern völlig ausgerissen ist – Belen hat ihn mir weggenommen, denn der ist sogar ohne Flut für viele hier wertvoll.

Vor zwei Tagen war der Gouverneur von Sao Paulo höchstpersönlich hier, um sich ein Bild zu machen (und gutes Wetter für die nächsten Wahlen). Er hat versprochen, dass es ausser 1,5 Millionen Real für die Schadensbehebung in den nächsten drei Jahren noch das Geld für 300 Häuser für die Armen fließen sollen – in überflutungssicheren Territorien, die kommunales Eigentum sind. Abgesehen davon, dass die meisten hier schwer daran zweifeln, dass am Ende viel von dem versprochenen Geld hier ankommt und nicht in den tiefen Kanälen der Korruption verschwindet, trifft das eins der Probleme, die Schuld an diesen katastrophalen Zustände sind.

Die Natur hier ist mächtig, sie lässt sich von den Menschen nicht beherrschen. Aber man könnte mit ihr leben. Aber genau das passiert nicht – vorallem aus Ignoranz, Unwissenheit und Armut. So wird hier ohne Sinn und Verstand wild gebaut und gesiedelt. Es gibt zwar mittlerweile einige Gesetze, die z.B. untersagen, an den Flussufern zu bauen oder in bestimmten von Überschwemmungen gefährdeten Gebieten zu bauen, aber niemand hält sich daran und es verhindert auch niemand. Bis vor Kurzem (und ich glaube, z.T. bis jetzt) galt, dass illegal besetzte Grundstücke nach zwei Jahren in den Besitz der Besetzer übergehen, wenn keiner Einspruch erhebt, so ist auch bis jetzt das Bauen ohne die nötigen Baugenehmigungen, die mit einer absurden, unendlich langwierigen Bürokratie verbunden sind, durchaus üblich. Notfalls werden die Bauten mit den üblichen Bestechungen legalisiert Dazu kommt, dass hier die Immobilienpreise sehr hoch sind und viele Menschen nur wenig bezahlen können. Billiges Bauland oder etwa öffentliche Siedlungsprojekte gibt es nicht – also wird gebaut, wo immer sich Platz findet. Und das ist eben genau in den Überschwemmungsgebieten. Leider muss man der Wahrheit halber auch sagen, dass dazu noch eine gehörige Portion Ignoranz und mangelnde Lernfähigkeit kommt. So ist den Leuten hier einfach nicht zu vermitteln, dass viele regelmässige Überschwemmungen der Häuser zu verhindern wären, wenn sie ihre Häuser einfach etwas höher bauen würden. Nö, haben das immer so gemacht, da wird nichts geändert….Ich weiss, dass klingt wieder rassistisch, ist es aber überhaupt nicht, es entspricht einfach der Realität. Und wir fahren schon so lange hier her und lieben vieles an diesem Land, aber wir haben eben inzwischen auch in seinen dunklen Seiten kennengelernt.

Für die nächsten Tage sind noch mögliche stärkere Regenfälle angesagt – hoffen wir, dass sie ausbleiben und sich alles wieder beruhigt.

Zur Bildergalerie Sintflut